1318 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XX. GP

Bericht

des Ausschusses für innere Angelegenheiten


über den Antrag 638/A der Abgeordneten Mag. Terezija Stoisits und Genossen betreffend eine Novellierung des Staatsbürgerschaftsgesetzes (Staatsbürgerschaftsnovelle 1998)


Die Abgeordneten Mag. Terezija Stoisits und Genossen haben den gegenständlichen Antrag am 14. No­vember 1997 eingebracht und wie folgt allgemein erläutert:

“1. Problem

Ziel jeder Integrationspolitik muß es sein, Zugewanderten die volle Integration in Österreich zu ermög­lichen. Volle Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte für Zuwanderer und ihre Familienangehörigen und Folgegenerationen gibt es in Österreich erst durch den Erwerb der Staatsbürgerschaft. Nach den derzeit geltenden gesetzlichen Bestimmungen des Staatsbürgerschaftsgesetzes sind die Aussichten auf eine Einbürgerung in Österreich sehr gering. Österreich ist mit Deutschland und der Schweiz eines der restriktivsten Länder Westeuropas im Hinblick auf die Einbürgerung von Zuwanderern.

Mehr als eine halbe Million Menschen, die sich in Österreich niedergelassen haben, und die über keine österreichische Staatsbürgerschaft verfügen, sind von jeder politischen Partizipation und Repräsentation ausgeschlossen. Eine erleichterte Einbürgerung, die Möglichkeit einer Doppelstaatsbürgerschaft und die Absicherung des Aufenthaltsrechtes sind zentrale Voraussetzung einer positiven Integration. Nur wer nicht ständig mit dem Verlust seines Aufenthaltsrechtes rechnen muß, kann sich Integration leisten. Wer jederzeit sein Aufenthaltsrecht (zB durch vorübergehende Arbeitslosigkeit, Krankheit oder eine zu kleine Wohnung) verlieren kann, ist gezwungen, stets einen Koffer für die ,Heim‘-Reise gepackt zu haben. Unter diesen Umständen ist Integration weder möglich noch aus der Sicht der Betroffenen sinnvoll.

Die Grünen haben daher in Zusammenarbeit mit Fachleuten des IHS einen Vorschlag zur Novellierung des Staatsbürgerschaftsgesetzes erarbeitet. Insbesondere Kindern von selbst in Österreich geborenen Personen soll bereits mit der Geburt die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen werden.

2. Derzeitige Rechtslage

Derzeit kann die Staatsbürgerschaft durch Abstammung, durch Verleihung, durch Dienstantritt als ordent­licher Universitätsprofessor, als ordentlicher und außerordentlicher Hochschulprofessor, durch Erklärung oder durch Anzeige der Wohnsitzbegründung erworben werden. Für nichtösterreichische Staatsbürger kommt in der Regel der Erwerb der Staatsbürgerschaft durch Verleihung (§§ 10 bis 24) in Frage.

In Österreich kann derzeit die Staatsbürgerschaft nach einem Aufenthalt von zehn Jahren verliehen werden. Erst nach 30 Jahren Aufenthalt besteht ein Rechtsanspruch. Wenn es sich um einen Minder­jährigen handelt oder bei besonders berücksichtigungswürdigen Gründen kann die Verleihung der Staats­bürgerschaft bereits nach vier Jahren erteilt werden.

Die Verleihung der Staatsbürgerschaft ist Landessache und so wird die Bestimmung des § 10 in den einzelnen Ländern unterschiedlich angewendet. Es ist bekannt, daß die Behörden in Wien insbesondere § 10 Abs. 3 (mögliche Verleihung nach vier Jahren) großzügiger auslegen (derzeit sechs bis sieben Jahre) als die Beamten in den anderen Bundesländern. In den letzten Jahren ist allerdings auch hier eine restriktivere Auslegung festzustellen. Die Kann-Bestimmung bei der Verleihung der Staatsbürgerschaft hat aber auch dazu geführt, daß hinsichtlich der Verleihung der Staatsbürgerschaft große Unsicherheit bei den Betroffenen besteht, da in den einzelnen Ländern oft wegen Geringfügigkeiten die Verleihung der Staatsbürgerschaft abgelehnt wird. Eine Eingrenzung des Ermessensspielraumes ist daher im Sinne größerer Rechtssicherheit unerläßlich.

Neben der Verleihung spielt noch die Abstammung beim Erwerb der Staatsbürgerschaft eine gewisse Rolle, wobei eheliche Kinder die Staatsbürgerschaft erwerben, wenn ein Elternteil österreichischer Staats­bürger ist; uneheliche Kinder jedoch nur dann, wenn die Mutter zum Zeitpunkt der Geburt österreichische Staatsbürgerin ist.

Daneben ist die Staatsbürgerschaft ordentlichen und außerordentlichen Universitäts- und Hochschul­professoren bei Dienstantritt und deren Familienangehörigen durch Erklärung die Staatsbürgerschaft zu verleihen. Diese Regelung war notwendig, da auf Grund der Bestimmung des Art. 3 Staatsgrundgesetz die Lehrtätigkeit nur von Personen österreichischer Staatsbürgerschaft ausgeübt werden durfte. Eine Novellierung dieser Bestimmung ist überfällig, zumal diese Bestimmung nach dem EU-Beitritt nicht mehr aufrechtzuerhalten ist.

Den Erwerb der Staatsbürgerschaft durch Anzeige der Wohnbesitzgründung betrifft vor allem Personen, die österreichische Staatsbürger waren und auf Grund der Kriegsereignisse Österreich verlassen haben bzw. verlassen mußten.

In letzter Zeit wird bisweilen eine gewisse Sprachbeherrschung als Erwerbsvoraussetzung gefordert. Begründet wird dies mit angeblichen Erfahrungen anderer Länder, insbesondere in den USA, den Nieder­landen, Kanada, Ungarn, Deutschland oder Großbritannien. Es stimmt, daß es in vielen Staaten üblich ist, bei der Verleihung der Staatsbürgerschaft als Voraussetzung für die Einbürgerungswilligen gewisse Kenntnisse für die jeweilige Landessprache zu verlangen. Allerdings wird dabei übersehen, daß bei längerem Aufenthalt diese Voraussetzungen in der Regel entfallen. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, daß es wohl nicht sinnvoll ist, von Personen, die ihre Schulausbildung zum größten Teil in Österreich zurückgelegt haben, den Nachweis der Sprachkenntnisse durch Besuch eines Sprachkurses zu verlangen.

Die Forderung, eine Einbürgerung nur dann zu gewähren, wenn die Antragsteller über hinreichende Kenntnisse des Deutschen verfügen, zielt in Wirklichkeit auf einen Verlust der Herkunftssprache(n) der Zuwanderer, da keine begleitenden sprachpolitischen Maßnahmen vorgesehen sind, die den Erhalt der jeweiligen Muttersprache sicherstellen. Eine derartige Initiative führt daher nicht zu einer Erschwerung der Zuwanderung, sondern auch zu einer Assimilation und einseitigen Anpassung an das Deutsche. Ohne Zweifel sind hinreichende Kenntnisse für Zugewanderte eine wichtige Stütze bei der Integration. Gerade die verstärkte Globalisierung der Wirtschaftsbeziehungen erfordert gute und vielfältige Fremdsprachen­kenntnisse sowie eingehendes Wissen über die Verhältnisse in anderen Kulturen. Daher sollte die natürliche Mehrsprachigkeit der Zugewanderten massiv gefördert werden. Ausreichende Sprachkennt­nisse als Einbürgerungsvoraussetzung können daher nur dann verlangt werden, wenn die äußeren Begleit­umstände wie zB in den Niederlanden stimmen, wo MigrantInnen im ersten Jahr des Aufenthaltes entsprechende Sprach- und Bildungskurse von Staats wegen gewährt werden.

Ein Ländervergleich zu den jeweiligen Zugangsvoraussetzungen, der auf einem Forschungsbericht des Institutes für höhere Studien ,from Alliens to Citizens‘ von Dilek Cinar beruht, beweist in anschaulicher Art und Weise, daß Österreich zu den Staaten mit den restriktivsten Einbürgerungsbestimmungen gehört. In Österreich gibt es nicht nur die längsten Aufenthaltsdauererfordernisse, sondern auch (mit Deutschland, den Niederlanden und Luxemburg) die Verpflichtung der Aufgabe der bisherigen Staatsbürgerschaft (von Ausnahmen abgesehen), wobei in den anderen genannten Ländern ein wesentlich breiterer Ausnahmen­katalog besteht (in Deutschland wurde er zuletzt erweitert). Es gibt ebenso keine Möglichkeit des automatischen Erwerbes der Staatsbürgerschaft per Geburt – auch nicht für Folgegenerationen. Aber auch eine längere Aufenthaltsdauer reicht als Voraussetzung für einen automatischen Erwerb der Staatsbürger­schaft nicht aus. So erwerben zwar Kinder der zweiten oder dritten Generation, die nie in Österreich gelebt haben und oft zu Österreich kaum mehr Beziehung haben als Touristen, automatisch mit der Geburt (per Abstammung) die Staatsbürgerschaft, wenn ein Elternteil österreichische/r StaatsbürgerIn ist, während dies für Kinder, die hier in Österreich geboren, hier aufgewachsen und in die Schule gegangen sind und deren Eltern schon hier geboren sind, nicht gilt.

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll daher das österreichische Staatsbürgerschaftsgesetz dem Niveau anderer europäischer Länder angeglichen werden.

3. Allgemeine Anmerkungen

Wie die Kommission der Europäischen Gemeinschaften im Jahre 1991 in einer Mitteilung an den Rat und das Europäische Parlament zum Thema Einwanderung feststellt, gibt es eine Alternative zur Integration nicht, weil eine Zwangsrückkehr der rechtmäßig in einem Mitgliedstaat ansässigen Einwanderer ausgeschlossen und eine freiwillige Rückkehr äußerst selten ist. Die Eingliederung setzt die Schaffung einer Rechts- und Verwaltungsordnung voraus, die eine Gleichstellung der Einwanderer mit den Staats­angehörigen des jeweiligen Staates ermöglicht. Hierzu bedarf es flankierender erzieherischer Anstren­gungen zur Sensibilisierung der öffentlichen Meinung. Die Erfahrungen aus erfolgreichen Integrations­bemühungen zeigen, daß das Zusammenspiel dieser beiden Ansätze fester Bestandteil des Erfolgsrezeptes für eine erfolgreiche Integration ist.

Eine sinnvolle Integrationspolitik muß dazu führen, daß Zugewanderte bei uns eine Heimat im Sinne eines selbstverständlichen Zuhause-Seins, und zwar ein Zuhause nicht nur im äußerlichen sozialen Leben, sondern im Bewußtstein einer sicheren festgefügten moralischen und geistigen Welt. Der Wunsch nach einem Zuhause der Zugewanderten kann zu zwei Entwicklungen führen – eine gesamtgesellschaftliche oder eine subkulturelle Form. Die Ausbreitung subkultureller Form erleben wir gerade in dieser Zeit und muß als Folge mangelnder Integrationspolitik gesehen werden. Zugewanderten, denen in unserer Gesellschaft kein Zuhause geboten wird, schotten sich mehr und mehr ab und ziehen sich in ihre eigenen Bereiche zurück, da sie nur in diesen Kreisen Sicherheit und Geborgenheit finden können. Damit sind diese Personen aber auch offen für ein fundamentalistisches und nationalistisches Gedankengut. Langfristig wird ein friedliches Zusammenleben verhindert. Diese Politik bietet wiederum einen günstigen Nährboden für Ausländerfeindlichkeit, wie sie derzeit in Österreich mehr und mehr zu verzeichnen ist.

Als Alternative dazu gibt es nur eine gesamtgesellschaftliche Lösung, nämlich die Integration der Zugewanderten, wie sie die Kommission in ihrer Mitteilung an den Rat der Europäischen Gemeinschaften und an das Parlament vorschlägt. Eine derartige Integration ist aber nur möglich, wenn Zugewanderten einerseits bereits nach kurzem Aufenthalt in Österreich dieselben Rechte und Pflichten wie österreichische StaatsbürgerInnen – ausgenommen in der öffentlichen Verwaltung – eingeräumt werden und andererseits ihnen der Erwerb der Staatsbürgerschaft möglichst schnell und einfach ermöglicht wird. Menschen, die auf die Verleihung der Staatsbürgerschaft warten müssen, sind der ständigen Unsicherheit ausgesetzt, in einem Land, das ihre Heimat ist – hier haben sie ihre Freunde, ihre Familienangehörigen, gehen zur Arbeit, zahlen Steuern –, als Fremde betrachtet zu werden und nicht ,dazu zu gehören‘, zumal sie insbesondere von wesentlichen politischen Rechten ausgeschlossen sind. Dies stellt ein wesentliches Hindernis für einen sinnvollen Integrationsprozeß dar.

Großzügige Bestimmungen für die Einbürgerung von Zugewanderten werden zwangsläufig dazu führen, daß diese vieles aus der Kultur ihres neuen Heimatlandes annehmen und einiges aus der eigenen Kultur verlieren. Andererseits wird auch die Wohnbevölkerung mit österreichischer Staatsbürgerschaft einiges aus der Kultur der Zuwanderer übernehmen. Gerade Österreich kann diesbezüglich nur auf positive Erfahrungen verweisen. Um ein Zusammenleben aller in Österreich lebenden BürgerInnen zu fördern und nationalistische Tendenzen und Konflikte in Hinkunft hintanzuhalten, schlagen wir die Erleichterung des Zuganges zur Staatsbürgerschaft vor.

4. Änderungsvorschläge im Überblick:

           a) Erleichterung der Einbürgerung für Folgegenerationen;

               Einführung eines doppelten Jus soli (Erwerb durch Geburt für in Österreich geborene Auslän­derInnen, wenn deren Eltern bereits in Österreich geboren sind (§ 7) und Erwerb durch Aufent­halt, und zwar für minderjährige Kinder, wenn ein Elternteil bereits die Voraussetzungen für die Verleihung der Staatsbürgerschaft besitzt);

          b) Gleichstellung von ehelichen und unehelichen Kindern;

           c) Ermöglichung der Doppelstaatsbürgerschaft;

          d) Verleihung der Staatsbürgerschaft bereits nach fünf Jahren;

           e) Rechtsanspruch auf Verleihung der Staatsbürgerschaft nach zehn Jahren;

           f) Einschränkung des Ermessensspielraumes und damit gleichzeitig Gewährleistung einer größeren Rechtssicherheit;

          g) Berufungsmöglichkeit an den unabhängigen Verwaltungssenat;

          h) Beseitigung der imens hohen Gebühren.

5. Besonderer Teil

Menschen unterschiedlicher kultureller und religiöser Identitäten können durchaus BürgerInnen ein und desselben Landes sein. Im Sinne einer europäischen Integration ist es als Bereicherung zu begreifen, wenn Angehörige verschiedener kultureller und historischer Traditionen BürgerInnen dieses Landes sind. Solange Zugewanderte als Fremde betrachtet werden und die Einbürgerung kaum ermöglicht wird, werden diese an ihren bestehenden Identitäten festhalten. Wenn Zugewanderten vorgeworfen wird, gar keine österreichischen BürgerInnen werden zu wollen, so ist dem entgegenzuhalten, daß man niemandem vorwerfen kann, einer Gemeinschaft nicht beitreten zu wollen, der ihm den Zutritt verweigert.”

Der Ausschuß für innere Angelegenheiten hat den gegenständlichen Antrag in seinen Sitzungen am 3. und 30. Juni 1998 in Verhandlung genommen.


Als Berichterstatter für den Ausschuß fungierte die Abgeordnete Mag. Terezija Stoisits.

In der Debatte ergriffen die Abgeordneten Paul Kiss, Wolfgang Jung, Dr. Volker Kier, Günther Platter, Dr. Helene Partik-Pablé, Franz Lafer, Mag. Terezija Stoisits, Anton Gaál, Dr. Karl Maitz, Emmerich Schwemlein, Helmut Dietachmayr und der Bundesminister für Inneres Mag. Karl Schlögl das Wort.

Bei der Abstimmung fand der gegenständliche Initiativantrag nicht die Zustimmung der Ausschuß­mehrheit.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Ausschuß für innere Angelegenheiten somit den Antrag, der Nationalrat wolle diesen Bericht zur Kenntnis nehmen.

Wien, 1998 06 30

                             Helmut Dietachmayr                                                              Anton Leikam

                                   Berichterstatter                                                                           Obmann