1357 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XX. GP

Nachdruck vom 27. 8. 1998

Regierungsvorlage


Bundesgesetz über die zivilrechtliche Haftung für Schäden durch Radioaktivität (Atom­haftungsgesetz 1999 – AtomHG 1999)


Der Nationalrat hat beschlossen:

1. Abschnitt

Geltungsbereich und Begriffsbestimmungen

Geltungsbereich

§ 1. Dieses Bundesgesetz regelt die zivilrechtliche Haftung für Schäden, die durch ionisierende Strahlung von Kernanlagen, Kernmaterial oder Radionukliden an Menschen oder Sachen verursacht werden.

Begriffsbestimmungen

§ 2. Im Sinn dieses Bundesgesetzes bedeuten:

           1. Kernmaterial: besonderes spaltbares Material und Ausgangsmaterial (Art. II § 1 Z 1 bis 3 Sicherheitskontrollgesetz 1991, BGBl. Nr. 415/1992) mit Ausnahme kleinster, radiologisch unbedeutender Mengen (Art. II § 6 Abs. 2 Z 1 Sicherheitskontrollgesetz 1991);

           2. Radionuklide: sonstige radioaktive Stoffe, die zufolge spontaner Kernprozesse ionisierende Strahlung aussenden, einschließlich von Stoffen oder Gegenständen, die radioaktive Stoffe ent­halten oder an deren Oberfläche sich solche Stoffe befinden;

           3. Kernanlagen: Anlagen, in denen mit Kernmaterial in einer Menge und Art umgegangen wird, daß eine Kettenreaktion stattfinden oder nicht ausgeschlossen werden kann, insbesondere Kernreak­toren, Anlagen zur Herstellung, Bearbeitung, Verwendung, Aufbewahrung, Lagerung, Aufberei­tung und Unschädlichmachung von Kernmaterial sowie Anlagen zur Trennung von Isotopen spaltbaren Materials;

           4. Betriebsunternehmer: ein Unternehmer, der über den Betrieb einer Kernanlage verfügungs­berechtigt ist und sich deren wirtschaftlichen Erfolg laufend zuordnet oder jederzeit zuordnen kann; der Inhaber der erforderlichen Betriebsbewilligung ist jedenfalls Betriebsunternehmer;

           5. Halter: diejenige Person, die über ein Radionuklid verfügungsberechtigt ist und dieses für eigene Rechnung in Gebrauch hat;

           6. Beförderer: diejenige Person, die Kernmaterial mit oder ohne Beförderungsvertrag über Straßen, Schienen, Luft oder Wasser befördert.

2. Abschnitt

Haftung für Kernanlagen und -material

Haftung des Betriebsunternehmers

§ 3. (1) Der Betriebsunternehmer einer Kernanlage haftet für Schäden, die durch den Betrieb der Kernanlage an Menschen oder Sachen verursacht werden. Der Betrieb der Kernanlage umfaßt auch den Abbau der Anlage bis zur Entsorgung des radioaktiven Inventars.

(2) Der Betriebsunternehmer einer Kernanlage haftet weiters für Schäden, die außerhalb der Kernanlage verursacht werden, wenn diese Schäden

           1. auf Kernmaterial aus seiner Kernanlage zurückgehen und eingetreten sind, bevor der Betriebs­unternehmer einer anderen Kernanlage die Verfügungsgewalt über dieses Kernmaterial über­nommen hat, oder

           2. auf an seine Kernanlage mit seinem Einverständnis versendetes Kernmaterial zurückgehen und eingetreten sind, nachdem er die Verfügungsgewalt über dieses Kernmaterial übernommen hatte.

Haftung des Beförderers

§ 4. Der Beförderer von Kernmaterial haftet für Schäden, die im Verlauf der Beförderung an Menschen oder Sachen verursacht werden, sofern er nicht beweist, daß er nicht gewußt hat und nicht hätte wissen müssen, daß es sich um Kernmaterial handelt.

Haftungsumfang und -ausschluß

§ 5. (1) Die Haftpflicht des Betriebsunternehmers und des Beförderers nach den §§ 3 und 4 erstreckt sich auch auf Schäden, die auf die radioaktiven Eigenschaften von Kernmaterial in Verbindung mit dessen giftigen, explosiven oder sonstigen gefährlichen Eigenschaften zurückzuführen sind.

(2) Die Haftpflicht nach den §§ 3 und 4 erstreckt sich nicht auf Schäden

           1. an der Kernanlage selbst und an anderen auf deren Gelände befindlichen Kernanlagen, einschließlich der im Bau befindlichen Anlagen,

           2. an Sachen, die sich auf diesem Gelände befinden und die im Zusammenhang mit der Kernanlage verwendet werden oder worden sind, und

           3. an Transportmitteln, mit denen Kernmaterial befördert wird.

Sicherstellung

§ 6. (1) Der Betriebsunternehmer einer in Österreich gelegenen Kernanlage hat zur Deckung seiner Haftpflicht eine Haftpflichtversicherung abzuschließen. Diese Haftpflichtversicherung ist zumindest bis zum Ablauf von zehn Jahren nach Beendigung des Betriebs der Kernanlage aufrechtzuerhalten. Sie hat sich auf alle Schäden zu erstrecken, die während der Versicherungszeit verursacht und längstens innerhalb von zehn Jahren nach Eintritt geltend gemacht werden. Diese Sicherstellungspflicht erstreckt sich nicht auf Schäden, die auf einen Krieg, ein kriegerisches Unternehmen, einen Bürgerkrieg, einen Aufruhr oder einen Aufstand zurückzuführen sind.

(2) Die Haftpflichtversicherung muß mindestens den Betrag von 5 600 000 000 S je Versicherungs­fall zuzüglich 560 000 000 S für Zinsen und Kosten, für Versuchs- oder Forschungsreaktoren aber den Betrag von 560 000 000 S je Versicherungsfall zuzüglich 56 000 000 S für Zinsen und Kosten, abdecken.

(3) Eine Versicherungspflicht besteht nicht, wenn der Bund oder ein Land selbst haftpflichtig ist oder dem Betriebsunternehmer einer Kernanlage gegenüber eine Haftungserklärung zumindest über den in den Abs. 1 und 2 angeführten Umfang abgegeben hat. Der Bundesminister für Finanzen wird ermächtigt, eine solche Haftung zu übernehmen, soweit der Abschluß einer Haftpflichtversicherung für den Haftpflich­tigen wirtschaftlich nicht tragbar ist und die Haftungsübernahme durch den Bund im öffentlichen Inter­esse liegt.

§ 7. (1) Der Beförderer von Kernmaterial hat zur Deckung seiner Haftpflicht eine Haftpflicht­versicherung abzuschließen, soweit das Risiko nicht auf Grund einer anderen Pflichtversicherung gedeckt ist. Die Haftpflichtversicherung hat sich auf alle Schäden zu erstrecken, die auf die Beförderung von Kernmaterial in Österreich zurückzuführen sind.

(2) Die Haftpflichtversicherung muß mindestens den Betrag von 560 000 000 S je Versicherungsfall zuzüglich 56 000 000 S für Zinsen und Kosten, für Ausgangsmaterial aber den Betrag von 56 000 000 S je Versicherungsfall zuzüglich 5 600 000 S für Zinsen und Kosten, abdecken.

(3) Bei der Beförderung von Kernmaterial ist der Versicherungsnachweis (§ 158i Versicherungs­vertragsgesetz 1958) mitzuführen und jederzeit auf Verlangen denjenigen Organen vorzulegen, die für die Überprüfung der Einhaltung der für die Beförderung maßgeblichen Rechts- und Sicherheitsvorschriften zuständig sind.

(4) § 6 Abs. 3 über den Entfall der Sicherstellungspflicht des Betriebsunternehmers ist auch auf die Sicherstellungspflicht des Beförderers von Kernmaterial anzuwenden.

§ 8. (1) Eine als Sicherstellung dienende Haftpflichtversicherung nach den §§ 6 und 7 muß bei einem zum Betrieb dieses Versicherungszweigs in Österreich berechtigten Versicherer abgeschlossen werden. Darauf muß österreichisches Recht anzuwenden sein. Der Versicherer hat die Versicherungsbedingungen vor ihrer Verwendung dem Bundesminister für Finanzen mitzuteilen.

(2) Zuständige Stelle für die in § 158c Abs. 2 Versicherungsvertragsgesetz 1958 vorgesehene Anzeige sind für die Sicherstellungspflicht des Betriebsunternehmers einer Kernanlage der Bundeskanzler und für die Sicherstellungspflicht des Beförderers von Kernmaterial der Bundesminister für Wissenschaft und Verkehr.

3. Abschnitt

Haftung für Radionuklide

Haftung des Halters

2

§ 9. (1) Der Halter eines Radionuklides haftet für Schäden, die durch die ionisierende Strahlung des Radionuklides allein oder in Verbindung mit dessen sonstigen gefährlichen Eigenschaften an Menschen oder Sachen verursacht werden.

(2) Der Halter haftet nicht, wenn er beweist, daß er und seine Leute jede nach den Umständen des Einzelfalls gebotene Sorgfalt zur Verhinderung des Schadens aufgewendet haben. Bei der Verwendung von Radionukliden zur ärztlichen Heilbehandlung genügt dem geschädigten Patienten gegenüber der Beweis, daß die verwendeten Stoffe und Einrichtungen dem jeweiligen Stand der Wissenschaft und Technik entsprochen haben und der eingetretene Schaden nicht auf einem Versagen der Verrichtungen beruht.

Deckungsvorsorge

§ 10. (1) Der Halter eines Radionuklides hat in einer Art und in einem Ausmaß, wie sie im redlichen Geschäftsverkehr üblich sind, durch Eingehen einer Versicherung oder in anderer geeigneter Weise dafür Vorsorge zu treffen, daß Schadenersatzpflichten nach diesem Bundesgesetz erfüllt werden können.

(2) Für Radionuklide mit einer Aktivität von mehr als 370 Gigabecquerel muß diese Vorsorge jedenfalls in einer Haftpflichtversicherung mit einer Versicherungssumme von mindestens 56 000 000 S je Versicherungsfall bestehen. Die Haftpflichtversicherung muß bei einem zum Betrieb dieses Versiche­rungszweigs in Österreich berechtigten Versicherer abgeschlossen sein. Darauf muß österreichisches Recht anzuwenden sein. Der Versicherer hat die Versicherungsbedingungen vor ihrer Verwendung dem Bundesminister für Finanzen mitzuteilen.

(3) Zuständige Stelle im Sinn des § 158c Abs. 2 Versicherungsvertragsgesetz 1958 ist der Bundeskanzler.

(4) Eine Verpflichtung zur Deckungsvorsorge besteht nicht, wenn der Bund, ein Land, ein Gemeindeverband oder eine Ortsgemeinde mit mehr als 50 000 Einwohnern Halter des Radionuklides ist.

4. Abschnitt

Gegenstand des Ersatzes, Verursachungsvermutung und Auskunftspflichten

Gegenstand des Ersatzes

§ 11. (1) Die Ersatzpflicht für Schäden an der Person und an Sachen richtet sich nach den Bestimmungen des ABGB. Die Ersatzpflicht für Sachschäden umfaßt auch die Kosten der Beseitigung der von einer Sache ausgehenden Gefahr ionisierender Strahlung.

(2) Ist der Schaden an einer körperlichen Sache auch eine wesentliche Beeinträchtigung der Umwelt und ist eine Wiederherstellung des vorigen Zustandes durch den Haftpflichtigen nicht tunlich oder findet sich dieser nicht zur Wiederherstellung bereit, so gebührt dem Geschädigten auch dann der Ersatz der Kosten der Wiederherstellung, wenn diese Kosten den Wert der beschädigten Sache übersteigen. Der Geschädigte kann die Wiederherstellungskosten vorschußweise verlangen, hat eine Vorschußleistung in einem den Wert der beschädigten Sache übersteigenden Ausmaß jedoch zurückzuerstatten, wenn er nicht innerhalb angemessener Zeit den vorigen Zustand wiederherstellt.

(3) Die Ersatzpflicht umfaßt weiters die Kosten angemessener vorbeugender Maßnahmen zur Abwehr einer von einer Kernanlage, von Kernmaterial oder von Radionukliden ausgehenden, unmittelbar drohenden Gefahr (Rettungskosten). Anspruch auf Ersatz dieser Kosten hat diejenige Person, die sie tatsächlich getragen hat.

(4) Die Ersatzpflicht umfaßt auch den Verdienstentgang von Personen, die durch vorbeugende Maßnahmen (Abs. 3) oder wegen der Gefahren ionisierender Strahlung in der Ausübung ihrer Erwerbs­tätigkeit gehindert sind, sowie eine angemessene Entschädigung der erlittenen Beeinträchtigungen. Diese Ansprüche sind der Höhe nach mit dem Betrag von höchstens 560 000 S je Person begrenzt.

Verursachung

§ 12. (1) Kann der Geschädigte als wahrscheinlich dartun, daß sein Körper ionisierender Strahlung aus einer Kernanlage, von Kernmaterial oder von Radionukliden ausgesetzt war, so wird vermutet, daß der Schaden auf die ionisierende Strahlung zurückzuführen ist, soweit ionisierende Strahlung geeignet ist, einen solchen Schaden herbeizuführen. Diese Vermutung ist widerlegt, wenn der in Anspruch Genom­mene als wahrscheinlich dartut, daß der Schaden nicht durch die ionisierende Strahlung verursacht worden ist.

(2) Die Vermutung nach Abs. 1 gilt nicht zugunsten des geschädigten Patienten bei der Verwendung von Radionukliden zur ärztlichen Heilbehandlung.

Auskunftspflichten

§ 13. (1) Liegen Umstände für die Annahme vor, daß ein Schaden durch ionisierende Strahlung verursacht worden ist, so hat der Geschädigte gegen jeden Betriebsunternehmer einer Kernanlage, Beförderer von Kernmaterial oder Halter von Radionukliden, der örtlich und nach der Art der Strahlung als Verursacher in Betracht kommt, Anspruch auf Auskunft über alle Umstände, deren Kenntnis zur Beurteilung der Ursache und des Ausmaßes des Schadens erforderlich ist.

(2) Der Betriebsunternehmer einer Kernanlage, Beförderer von Kernmaterial oder Halter von Radionukliden, dessen Haftpflicht nach diesem Bundesgesetz in Anspruch genommen worden ist, hat gegen jeden anderen Betriebsunternehmer, Beförderer oder Halter Anspruch auf Auskunft im Sinn des Abs. 1.

(3) Ein Anspruch auf Auskunft besteht nicht, soweit der Betriebsunternehmer, Beförderer oder Halter durch die Erteilung der Auskunft unverhältnismäßig belastet würde, insbesondere wegen der dafür notwendigen Aufwendungen, wegen einer ihm deshalb drohenden strafgerichtlichen Verfolgung oder wegen der dazu erforderlichen Preisgabe eines im Verhältnis zum Schaden wesentlich bedeutsameren Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisses.

(4) Der auf Auskunft in Anspruch genommene Betriebsunternehmer, Beförderer oder Halter hat gegen den Auskunftswerber Anspruch auf Auskunft, soweit dies zur Beurteilung erforderlich ist, ob und in welchem Ausmaß der Schaden durch den Auskunftswerber selbst oder durch andere Ursachen herbeigeführt worden ist, und soweit der Geschädigte bei Abwägung aller maßgeblichen Interessen durch die Erteilung der Auskunft nicht unverhältnismäßig belastet würde.

(5) Durch außergerichtliche Verhandlungen über die Erteilung einer Auskunft sowie durch ein gerichtliches Verfahren zur Durchsetzung des Auskunftsanspruchs ist die Fortsetzung der Verjährung eines Anspruchs nach diesem Bundesgesetz gehemmt.

§ 14. (1) Eine nach § 13 erlangte Auskunft darf nur zur Durchsetzung von Ansprüchen nach diesem Bundesgesetz verwendet werden.

(2) Werden in einem gerichtlichen Verfahren Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse oder sonst der Inhalt von Auskünften nach § 13 erörtert oder Beweise dazu aufgenommen, so ist auf Antrag einer Partei die Öffentlichkeit auszuschließen.

5. Abschnitt

Sonstige Bestimmungen

Mitverschulden

§ 15. Trifft den Geschädigten oder jemanden, dessen Verhalten er zu vertreten hat, ein Verschulden, so ist § 1304 ABGB anzuwenden.

Sonstige Ersatzansprüche

§ 16. (1) Bestimmungen des ABGB und anderer Rechtsvorschriften, nach denen Schäden in weiterem Umfang oder von anderen Personen als nach diesem Bundesgesetz zu ersetzen sind, bleiben unberührt. Der Geschädigte kann solche Ansprüche unmittelbar gerichtlich geltend machen.

(2) Gegen Personen, die dem Betriebsunternehmer Sachen geliefert oder Dienstleistungen erbracht haben, kann der Geschädigte solche Ansprüche insoweit unmittelbar gerichtlich geltend machen, als nicht der Beklagte beweist, daß

           1. eine vorherige Klagsführung gegen den Betriebsunternehmer einer Kernanlage eine Entscheidung in angemessener Frist erwarten läßt,

           2. diese Entscheidung gegen den Betriebsunternehmer auch durchgesetzt werden kann und

           3. entsprechende Mittel für die Entschädigung im Rahmen der Haftung des Betriebsunternehmers zur Verfügung stehen.

Haftung für Gehilfen

§ 17. Bedient sich ein nach diesem Bundesgesetz Haftpflichtiger anderer Personen, so haftet er auch in denjenigen Fällen, in denen die Ersatzansprüche des Geschädigten nach dem ABGB zu beurteilen sind, für das Verschulden seiner Leute, soweit deren Tätigkeit den Schaden verursacht hat.

Haftung mehrerer Haftpflichtiger

§ 18. Sind mehrere Personen nach diesem Bundesgesetz oder anderen Rechtsvorschriften haftpflichtig, so haften sie, sofern sich die den einzelnen Haftpflichtigen zuzurechnenden Schäden nicht auseinander halten lassen, zur ungeteilten Hand. Jeder Haftpflichtige haftet jedoch dem Grunde und der Höhe nach nur nach den für ihn geltenden Bestimmungen.

Rückgriffs- und Ausgleichsansprüche

§ 19. (1) Sind mehrere Personen nach diesem Bundesgesetz oder anderen Rechtsvorschriften einem Dritten gegenüber haftpflichtig, so hängen im Verhältnis zueinander die Verpflichtung zum Ersatz und dessen Umfang von den Umständen des Einzelfalls ab, insbesondere davon, inwieweit der Schaden zumindest mit Wahrscheinlichkeit vom einen oder anderen Haftpflichtigen verschuldet oder sonst verursacht worden ist. Das gleiche gilt für die gegenseitige Ersatzpflicht.

(2) Jeder der mehreren Haftpflichtigen haftet jedoch dem Grunde und der Höhe nach nur nach den für ihn geltenden Bestimmungen.

(3) Dem Betriebsunternehmer einer Kernanlage steht ein Rückgriffsrecht jedoch nur dann zu, sofern der Schaden aus einer in Schädigungsabsicht begangenen Handlung oder Unterlassung herrührt oder soweit ein solcher Rückgriff vertraglich ausdrücklich vorgesehen ist.

Verjährung

§ 20. Ersatzansprüche nach diesem Bundesgesetz verjähren in drei Jahren von dem Tag an, an dem der Ersatzberechtigte vom Schaden und vom Haftpflichtigen Kenntnis erlangt hat, ohne Rücksicht auf diese Kenntnis oder bei Herbeiführung des Schadens durch eine oder mehrere gerichtlich strafbare Handlungen, die nur vorsätzlich begangen werden können und mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedroht sind, aber in 30 Jahren seit dem Eintritt des Schadens. Für den Ersatz der Kosten von Vorbeugemaßnahmen beginnen diese Fristen frühestens in dem Zeitpunkt, in dem der Geschädigte die Kosten getragen hat. Im übrigen gelten für die Verjährung die Vorschriften des ABGB.

Unwirksame Vereinbarungen

§ 21. Die Haftpflicht nach diesem Bundesgesetz für Schäden an der Person kann im vorhinein weder ausgeschlossen noch beschränkt werden.

Gerichtsstand

§ 22. Für Klagen und Anträge auf Erlassung einstweiliger Verfügungen, die auf Grund dieses Bundesgesetzes oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften wegen Schäden durch ionisierende Strahlung eingebracht werden, ist auch das Landesgericht zuständig, in dessen Sprengel der Schaden verursacht worden oder eingetreten ist. Für Klagen und Anträge auf Erlassung einstweiliger Verfügungen, mit denen der Ersatz der Kosten von Vorbeugemaßnahmen geltend gemacht wird, ist auch das Landesgericht zuständig, in dessen Sprengel die Vorbeugemaßnahmen durchgeführt worden sind.

Anzuwendendes Recht

§ 23. (1) Ist ein durch ionisierende Strahlung verursachter Schaden in Österreich eingetreten, so sind die außervertraglichen Ansprüche auf Ersatz dieses Schadens auf Verlangen des Geschädigten nach österreichischem Recht zu beurteilen.

(2) Ist ein durch ionisierende Strahlung verursachter Schaden im Ausland eingetreten und nach österreichischem Recht zu beurteilen, so ist der Schaden nur dann und soweit zu ersetzen, als dies auch das Personalstatut des Geschädigten vorsieht.

Direktklage

§ 24. (1) Der Geschädigte kann die ihm zustehenden Ansprüche im Rahmen des Versicherungs­vertrags auch gegen den nach den §§ 6, 7 und 10 eintretenden Haftpflichtversicherer geltend machen. Der Versicherer und der Haftpflichtige haften als Gesamtschuldner. Wird das versicherte Risiko von mehreren Versicherern getragen, so haften diese dem Geschädigten zur ungeteilten Hand.

(2) Abs. 1 ist auch auf eine Haftungserklärung des Bundes oder Landes (§ 6 Abs. 3 und § 7 Abs. 4) anzuwenden.


Strafbestimmungen

§ 25. (1) Wer eine Kernanlage betreibt oder Kernmaterial befördert, ohne eine Haftpflicht­versicherung, Pflichtversicherung oder eine sonstige Sicherstellung nach den §§ 6 und 7 zu erbringen oder aufrechtzuerhalten, begeht, sofern die Tat nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet, eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe bis zu 500 000 S zu bestrafen.

(2) Wer

           1. Radionuklide hält, ohne die in § 10 vorgesehene Haftpflichtversicherung zu erbringen, oder

           2. Kernmaterial befördert, ohne einen Versicherungsnachweis mit sich zu führen,

begeht, sofern die Tat nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet, eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe bis zu 50 000 S zu bestrafen.

6. Abschnitt

Schlußbestimmungen

Verweisungen

§ 26. (1) Soweit in diesem Bundesgesetz auf andere Bundesgesetze verwiesen wird, sind diese in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden.

(2) Soweit in anderen Bundesgesetzen und Verordnungen auf Bestimmungen verwiesen wird, die durch dieses Bundesgesetz geändert oder aufgehoben werden, erhält die Verweisung ihren Inhalt aus den entsprechenden Bestimmungen dieses Bundesgesetzes.

Vorschriften der Sozialversicherung

§ 27. Vorschriften, die die Sozialversicherung regeln, bleiben durch dieses Bundesgesetz unberührt.

Vollzug

§ 28. Mit der Vollziehung dieses Bundesgesetzes sind

           1. hinsichtlich der §§ 6, 7, 8 Abs. 1 sowie 10 Abs. 1, 2 und 4 der Bundesminister für Finanzen im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Justiz,

           2. hinsichtlich der §§ 8 Abs. 2, 10 Abs. 2 und 25 der Bundeskanzler bzw. der Bundesminister für Wissenschaft und Verkehr,

           3. hinsichtlich des § 30 die Bundesregierung und

           4. hinsichtlich der übrigen Bestimmungen der Bundesminister für Justiz betraut.

Inkrafttreten

§ 29. (1) Dieses Bundesgesetz tritt mit 1. Jänner 1999 in Kraft. Es ist auf Schäden anzuwenden, die nach diesem Zeitpunkt verursacht werden.

(2) Die Haftung nach § 16 Abs. 1 tritt erst ein, wenn das schädigende Verhalten nach dem Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes gesetzt worden ist.

§ 30. Die Bundesregierung hat dem Nationalrat spätestens zum 31. Dezember 2001 und in der Folge alle drei Jahre über die Entwicklung der internationalen Haftungsinstrumente für Atomschäden, insbesondere über das Ausmaß der auf internationaler Ebene zur Verfügung stehenden Entschädigungsbeträge, Bericht zu erstatten.

Außerkrafttreten

§ 31. Mit dem Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes tritt das Bundesgesetz vom 29. April 1964 über die Haftung für nukleare Schäden (Atomhaftpflichtgesetz), BGBl. Nr. 117/1964, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 140/1997, außer Kraft. Es ist auf Schäden, die vor diesem Zeitpunkt verursacht worden sind, weiter anzuwenden.

Vorblatt

Problem:

Das Atomhaftpflichtgesetz stammt aus den sechziger Jahren, also aus einer Zeit, in der in Österreich ebenso wie in anderen Ländern “der friedlichen Nutzung der Kernenergie” wirtschafts- und industrie­politische Priorität zukam. Diesem Ziel diente auch das Haftungsregime für nukleare Unfälle und Schäden. Der Wandel in der gesellschaftlichen, politischen und auch wirtschaftlichen Einstellung zur Kernenergie hat es mit sich gebracht, daß das Atomhaftpflichtgesetz mittlerweile sowohl in seinen Inhalten als auch in seinen Intentionen weitgehend veraltet ist.

Ziel der Reform:

Das Atomhaftpflichtgesetz soll durch eine zeitgemäße Regelung ersetzt werden, die dem Standard vergleichbarer Gefährdungshaftungsgesetze entspricht und die die rechtspolitische Diskussion auf dem Gebiet der Umwelthaftung berücksichtigt. Weiters soll diese überaus schwierige Rechtsmaterie möglichst vereinfacht werden. Im Bereich der Haftung für Radionuklide, deren Einsatz auf wissenschaftlichem, medizinischem und wirtschaftlichem Gebiet nicht unbedeutend und gesellschaftlich weitgehend akzeptiert ist, sollen die bisherigen Haftungsstrukturen im wesentlichen beibehalten werden.

Wesentliche Inhalte des Entwurfs:

–   Verschärfung der Haftung für Kernanlagen und nukleare Transporte;

–   weitestgehende Beseitigung der Kanalisierung dieser Haftung;

–   Haftung auch für die Kosten vorbeugender Maßnahmen und Sonderregeln für die Haftung bei Umweltbeeinträchtigungen;

–   Einführung von Beweiserleichterungen und Auskunftsrechten zugunsten des Geschädigten;

–   Verschärfung der Versicherungspflichten für den Betrieb von Kernanlagen und für nukleare Transporte;

–   Beseitigung der Haftungshöchstbeträge;

–   Sicherstellung der österreichischen Gerichtsbarkeit und der Anwendung österreichischen Rechts.

Alternativen:

Eine bloße Novelle des Atomhaftpflichtgesetzes erscheint schon auf Grund seiner überholten Inten­tionen nicht angezeigt. Auch ist es nicht sinnvoll, dieses ohnehin schon komplizierte Gesetz weiter zu überladen.

Eine weitergehende Annäherung an internationale Atomhaftungskonventionen liegt derzeit nicht im Interesse österreichischer Geschädigter.

Kosten:

Im Bereich der öffentlichen Hand wird die Neuregelung keine nennenswerten administrativen Kosten verursachen. Die finanziellen Belastungen der öffentlichen Haushalte, die mit einer der Höhe nach unbe­grenzten Haftung, besonders bei der Verwendung von Radionukliden, verbunden sind, lassen sich im voraus nicht verläßlich abschätzen. Bislang sind allerdings – soweit dies überblickt werden kann – auf Grund des Atomhaftpflichtgesetzes keine Schadenersatzfälle aufgetreten. Die Kosten aus der Verpflich­tung zur Deckungsvorsorge für den Umgang mit solchen Stoffen werden nicht ins Gewicht fallen.

EU-Konformität:

Der Bereich der Atomhaftung wird im Gemeinschaftsrecht und insbesondere im Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM) nicht ausdrücklich geregelt. Der Entwurf verstößt auch sonst nicht gegen europäisches Recht.

Erläuterungen


Allgemeiner Teil

1. Zeit zur Reform

Das Bundesgesetz vom 29. April 1964 über die Haftung für nukleare Schäden (Atomhaftpflichtgesetz), BGBl. Nr. 117/1964, steht seit längerem im Mittelpunkt einer rechts- und umweltpolitischen Diskussion. Der Nationalrat hat sich mit diesem Gesetz und dem internationalen Atomhaftungsregime schon mehr­fach beschäftigt. In seiner Entschließung vom 9. Februar 1995, 89 BlgNR XIX. GP, hat der Nationalrat ua. den Bundesminister für Justiz ersucht, das österreichische Atomhaftpflichtgesetz grundlegend zu überarbeiten und den modernen Erfordernissen anzupassen. Dabei sollen die Entschädigungssummen an reale Risiko- und Schadensabschätzungen angeglichen, der Ausschluß der allgemeinen Verschuldens­haftung des ABGB überprüft, eine strengere Haftung für den Umgang mit Radionukliden eingeführt und die “Kanalisation der Haftung” aufgegeben werden. Der Nationalrat hat weiters die Bundesregierung u. a. ersucht, die Pariser Konvention über die Haftung gegen Dritte auf dem Gebiet der Kernenergie erst dann zur Ratifizierung vorzulegen, wenn in dieser Konvention inhaltliche Verbesserungen durchgeführt werden. Die Entschließung hat hier als Beispiele die Anhebung der Haftungsobergrenzen zur Abdeckung grenzüberschreitender Schäden sowie die Abschaffung der Begrenzung der Haftung auf den Anlagen­betreiber angeführt.

Das Bundesministerium für Justiz konnte dieser Entschließung wegen der vorzeitigen Beendigung der damaligen Legislaturperiode nicht nachkommen. Die Ratifizierung des erwähnten Staatsvertrags ist im Licht der Entschließung aber nicht mehr vorbereitet worden.

In der Entschließung vom 10. Juli 1997, 74 BlgNR XX. GP, hat der Nationalrat den Bundesminister für Justiz ersucht, das Atomhaftpflichtgesetz grundlegend zu überarbeiten, den modernen Erfordernissen anzupassen und dem Nationalrat bis zum 1. März 1998 einen Entwurf vorzulegen. Die schon in der Entschließung vom 9. Februar 1995 angesprochenen Prinzipien sollen dabei “bestmöglich berücksichtigt werden”.

In der Folge sind zur Reform dieses Rechtsbereichs verschiedene Entwürfe vorgelegt worden: Univ.-Prof. Dr. Gimpel-Hinteregger hat im Auftrag der Sozialdemokratischen Parlamentsfraktion den Entwurf für ein Atomhaftungsgesetz verfaßt. Dieser Entwurf sieht eine vom geltenden Gesetz und den inter­nationalen Übereinkommen auf dem Gebiet der Atomhaftung völlig losgelöste Regelung der Haftung für den Einsatz ionisierender Strahlung vor, er lehnt sich dabei an andere Sonderhaftpflichtgesetze an. Die Österreichische Gesellschaft für Natur- und Umweltschutz hat einen Entwurf präsentiert, der eine ebenso weitgehende Umgestaltung dieses Bereiches anstrebt, formal am Atomhaftpflichtgesetz aber festhält. Beide Gesetzesvorschläge wollen von tragenden Grundsätzen des bisherigen Atomhaftungsrechts abgehen. Vor allem soll das Prinzip der Kanalisierung der Haftung, nach dem der Geschädigte nur den Betreiber einer nuklearen Anlage und nicht Dritte, etwa Zulieferer oder Anlagenkonstrukteure, in Anspruch nehmen kann, aufgegeben werden. Das Liberale Forum hat zu 705/A BlgNR XX. GP einen Initiativantrag für ein Bundesgesetz über die Haftung für nukleare Schäden eingebracht, der in mancherlei Hinsicht an das Schweizer Kernenergiehaftpflichtgesetz anknüpft und wie dieses nur die Haftung für Kernanlagen und Kernmaterialien (nicht aber die Haftung für Radionuklide) unter Beibehaltung der Kanalisierung der Haftung regeln will.

Das Atomhaftpflichtgesetz stammt in seinem Kern aus den sechziger Jahren, also aus einer Zeit, in der der “friedlichen Nutzung der Kernenergie” in Österreich wie in anderen Ländern wirtschafts- und industrie­politische Priorität zukam. Mit dem Gesetz sollte damals (rasch) eine für den Betrieb der bereits vorhandenen und der geplanten Reaktoren adäquate Haftungsregelung geschaffen werden. Weiters sollte dem im Rahmen der OECD geschlossenen Abkommen über die Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie (im folgenden: Pariser Übereinkommen) Rechnung getragen werden (siehe die Erl. Bem. der RV 358 BlgNR X. GP 11). Der Geltungsbereich des Atomhaftpflichtgesetzes erstreckt sich freilich nicht nur auf die Haftung für Kernanlagen und für nukleare Transporte; vielmehr ist dort auch die Haftung für den Umgang mit Radionukliden (unter diesem Begriff werden – vereinfacht gesagt – mindergefährliche radioaktive Stoffe verstanden) geregelt.

Erklärtes Ziel des Atomhaftpflichtgesetzes war die Förderung der Atomwirtschaft (siehe etwa die Erl. Bem. der RV 358 BlgNR X. GP 17, 18, 19, 20 und 21). Aus dieser Absicht erklärt sich eine Reihe von Besonderheiten, die überwiegend zu Lasten des Geschädigten ausfallen, etwa die verhältnismäßig niedrigen Haftungshöchstbeträge, die teilweise Übernahme der Haftpflicht (“Schadloshaltung”) durch den Bund, die bereits erwähnte Kanalisierung der Haftung, die Beschränkung der Geltendmachung weiter gehender und auf anderen Rechtsgrundlagen beruhender Ansprüche des Geschädigten sowie gewisse Besonderheiten bei der Haftung für Radionuklide.

Die Haftung für nukleare Anlagen und Kernmaterialien wird im Atomhaftpflichtgesetz im wesentlichen nach dem Muster des Pariser Übereinkommens geregelt. Österreich hat diese zwischenstaatliche Konvention zwar unterzeichnet, in der Folge aber weder seine Stammfassung noch das Zusatzprotokoll vom 28. Jänner 1964 noch das Zusatzübereinkommen zum Pariser Übereinkommen über die Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie (im folgenden: Brüsseler Zusatzübereinkommen) ratifiziert. Auch dem Übereinkommen über die zivilrechtliche Haftung für Nuklearschäden (im folgenden: Wiener Übereinkommen) und dem Gemeinsamen Protokoll zur Anwendung des Wiener und des Pariser Übereinkommens ist Österreich nicht beigetreten. Dennoch entspricht das Atomhaftpflichtgesetz weitgehend den auf internationaler Ebene üblichen und im Recht anderer Staaten ebenfalls umgesetzten Grundsätzen. Im besonderen gilt das für die Kanalisierung der Haftung und die Konzentrierung der Zuständigkeit bzw. Gerichtsbarkeit auf denjenigen Staat, auf dessen Territorium der nukleare Unfall geschehen ist.

Aus international-privatrechtlicher Sicht ist es bemerkenswert, daß eine Haftung des Betriebsunter­nehmers einer Kernanlage nach geltendem Recht nur für Unfälle besteht, die von einer nuklearen Anlage in Österreich ausgehen (vgl. näher § 3 Abs. 1 Atomhaftpflichtgesetz). Für die Geltendmachung von Ersatzansprüchen für Schäden, die von einer im Ausland stehenden Anlage herrühren, bietet das Gesetz keine Handhabe. Erwähnt sei weiters, daß sich nur österreichische Staatsangehörige für Schäden, die zwar von einer Anlage in Österreich ausgehen, aber im Ausland eintreten, nach § 33 Abs. 1 Atomhaftpflichtgesetz auf dieses Gesetz berufen können (oder – bei kritischer Sicht – berufen müssen).

In seinem zentralen Bereich, nämlich der Haftung für nukleare Anlagen und Transporte sowie für Kernmaterialien, geht das Atomhaftpflichtgesetz heute weitgehend ins Leere. Zwar werden in Österreich nach wie vor drei Versuchsreaktoren zu Forschungszwecken betrieben. Das Gefahrenpotential dieser Kernanlagen ist im Vergleich zu kommerziellen Leistungsreaktoren freilich gering. Gleiches kann für die in die Diskussion geratenen Nukleartransporte durch, aus und nach Österreich gesagt werden. Der Betrieb von Kernreaktoren zur kommerziellen Energieerzeugung, mit dem – wie nicht zuletzt die Katastrophe von Tschernobyl gezeigt hat – im Unglücksfall umfangreiche und vor allem grenzüberschreitende Schäden verbunden sein können und der selbst für den Normalbetrieb nicht unumstritten ist, ist in Österreich auf Grund des sogenannten “Atomsperrgesetzes”, BGBl. Nr. 676/1978, aber untersagt. Wirt­schaftlich bedeutsamer ist die ebenfalls im Atomhaftpflichtgesetz geregelte Haftung für Radionuklide, also für weniger gefährliche radioaktive Stoffe, die außerhalb von Kernanlagen für andere Zwecke als zur Energieerzeugung eingesetzt werden. Das praktische Anwendungsgebiet dieser Materialien ist sehr groß, es reicht vom Einsatz in der Nuklearmedizin über die Meßtechnik und die Lebensmitteltechnologie bis hin zur Schädlingsbekämpfung. Schadenersatzfälle im Zusammenhang mit der Verwendung von Radio­nukliden sind in Österreich bislang aber nicht bekannt geworden.

Den beim Betrieb der in Österreich laufenden Anlagen, beim Transport radioaktiver Materialien und bei der Verwendung von Radionukliden auftretenden Risiken ist jüngst durch die Anhebung der Haftungs­höchstbeträge des Atomhaftpflichtgesetzes durch Art. XVI der Erweiterten Wertgrenzen-Novelle 1997, BGBl. I Nr. 140, Rechnung getragen worden.

In der Rechtswissenschaft ist das Atomhaftpflichtgesetz auf zum Teil heftige Kritik gestoßen (siehe die umfassende Kommentierung von Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht II², 445 ff.; vgl. auch Koziol, Entschuldbare Fehlleistungen des Gesetzgebers? JBl 1976, 173 ff; Gimpel-Hinteregger, Das öster­reichische Atomhaftungsrecht, in: Umweltbundesamt [Hrsg.], Atomare Risken – Wirtschaftliche und rechtliche Aspekte [1997] 50 ff; Wilhelm, Betreffs Atomhaftpflicht Handlungsbedarf! ecolex 1996, 653; Glawischnig, Grenznahe Atomkraftwerke – Rechtsschutzmöglichkeiten des Zivilrechts am Beispiel Mochovce [1995]).

Aus umweltpolitischer Sicht sind die geltenden Bestimmungen vor dem Hintergrund der weitgehend negativen Haltung Österreichs zur Nutzung der Atomenergie fragwürdig. Rechtspolitisch vermag das durch zahlreiche Haftungsbeschränkungen und -privilegien geprägte nukleare Haftungsrecht im Vergleich zu dem von anderen Gefährdungshaftungsgesetzen vorgegebenen Standard ebenfalls nicht zu befrie­digen. Aus legistischer Sicht entspricht das Gesetz schließlich nicht mehr modernen Anforderungen, weil es – zum Teil auf Grund der Übernahme der Vorgaben des Pariser Übereinkommens – vielfach überaus komplizierte und schwer verständliche Regelungen enthält und damit dem Postulat der Klarheit der Gesetze widerspricht.

Trotz dieser Mängel ist die Reform des nuklearen Haftungsrechts lange Zeit nicht als vorrangig angesehen worden, weil die praktische Bedeutung des Atomhaftpflichtgesetzes gering ist. Andere, im Rechts- und Wirtschaftsleben wichtigere Vorhaben zur Umgestaltung des Haftpflichtrechts sind statt dessen vorrangig behandelt und inzwischen zum größten Teil schon abgeschlossen worden. Hier sei für die letzten Jahre beispielsweise auf die Reform des Luftfahrt-Haftungsrechts durch die Novelle zum Luftfahrtgesetz (LFG), BGBl. I Nr. 102/1997, auf die Änderungen des Eisenbahn- und Kraftfahrzeug-Haftpflichtgesetzes (EKHG), des Reichshaftpflichtgesetzes und des Rohrleitungsgesetzes im Rahmen der Erweiterten Wertgrenzen-Novelle 1997 und auf die Gentechnik-Haftung (siehe die §§ 79a bis 79j Gentechnikgesetz [GTG] in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 73/1998) verwiesen. Nunmehr ist es aber an der Zeit, auch die Atomhaftung neu zu regeln. Im März 1998 hat das Bundesministerium für Justiz nach mehreren Vorgesprächen mit Vertretern der Koalitionsparteien, der Rechtswissenschaft, der beteiligten Ressorts und von Umweltschutzorganisationen den Entwurf für ein Bundesgesetz über die zivilrechtliche Haftung für Schäden durch Radioaktivität (Atomhaftungsgesetz 1999 – AtomHG 1999) zur allgemeinen Begutachtung versendet.

Das Reformvorhaben ist auch nach Versendung des Begutachtungsentwurfs in Gesprächen mit Vertretern der Regierungsparteien, mit Vertretern anderer Ressorts (insbesondere des Bundesministeriums für Umwelt, Jugend und Familie, des Bundeskanzleramts, des Bundesministeriums für auswärtige Angelegenheiten und des Bundesministeriums für wirtschaftliche Angelegenheiten) und mit Vertretern der Wirtschaft wiederholt diskutiert worden. Dabei ist zu den wesentlichen Eckpfeilern der Neugestaltung der nuklearen Haftung (weitestgehende Beseitigung der Haftungskanalisierung, Anwend­barkeit österreichischen Rechts, Einführung eines österreichischen Gerichtsstandes auch für im Ausland verursachte Schäden) letztlich ein Einvernehmen erzielt worden. Auch besteht im wesentlichen Konsens darüber, daß ein Beitritt Österreichs zu einer der internationalen Haftungskonventionen derzeit nicht im österreichischen Interesse liegt. Den Vorarbeiten und der Überarbeitung des Begutachtungsentwurfs ist Univ.-Prof. Dr. Gimpel-Hinteregger beigezogen worden.

2. Fragen einer Neuorientierung des Atomhaftungsrechts

Das Begutachtungsverfahren hat gezeigt, daß die vom Entwurf intendierte Reform des österreichischen Atomhaftungsrechts trotz aller damit verbundenen Schwierigkeiten sinnvoll und zweckmäßig ist. Vor allem gilt das für das Anliegen, die mit den geltenden Haftungsbeschränkungen verbundenen Privilegien der Nukearwirtschaft zu beseitigen und im Bereich der Atomhaftung den Gleichklang mit dem sonstigen Gefährdungshaftungsrecht herzustellen.

Im Begutachtungsverfahren ist das Vorhaben, Sonderregeln für die Atomhaftung beizubehalten, nicht in Frage gestellt worden. Auch wenn in Österreich keine größeren Reaktoren und Anlagen betrieben werden und bislang kein Schadenersatzfall nach dem Atomhaftpflichtgesetz bekanntgeworden ist, wird ganz überwiegend die Auffassung geteilt, daß eine Regelung dieses Komplexes sinnvoll ist. Wie schon der Begutachtungsentwurf dargelegt hat, kann die Notwendigkeit einer gesetzlichen Haftung nämlich nicht allein an der Anzahl der Schadensfälle gemessen werden; vielmehr muß hier das mögliche Schadenspotential den Ausschlag geben. Weiters besteht dann ein Bedarf für eine spezifische Haftpflicht für nukleare Anlagen und Transporte, wenn sich solche Bestimmungen nicht nur auf österreichische Anlagen und Transporte in Österreich beziehen, sondern allgemein die in Österreich eintretenden Schäden einschließen. Letztlich sprechen auch die reichhaltigen Anwendungsmöglichkeiten von Radio­nukliden für besondere gesetzliche Maßnahmen.

Das Zivilrecht kann bei einem nuklearen Großschaden an gewisse innere Grenzen stoßen, sowohl was die Anzahl der Geschädigten angeht als auch was die Sicherstellung und Verteilung der Ersatzansprüche betrifft. Dennoch ist eine privatrechtliche Regelung zweckmäßig, weil der “Gau” oder der “Super-GAU” nicht der Regelfall beim Betrieb von Kernanlagen oder der Beförderung radioaktiver Materialien ist. Es sind im Gegenteil auch weniger schwere Schadensfälle denkbar, mit denen das Zivilrecht sehr wohl angemessen umgehen kann. Zudem spricht die gerade in Österreich vorherrschende Ablehnung der Atomenergie dagegen, von einer Gefährdungshaftung der Betreiber von Anlagen und der Beförderer von Transporten unter Berufung auf mögliche Grenzen des Zivilrechts überhaupt abzusehen.

Der vorliegende Entwurf geht in einigen Belangen von den auf internationaler Ebene verankerten Prinzipien der Atomhaftung ab. Im besonderen sind hier die Vorhaben zu nennen, von der Kanalisierung der Haftung abzurücken und die inländische Gerichtsbarkeit für die Geltendmachung des Ersatzes von Schäden, die im Inland eingetreten sind, zu statuieren. Diese Vorschläge sind im Begutachtungsverfahren von einigen Stellen (insbesondere den Interessenvertretungen der Wirtschaft) kritisiert worden. Eine solche Abkehr Österreichs von internationalen Konventionen liege – so wird argumentiert – nicht im österreichischen Interesse. Zum einen verzichte man damit nämlich auf die auf internationaler Ebene zur Verfügung stehenden Entschädigungsmittel. Zum anderen sei zu befürchten, daß die Bereitschaft vor allem westlicher Unternehmen, zur Verbesserung der Sicherheit in Kernkraftwerken im näheren und weiteren Umfeld Österreichs beizutragen, beeinträchtigt werden könnte; dies könne sich deshalb zu Lasten Österreichs (und anderer potentiell betroffener Länder) auswirken, weil die betreffenden Anlagen dann eben auf einem niedrigeren Sicherheitsstandard betrieben würden. Weiters hat schon der Begutachtungsentwurf auf mögliche außenpolitische, wirtschaftspolitische und rechtliche Konsequenzen dieses Konzepts hingewiesen.

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Solche möglichen Folgen einer strengeren Haftungsregelung müssen in die Reformüberlegungen einbe­zogen werden. Allerdings werden diese Sorgen – wie auch das Begutachtungsverfahren gezeigt hat – in der rechts- und umweltpolitischen Debatte zum schadenersatzrechtlichen Umgang mit nuklearen Unfällen ganz überwiegend nicht geteilt. Insbesondere fällt ein Abrücken von der Haftungskanalisierung umso leichter, als die derzeit international zur Verfügung stehenden Entschädigungssummen nicht an­nähernd ausreichen, um bei größeren Nuklearunfällen ausreichende Entschädigungen zu bieten: Das durch das Pariser Übereinkommen und das Brüsseler Zusatzübereinkommen garantierte Haftungsvolumen beträgt 300 Millionen an Sonderziehungsrechten des Internationalen Währungsfonds (im folgenden: SZR), das sind zirka 4,5 Milliarden Schilling. Dieser Betrag wird bei einem grenzüberschreitenden, sich in Österreich auswirkenden und damit schwereren Zwischenfall keine angemessene Entschädigung der Betroffenen gewährleisten. Das im Rahmen der IAEO verhandelte Übereinkommen zur Bereitstellung ergänzender Entschädigungsmittel (im folgenden: SCC) intendiert zwar ein höheres Haftungsvolumen samt der Besonderheit, daß ein bestimmter Anteil dieses Volumens für Schäden außerhalb des Anlagenstaates “reserviert” ist (siehe Punkt 3.). Es läßt sich derzeit aber nicht absehen, welche Staaten dieses Übereinkommen ratifizieren werden; damit ist auch unklar, welcher Haftungsfonds im “Ernstfall” zur Verfügung stehen wird.

Das Argument, daß der vorliegende Entwurf zu einem nicht befriedigenden Sicherheitsstandard in gewissen, auch für Österreich relevanten Kernkraftwerken führe, muß schon im Interesse der betroffenen Bevölkerung sehr ernst genommen werden. Es wäre in der Tat kontraproduktiv, wenn eine gut gemeinte Regelung letztlich zu einer Erhöhung der nuklearen Risiken beitrüge. Allerdings ist hier zu beachten, daß das Prinzip einer Haftungskanalisierung nicht in allen Staaten umgesetzt worden ist. Die Haftungsrisken in denjenigen (europäischen) Ländern, die in ihrem Recht keine Kanalisierung der Haftung kennen, haben die in Frage kommenden Unternehmen bislang anscheinend nicht davon abgehalten, in die Aus- und Umrüstung der relevanten Kernkraftwerke zu investieren. Es ist daher realistischerweise nicht zu erwarten, daß eine österreichische Atomhaftung nach dem vorgeschlagenen Modell hier wesentliche Verhaltensänderungen bewirken wird.

Wie bereits erwähnt, war es dem Atomhaftpflichtgesetz ein wesentliches Anliegen, die Nuklearwirt­schaft indirekt durch entsprechende Haftungsbeschränkungen und -erleichterungen zu privilegieren. Man wird nicht fehlgehen, wenn man manchen internationalen Atomhaftungskonventionen ähnliche Intentionen unterstellt. Diese Privilegien gehen zu Lasten Dritter, sei dies nun die öffentliche Hand, die die Betroffenen entschädigt, seien dies die Geschädigten selbst, die für ihre nicht schon von anderer Seite gedeckten Schäden keinen Ersatz erlangen können. Einer zeitgemäßen und an den bisherigen Erfahrungen mit der Nutzung der Kernenergie ausgerichteten Regelung steht es freilich nicht an, wenn weiterhin die “Gerechtigkeit vor wirtschaftlichen Interessen” (Koziol, Haftpflichtrecht II², 478) kapitulieren soll. Die Beibehaltung dieser Haftungseinschränkungen ist für Österreich, das die energetische Nutzung der Kernenergie ablehnt, nur schwer begründbar. Sollte sich das internationale Atomhaftungssystem allerdings derart entwickeln, daß ein Beitritt Österreichs im umweltpolitischen Interesse und vor allem im Interesse österreichischer Geschädigter liegt, so wird das mit dem Entwurf verfolgte Konzept zu überdenken sein. Dem dient auch die in § 30 des Entwurfs vorgesehene Berichtspflicht.

Die Durchsetzung österreichischer Urteile über Klagen wegen des Ersatzes von Schäden, die in Österreich eingetreten sind, ihren Ausgang aber von ausländischen Anlagen genommen haben, ist auf internationaler Ebene und auch in anderen Staaten nicht gesichert (vgl. dazu Böhm, Atomhaftung und inländische Gerichtsbarkeit, in: Umweltbundesamt [Hrsg.], Atomare Risken – Wirtschaftliche und recht­liche Aspekte [1997] 60 ff). Das gilt zum einen für diejenigen Staaten, mit denen keine entsprechenden Vollstreckungsabkommen bestehen, zum anderen aber auch für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union bzw. des Europäischen Wirtschaftsraums. Im Extremfall kann diese vom Entwurf nicht beeinflußbare Rechtslage dazu führen, daß ein österreichisches Erkenntnis von dem im Prozeß siegreichen Geschädigten im Ausland nicht durchgesetzt werden kann.

Diese möglichen Folgen können freilich nicht gegen die vorgesehene Reform ins Treffen geführt werden, weil es nämlich nicht ausgeschlossen ist, daß ein Urteil – im Inland oder auch im Ausland – vollstreckt werden kann. Darüber hinaus können ganz allgemein allfällige Vollstreckungsschwierigkeiten nicht als Argument dafür herangezogen werden, den materiellen Anspruch des Klägers zu negieren oder davon abzusehen, einen solchen materiellen Anspruch zu statuieren. Auch können die im Entwurf vorgesehenen Regelungen, die letztendlich auf die Beseitigung bestimmter Haftungsprivilegien eines Industriezweigs zugunsten der Geschädigten hinauslaufen, zumindest aus österreichischer Sicht nicht als Verstoß gegen den ordre public betrachtet werden.

3. Grundsätze des Übereinkommens zur Bereitstellung zusätzlicher Entschädigungsmittel (SCC)

Im folgenden seien einige für die Diskussion des Entwurfs wichtige Belange des SCC kurz dargestellt (da ein Beitritt Österreichs zum Pariser Übereinkommen oder zum Wiener Übereinkommen auf Grund der eingangs genannten Entschließungen des Nationalrats nicht in Frage kommt, kann darauf verzichtet werden, auch diese – komplexen – Haftungssysteme näher zu erläutern).

Das Übereinkommen soll für Großschäden (mit einer Schadenssumme von über 300 Millionen SZR), die durch ein nukleares Ereignis verursacht werden, einen internationalen Haftungsfonds schaffen, der durch Beiträge aller Vertragsstaaten im Anlaßfall gespeist werden soll. Eckpfeiler auch dieses Übereinkommens sind die Kanalisierung der Haftung und die Gerichtsbarkeit (Zuständigkeit der Gerichte) desjenigen Staates, auf dessen Hoheitsgebiet das nukleare Ereignis eingetreten ist.

Unter welchen Voraussetzungen der Inhaber einer Kernanlage für ein nukleares Ereignis zu haften hat, wird im Haupttext des Übereinkommens nur durch Verweisungen auf das Pariser Übereinkommen, auf das Wiener Übereinkommen bzw. auf die Bestimmungen des Anhangs zum SCC geregelt. Die Teilnahme am SCC steht daher grundsätzlich nur solchen Staaten offen, die entweder Vertragsstaaten des Pariser Übereinkommens oder des Wiener Übereinkommens sind oder deren nationale Gesetzgebung den Grundsätzen des Anhangs zum SCC folgt. Der Anhang orientiert sich zwar am Inhalt des Wiener Übereinkommens, räumt aber den Staaten, die – wie Österreich – weder dem Wiener noch dem Pariser Atomhaftungsübereinkommen angehören, einen etwas größeren Ermessensspielraum ein.

Nach diesen Grundsätzen des Anhangs hat (nur) der Inhaber einer Kernanlage für jedes nukleare Ereignis zu haften, das entweder in seiner Kernanlage stattfindet oder Kernmaterialien aus seiner Anlage oder auf dem Weg zu seiner Anlage betrifft. Der Anlagenstaat kann auch den Beförderer von Kern­materialien oder die Person, die die Gewahrsame über radioaktive Abfälle ausübt, anstelle des Anlagen­inhabers haften lassen. Die strenge Kanalisierung der Haftung auf nur eine Person wird in diesen Fällen aber beibehalten.

Schadenersatzansprüche für nukleare Schäden können grundsätzlich zwar nur gegen den haftenden Kernanlageninhaber geltend gemacht werden, das Recht des Gerichtsstaats kann aber auch eine Direktklage gegen den Versicherer zulassen.

Die Höhe der Haftung des Kernanlageninhabers kann pro nuklearem Ereignis vom Anlagenstaat auf einen Betrag von wenigstens 300 Millionen Sonderziehungsrechten (SZR), das sind zirka 4,5 Milliarden Schilling, oder im Fall der Übernahme einer Staatshaftung in Höhe von wenigstens 300 Millionen SZR auf einen Betrag von wenigstens 150 Millionen SZR begrenzt werden.

Der Kernanlageninhaber hat zur Deckung seiner Haftung bzw. seiner Haftungshöchstbeträge eine Versicherung oder eine andere finanzielle Sicherheit zu erbringen. Der Anlagenstaat hat jedenfalls dafür zu sorgen und letztlich auch dafür einzustehen, daß alle nuklearen Schäden bis zur Höhe von wenigstens 300 Millionen SZR oder in einer allenfalls vorgesehenen höheren Haftungssumme Deckung finden. Diese Staatshaftung kann bei einer der Höhe nach unbeschränkten Haftung des Anlageninhabers auf einen Betrag von wenigstens 300 Millionen SZR begrenzt werden.

Die Verjährungsfrist für Schadenersatzansprüche wegen nuklearer Schäden beträgt in der Regel zehn Jahre nach dem Tag des nuklearen Ereignisses. Das Recht des Anlagenstaates kann allerdings auch eine längere absolute Verjährungsfrist vorsehen. Darüber hinaus kann der Gerichtsstaat zusätzlich noch eine weitere relative Verjährungsfrist von wenigstens drei Jahren ab Kenntnis des Schadens und des Schädigers statuieren.

Dem Inhaber der Kernanlage steht im Schadensfall grundsätzlich ein Regreßrecht gegen den (schuldhaften) Schädiger zu. Das Recht des Gerichtsstaates kann das Rückgriffsrecht des Anlagen­inhabers aber auf diejenigen Fälle begrenzen, in denen ein Rückgriff vertraglich vereinbart wurde oder das nukleare Ereignis auf eine vorsätzliche Handlung oder Unterlassung zurückgeht. Macht der Staat von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch, so steht es ihm frei, das Rückgriffsrecht nach allgemeinem Schadenersatzrecht zu regeln oder sogar in erweitertem Umfang zuzulassen, also etwa auch eine Erfolgshaftung bestimmter Personen gegenüber dem Anlageninhaber vorzusehen.

Die relevanten nuklearen Schäden werden im Haupttext des SCC sehr weit umschrieben. Ersatzfähig sind im wesentlichen Personen- und Sachschäden, aber auch die Kosten vorbeugender Maßnahmen und der Beseitigung von Umweltbeeinträchtigungen.

Jeder Vertragsstaat des SCC hat sicherzustellen, daß pro nuklearem Ereignis mindestens 300 Millionen SZR als Entschädigungssumme für nukleare Schäden zur Verfügung stehen. Zugunsten von Entwicklungsländern und im wirtschaftlichen Aufbau begriffenen Staaten (etwa in Osteuropa) sieht das Übereinkommen aber vor, daß für eine Übergangsfrist von zehn Jahren ab der Unterfertigung vom Anlagenstaat ein Übergangsbetrag von bloß 150 Millionen SZR pro nuklearem Ereignis vorgesehen werden kann. Macht der Anlagenstaat von dieser Bestimmung Gebrauch, so vermindern sich die aus dem internationalen Fonds für Schäden im Anlagenstaat zur Verfügung stehenden Mittel entsprechend (beispielsweise um die Hälfte). Die so frei werdenden Fondsmittel stehen zusätzlich für grenzüberschrei­tende Schäden zur Verfügung.

Die vom Anlagenstaat zu garantierende Entschädigungssumme von 300 Millionen SZR ist ohne Diskrimi­nierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit, des Wohnsitzes oder Aufenthalts – also gleichermaßen für Schäden inner- und außerhalb des Anlagenstaates – zu verteilen. Auch die zusätzliche Entschädigung aus dem internationalen Fonds, der durch die Beiträge der Vertragsstaaten aufgebracht wird, ist ohne Diskriminierung der Opfer nach Staatsangehörigkeit, Wohnsitz oder Aufenthalt zu verteilen, wobei jedoch hier zwischen Schäden im Anlagenstaat und grenzüberschreitenden Schäden in den Vertrags­staaten differenziert wird: 50% des durch die Beiträge aller Vertragsstaaten aufgebrachten Fonds sind nämlich im gleichen Verhältnis für nukleare Schäden inner- und außerhalb des Anlagenstaates zu verteilen; die zweite Hälfte des internationalen Fonds ist aber für Schäden außerhalb des Anlagenstaates, soweit sie nicht schon in der ersten Hälfte Deckung gefunden haben, “reserviert”. Im Fall eines Über­gangsbetrags von weniger als 300 Millionen SZR vermindern sich die auch für Schäden innerhalb des Anlagenstaates zur Verfügung stehenden Beträge entsprechend.

Eine objektive Bewertung des Übereinkommens fällt im gegenwärtigen Zeitpunkt schwer: Positiv ist das Bemühen zu würdigen, bestimmte Mittel für grenzüberschreitende Schäden zu reservieren. Auch muß das Bestreben anerkannt werden, das insgesamt zur Verfügung stehende Haftungsvolumen zu erhöhen. Negativ steht zu Buche, daß auch dieses Übereinkommen zu Lasten der Geschädigten weitergehende Ansprüche gegen Dritte abschneidet. Auch erscheint es problematisch, daß die nach dem Übereinkommen mögliche bloß “partielle Entschädigung” zur Privilegierung einer Energieerzeugungsart führt, mit der Österreich und in aller Regel die in Österreich Geschädigten nicht einverstanden sind. Eine sicherere Beurteilung des Übereinkommens wird letztlich erst dann möglich sein, wenn einigermaßen klar ist, welche Staaten beitreten und wie hoch die im Ernstfall zur Verfügung stehenden Mittel sind, sodaß die im übrigen gegebenen Vorbehalte in den Hintergrund treten.

4. Wesentliche Neuerungen des Entwurfs

Im Vergleich zum geltenden Atomhaftpflichtgesetz sieht der Entwurf einige substantielle Neuerungen zugunsten des Geschädigten und zu Lasten des Anlagenbetreibers bzw. des Halters von Radionukliden vor: An erster Stelle ist hier der Vorschlag zu nennen, von der bisher im österreichischen Recht und auch international üblichen “Kanalisierung der Haftung” in der Atomhaftpflicht abzurücken. An sich sehen die Sonderhaftpflichtgesetze im allgemeinen vor, daß dem Geschädigten nicht nur Ansprüche auf Grund der Gefährdungshaftung, sondern darüber hinaus weitergehende Ansprüche gegen den Verantwortlichen und auch gegen andere Personen zustehen, daß also “Anspruchskonkurrenz” besteht (vgl. beispielsweise § 19 Abs. 1 EKHG und § 159 LFG). Im Bereich der Atomhaftung gilt dieser allgemeine Grundsatz derzeit aber nicht, weil im geltenden Recht die Haftung auf den Betreiber einer Anlage konzentriert wird. Dritte, insbesondere “Zulieferer” und Konstrukteure von Kernanlagen, haften dem Geschädigten nicht, auch ist der Rückgriff eingeschränkt (siehe näher die §§ 37 und 38 Atomhaftpflichtgesetz). Dieses Konzept liegt im Interesse der Atomwirtschaft, zumal sich Konstrukteure und Zulieferer von Kernanlagen über mög­liche Haftungsfolgen ihrer Leistungen kaum Gedanken machen müssen. Aus der Sicht des Geschädigten ist die Sache allerdings differenzierter zu sehen: Für diesen kann die Kanalisierung der Haftung dann vorteilhaft sein, wenn – wie in den Vereinigten Staaten (vgl. Zeileissen, Völkerrechtliche Systeme der Haftung für nukleare Schäden, in: Umweltbundesamt [Hrsg.], Atomare Risken – Wirtschaftliche und rechtliche Aspekte [1997] 68) – im Rahmen einer “wirtschaftlichen Kanalisierung” ein ausreichend hoher Haftungsfonds zur Verfügung steht. In einem solchen Fall kann sich der Geschädigte an den Anlagenbetreiber halten, er erspart sich die Suche nach einem für seinen Schaden sonst Verantwortlichen sowie den Nachweis eines rechtswidrigen und schuldhaften Verhaltens. Die Kanalisierung der Haftung benachteiligt den Geschädigten aber, wenn der zur Verfügung stehende Haftungsfonds die eingetre­tenen Schäden nicht oder nicht zur Gänze abdecken kann. Das ist für nukleare Großereignisse insbeson­dere im System des Pariser Übereinkommens und des Brüsseler Zusatzübereinkommens der Fall, wo ein Höchstbetrag von zirka 4,5 Milliarden Schilling zur Verfügung steht. Noch mehr gilt dies für das Wiener Übereinkommen, das – bei günstigster Auslegung – ein garantiertes Haftungsvolumen von in etwa 500 Millionen Schilling vorsieht (siehe näher Zeileissen, aaO 69).

Diese uneingeschränkte Kanalisierung der Haftung ist jedenfalls für Österreich nicht mehr zeitgemäß: Da in Österreich keine kommerziellen Atomreaktoren betrieben werden (dürfen), besteht kein Anlaß, einen entsprechend hoch dotierten Haftungsfonds, etwa nach dem Vorbild der Art. 14 f des Schweizer Kernenergiehaftpflichtgesetzes, einzurichten. Auf internationaler Ebene reichen die derzeit auf der Grund­lage des Pariser Übereinkommens und des Brüsseler Zusatzübereinkommens sowie des Wiener Überein­kommens zur Verfügung stehenden Beträge für größere Schadensfälle nicht aus. Da letztlich aus österreichischer Sicht kein Anlaß besteht, die Atomwirtschaft durch entsprechende Haftungsregelungen zu privilegieren, geht der Entwurf von der Beibehaltung der Kanalisierung der Haftung ab. Diese Frage mag künftig anders beantwortet werden, wenn und soweit auf internationaler Ebene ausreichende Entschädigungsmittel zur Verfügung stehen.

Das geltende Atomhaftpflichtgesetz ist, wie schon erwähnt, durch verhältnismäßig niedrige Haftungs­höchstbeträge gekennzeichnet, dies auch nach deren Anhebung im Rahmen der Erweiterten Wertgrenzen-Novelle 1997. Da die hiefür seinerzeit maßgebenden Erwägungen unter den heutigen Prämissen nicht mehr aufrecht erhalten werden können, geht der Entwurf noch einen Schritt weiter und schlägt überhaupt die Beseitigung solcher Haftungshöchstgrenzen vor. Damit und mit dem Gentechnik-Haftungsrecht wird die Entwicklung, die im Gefährdungshaftungsrecht bereits mit dem Produkthaftungs­gesetz eingeleitet worden ist, fortgeschrieben. Für die Haftung im Umgang mit Radionukliden, die weiterhin eine Verschuldenshaftung sein soll, bedeutet die Beseitigung der Haftungshöchstgrenzen eine Heranführung an die allgemeinen Grundsätze der §§ 1293 ff ABGB, zumal nach allgemeinem Schaden­ersatzrecht die Haftung aus Verschulden der Höhe nach unbegrenzt ist.

Der Entwurf übernimmt weiters einige Anregungen aus der Diskussion um die Einführung einer Umwelthaftung. Hier ist vor allem die schon im Entwurf für ein Umwelthaftungsgesetz vorgesehene und in § 79b GTG für den Bereich der Gentechnik-Haftung erstmals verwirklichte Haftung für Umwelt­beeinträchtigungen zu erwähnen, die in ähnlicher Form auch dem SCC geläufig ist. Weiters sollen die Kosten von vorbeugenden Maßnahmen ersatzfähig sein. Die Erfahrungen mit dem Unfall in Three-Miles-Island, bei dem u. a. erhebliche Kosten für die Evakuierung der Bevölkerung anfielen, lassen es geraten erscheinen, auch diese Aufwendungen ersatzfähig zu machen. Der Entwurf kann sich hier übrigens ebenfalls auf das SCC berufen.

Darüber hinaus sieht der Entwurf – auf der Grundlage der Diskussion zum Umwelthaftungsrecht – bestimmte Begünstigungen des Geschädigten vor. Primär ist in diesem Zusammenhang auf Beweis­erleichterungen zu verweisen, die für den unter Umständen schwierigen Kausalitätsnachweis Bedeutung haben. Weiters enthält der Entwurf Auskunftspflichten des Betriebsunternehmers einer Kernanlage, des Beförderers von Kernmaterial und auch des Halters von Radionukliden, denen Auskunftspflichten des Auskunftswerbers gegenüberstehen.

Für den Umgang mit Radionukliden behält der Entwurf den bisherigen Rechtszustand im wesentlichen bei: Für ionisierende Strahlen, die von solchen Stoffen ausgehen, soll nur dann gehaftet werden, wenn den Halter dieser Stoffe ein Verschulden trifft. Zugunsten des Geschädigten soll dabei eine Beweislast­umkehr greifen. Eine Gefährdungshaftung für solche Materialien wird hingegen ungeachtet des damit verbundenen Risikos nach wie vor nicht vorgesehen, zumal sie vielfach gerade im Interesse der davon Betroffenen eingesetzt werden. Auch ist mit solchen Materialien eine “geringere Gefahr” (siehe die Erl. Bem. der RV 358 BlgNR X. GP 19) verbunden. Allerdings soll die Haftung für Radionuklide an die allgemeinen Grundsätze der Verschuldenshaftung herangeführt werden: Der Vorschlag zur Beseitigung der Haftungshöchstgrenzen ist schon erwähnt worden. Darüber hinaus erscheint es nicht mehr angemessen, aus dem “Gedanken der notwendigen Förderung der Kernwissenschaft und der Atom­wirtschaft” (siehe die Erl. Bem. der RV 358 BlgNR X. GP 20) eine Beweislastumkehr zu Lasten des Geschädigten vorzusehen. Sonderregeln enthält der Entwurf aber für die Verwendung von Radionukliden zu ärztlichen Behandlungen, die im Interesse des geschädigten Patienten vorgenommen werden.

Zusammenfassend enthält der Entwurf eine strikte Gefährdungshaftung des Betriebsunternehmers einer Kernanlage und des Beförderers von Kernmaterial. Diese Haftung ist verschuldensunabhängig, umfaßt auch die Kosten von Umweltbeeinträchtigungen und von vorbeugenden Maßnahmen, ist der Höhe nach unbegrenzt und muß durch eine entsprechende Mindestsicherstellung (Haftpflichtversicherung) gedeckt werden. Daneben statuiert der Entwurf Haftungsregelungen für den Umgang mit Radio­nukliden. Auch hier soll die Ersatzpflicht in Hinkunft der Höhe nach unbegrenzt sein. Zur Haftung soll es aber nur bei einem Verschulden des Halters kommen. Die nach geltendem Recht bestehende Pflicht zum Abschluß einer Haftpflichtversicherung soll in eine allgemeine Pflicht zur Deckungsvorsorge umge­wandelt werden.

In seinem Aufbau ähnelt der Entwurf im übrigen dem Atomhaftpflichtgesetz: Im 1. Abschnitt werden der Geltungsbereich und die Begriffsbestimmungen geregelt. Der 2. Abschnitt beschäftigt sich mit der Haftung für Kernanlagen und Kernmaterial, der 3. Abschnitt mit der Haftung für Radionuklide. Der 4. Abschnitt enthält besondere gemeinsame Bestimmungen für beide Haftungsarten, der 5. Abschnitt Bezugnahmen auf das sonstige Schadenersatzrecht und der 6. Abschnitt die Vollzugs- und Übergangs­regeln.

5. Nicht verwirklichte Überlegungen

Der Entwurf verzichtet darauf, für Großschäden einen Eintritt des Staates (“Schadloshaltung” im Sinn der §§ 21 bis 23 Atomhaftpflichtgesetz) vorzusehen. Das einer solchen Übernahme von Schadenersatz­verpflichtungen durch die öffentliche Hand zugrundeliegende Konzept der Privilegierung der Kernenergie im Wege von Haftungsbeschränkungen wird nicht weiter verfolgt. Die Risiken der in Österreich betriebenen Kernanlagen und der durch Österreich geführten Nukleartransporte können durch die vorgeschlagenen Mindesthaftpflichtversicherungssummen abgedeckt werden. Ein zivilrechtlicher Eintritt des Staates ist auch nicht im Interesse der Geschädigten geboten: Denn wie die Erfahrungen mit den Auswirkungen der Katastrophe von Tschernobyl in Österreich gezeigt haben, kann ein erheblicher Anteil von nuklearen Schäden durch öffentlich-rechtliche Leistungen abgedeckt werden. Für Sachschäden sind hier in erster Linie die Entschädigungsleistungen aus Katastrophenhilfeprogrammen (vgl. § 38a Strahlenschutzgesetz) zu nennen, die gerade nach Tschernobyl zu einer raschen und effektiven Entlastung der Betroffenen geführt haben; für Personenschäden kommt der Leistungspflicht der Sozialversicherungs­träger im gegebenen Zusammenhang besondere Bedeutung zu. Diese öffentlich-rechtliche Absicherung der Geschädigten erleichtert die Entscheidung, auf einen Eintritt des Staates, wie ihn auch das SCC zuläßt, zu verzichten.

Die Einführung eines Haftungsfonds, der aus den Beiträgen der Betriebsunternehmer von Kernanlagen gespeist wird, erscheint schon deshalb nicht sinnvoll, weil in Österreich keine Leistungsreaktoren (aus deren Erträgen ein solcher Fonds finanziert werden kann) betrieben werden.

Anders als das Atomhaftpflichtgesetz (§ 16) enthält der vorliegende Entwurf keine Regelung für eine “Verteilungsordnung”. Auch diese Entscheidung beruht auf der Überlegung, daß die vorgesehenen Haftpflichtversicherungssummen die in Österreich relevanten Risiken abdecken können und die in Österreich Geschädigten keinen Ausfall gewärtigen müssen.

Haftungsbefreiungsgründe, wie sie in § 9 Atomhaftpflichtgesetz und auch in Art. 3 Z 5 des Anhangs zum SCC vorgesehen werden, enthält der Entwurf nicht. Die Atomhaftung soll künftig als strikte Gefährdungshaftung, die sowohl die Fälle “höherer Gewalt” als auch Schäden auf Grund von bewaffneten Auseinandersetzungen einschließt, ausgestaltet sein. Die verkehrs- und wirtschaftspoliti­schen Erwägungen, die in anderen Sonderhaftpflichtgesetzen für die Einführung von Haftungsbefreiungs­tatbeständen sprechen, haben im Bereich der Atomhaftung keine entscheidende Bedeutung. Im übrigen ist eine derart strikte Haftung für das Gefährdungshaftungsrecht kein Novum, zumal auch im Bereich der sogenannten “Drittschadenshaftung” für Luftfahrzeuge keine Haftungsbefreiungsgründe bestanden und bestehen (siehe die §§ 149 ff LFG, vgl. auch OGH 30. 10. 1991 SZ 64/152 zu § 19 LuftVG). Den versicherungstechnischen Schwierigkeiten dieser Lösung soll durch eine Sonderregel für die Deckungs­pflicht Rechnung getragen werden (siehe näher § 6 Abs. 1 dritter Satz des Entwurfs).

Im Begutachtungsverfahren ist mehrfach gefordert worden, für die Haftung des Betriebsunternehmers einen über die Definition des § 2 Z 4 des Entwurfs hinausgehenden Haftungsdurchgriff, beispielsweise auf Konzernmütter oder auch Finanziers von Kernanlagen, vorzusehen (siehe dazu auch Wilhelm, Ein österreichisches Atomhaftungsgesetz, ecolex 1998, 289, 290; Menschik, Ein neues Atomhaftpflichtgesetz für Österreich, RdU 1998, 55). Eine solche Lösung sieht der vorliegende Entwurf freilich nicht durch­gehend vor, zumal er sich damit für den Bereich der Atomhaftung von allgemein anerkannten gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen zu weit entfernen würde. Diese Ungleichbehandlung wäre nicht nur aus verfassungsrechtlicher Sicht problematisch, sondern könnte auch wegen des dann möglicherweise legitimen Einwandes der Verletzung des ordre public die Vollstreckung österreichischer Urteile im Ausland gefährden.

Zu einer Haftung für Umweltbeeinträchtigungen soll es – anders als noch im Begutachtungsentwurf vorgesehen – nur dann kommen, wenn die Umweltbeeinträchtigung zugleich einen Sachschaden dar­stellt. Eine Haftung für den “reinen Öko-Schaden” wird dagegen nicht (mehr) vorgeschlagen. Hier folgt das Atomhaftungsgesetz 1999 der vor kurzem im Bereich der Gentechnik-Haftung vom Gesetzgeber beschlossenen Regelung (vgl. § 79b GTG). Die Ersatzfähigkeit reiner Ökoschäden soll nicht gesondert in einem Spezialgesetz geregelt werden. Vielmehr muß dieses Problem auf allgemeiner Ebene unter dem Gesichtspunkt der Beeinträchtigung des schadenersatz- bzw. zivilrechtlich bisher kaum geschützten “Rechtsgutes Umwelt” gelöst werden. Eine solche allgemeine Regelung kann freilich nur unter Bedacht­nahme auf die im Rahmen der Europäischen Union bestehenden Überlegungen vorbereitet und verabschiedet werden. Für den Bereich der Atomhaftung ist mit diesen Einschränkungen im Vergleich zum Begutachtungsentwurf aus der Sicht der Umwelt kein Nachteil verbunden, weil die Kontamination einer Sache in aller Regel einen “klassischen” (und auch nach dem Entwurf ersatzfähigen) Sachschaden darstellen wird. Im übrigen vermeidet es der Entwurf durch seine Beschränkung auf die “klassischen” Schadenersatzansprüche, allenfalls zur Verfügung stehende Entschädigungsmittel zu Lasten der indivi­duell Geschädigten durch die Kosten der Sanierung “reiner” Umweltschäden über Gebühr zu vermindern. Ob und inwieweit es erforderlich ist, die zivilrechtlichen Schadenersatzregelungen nach dem Muster des § 101a GTG durch ein verwaltungsrechtliches Instrument zu ergänzen, wird im Rahmen der anstehenden Reform des Strahlenschutzgesetzes zu prüfen sein.

Der Entwurf sieht ferner davon ab, für Ansprüche auf Grund des Atomhaftungsgesetzes eine Verbandsklage nach dem Muster der dem Wettbewerbs- und Verbraucherschutzrecht geläufigen Klage­befugnis bestimmter Stellen und Vereine vorzusehen. Auch hier erscheint es nicht sinnvoll, eine im allgemeinen Umwelthaftungsrecht möglicherweise zweckmäßige Einrichtung in einem von der Bedeutung her nicht übermäßig relevanten Spezialgebiet vorwegzunehmen. Für die Geschädigten ist mit dieser Entscheidung kein substantieller Nachteil verbunden, weil es ihnen unbenommen bleibt, mit der Verfolgung ihrer Ersatzansprüche andere Personen (auch Umweltschutzeinrichtungen) zu betrauen oder diesen ihre Ansprüche abzutreten.

Im Begutachtungsverfahren ist letztlich von manchen Stellen gefordert worden, die Haftung für Radionuklide von der Haftung für nukleare Anlagen und Kernmaterial abzukoppeln und gesondert – nicht in einem gemeinsamen Bundesgesetz – zu regeln. Diesem Anliegen kommt der Entwurf nicht nach, weil sich trotz der unterschiedlichen Gefährlichkeit von Kernanlagen und -material einerseits und Radionukliden andererseits vielfach ähnliche oder gleiche Haftungsfragen ergeben. Auch ist nicht zu befürchten, daß durch die vorgesehene einheitliche Regelung der Umgang mit Radionukliden “in Mißkredit” geraten könnte.

6. Kompetenz

Die Kompetenz des Bundes zur Regelung der Haftung für nukleare Anlagen und Transporte sowie für den Umgang mit Radionukliden ergibt sich aus Art. 10 Abs. 1 Z 6 B-VG.

7. Kosten

Das Vorhaben einer Neuregelung der Atomhaftung wird im Bereich der öffentlichen Haushalte keine weiteren administrativen Kosten verursachen. Die mit der Einführung einer der Höhe nach unbe­grenzten Haftung für den Bund und die Länder verbundenen Mehrbelastungen, insbesondere aus der Verwendung von Radionukliden im medizinischen Bereich, lassen sich im voraus nicht verläßlich abschätzen. Bislang sind allerdings auf Grund des Atomhaftpflichtgesetzes keine Schadenersatzfälle bekannt geworden. Daher kann und wird sich dieser mögliche Mehraufwand in Grenzen halten, er ist auch im Interesse des Geschädigten in Kauf zu nehmen. Der aus der Verpflichtung zur Deckungsvorsorge der öffentlichen Hand erwachsende Aufwand, insbesondere aus der Verpflichtung zum Abschluß von Haft­pflichtversicherungen und aus der Zahlung von Versicherungsprämien, soll minimiert werden, ohne daß damit für den Geschädigten ein Nachteil verbunden ist. Der Entwurf unterliegt damit nicht (mehr) dem Konsultationsmechanismus.

8. EU-Konformität

Der Bereich der Atomhaftung wird im Gemeinschaftsrecht und vor allem auch im Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM) selbst nicht geregelt. Auch sonst verstößt das Vorhaben nicht gegen europäisches Recht.

Besonderer Teil

Zu § 1 des Entwurfs (Geltungsbereich):

Die Bestimmung steckt den Geltungsbereich des vorgeschlagenen Atomhaftungsgesetzes 1999 ab: Dieses Bundesgesetz soll alle durch ionisierende Strahlung von Kernanlagen, Kernmaterial und Radionukliden (siehe näher die Begriffsbestimmungen in § 2 Z 1 bis 3 des Entwurfs) verursachten Schäden an Menschen und Sachen erfassen. Eine Haftung kann – wie sich aus § 11 Abs. 2 des Entwurfs ergibt – auch für Umweltbeeinträchtigungen bestehen, ohne daß dies – im Hinblick auf die Anknüpfung der Ersatzfähigkeit dieser Beeinträchtigungen an einen Sachschaden – in § 1 des Entwurfs näher gesagt werden müßte.

Die in Frage kommenden Schäden müssen auf eine menschliche Handlung oder Unterlassung zurück­gehen. Auf Beeinträchtigungen, die allein auf die “natürliche Radioaktivität” zurückzuführen sind, soll sich die Haftung nach diesem Bundesgesetz dagegen nicht erstrecken. Ersatzansprüche, die aus der “natürlichen Radioaktivität” resultieren (etwa durch aus der Erde ausgetretenes radioaktives Gas oder durch die Strahlung in einem “Heilstollen”), sollen nach den allgemeinen Grundsätzen der Verschuldens­haftung (§§ 1293 ff ABGB) beurteilt werden.

Der Entwurf regelt nur den Ersatz von Schäden, die auf die ionisierende Strahlung von Kernanlagen, Kernmaterial und Radionukliden zurückzuführen sind. Schäden, die nicht durch eine solche Strahlung verursacht werden (etwa durch das Herabfallen eines schlecht befestigten Teils einer Kernanlage), werden grundsätzlich nicht erfaßt und sollen ebenfalls nach den allgemeinen Regeln – im vorliegenden Beispiel nach § 1319 ABGB – beurteilt werden. Die Strahlung muß – so wie schon nach dem geltenden Atomhaft­pflichtgesetz – von einer Kernanlage oder von radioaktiven Stoffen herrühren. Andere Strahlen­quellen sollen dagegen nicht der Haftung nach dem Entwurf unterliegen. Diese Einschränkung ist besonders für medizinische Geräte bedeutsam, bei denen die ionisierende Strahlung nicht mittels radioaktiver Stoffe, sondern durch eine entsprechend hohe Spannung erzeugt wird (etwa Röntgengeräte oder medizinische Teilchenbeschleuniger). Auch hier soll sich die Haftung nach allgemeinen Grundsätzen richten. Mit dieser Einschänkung ist für die allenfalls geschädigten Patienten kein Nachteil verbunden, zumal der Behandlung regelmäßig ein Vertrag zugrunde liegen wird, in dessen Rahmen einem geschädigten Patienten die für die Vertragshaftung spezifischen Erleichterungen, also vor allem die Beweislastumkehr nach § 1298 ABGB und die Gehilfenhaftung im Sinn des § 1313a ABGB, zugute kommen können. Zudem ist es denkbar, daß ein bestimmtes Gerät im Einzelfall als ein “gefährlicher Betrieb” eingestuft wird, für den eine Gefährdungshaftung kraft Gesamtanalogie besteht (siehe Dittrich/Tades, ABGB34 E 553 ff zu § 1295 ABGB).

Für die Anwendbarkeit der vorgesehenen Regelung macht es keinen Unterschied, ob die fraglichen Schäden auf den Betrieb einer Kernanlage und die Verwendung von Kernmaterial einerseits oder den Umgang mit Radionukliden andererseits zurückzuführen sind. Die Haftung für Schäden durch die ionisierende Strahlung radioaktiver Stoffe ist aber nach der Gefährlichkeit der jeweiligen Tätigkeit gestaffelt: Für Gefahrenquellen mit einem im allgemeinen und typischerweise größeren Schadenspotential (das sind Kernanlagen und Kernmaterial) wird eine strenge verschuldensunabhängige Gefährdungs­haftung vorgesehen. Für die minder gefährlichen Radionuklide soll dagegen eine Verschuldenshaftung mit Beweislastumkehr greifen.

Zu § 2 des Entwurfs (Begriffsbestimmungen):

Die im Begutachtungsentwurf enthaltenen Begriffsbestimmungen sind im wesentlichen aus den inter­nationalen Übereinkommen übernommen worden. Im Begutachtungsverfahren ist diese Terminologie allerdings kritisiert worden. Im besonderen ist hier von verschiedenen Seiten eingewandt worden, daß die im Begutachtungsentwurf enthaltenen Legaldefinitionen zu unbestimmt seien, daß sie – ebenso wie die international übliche Nomenklatur und die Begriffsbestimmungen des § 2 Atomhaftpflichtgesetzes – nur mit Hilfe einer entsprechenden Auslegung zu einem einigermaßen akzeptablen Ergebnis führten und daß sie letztlich nicht den Stand der Wissenschaft und Technik widerspiegelten.

Der vorliegende Entwurf trägt dieser Kritik Rechnung und sieht eine – im Verhältnis zum geltenden Atomhaftpflichtgesetz – neue Terminologie vor. Dabei wird zum einen nach dem Vorbild des § 177b StGB auf Begriffsbestimmungen des Sicherheitskontrollgesetzes 1991, BGBl. Nr. 415/1992, zurückgegriffen. Obwohl dieses Bundesgesetz einen anderen Zweck als die vorgesehenen Haftungs­regelungen verfolgt (nämlich die Schaffung eines Sicherheitskontrollsystems zur Verhinderung der Weiterverbreitung von Atomwaffen – siehe die Erl. der RV 374 BlgNR XVIII. GP 8), sind seine “Definitionen” zum Teil doch auch für das Haftungsrecht nützlich. Zum anderen greift der vorliegende Entwurf auf Begriffsbestimmungen des Strahlenschutzrechts zurück, um allfällige Unklar­heiten aus dem Weg zu räumen.

§ 2 Z 1 des Entwurfs definiert das Kernmaterial: Dabei handelt es sich um besonderes spaltbares Material im Sinn des Art. II § 1 Z 1 und 2 Sicherheitskontrollgesetz 1991 sowie um Ausgangsmaterial im Sinn des Art. II § 1 Z 3 leg. cit. Diese Stoffe werden unter dem Überbegriff “Kernmaterial” zusammengefaßt.

Zum besonderen spaltbaren Material gehören Plutonium 239, Uran 233, mit den Isotopen 235 und 233 angereichertes Uran und jedes Material, das einen oder mehrere dieser Stoffe enthält (auch radioaktive Abfälle). Diese Definition entspricht Art. XX Z 1 des Statutes der Internationalen Atomenergie-Organi­sation, BGBl. Nr. 216/1957. Als besonderes spaltbares Material gilt im Sinn des Art. II § 1 Z 2 Sicherheitskontrollgesetz 1991 weiters auch jedes Uran, das eine größere Isotopenanreicherung an U-235 bzw. U-233 als Natururan enthält (vgl. die Erl. der RV 417 BlgNR XIII. GP 6 zu Art. II § 1 des früheren Sicherheitskontrollgesetzes, BGBl. Nr. 408/1972, die nach wie vor gültig sind). Die als besonderes spaltbares Material erfaßten Stoffe sind in der Regel schon auf Grund ihrer Eigenschaften besonders gefährlich. Es ist nicht erforderlich, daß sie in der jeweiligen Konfiguration die sogenannte “kritische Masse” erreichen. Auch spielt es keine Rolle, ob und unter welchen Voraussetzungen mit diesen Stoffen eine selbsttätige Kettenreaktion herbeigeführt werden kann.

Unter Ausgangsmaterial ist im Sinn des Art. II § 1 Z 3 Sicherheitskontrollgesetz 1991 Uran, das die in der Natur vorkommende Isotopenzusammensetzung enthält, weiters Uran mit vermindertem Gehalt am Isotop 235, Thorium und jeder dieser Stoffe in Form von Metallen, Legierungen, chemischen Verbin­dungen oder Konzentraten zu verstehen. Es handelt sich um Stoffe, aus denen besonderes spaltbares Material gewonnen werden kann (siehe die Erl. der RV 417 BlgNR XIII. GP 5).

In den im Anschluß an das Begutachtungsverfahren durchgeführten Beratungen mit Sachverständigen auf dem Gebiet des Strahlenschutzes ist darauf hingewiesen worden, daß eine Gefährdungshaftung für kleinste Mengen von Kernmaterial wohl überzogen sei und vor allem die Beförderung solcher Kleinst­mengen zum Zweck der Untersuchung unnötig erschwere und verteuere. Daher sollen von der Begriffsbestimmung für das Kernmaterial kleinste, radiologisch unbedeutende Mengen nicht umfaßt werden. Diese Ausnahme ist ebenfalls im Sicherheitskontrollgesetz 1991, nämlich in dessen Art. II § 6 Abs. 2 Z 1, vorgezeichnet. Für die Ausfüllung dieses unbestimmten Gesetzesbegriffs kann die nach wie vor in Geltung stehende Verordnung des Bundesministers für Inneres vom 13. 12. 1979, BGBl. Nr. 72/1980, herangezogen werden: Nicht als Kernmaterial werden in diesem Sinn unbestrahltes Plutonium und unbestrahltes Uran bis zu einer Menge von jeweils fünf Gramm, weiters nicht Uran 235 in unbestrahltem Uran, dessen Uran-235-Gehalt auf 20 oder mehr Prozent angereichert wurde, bis zu einer Menge von zehn Gramm, und auch nicht Uran 235 in unbestrahltem Uran, dessen Uran-235-Gehalt über den Gehalt in natürlichem Uran, aber auf weniger als 20 Prozent angereichert wurde, bis zu einer Menge von 100 Gramm anzusehen sein. Auf die unterhalb dieser Schwellengrenzen liegenden Mengen sind die Bestimmungen über Radionuklide anzuwenden.

Unter solchen Radionukliden versteht der Entwurf nach § 2 Z 2 andere radioaktive Stoffe als die als Kernmaterial definierten, die zufolge spontaner Kernprozesse ionisierende Strahlung aussenden. Diese Begriffsbestimmung folgt der bewährten Regelung des § 2 lit. c Strahlenschutzgesetz, sie deckt faktisch alle relevanten Materialien ab. Erfaßt werden auch Stoffe und Gegenstände, die radioaktive Stoffe enthalten oder an deren Oberfläche sich solche Stoffe befinden. Anders als nach § 2 Abs. 3 Atomhaft­pflichtgesetz und auch nach § 2 Z 3 des Begutachtungsentwurfs soll es nicht mehr darauf ankommen, ob sich die fraglichen Stoffe innerhalb oder außerhalb einer Kernanlage befinden. Ungeachtet dessen wird für Schäden, die von Radionukliden auf dem Gelände einer Kernanlage herrühren, in der Regel (wenn die Schäden mit dem Betrieb der Anlage zusammenhängen) nach § 3 des Entwurfs einzustehen sein. Auf Grund der im Begutachtungsverfahren aus fachterminologischer Sicht geäußerten Bedenken gegen den im Begutachtungsentwurf verwendeten Ausdruck “Radioisotope” kehrt der vorliegende Entwurf im übrigen wieder zum Ausdruck “Radionuklide” zurück.

Die Legaldefinition für Kernanlagen (§ 3 Z 3 des Entwurfs) entspricht im wesentlichen der Begriffs­bestimmung des § 113 Strahlenschutzverordnung. Maßgebliches Kriterium für die Qualifikation einer Anlage als Kernanlage ist der Umstand, ob dort mit spaltbarem Material in einer Menge und Art umgegangen wird, daß dieser Umgang zu einer Kettenreaktion führt oder führen kann (vgl. Moser, Strahlenschutzverordnung3 Anm. 2 zu § 113). Anders als nach § 2 Abs. 1 Atomhaftpflichtgesetz sollen Fusionsanlagen und Teilchenbeschleuniger nicht der atomrechtlichen Gefährdungshaftung unterliegen. Die Fusionstechnologie ist auf absehbare Zeit nicht praktisch und kommerziell einsetzbar, das Teilchen­beschleunigern allenfalls innewohnende Risiko kann – wie auch das Begutachtungsverfahren gezeigt hat – vernachlässigt werden. Die in der Medizin zum Einsatz kommenden Teilchenbeschleuniger sind nicht Kernanlagen im Sinn des § 3 Z 3 des Entwurfs. Dies gilt auch für das medizinische Zyklotron, mit dem Radionuklide hergestellt werden.

Zu den Kernanlagen gehören die Kernreaktoren, in denen durch eine selbsterhaltende Kettenreaktion Energie hergestellt wird. Dabei unterscheidet man zwischen Forschungs-, Versuchs-, Leistungs- und Produktionsreaktoren (vgl. die Erl. Bem. der RV 358 BlgNR X. GP 14). Nach dem Entwurf ist es unerheblich, ob diese Kernreaktoren stationär betrieben werden oder in ein Beförderungsmittel eingebaut sind. Die Einschränkungen der internationalen Abkommen (vgl. etwa Art. 1 Z 1 lit. b sublit. i des Anhangs zum SCC, wonach Reaktoren in einem “Beförderungsmittel zur See oder in der Luft” nicht Kernreaktoren sind) sollen also nicht übernommen werden. Für den Geschädigten macht es nämlich keinen Unterschied, ob sein Schaden aus einer stationären Anlage oder aus einer “mobilen Kraftquelle” herrührt. Auch nukleare Schäden, die von einem mit einem Reaktor ausgestatteten Schiff, Luftfahrzeug oder Satelliten in Österreich verursacht werden, können damit für die Gefährdungshaftung nach dem Entwurf relevant sein.

Zu den Kernanlagen zählen weiters Anlagen, die der Herstellung, der Bearbeitung, der Verwendung, der Aufbereitung und der Unschädlichmachung von Kernmaterial oder der Trennung von Isotopen spaltbaren Materials dienen (sogenannte “Nuklear- oder Kernfabriken”). Anlagen, in denen nur Radionuklide hergestellt oder verwendet werden, ohne daß dabei besonderes spaltbares Material oder Ausgangsmaterial eingesetzt wird, werden daher nicht unter den Begriff der “Kernanlagen” fallen. Wenn in Anlagen aber mit Kernmaterial gearbeitet wird, kommt es darauf an, ob dabei eine Kettenreaktion stattfinden oder doch nicht ausgeschlossen werden kann.

Letztlich sollen zu den Kernanlagen auch Anlagen gehören, in denen Kernmaterial aufbewahrt oder gelagert wird, sei es, daß das Kernmaterial in der betreffenden Anlage nur vorübergehend abgestellt wird, sei es, daß es dort endgültig deponiert wird. Auch (stationäre) Einrichtungen, in denen Kernmaterial im Zusammenhang mit der Beförderung gelagert wird, werden in diesem Sinn Kernanlagen sein. Einrichtungen, in denen sich nur Radionuklide befinden (etwa Zwischenlager für radioaktiven Müll aus der medizinischen Verwendung von radioaktiven Stoffen), sind hingegen nicht Kernanlagen.

§ 2 Z 4 des Entwurfs stellt klar, welche Person Betriebsunternehmer einer Kernanlage ist. Darunter soll derjenige Unternehmer verstanden werden, der über den Betrieb einer Kernanlage verfügungsberechtigt ist und sich den wirtschaftlichen Erfolg aus diesem Betrieb entweder laufend selbst zuordnet oder jederzeit zuordnen kann. Der Inhaber der (nach § 6 Strahlenschutzgesetz oder nach einer vergleichbaren ausländischen Regelung) erforderlichen behördlichen Bewilligung soll jedenfalls als Betriebsunternehmer anzusehen sein.

Diese Begriffsbestimmung folgt den allgemeinen Grundsätzen des Gefährdungshaftungsrechts. Betriebs­unternehmer ist – etwa für den Bereich der Haftung für Eisenbahnen – ein Unternehmer, der den Betrieb auf eigene Rechnung und damit im eigenen Interesse führt und der die selbständige Verfügungsgewalt über den Betrieb ausübt (Apathy, EKHG Rz 4 zu § 5 EKHG; vgl. auch Moser, Das Atomhaftpflichtgesetz [1964], Anm. 2 zu § 3). Für die Frage, ob ein Unternehmer als Betriebsunternehmer anzusehen ist, wird weder im Bereich der Atomhaftung noch im Bereich anderer Sonderhaftpflichtregelungen auf das Eigentum an der betreffenden Anlage abgestellt. Wenn die beiden entscheidenden Merkmale (Betriebs­führung auf eigene Rechnung, Verfügungsgewalt über die Anlage) auf mehrere Personen zutreffen, sind alle diese Personen als Betriebsunternehmer anzusehen (vgl. Koziol, Haftpflichtrecht II2, 528 [zu § 5 EKHG]).

Der Entwurf präzisiert die für die Betriebsführung auf eigene Rechnung maßgeblichen Kriterien näher. Hier soll nicht nur darauf abgestellt werden, daß die Erträge dem jeweiligen Betreiber zufließen; vielmehr soll von einer Betriebsführung auf eigene Rechnung auch dann gesprochen werden, wenn sich ein über die Anlage Verfügungsberechtigter auf Grund der jeweiligen wirtschaftlichen und rechtlichen Gestaltung die Erträge und damit auch den Nutzen aus der Kernanlage zuordnen kann. Mit dieser, an die bisherige Auslegung des Begriffs des “Betriebsunternehmers” angelehnte Regelung soll vor allem denjenigen Fällen Rechnung getragen werden, in denen eine kapitalmäßig unterdotierte juristische Person als Betreiber einer Kernanlage “vorgeschaltet” wird und die Erträge sowie der Nutzen des Betriebs bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise einer anderen, beherrschenden Gesellschaft zufließen. Im übrigen sind weitergehende, auf andere Haftungsgrundlagen gestützte Schadenersatzansprüche, die sich aus einer solchen “Vorschaltung” einer unterkapitalisierten Gesellschaft ergeben, nicht ausgeschlossen, zumal es ein erklärtes Ziel des Entwurfs ist, Haftungskonkurrenzen zuzulassen und von der bislang maßgeblichen Kanalisierung der Haftung abzugehen. Zu den Gründen, aus denen im Entwurf von einem weitergehenden Haftungsdurchgriff abgesehen wird, sei auf die Ausführungen zu Punkt 5. des Allgemeinen Teils der Erläuterungen verwiesen.

Verschiedenen Anregungen aus dem Begutachtungsverfahren folgend wird in § 2 Z 5 des Entwurfs auch der Halter eines Radionuklides definiert. Dabei folgt der Entwurf den gängigen Umschreibungen zu anderen Gefährdungshaftungsgesetzen (vgl. Danzl, EKHG6, Anm. 3a zu § 5 EKHG; Apathy, EKHG, Anm. 10 zu § 5 EKHG). In Krankenanstalten wird als Halter von Radionukliden regelmäßig nicht der behandelnde Arzt und auch nicht der jeweilige Abteilungsleiter, sondern der Inhaber der Betriebs­bewilligung, meist also der Krankenanstaltenträger, anzusehen sein. Der Beförderer von Radionukliden wird im übrigen regelmäßig nicht deren Halter sein.

Letztlich umschreibt § 2 Z 6 des Entwurfs den Beförderer von Kernmaterial. Darauf, ob der Transport auf Grund eines Vertrages erfolgt, soll und kann es in Haftungsbelangen nicht ankommen. Ebenso ist es für die Haftungsfolgen irrelevant, ob die Beförderung innerhalb oder außerhalb eines Betriebsgeländes bzw. auf Straßen mit oder ohne öffentlichen Verkehr durchgeführt wird.

§ 2 Z 6 des Begutachtungsentwurfs über den Begriff des nuklearen Ereignisses wird nicht über­nommen. Da die Haftung nach dem vorliegenden Bundesgesetz auch für den sogenannten “Normalbetrieb” greifen soll, ist es nicht erforderlich, einen schadenersatzrechtlich relevanten nuklearen Störfall zu definieren. Weiters sieht der Entwurf davon ab, ein “einziges nukleares Ereignis” (vgl. § 1 Abs. 3 Atomhaftpflichtgesetz) zu definieren, weil die damit zusammenhängenden Haftungsbeschrän­kungen (insbesondere nach § 5 Atomhaftpflichtgesetz) nicht übernommen werden.

Zu § 3 des Entwurfs (Haftung des Betriebsunternehmers):

§ 3 des Entwurfs statuiert eine verschuldensunabhängige und der Höhe nach unbegrenzte Gefährdungs­haftung des Betriebsunternehmers einer Kernanlage. Dieser hat für alle Schäden, die durch den Betrieb einer Kernanlage verursacht werden, einzustehen. Diese Haftung umfaßt Schäden, die durch einen Unfall beim Betrieb, also durch ein plötzlich eintretendes Ereignis, verursacht werden. Darüber hinaus ist aber auch – in bewußter Abweichung vom SCC – für Schäden durch den “Normalbetrieb” einer solchen Kernanlage zu haften. Damit entspricht der Entwurf dem der Gefährdungshaftung allgemein zugrundeliegenden Bestreben, denjenigen, der eine gefährliche Sache zum eigenen Nutzen verwendet, zugunsten der geschädigten Person in die Pflicht zu nehmen (vgl. Koziol, Haftpflichtrecht I3 Rz 6/11). Wenn beispielsweise der Anrainer einer Kernanlage nicht auf Grund eines “Störfalls”, sondern allein schon auf Grund der erhöhten Strahlenbelastung im Umfeld der Anlage Schäden erleidet, ist es recht und billig, den Betriebsunternehmer zum Ersatz auch dieser Schäden zu verhalten. Die Ersatzpflicht für den “Normalbetrieb” erstreckt sich allerdings – wie bereits zu § 1 des Entwurfs dargelegt – ganz allgemein nur auf Schäden, die auf ionisierende Strahlung zurückzuführen sind. Wenn Teile eines Kernkraftwerks auf Grund eines mechanischen (nicht auf ionisierende Strahlung zurückzuführenden) Defektes herunterfallen, ist für den daraus resultierenden Schaden nicht nach § 3 des Entwurfs zu haften, sondern auf Grund der allgemeinen Regeln des Schadenersatzrechts.

Die Ersatzpflicht des Betriebsunternehmers nach Abs. 1 soll allgemein dann eintreten, wenn der Schaden vom Betrieb der betreffenden Kernanlage herrührt. Die in Art. 3 Z 1 letzter Absatz des Anhangs zum SCC vorgesehene Ausnahme, wonach der Betriebsunternehmer nicht für Kernmaterialien in seiner Anlage haftet, die dort zur Beförderung verwahrt werden, soll nicht übernommen werden. Auch in einem solchen Fall soll den Interessen der geschädigten Person, für die es trotz der im Entwurf vorgesehenen Erleichterungen im Einzelfall schwierig sein kann, die nähere Ursache des Schadens zu eruieren, der Vorrang zukommen. Zudem enthält der Entwurf für die Beförderung von Kernmaterial keinen Primat der Haftung des Betriebsunternehmers derjenigen Anlage, aus der diese Stoffe stammen oder an die sie versendet werden (vgl. Art. 3 Z 1 lit. b und c des Anhangs zum SCC). Dem Einwand, daß der Betriebsunternehmer einer Anlage über die beförderten Kernmaterialien allenfalls nicht verfügungs­berechtigt ist, ist entgegenzuhalten, daß er sich bei der Gestattung der Lagerung in seiner Kernanlage die entsprechenden Verfügungsbefugnisse ausbedingen kann und wird.

Der Ausdruck “durch den Betrieb” ist weit zu verstehen: Die Haftpflicht des Betriebsunternehmers einer Kernanlage umfaßt auch Schäden, die während einer Betriebsunterbrechung (etwa während der wartungs­bedingten “Abschaltung” eines Reaktors) verursacht werden; vorausgesetzt ist hier, daß diese Schäden mit der besonderen Gefährlichkeit der Anlage zusammenhängen.

Die Gefahren, die von einer Kernanlage ausgehen, lassen sich nicht allein auf den eigentlichen Betrieb (etwa zur Energieerzeugung in Leistungsreaktoren) begrenzen. Vielmehr birgt eine solche Anlage auf Grund der vorhandenen Radioaktivität auch nach der Einstellung dieses eigentlichen Betriebs ein beträchtliches Risikopotential. Diesem Umstand muß auch das Haftungsrecht Rechnung tragen. § 3 Abs. 1 zweiter Satz des Entwurfs ordnet daher an, daß die Gefährdungshaftung den Zeitraum ab Beginn des “normalen” Betriebs bis zur Entsorgung des radioaktiven Inventars umfaßt und damit auch die Stillegung sowie den Abbau der Anlage abdeckt.

§ 3 Abs. 2 des Entwurfs statuiert eine Haftung des Betriebsunternehmers einer Kernanlage für Schäden, die durch Kernmaterial außerhalb der Anlage verursacht werden, sei es, daß diese Schäden auf einen Unfall zurückgehen, sei es, daß sie auf den “normalen” Umgang mit Kernmaterial außerhalb einer Kernanlage zurückzuführen sind. Voraussetzung dieser Haftung für extern verursachte Schäden ist eine gewisse “Nahebeziehung” des Betriebsunternehmers zu dem außerhalb der Kernanlage befindlichen Kernmaterial: Dieses muß entweder aus seiner Kernanlage stammen (Z 1) oder an seine Kernanlage versendet worden sein (Z 2). In beiden Fällen muß der Betriebsunternehmer weiters über das Material verfügungsberechtigt sein. Diese Anknüpfung an die Verfügungsgewalt entspricht dem Grundgedanken der in § 2 Z 4 des Entwurfs vorgeschlagenen Definition des Betriebsunternehmers, die u. a. ebenfalls auf die Verfügungsberechtigung abstellt. Mutatis mutandis ist es angemessen, denjenigen mit der Haftung zu belasten, der über das Kernmaterial auch außerhalb seiner Anlage bestimmen kann.

Die Haftung des Betriebsunternehmers für extern verursachte Schadensfälle wird vor allem für die Beförderung von Kernmaterial bedeutsam sein, die unter seiner Verantwortung und Weisungsbefugnis erfolgt. Weiters wird die Bestimmung für diejenigen Fälle relevant sein, in denen Kernmaterial außerhalb einer Kernanlage gelagert wird und der Betriebsunternehmer sich die Verfügungsbefugnis vorbehalten hat. In solchen Konstellationen kann es zu einer (solidarischen – vgl. § 18 des Entwurfs) Haftung mit dem Beförderer bzw. dem Betriebsunternehmer der Lagerstätte kommen.

Die Haftung des Betriebsunternehmers nach Abs. 2 Z 1 bleibt so lange aufrecht, bis ein anderer Betriebs­unternehmer die Verfügungsgewalt übernimmt. Für diese Übernahme sieht der Entwurf – abweichend von Art. 3 Z 1 lit. b sublit. i des Anhangs zum SCC – keine besonderen Formvorschriften vor (siehe auch § 4 Abs. 1 Z 1 Atomhaftpflichtgesetz).

Dieses Konzept einer Haftpflicht des Betriebsunternehmers der Kernanlage für das außerhalb der Kernanlage befindliche Kernmaterial läßt sich mit den Intentionen der in Art. 3 Z 1 lit. b und c des Anhangs zum SCC vorgesehenen Regelung nur bedingt vergleichen. Der Anhang zum SCC baut auf dem Gedanken der Kanalisierung der Haftung auf den Anlagenbetreiber auf. Die im Entwurf enthaltene Regelung stellt dagegen darauf ab, daß das (besonders gefährliche) Kernmaterial im Interesse und zum Nutzen des Betriebsunternehmers befördert wird. Auf Grund dieser durchaus unterschiedlichen Ziel­setzung kann der Entwurf darauf verzichten, die im Anhang zum SCC festgelegten und überaus kasuistisch umschriebenen weiteren Voraussetzungen der Haftung des Betriebsunternehmers für “externe” nukleare Ereignisse zu übernehmen. Statt dessen wird eine einfache und transparente Regelung vorgeschlagen, die dem Geschädigten entgegenkommt.

Zu § 4 des Entwurfs (Haftung des Beförderers):

§ 4 des Entwurfs regelt die Haftung des Beförderers. Haftungsbegründend ist der Umstand, daß das dem Kernmaterial ohnehin schon eigene Risiko durch die Beförderung, insbesondere die damit verbundene Geschwindigkeit, vergrößert wird. Diese Haftung soll – von der Kanalisierung der Haftung wird abgegangen – nicht (nur) an die Stelle der Haftung des Betriebsunternehmers treten. Vielmehr soll der Beförderer gegebenenfalls neben einem nach § 3 des Entwurfs haftpflichtigen Betriebsunternehmer eintreten. In der Regel werden Beförderer und Betriebsunternehmer gemäß § 18 des Entwurfs solidarisch haften.

Der Beförderer soll zunächst für alle Schäden, die auf einen während der Beförderung eingetretenen Unfall zurückzuführen sind, verantwortlich sein. Dabei wird der Begriff der Beförderung weit auszulegen sein und nicht nur den eigentlichen Transport, sondern auch alle weiteren Begleitmaßnahmen (etwa Auf- und Abladen, Sicherungsmaßnahmen) und Unterbrechungen des eigentlichen Transports (beispielsweise wegen Verkehrshindernissen oder Demonstrationen) umfassen, soweit der Beförderer hinsichtlich dieser Maßnahmen verfügungsberechtigt ist. Nicht zur Beförderung soll dagegen die damit im Zusammenhang stehende Lagerung von Kernmaterial gehören, wenn der Beförderer darauf keinen Einfluß nehmen kann.

Die Haftung des Beförderers soll sich aber auch auf alle anderen (nicht durch einen Unfall) im Verlauf der Beförderung verursachten Schäden beziehen. Die Ersatzpflicht wird damit – ebenso wie die Haftung des Betriebsunternehmers nach § 3 des Entwurfs – nicht auf Schäden durch ein nukleares Ereignis beschränkt. Auch der Beförderer soll vielmehr für Schäden, die sonst – also auch ohne Störfall im Verlauf einer Beförderung – eintreten, verantwortlich sein. Zur Begründung sei hier auf die Erläuterungen zur Ausdehnung der Haftung auf den “Normalbetrieb” einer Kernanlage verwiesen.

Die in § 4 Abs. 3 Atomhaftpflichtgesetz für die Haftung des Beförderers vorgesehenen weiteren Voraussetzungen werden nicht übernommen. Ausschlaggebend dafür ist wiederum der Umstand, daß der Entwurf vom Konzept einer Kanalisierung der Haftung (das den Tatbeständen des § 4 Abs. 3 Atomhaft­pflichtgesetz zugrunde liegt) abrücken will. Ferner soll auch die in § 4 Abs. 3 letzter Satz Atomhaftpflichtgesetz vorgesehene Haftungsübernahme durch den Bund für Beförderer mit Kontrahie­rungszwang nicht aufrecht erhalten werden. Selbst einem Beförderer mit Kontrahierungszwang kann es nämlich zugemutet werden, für nukleare Transporte solche Kosten zu verrechnen, die das Risiko und auch die Aufwendungen für Sicherstellungsmaßnahmen abdecken; zudem geht der Entwurf aus den schon im Allgemeinen Teil zu Punkt 5. dargelegten Gründen von einer Übernahme der Haftpflicht durch den Staat ab.

Ebenso wie nach § 4 Abs. 3 Atomhaftpflichtgesetz soll der Beförderer allerdings nur dann haften, wenn er sich der Eigenschaften der von ihm beförderten Stoffe bewußt war oder sich dieser Eigenschaften hätte bewußt sein müssen. Mit der Übernahme dieser Regelung nimmt der Entwurf auf diejenigen Fälle Bedacht, in denen der Beförderer auch bei Anlegung der erforderlichen Sorgfalt über die von ihm transportierten Materialien weder informiert war noch informiert sein konnte und deshalb keine Abwehr- und Vorsichtsmaßnahmen treffen konnte. Würde man dem Beförderer die Gefährdungshaftung auch in diesen Fällen auferlegen, so überantwortete man ihm ein Haftungsrisiko, das er selbst – mangels Informationen über das Transportgut – nicht steuern kann; eine solche Regelung ließe sich mit den allge­meinen Grundsätzen der Gefährdungshaftung nicht in Einklang bringen.

Die Beweislast für die Unkenntnis der Eigenschaften der beförderten Fracht soll – so wie im geltenden Recht (vgl. die Erl. Bem. der RV 358 BlgNR X. GP 16) – beim Beförderer liegen. An diesen Entlastungsbeweis wird ein strenger Maßstab anzulegen sein.

Zu § 5 des Entwurfs (Haftungsumfang):

§ 5 Abs. 1 des Entwurfs entspricht dem Sinn nach dem § 1 Abs. 2 Atomhaftpflichtgesetz, die Bestimmung deckt sich auch mit Art. I lit. f letzter Halbsatz SCC. Die Haftung des Betriebsunternehmers und des Beförderers (§§ 3 und 4 des Entwurfs) besteht für Schäden, die durch die radioaktiven Eigenschaften von Kernmaterial verursacht werden.

Weiters sind aber auch Schäden zu berücksichtigen, die in Verbindung mit anderen gefährlichen Eigenschaften dieser Stoffe herbeigeführt werden, wobei hier vor allem die Toxizität und die Explosionsgefahr von Kernmaterial bedeutsam sind. Die für die Einführung des § 1 Abs. 2 Atomhaft­pflichtgesetz seinerzeit maßgeblichen Erwägungen (siehe die Erl. Bem. der RV 358 BlgNR X. GP 13) treffen nämlich nach wie vor zu. Bei Eintritt eines Schadens, der auf Kernmaterial zurückzuführen ist, macht es aus haftungsrechtlicher Sicht keinen Unterschied, ob der Schaden allein durch nukleare Vor­gänge oder auch durch chemische, physikalische oder sonstige gefährliche Eigenschaften nicht-nuklearer Art verursacht worden ist. Ferner ist eine verhältnismäßige Aufteilung der Schadensursachen in der Praxis nur schwer möglich.

Die zu § 5 Abs. 2 des Entwurfs vorgeschlagene Regelung entspricht im Prinzip dem § 3 Abs. 3 Atomhaft­pflichtgesetz und stimmt auch mit Art. 3 Z 7 des Anhangs zum SCC überein: Auf Schäden, die an einer Kernanlage (oder an Nachbaranlagen auf demselben Gelände), an anderen dort befindlichen Sachen, die für den Betrieb der Kernanlage verwendet werden oder worden sind, und an Transportmitteln zur Beförderung von Kernmaterial entstehen, soll sich die Haftung des Betriebsunternehmers und des Beförderers nicht erstrecken. Damit kann verhindert werden, daß die zur Deckung der Ersatzansprüche zur Verfügung stehenden Entschädigungsmittel zu Lasten dritter, an der Kernanlage nicht mitwirkender bzw. beteiligter Personen verringert werden. Personenschäden sollen von dieser Einschränkung aber nicht erfaßt sein.

Zu den §§ 6 bis 8 des Entwurfs (Sicherstellung):

Die §§ 6 bis 8 des Entwurfs beschäftigen sich mit der gerade im Atomhaftungsrecht eminent bedeutsamen Frage der Sicherstellung. Primäres Sicherstellungsinstrument soll eine Haftpflichtversicherung sein (siehe die §§ 6 Abs. 1 und 7 Abs. 1 des Entwurfs). Diese Haftpflichtversicherung kann nur durch eine “Haftungserklärung” des Bundes oder eines Landes ersetzt werden (vgl. § 6 Abs. 3 des Entwurfs). Die noch im Begutachtungsentwurf vorgesehene (und aus dem geltenden Recht übernommene) Ersetzung der Haftpflichtversicherung durch eine andere geeignete und gleichwertige Sicherstellung soll nicht aufrecht erhalten werden. Zum einen scheint für eine derartige Regelung kein praktischer Bedarf zu bestehen; zum anderen ist im Begutachtungsverfahren darauf hingewiesen worden, daß der dem geltenden Recht zugrunde liegende Gedanke der Förderung der nuklearen Wirtschaft vom Entwurf nicht mehr weiter verfolgt werde.

Sicherstellungspflichtig ist nach § 6 Abs. 1 des Entwurfs der Betriebsunternehmer einer in Österreich gelegenen Kernanlage. Hat eine Kernanlage mehrere Betriebsunternehmer, so sind sie alle zur vorgesehenen Sicherstellung verpflichtet. Die abzuschließende Haftpflichtversicherung muß die Haft­pflicht nach diesem Bundesgesetz und nach anderen gesetzlichen Bestimmungen decken. Sie muß insbe­sondere den Betrieb der Kernanlage im weiteren Verständnis des § 3 Abs. 1 erster und zweiter Satz des Entwurfs erfassen und sich damit auf den eigentlichen Betrieb der Anlage, aber auch auf den Zeitraum bis zur Entsorgung des radioaktiven Inventars sowie die Stillegung und den Abbau der Anlage erstrecken. § 6 Abs. 1 zweiter Satz des Entwurfs verhält den (oder die) Betriebsunternehmer weiters dazu, diese Versicherungsdeckung bis zum Ablauf von zehn Jahren nach der Beendigung des Betriebs aufrecht zu erhalten. Damit sollen alle Risiken, die nach diesem Zeitpunkt weiterbestehen oder auch erst entstehen, abgedeckt werden.

Die Haftpflichtversicherung muß nach dem zweiten Satz des § 6 Abs. 1 des Entwurfs alle Schäden decken, die während der Versicherungszeit (das ist der Zeitraum des Betriebs einer Kernanlage bis zehn Jahre nach dessen Beendigung) verursacht worden sind. Der Entwurf stellt damit für die nukleare Haftpflichtversicherung im Interesse des geschädigten Dritten klar, daß es nicht auf den Eintritt des Schadens, sondern auf die Verursachung des Schadens während der Versicherungszeit ankommt. Ins­besondere müssen auch Spätschäden, die zwar während des Betriebs einer Kernanlage verursacht worden, aber erst später aufgetreten sind, versichert sein. Aus versicherungstechnischen Gründen wird jedoch ein Zeitraum von zehn Jahren ab dem Eintritt des Schadens vorgesehen, innerhalb dessen die Ansprüche geltend zu machen sind.

Darüber hinaus wird im dritten Satz des § 6 Abs. 1 des Entwurfs dem versicherungsmäßig relevanten Umstand Rechnung getragen, daß die vorgesehene betragsmäßig unbegrenzte Gefährdungshaftung ohne Anerkennung von Haftungsausschlußgründen selbst auf internationaler Ebene derzeit schwer kalkulierbar ist. Die bisher in § 9 Atomhaftpflichtgesetz geregelten Haftungsbefreiungsgründe sollen zwar nicht übernommen werden. Die Gefährdungshaftung soll also auch Schäden auf Grund von bewaffneten Auseinandersetzungen einschließen. Allerdings soll die Versicherungspflicht nicht auch solche bewaffneten Auseinandersetzungen umfassen. Für Fälle “höherer Gewalt” (etwa Schäden auf Grund einer Naturkatastrophe) muß die Nuklearhaftpflichtversicherung dagegen Deckung bieten.

Die Mindestversicherungssummen sollen substantiell angehoben werden. Der Entwurf schlägt in § 6 Abs. 2 für Kernanlagen einen Betrag von 5,6 Milliarden Schilling je Versicherungsfall und zusätzlich einen Betrag von 560 Millionen Schilling für Zinsen und Kosten je Versicherungsfall vor. Damit können voraussichtlich die Risiken (einschließlich der Kosten von Vorbeugemaßnahmen und Umweltbeeinträch­tigungen) von allenfalls in Österreich befindlichen Kernanlagen abgedeckt werden. Als “Versicherungs­fall” werden dabei nicht nur ein nuklearer Unfall, sondern auch alle anderen Schadensfälle, die auf ein und derselben Ursache beruhen, verstanden. Die Pflichtversicherung muß also auch solche Schäden abdecken, die aus dem sogenannten “Normalbetrieb” der Anlage herrühren. Im übrigen hat der Betriebsunternehmer dafür zu sorgen, daß die Mindestversicherungssumme wieder aufgefüllt oder ein neuer Versicherungsvertrag abgeschlossen wird, wenn ein deckungspflichtiger Schadensfall eintritt.

Für Versuchs- und Forschungsreaktoren werden auf Grund des weit geringeren Risikos die Beträge von 560 Millionen Schilling zuzüglich 56 Millionen Schilling für Zinsen und Kosten pro Versicherungs­fall vorgesehen.

Ziffernmäßig sind diese Mindestversicherungssummen auf einen Umrechnungskurs von annähernd 14 Schilling für einen Euro abgestimmt, sodaß bei den für die Euro-Umstellung in Aussicht genommenen gesetzlichen Mindestversicherungssummen von 400 und 40 Millionen Euro keine Adaptierung der Haftpflichtversicherungsverträge notwendig wird.

Die Versicherungspflicht des Betriebsunternehmers einer Kernanlage soll nach § 6 Abs. 3 des Entwurfs entfallen, wenn der Bund oder ein Land selbst als Betriebsunternehmer haftpflichtig ist oder dem Betriebsunternehmer gegenüber eine Haftungserklärung über die genannten Mindestversicherungs­summen abgegeben hat. Im zweiten Satz des § 6 Abs. 3 des Entwurfs wird der Bundesminister für Finanzen ermächtigt, eine derartige Haftung zu übernehmen. Die für diese Haftungserklärung maßgeblichen Voraussetzungen entsprechen jenen des letzten Satzes des § 17 Abs. 3 Atomhaftpflicht­gesetz.

Die in § 6 Abs. 4 des Begutachtungsentwurfs noch enthaltene Möglichkeit zur “Anbietung” einer anderen geeigneten Sicherstellung soll aus den schon eingangs dargelegten Erwägungen nicht übernommen werden.

§ 7 des Entwurfs regelt die Sicherstellungspflicht des haftpflichtigen Beförderers von Kernmaterial. Primäres Sicherungsinstrument soll ebenso wie bei der Sicherstellungspflicht des Betriebsunternehmers eine Haftpflichtversicherung sein. Diese Haftpflichtversicherung des Beförderers hat alle Schäden abzudecken, die während der Beförderung von Kernmaterial in oder durch Österreich verursacht werden. Auch hier muß die Versicherung alle Schäden decken, die zwar während der Beförderung verursacht werden, aber erst später eintreten.

Die Versicherungspflicht des Beförderers nach dem Atomhaftungsgesetz 1999 soll insoweit nicht bestehen, als das Risiko durch eine andere Pflichtversicherung gedeckt ist. Gedacht ist hier an die Beförderung von Kernmaterial mit einem Kraftfahrzeug (vgl. die Sonderbestimmung für die Haftpflicht­versicherung für den Transport gefährlicher Güter in § 9 Abs. 4 KHVG) und die Beförderung von Kernmaterial mit einem Luftfahrzeug (vgl. § 163 Abs. 1 LFG), aber auch an diejenigen Fälle, in denen der Transport von Kernmaterial in der Polizze des Betriebsunternehmers einer Kernanlage gedeckt ist. Vorausgesetzt wird dabei, daß die Versicherung bei einem zum Betrieb dieses Versicherungszweigs in Österreich berechtigten Versicherer abgeschlossen ist (vgl. § 8 Abs. 1 des Entwurfs). Diese Einschränkung der atomrechtlichen Versicherungspflicht des Beförderers kann allerdings nicht zum Tragen kommen, wenn für die Beförderung radioaktiver Güter ein Versicherungs­ausschluß vereinbart worden ist.

Als Mindesthaftpflichtversicherungssummen für den Transport von Kernmaterial werden für die Beförderung von besonderem spaltbaren Material ein Betrag von 560 Millionen Schilling je Versicherungsfall zuzüglich 56 Millionen Schilling für Zinsen und Kosten und – auf Grund des geringeren Risikos – für den Transport von Ausgangsmaterial ein Betrag von 56 Millionen Schilling je Versicherungsfall zuzüglich 5,6 Millionen Schilling für Zinsen und Kosten vorgesehen. Damit können die spezifischen, mit der Beförderung von Kernmaterial jeweils verbundenen Risiken abgedeckt werden. Die vorgesehene Mindestversicherungssumme für besonderes spaltbares Material entspricht größenmäßig in etwa dem in Art. 11 des Schweizer Kernenergiehaftpflichtgesetzes vorgesehenen Betrag. Auch hier wird im übrigen auf den voraussichtlichen Umrechnungskurs zum Euro Bedacht genommen.

Nach § 7 Abs. 3 des Entwurfs soll der vom Versicherer gemäß § 158i VersVG auf Verlangen des Versicherungsnehmers auszustellende Versicherungsnachweis bei der Beförderung von Kernmaterial mitgeführt und den für die Prüfung der Einhaltung der jeweils maßgeblichen Rechts- und Sicherheitsvor­schriften zuständigen Organen auf deren Verlangen vorgewiesen werden.

Auf die Sicherstellungspflicht des Beförderers sollen die Bestimmungen des § 6 Abs. 3 über den Entfall der Sicherstellungspflicht Anwendung finden (vgl. § 7 Abs. 4 des Entwurfs).

§ 8 des Entwurfs statuiert unter Bedachtnahme auf die Dienstleistungsfreiheit die für die gesetzliche Pflichtversicherung maßgeblichen Grundlagen. Als zuständige Stellen im Sinn des § 158c Abs. 2 VersVG sollen der für die Bewilligung von Kernanlagen und des Umgangs mit Kernmaterial zuständige Bundeskanzler und der im Bereich der Beförderung zuständige Bundesminister für Wissenschaft und Verkehr genannt werden (vgl. § 41 Abs. 1 und 5 Strahlenschutzgesetz).

Der vorliegende Entwurf verzichtet im übrigen gänzlich auf Sonderbestimmungen für die Pflicht­versicherung. Das in den §§ 18, 20 und 40 Atomhaftpflichtgesetz geregelte Versicherungssystem, das zum Teil auf entsprechende Bestimmungen des Pariser Übereinkommens zurückgeht (siehe die Erl. Bem. der RV 358 BlgNR X. GP 23), erscheint zur Gänze entbehrlich. Statt dessen sollen für die Atomhaftpflicht­versicherung in Hinkunft die in den §§ 149 ff VersVG enthaltenen Allgemeinen Vorschriften für die Haftpflichtversicherung und die in den §§ 158b bis 158i VersVG festgelegten “Besondere(n) Vorschriften für die Pflichtversicherung” zur Anwendung kommen. Dies gilt auch für die in § 152 VersVG vor­gesehene Entlastung des Versicherers bei vorsätzlichem Verhalten des Versicherungsnehmers, zumal auch in diesem Zusammenhang im Begutachtungsverfahren Bedenken zur (Rück-)Versicherbarkeit vor­getragen worden sind.

Der Vollständigkeit halber sei festgehalten, daß die Verletzung der Sicherstellungspflichten der §§ 6 und 7 des Entwurfs außer den verwaltungsstrafrechtlichen Folgen nach § 25 des Entwurfs auch zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen kann. Die aus dem geltenden Atomhaftpflichtgesetz übernommenen und darauf aufbauenden Sicherstellungsregeln werden nämlich als Schutzgesetz im Sinn des § 1311 ABGB, konkret als Vorschriften zur Sicherung des Befriedigungsinteresses des geschädigten Dritten, konzipiert. Ähnlich wie in der Produkthaftung (siehe Reindl in Fitz/Purtscheller/Reindl, Produkthaftung, Rz 4 zu § 16 PHG) und ähnlich wie in der Gentechnik-Haftung (siehe die Erläuterungen zu § 79k GTG in dem vom Bundesministerium für Justiz zur Begutachtung versendeten Entwurf, JMZ 7.720A/18-I 2/98) kann die Vernachlässigung der Sicherstellungsvorschriften zu einem sekundären Schadenersatzanspruch des geschädigten Dritten gegen den oder die für diese Nachlässigkeit Verantwortlichen führen (zumal die Kanalisierung der Haftung des Betriebsunternehmers einer Kernanlage oder des Beförderers von Kern­material beseitigt werden soll). Die sekundäre Schadenersatzpflicht dritter Personen besteht freilich nur in dem Ausmaß, in dem der Geschädigte bei ordnungsgemäßer Sicherstellung befriedigt worden wäre.

Letztlich soll die Sicherstellungspflicht durch verwaltungsrechtliche Regelungen im Strahlenschutzge­setz begleitet werden. Diese Maßnahmen (Widerruf der Bewilligung bei Fehlen einer Sicherstellung) sollen im Rahmen der anstehenden Novelle des Strahlenschutzgesetzes umgesetzt werden.

Zu § 9 des Entwurfs (Haftung des Halters eines Radionuklides):

§ 9 des Entwurfs statuiert eine Haftung des Halters eines Radionuklides für Personen- und Sachschäden. Die Bestimmung entspricht im Prinzip der Regelung des § 24 Atomhaftpflichtgesetz. In terminologischer Hinsicht weicht der Entwurf insoweit vom geltenden Gesetz ab, als er den Ausdruck “Inhaber” durch den in § 2 Z 5 des Entwurfs definierten Begriff “Halter” ersetzt. Dadurch sollen allfällige Mißverständnisse (vgl. Koziol, Haftpflichtrecht II2, 468 f) hintangehalten werden. Auf die Erläuterungen zu dieser Begriffsbestimmung sei verwiesen.

Wie bereits zu § 1 des Entwurfs dargelegt, soll sich die Haftung des Halters nur auf ionisierende Strahlen erstrecken, die von einem Radionuklid ausgehen. Auf Schäden durch Strahlen, die von einem Gerät ohne Verwendung radioaktiver Stoffe emittiert werden, soll sich der Entwurf dagegen aus den schon in den Erläuterungen zu § 1 dargelegten Erwägungen nicht beziehen. Insoweit entspricht der vorgeschlagene § 9 dem geltenden Recht.

Der Haftungsausschluß des zweiten Halbsatzes des § 24 Atomhaftpflichtgesetz bei Unkenntnis über die Eigenschaft des Stoffes soll nicht übernommen werden. In Hinkunft sollen diejenigen Fälle, in denen der Halter über die radioaktiven Eigenschaften eines Stoffes keine Kenntnis hatte bzw. haben mußte, im Rahmen des Entlastungsbeweises nach § 9 Abs. 2 des Entwurfs beurteilt werden, zumal in diesen Fällen der Frage des Verschuldens entscheidende Bedeutung zukommen wird (vgl. Koziol, Haftpflichtrecht II2, 470). Wenn beispielsweise eine Meßvorrichtung im landwirtschaftlichen oder im gewerblichen Bereich ein Radionuklid enthält, sind – vor allem bei der Nutzung des Gerätes durch mehrere Personen oder bei der Nutzung gebrauchter Geräte – durchaus Fälle denkbar, in denen die Unkenntnis dem jeweiligen Halter nicht zur Last gelegt werden kann.

Die Haftung des Halters eines Radionuklides soll – anders als in § 24 Atomhaftpflichtgesetz – nicht an ein nukleares Ereignis, also einen plötzlich eintretenden Zwischenfall, sondern allgemein an den Umgang mit einem solchen Stoff anknüpfen. Die Gründe, die für die Einführung einer Haftung des Betriebsunternehmers einer Kernanlage (auch) für den sogenannten “Normalbetrieb” sprechen (vgl. die Erläuterungen zu § 3 des Entwurfs), haben auch im Bereich der Haftung für Radionuklide Bedeutung. Ferner soll der Halter nicht nur dann haften, wenn Schäden allein auf ionisierende Strahlen zurückzu­führen sind, sondern auch in den – seltenen – Fällen, in denen eine sonstige gefährliche Eigenschaft des Radionuklides in Verbindung mit ionisierenden Strahlen den Schaden verursacht hat. Insoweit sei auf die auch im vorliegenden Zusammenhang gültigen Erläuterungen zu § 5 Abs. 1 des Entwurfs verwiesen.

Die §§ 25 bis 27 Atomhaftpflichtgesetz über die Haftung bei Entzug, Verlust und Dereliktion von Radionukliden sollen nicht übernommen werden, weil für derartige Sonderregelungen kein Bedarf zu erkennen ist. Das Gesetz kann dadurch wesentlich vereinfacht und gestrafft werden, für die geschädigte Person ist damit kein substantieller Nachteil verbunden.

Die Halterhaftung für den Umgang mit Radionukliden soll nach § 9 Abs. 2 des Entwurfs nicht eintreten, wenn der Halter und seine Leute jede nach den Umständen des Falles zur Verhinderung des Schadens erforderliche Sorgfalt aufgewendet haben. Die Haftung für den Umgang mit Radionukliden soll also nach wie vor als Verschuldenshaftung ausgestaltet werden, zumal hier Schäden in so großem Umfang, wie sie bei Kernanlagen und dem wesentlich gefährlicheren Kernmaterial möglich sind, in der Regel nicht auftreten können. Die Erwägungen der Erl. Bem. der RV 358 BlgNR X. GP 20 treffen insoweit nach wie vor zu. Der spezifischen Gefährlichkeit von Radionukliden soll durch eine Beweislastumkehr zu Lasten des Halters und zugunsten des Geschädigten Rechnung getragen werden. Der Sorgfaltsmaßstab wird dabei vielfach an den Anforderungen des § 1299 ABGB (sogenannte “Sachverständigenhaftung”) zu messen sein. Auch wird der im Strahlenschutzrecht vorgesehene Standard eine gewichtige Rolle spielen.

Anders als nach § 28 Z 1 Atomhaftpflichtgesetz soll es zur Beweislastumkehr bei jeder Verwendung von Radionukliden kommen, also auch dann, wenn ein solcher Stoff von einem Arzt, einem Zahnarzt oder einem Tierarzt oder unter deren Aufsicht bei der Ausübung der Heilkunde angewendet wird. Die seinerzeit für die “Ausnahme von der Ausnahme” ins Treffen geführten Argumente der Erl. Bem. der RV 358 BlgNR X. GP 20 (notwendige Förderung der Kernwissenschaft und der Atomwirtschaft) erscheinen heute nicht mehr tragfähig. Auch kann es sachlich kaum gerechtfertigt werden, wenn es in der allgemeinen “Medizinhaftung” auf Grund des § 1298 ABGB zu einer Beweislastumkehr zu Lasten des Arztes kommen kann, im Bereich der Nuklearmedizin aber nicht.

Der Umstand, daß Radionuklide im humantherapeutischen und -diagnostischen Bereich und allenfalls auch bei vorbeugenden medizinischen Maßnahmen regelmäßig zugunsten des Betroffenen eingesetzt werden, wird mit der in § 9 Abs. 2 zweiter Satz des Entwurfs vorgesehenen Regelung berücksichtigt. Nach dieser Bestimmung soll sich der Arzt dem geschädigten Patienten und allenfalls auch den aus dem Schadensfall geschädigten Angehörigen (vgl. § 1327 ABGB) gegenüber durch den Nachweis entlasten können, daß die von ihm verwendeten Stoffe und Einrichtungen dem jeweiligen Stand der Wissenschaft und Technik entsprochen haben und der Schaden auch nicht auf ein Versagen der Verrichtungen zurückzuführen ist. Gelingt dem Arzt dieser Beweis, so soll es beim Patienten liegen, einen Behandlungs­fehler, der nicht auf die verwendeten Stoffe und Einrichtungen, sondern auf ein Fehlverhalten des Arztes oder seiner Leute zurückgeht, nachzuweisen. Dieses Konzept entspricht im wesentlichen dem von Univ.-Prof. Dr. Gimpel-Hinteregger vorgeschlagenen Modell.

Zu § 10 des Entwurfs (Deckungsvorsorge für Radioisotope):

Das Begutachtungsverfahren und die im Anschluß daran geführten Gespräche haben ergeben, daß die derzeit in § 30 Atomhaftpflichtgesetz enthaltene Sicherstellungspflicht den praktischen Gegebenheiten nicht mehr entspricht. Auch trägt das im Begutachtungsentwurf verfolgte Konzept, die bisherigen Haftungshöchstbeträge in Haftpflichtmindestversicherungssummen umzuwandeln, den wirtschaftlichen Realitäten nicht ausreichend Rechnung: Radionuklide werden nämlich – wie bereits erwähnt – in den verschiedensten Gebieten eingesetzt, ohne daß bislang in Österreich – soweit dies überblickt werden kann – ein Schadensfall gerichtsanhängig oder von den österreichischen Versicherungen außergerichtlich abgewickelt wurde. Nun kann trotz dieser positiven Erfahrungen das radioaktiven Stoffen innewohnende Risiko nicht einfach vernachlässigt werden. Daher sieht der Entwurf – übrigens im Einklang mit der eingangs erwähnten Entschließung des Nationalrats – nach wie vor Sonderregeln für die Haftung des Halters eines Radionuklides vor. Die Sicherstellungspflichten des bisherigen Rechts und auch das Kon­zept des Begutachtungsentwurfs müssen aber doch überdacht werden, zumal sie in weiten Bereichen überzogen erscheinen. Dazu kommt, daß die Klassifizierungen, wie sie noch in § 10 des Begutachtungs­entwurfs auf der Grundlage des § 29 Atomhaftpflichtgesetz vorgesehen worden sind, mit der heute gängigen und zum Teil vom europäischen Recht vorgegebenen Terminologie nicht mehr übereinstimmen.

Aus diesen Gründen sieht der vorliegende Entwurf eine grundlegende Neuordnung der Deckungs­vorsorge für den Umgang mit Radionukliden vor. Diese Regelung soll zum einen dem legitimen Interesse des Geschädigten an der Sicherung der Einbringlichkeit seiner Ersatzforderungen Rechnung tragen. Zum anderen soll es aber weitgehend dem Halter eines Radionuklides überlassen bleiben, seine Haftungs­risiken einzuschätzen und entsprechende Sicherstellungen vorzusehen.

Zur Vermeidung von Mißverständnissen sei klargestellt, daß die vorgeschlagene Regelung den Halter eines Radionnuklides auch in Hinkunft nicht von seiner Verpflichtung entbindet, entsprechende Vorsorge für die Befriedigung allfälliger Schadenersatzansprüche zu treffen. Er hat dabei die Übung des redlichen Verkehrs zu beachten und die Interessen des potentiell Geschädigten im Auge zu behalten (vgl. auch § 16 PHG und § 79j Abs. 1 GTG). Er kann aber auf die besonderen Umstände des Einzelfalls besser als nach dem geltenden Recht Bedacht nehmen. Dies gilt vor allem für diejenigen Fälle, in denen auf Grund der Konfiguration der Radionuklide oder der verwendeten Menge ein Schadensfall nur schwer denkbar ist.

Seiner Verpflichtung zur Deckungsvorsorge kann der Halter auf unterschiedliche Art und Weise nach­kommen. Das Mittel der Wahl wird im allgemeinen eine Haftpflichtversicherung sein, sei es, daß sie gesondert vereinbart wird, sei es, daß die Risiken von Radionukliden in Hinkunft in der allgemeinen Betriebshaftpflichtversicherung gedeckt werden. Es ist aber auch zulässig, andere Sicherstellungsmittel einzusetzen, sofern sie nur entsprechende Deckung bieten, etwa eine Bankgarantie oder eine Haftungs­übernahme einer Gebietskörperschaft oder eines sonstigen finanziell entsprechend ausgestatteten Dritten. Eine “bilanzielle Rückstellung” des Halters wird für sich allein nur dann ausreichen, wenn auch ein greifbarer Entschädigungsfonds in ausreichender Höhe real zur Verfügung steht.

Für Radionuklide mit einer Aktivität von mehr als 370 Gigabecquerel, mit denen nach Angaben von Sachverständigen des Strahlenschutzes ein hohes Risiko verbunden ist, verpflichtet § 10 Abs. 2 des Entwurfs den Halter zwingend zum Abschluß einer Haftpflichtversicherung. Die Mindestversicherungs­summe von 56 Millionen Schilling entspricht in etwa der Haftungshöchstgrenze des geltenden § 29 Abs. 1 Z 1 lit. a zweiter Fall Atomhaftpflichtgesetz (unter Bedachtnahme auf die zuletzt mit der Erweiterten Wertgrenzen-Novelle 1997 vorgenommene Betragsanpassung und auf die gemäß § 2 Abs. 3 Z 2 Maß- und Eichgesetz erforderliche Umstellung der Maßeinheit von Curie auf Becquerel). Einer solchen Mindest­haftpflichtversicherung für offene oder umschlossene Radionnuklide mit einer Aktivität von mehr als 3700 Megabecquerel (vgl. noch § 29 Abs. 1 Z 1 lit. a erster Fall Atomhaftpflichtgesetz) bedarf es aus praktischer Sicht nicht.

§ 10 Abs. 4 des Entwurfs sieht für bestimmte Gebietskörperschaften aus Gründen der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit eine Ausnahme von der Verpflichtung zur Deckungsvorsorge vor. Die Bestimmung lehnt sich an die Ausnahmeregelung des § 59 Abs. 2 KFG 1967 an.

Zu § 11 des Entwurfs (Gegenstand des Ersatzes):

Im 4. Abschnitt werden die für die Gefährdungshaftung des Betriebsunternehmers (Beförderers) und die Verschuldenshaftung des Halters vorgesehenen besonderen Regelungen zusammengefaßt. Mit dieser Gliederung des Gesetzentwurfs soll auch klargestelllt werden, daß die §§ 11 bis 14 nicht für die auf Grund anderer gesetzlicher Bestimmungen geltend gemachten Schadenersatzansprüche gelten.

Die vorgeschlagenen Bestimmungen über die Haftung für Kernanlagen, Kernmaterial und Radionuklide sollen nicht ein geschlossenes und eigenständiges Schadenersatzsystem für Schäden durch ionisie­rende Strahlen statuieren. Vielmehr werden nur punktuelle Sonderregelungen für diesen spezifischen Bereich getroffen, die in das allgemeine Schadenersatzrecht “eingebettet” bleiben sollen. Dies gilt insbesondere auch für die Frage, welche Ansprüche zu ersetzen sind.

Ersatzfähig sollen zunächst Schäden an der Person (§ 11 Abs. 1 des Entwurfs) sein, also die “klassischen”, bei der Tötung, der Verletzung oder der Schädigung der Gesundheit eines Menschen zu ersetzenden Schäden. Im Einzelfall geht es dabei um die Heilungskosten, den Verdienstentgang, die Kosten aus einer Vermehrung der Bedürfnisse, das Schmerzengeld, die Verunstaltungsentschädigung, den Unterhaltsentgang und letztlich auch die angemessenen Begräbniskosten (siehe die §§ 1325 ff ABGB, die §§ 12 und 13 EKHG sowie die §§ 12 und 13 Atomhaftpflichtgesetz).

Sachschäden sind nach § 11 Abs. 1 des Entwurfs ebenfalls nach den allgemeinen Grundsätzen der §§ 1323 f sowie der §§ 1331 f ABGB zu ersetzen. In Anlehnung an die §§ 15 Abs. 1 Z 2 und 29 Abs. 1 Z 2 Atomhaftpflichtgesetz wird weiters klargestellt, daß die Kosten der Beseitigung einer Strahlengefahr, die von einer kontaminierten Sache ausgeht, Sachschäden im Sinn der §§ 1323 f ABGB sind.

§ 11 Abs. 1 des Entwurfs enthält – anders als der Begutachtungsentwurf – keine Aussage über die Ersatzfähigkeit eines allfälligen entgangenen Gewinns. Damit folgt das Atomhaftungsgesetz den §§ 79a ff. GTG über die Gentechnik-Haftung, in denen der entgangene Gewinn selbst nicht ausdrücklich genannt wird. Für den Bereich der Verschuldenshaftung für Radionuklide wird die Ersatzfähigkeit des entgan­genen Gewinns nach den allgemeinen Regeln der §§ 1324 und 1331 ABGB zu prüfen sein. Für die Gefährdungshaftung des Betriebsunternehmers einer Kernanlage und des Beförderers von Kernmaterial wird es darauf ankommen, ob sich beim fraglichen Schaden die besondere Gefährlichkeit von Kernan­lagen und Kernmaterial ausgewirkt hat (vgl. Koziol, Haftpflichtrecht I3 Rz 10/19). Daraus, daß der Entwurf den entgangenen Gewinn nicht ausdrücklich erwähnt, darf also nicht der Schluß gezogen werden, daß ein solcher Anspruch unberechtigt sei (dies gilt übrigens auch für die Regelung des § 79a GTG).

Nach § 11 Abs. 2 des Entwurfs sollen auch die Kosten der Beseitigung von Umweltbeeinträchtigungen ersetzt werden. Auch hier lehnt sich der Entwurf an die für den Bereich der Gentechnik-Haftung gefundene Lösung (§ 79b GTG) an. Als Umweltbeeinträchtigung wird dabei jeder Eingriff in die Umwelt verstanden, der diese in einer Weise nachhaltig verändert, die sich von natürlichen Abläufen quantitativ, qualitativ oder in der zeitlichen Komponente merklich unterscheidet. Dabei wird es sich regelmäßig um eine Veränderung zum Negativen handeln. Unter “Umwelt” werden in Anlehnung an das Bundesverfassungsgesetz über den umfassenden Umweltschutz, BGBl. Nr. 491/1984, die Luft, das Wasser und der Boden, deren Beziehungen untereinander einerseits sowie zu allen Lebewesen anderer­seits verstanden. Ähnlich wie in der Gentechnik-Haftung muß die Beeinträchtigung der Umwelt “wesentlich” sein. Sie muß also die Schwelle der Geringfügigkeit überschreiten, um schadenersatz­rechtliche Relevanz zu erhalten.

In der allgemeinen Umwelthaftungsdiskussion wird regelmäßig zwischen zwei Erscheinungsformen von Umweltbeeinträchtigungen unterschieden, nämlich zwischen rein überindividuellen Umweltschäden (etwa das Aussterben einer bestimmten Art) und Umweltbeeinträchtigungen, die zugleich einen Individual­schaden bewirken (etwa die Kontamination eines Grundstücks). Der Entwurf erfaßt aus den im Allgemeinen Teil der Erläuterungen zu Punkt 5. dargelegten Gründen nur diesen individuellen “klassischen” Sachschaden.

Der Ersatz solcher Sachschäden, die zugleich eine Umweltbeeinträchtigung darstellen, soll nicht daran scheitern, daß die Sanierungskosten den Wert der beschädigten Sache übersteigen. Auch für die nukleare Haftung soll damit – ähnlich wie nach § 79b GTG für die Gentechnik-Haftung – die sogenannte “Total­schadensgrenze” aufgehoben werden. Voraussetzung dafür ist, daß die beschädigte Sache nicht durch den Haftpflichtigen selbst wiederhergestellt wird oder daß eine solche Wiederherstellung durch den Schädiger nicht tunlich ist. Die partielle Aufhebung der “Totalschadensgrenze” führt allerdings nicht dazu, daß die Wiederherstellungskosten in jeder beliebigen Höhe angesetzt werden können. Vielmehr ist der Geschädigte auf Grund der Schadensminderungspflicht des § 1304 ABGB (vgl. § 15 des Entwurfs) verhalten, sich mit angemessenen Maßnahmen zu begnügen.

Der Geschädigte kann den Ersatz der Wiederherstellungskosten auch vorschußweise verlangen. Um einen Mißbrauch der ihm zugekommenen Vorschüsse zu verhindern, wird er verpflichtet, die Vorschuß­leistung in einem den Wert der beschädigten Sache übersteigenden Ausmaß zurückzuerstatten, wenn er nicht innerhalb angemessener Zeit den vorigen Zustand wiederherstellt. Welcher Zeitraum angemessen ist, wird vom Ausmaß und von der Komplexität der Umweltbeeinträchtigung, vom Umfang und von der Dauer der Maßnahmen und von der dem Geschädigten nach den Umständen zuzubilligenden Zeitspanne für das Ingangsetzen der erforderlichen Arbeiten abhängen. Mißlingt die Wiederherstellung aus nicht beim Geschädigten liegenden Gründen, so wird ein Erstattungsanspruch des vorschußpflichtigen Schädigers nicht in Frage kommen.

Die Haftung für Umweltbeeinträchtigungen wird bei der Verwendung von Radionukliden selten eine Rolle spielen. Bestimmte Vorfälle im Umgang mit solchen Materialien im Ausland lassen es aber geraten erscheinen, diese Haftungskategorie auch für die Halterhaftung für Radionuklide vorzusehen.

Nach § 11 Abs. 3 des Entwurfs sollen weiters die Kosten vorbeugender Maßnahmen zur Abwehr der von einer Kernanlage, von Kernmaterial oder von Radioinukliden ausgehenden unmittelbaren Gefahr ersetzt werden. Auch hier kann sich der Entwurf auf eine – in Art. I lit. f sublit. vi – im SCC vorgesehene Regelung beziehen, wobei allerdings ein Kostenersatz auch dann gebühren soll, wenn die betreffende Maßnahme nicht von einer “zuständigen Stelle” angeordnet worden ist (siehe Art. I lit. h SCC).

Vor allem der Vorfall im Reaktor von Three-Miles-Island, der letztlich zwar beherrschbar war, aber doch umfangreiche Vorsorgemaßnahmen erforderte, hat anschaulich gezeigt, daß Regelungen über den Ausgleich einer bereits erfolgten Schädigung für die Atomhaftpflicht nicht ausreichen. Die vermögens­werten Nachteile, die Dritten aus dem Einsatz der Kernenergie drohen können, beschränken sich auf Grund des Risikopotentials dieser Technik nämlich nicht allein auf die schadenersatzrechtlich relevanten Rechtsgüter (Leib und Leben sowie körperliche Sachen) und auf Umweltbeeinträchtigungen. Vielmehr können die zur Vorbeugung solcher Schäden oder zur Verhinderung weiterer Schäden getroffenen Maßnahmen, beispielsweise großflächige Evakuierungsaktionen, aber auch vorsichtshalber ausge­sprochene Nutzungsverbote, gravierende vermögenswerte Nachteile nach sich ziehen. Daher ist es im Bereich der Atomhaftung zweckmäßig, notwendig und auch gerechtfertigt, die Kosten und die Folgen solcher vorbeugenden Maßnahmen ausdrücklich ersatzfähig zu stellen.

Für den Umgang mit Radionukliden wird diese Schadenskategorie ebenfalls nur in Ausnahmefällen bedeutsam sein. Auch in diesem Bereich sind allerdings Fälle denkbar, in denen Vorbeugemaßnahmen angezeigt sind.

Für die im Rahmen präventiver Schritte zu ersetzenden Kosten soll eine Obergrenze eingezogen werden: Nur die Aufwendungen für angemessene Maßnahmen sollen ersetzt werden. Dabei wird im Einzelfall auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip Bedacht zu nehmen sein. Darüber hinaus werden unter Heranziehung der Grundsätze des § 1304 ABGB über die Schadensminderungspflicht (siehe auch § 15 des Entwurfs) die Notwendigkeit und die Effizienz der getroffenen Vorkehrungen sowie deren Kosten im Vergleich zu in etwa ähnlich wirksamen, aber kostengünstigeren Maßnahmen zu beurteilen sein. Wesentliche Bedeutung wird hier dem Stand von Wissenschaft und Technik zukommen (siehe auch Art. I lit. l SCC).

Die Geltendmachung von Ersatzansprüchen wegen Schäden an der Person oder wegen Sachschäden (einschließlich der Kosten zur Beseitigung von Umweltbeeinträchtigungen) schließt es nicht aus, daß der Beeinträchtigte daneben auch Kosten von Vorbeugemaßnahmen geltend macht. Die Kosten solcher Vorbeugemaßnahmen sollen also nicht nur dann ersatzfähig sein, wenn dadurch ein Schaden verhindert wird, sondern auch dann, wenn es darum geht, einen bereits eingetretenen Schaden einzudämmen oder weitere Schäden zu verhindern.

Anspruch auf Ersatz der Kosten von Vorbeugemaßnahmen soll nach dem letzten Satz des § 11 Abs. 3 des Entwurfs diejenige Person haben, die diese Kosten auch tatsächlich getragen hat. Die Anspruchs­legitimation kommt somit nicht nur dem Eigentümer der bedrohten Sache zu.

Die Ersatzpflicht nach den §§ 3, 4 und 9 des Entwurfs soll nicht nur die unmittelbaren Kosten der erforderlichen Sanierungs- und Vorbeugemaßnahmen, sondern auch den durch solche Vorbeugemaßnahmen oder allgemein nach dem Schadenseintritt durch die Gefahren ionisierender Strahlen unmittelbar erwachsenen Vermögensschaden umfassen (§ 11 Abs. 4 des Entwurfs). Auch mit diesem – im Vergleich zum allgemeinen Schadenersatzrecht – umfassenderen Konzept der Entschädigung knüpft der Entwurf an die insoweit großzügigen Regeln des Art. I lit. f sublit. vi des SCC an. Die Bestimmung betrifft den auf Grund der Gefahren ionisierender Strahlen oder mit vorbeugenden Maßnahmen verbundenen Verdienstentgang der betroffenen Arbeitnehmer und Wirtschaftstreibenden. Die vorgeschlagene Ersatzfähigkeit von Vermögensschäden wird aber nur für diejenigen Wirtschafts­akteure Bedeutung haben, die unmittelbar in ihrer Erwerbstätigkeit nicht unerheblich beeinträchtigt werden. Eine allgemeine Ersatzfähigkeit bloßer Vermögensschäden im Bereich der nuklearen Haftung wird damit nicht vorgeschlagen. Ein Ersatzanspruch nach § 11 Abs. 4 des Entwurfs soll – um diese Ausführungen zu verdeutlichen – beispielsweise dem von einer Gebietssperre direkt betroffenen Arbeitnehmer oder dem von einer Evakuierung unmittelbar betroffenen Gewerbetreibenden zustehen, nicht aber einer durch ein Ernteverbot beeinträchtigten Genossenschaft oder einem durch den Ausfall von Pauschalreisen tangierten Reisebüro.

Ein charakteristisches Merkmal nuklearer Großereignisse liegt darin, daß weite Gebiete für unabsehbar lange Zeit unbewohnbar werden und geräumt werden müssen. Die damit für die Betroffenen verbundenen immateriellen Nachteile können nach geltendem Schadenersatzrecht nicht ersetzt werden, weil es sich dabei um einen – im allgemeinen nicht ersatzfähigen – ideellen Schaden handelt. § 11 Abs. 4 des Entwurfs nimmt auf diese Besonderheit Bedacht und verhält den Haftpflichtigen auch dazu, diese immateriellen Nachteile (beispielsweise aus dem Verlust der gewohnten Umgebung) zu ersetzen.

Um eine “Ausuferung” der Ersatzpflicht hintanzuhalten, sollen die in § 11 Abs. 4 des Entwurfs vorgesehenen Ersatzansprüche der Höhe nach mit dem Betrag von höchstens 560 000 Schilling je Person (also je Schadensfall) begrenzt werden. Ansonsten soll die Haftung der Höhe nach aber nicht beschränkt sein. Im übrigen sei klargestellt, daß die in § 11 Abs. 4 des Entwurfs vorgesehene Regelung nicht diejenigen Ansprüche abschneiden soll, die Dritten schon nach geltendem Schadenersatzrecht zukommen (wie etwa die Ansprüche des Dienstgebers wegen der Lohnfortzahlung für den verletzten Dienstnehmer – vgl. etwa OGH 24. 3. 1994 EvBl. 1994/135). Sie soll aber in der durch einen nuklearen Großunfall hervorgerufenen Ausnahmesituation einen über das geltende Schadenersatzrecht hinausgehenden Ersatz bestimmter Nachteile einräumen.

Zu § 12 des Entwurfs (Verursachungsvermutung):

Im Bereich der Haftung für Kernanlagen und für Kernmaterial sowie für Radionuklide können sich für die geschädigte Person gewisse Probleme beim Nachweis der Kausalität ergeben. Hier ist vor allem an erst später manifest werdende Strahlenschäden zu denken, bei denen es schwierig sein kann, den vollen Beweis der Verursachung eines Schadens durch den Betriebsunternehmer (Beförderer) oder Halter zu erbringen. So läßt sich beispielsweise bei einem erst Jahre oder Jahrzehnte nach einem Vorfall auftretenden Krebsleiden vielfach nicht mit der im Haftpflichtprozeß erforderlichen Sicherheit sagen, ob diese Krankheit auf die Folgen der künstlich erzeugten ionisierenden Strahlung oder auf andere Faktoren und Ursachen zurückzuführen ist. Ähnliche Probleme stellen sich bei Schäden, die auf den “Normalbetrieb” einer Kernanlage oder auf ein dem Geschädigten nicht bekanntes Ereignis in der Kernanlage zurückzuführen sind. Diese Situation kann sich zum Nachteil der von einem Schaden betroffenen Personen auswirken und den potentiellen Schädiger begünstigen, zumal es nicht gesichert ist, daß der Geschädigte unter Berufung auf die “Wahrscheinlichkeit der Vermutung” (vgl. Koziol, Haftpflichtrecht I3 Rz 3/39 u. 42 mwN) zumindest teilweise zu seinem Recht kommt und eine bloß anteilige Haftung des potentiellen Schädigers im Einzelfall ebenfalls keinen billigen und gerechten Ausgleich schaffen kann.

Der Entwurf sieht daher weitergehende Beweiserleichterungen für die geschädigte Person vor. Die Verursachungsvermutung kann auch einem kraft der Bestimmung des § 1327 ABGB ersatzberechtigten Dritten zugute kommen. Die vorgeschlagene Bestimmung weicht auf Grund der spezifischen Kausalitätsprobleme im Bereich der nuklearen Haftung von den Vorbildern des § 26 Abs. 5 WRG 1959 und des § 54 ForstG 1975 ab, sie läßt sich auch nur bedingt mit dem für die Gentechnik-Haftung maßgeblichen § 79d GTG vergleichen.

§ 12 Abs. 1 des Entwurfs setzt voraus, daß die geschädigte Person einer künstlich erzeugten ionisierenden Strahlung ausgesetzt war, für die ein nach diesem Bundesgesetz haftpflichtiger Betriebsunternehmer, Beförderer oder auch Halter von Radionukliden potentiell verantwortlich ist. Diese “Verstrahlung” muß von der geschädigten Person als wahrscheinlich dargetan werden. Die Vermutung der Schadensverursachung durch die dem potentiell Haftpflichtigen zuzurechnende Strahlung soll freilich nur eintreten, wenn ionisierende Strahlung generell und auch nach den Umständen des Einzelfalls dazu geeignet ist, die fraglichen Schäden herbeizuführen. Nicht vorausgesetzt wird, daß der Geschädigte ein bestimmtes Ausmaß der Strahlenbelastung dartut. Eine “Schwelle” der Verursachungsvermutung, deren Einführung von manchen Stellen im Begutachtungsverfahren angeregt worden ist, würde nicht dazu beitragen, die Anforderungen an den Kausalitätsbeweis zu erleichtern.

Dem in Anspruch genommenen Betriebsunternehmer, Beförderer oder Halter von Radionukliden wird nicht der volle Gegenbeweis gegen die Vermutung aufgelastet. Zu deren Entkräftung reicht es vielmehr aus, daß er die überwiegende Unwahrscheinlichkeit der Verursachung des Schadens durch seine Kernan­lage, durch das ihm zuzurechnende (vgl. § 3 Abs. 2 und § 4 des Entwurfs) Kernmaterial oder durch die von ihm gehaltenen Radionuklide dartut. Diese Konstruktion ist – ebenso wie § 79d GTG – mit der Bestimmung des § 7 Abs. 2 PHG vergleichbar. Von einer solchen Unwahrscheinlichkeit der Verur­sachung wird dann auszugehen sein, wenn der Betriebsunternehmer, Beförderer oder Halter dartun kann, daß der Schaden mit größerer Wahrscheinlichkeit auf andere Strahlenquellen, auf sonstige Ursachen oder auf Umstände in der Sphäre des Geschädigten zurückzuführen ist.

Nach einer Entkräftung der für seinen Standpunkt sprechenden Verursachungsvermutung bleibt es dem Geschädigten unbenommen, nach allgemeinen Regeln den Nachweis der Kausalität anzutreten. Spezielle Regeln über Beweiserleichterungen – wie etwa jene über die alternative Kausalität – können ihm auch in diesem Stadium zugute kommen.

Die Beweiserleichterung des § 12 des Entwurfs soll nur bei Schäden an der Person, nicht aber bei Sachschäden greifen. Der Entwurf hält trotz mancher gegenteiliger Forderungen im Begutachtungsver­fahren daran fest, daß sich spezifische Beweisschwierigkeiten und ein kompensatorisches Rechtsschutz­bedürfnis nur bei der Tötung, der Verletzung oder der Gesundheitsschädigung von Menschen ergeben. Auch bei bloßen Vorbeugemaßnahmen wird für die Verursachungsvermutung in der Praxis kein Bedarf bestehen.

Aus den schon zu § 9 Abs. 2 zweiter Satz dargelegten Wertungen sieht der Entwurf in § 12 Abs. 2 davon ab, die vorgesehene Verursachungsvermutung auch auf die Verwendung von Radionukliden zur ärzt­lichen Heilbehandlung zu erstrecken.

Die Beweiserleichterung geht im übrigen weiter als die Verursachungsvermutung des § 11 Abs. 1 Atomhaftpflichtgesetz, weil sie nicht darauf abstellt, daß als Schadensursache mehrere nukleare Ereignisse in Betracht kommen; auch für diesen Fall kann die vorgesehene Regelung freilich relevant sein. Die in § 11 Abs. 2 Atomhaftpflichtgesetz vorgesehene Regelung soll ebenfalls nicht übernommen werden. Vielmehr soll es in den in dieser Bestimmung geregelten Fällen nach den allgemeinen Grundsätzen des § 1302 ABGB sowie der Sonderregelung des § 18 des Entwurfs zur solidarischen Verantwortlichkeit der Haftpflichtigen kommen (vgl. Koziol, Haftpflichtrecht II2, 460).

Zu den §§ 13 und 14 des Entwurfs (Auskunftsanspruch):

In der Praxis kann die Geltendmachung eines Ersatzanspruchs gegen den Betriebsunternehmer einer Kernanlage, gegen den Beförderer von Kernmaterial und auch gegen den Halter von Radionukliden daran scheitern, daß der Geschädigte nicht über die notwendigen Informationen verfügt. Daher sieht § 13 Abs. 1 des Entwurfs einen Auskunftsanspruch des Geschädigten gegen jeden als Schadensverursacher allgemein in Betracht kommenden Betriebsunternehmer, Beförderer oder Halter vor. Dieser nach dem Vorbild des Vorschlags für ein Umwelthaftungsgesetz und in Anlehnung an die Regelung des § 79f GTG gestaltete Auskunftsanspruch soll den Geschädigten in die Lage versetzen, die für das Eingreifen der in § 12 des Entwurfs geregelten Verursachungsvermutung erforderliche Strahlenbelastung der geschä­digten Person und die Eignung der Strahlung zur Herbeiführung der fraglichen Schäden zu beweisen. Auch soll der geschädigten Person die Möglichkeit eröffnet werden, schon vorweg zu prüfen, ob und in welchem Ausmaß eine Forderung gegen den Haftpflichtigen erhoben werden kann. Damit kann der Auskunftsanspruch dazu beitragen, unnötige Kosten und unter Umständen sogar eine (weitere) gerichtliche Auseinandersetzung zu vermeiden. Anders als die in § 12 des Entwurfs vorgesehene Beweiserleichterung soll die Auskunftsverpflichtung nicht nur bei Personenschäden, sondern auch bei Sachschäden und Vorbeugeschäden eingreifen.

Zur Geltendmachung des Auskunftsanspruchs ist die geschädigte Person legitimiert. Voraussetzung des Auskunftsanspruchs ist die nach den Umständen des Einzelfalls begründete Annahme, daß ein Schaden durch ionisierende Strahlung verursacht worden ist. Dabei muß klarerweise kein strikter Beweis für die Kausalität erbracht werden, vielmehr wird es ausreichen, wenn der Auskunftswerber Umstände darlegt, die den Kausalitätszusammenhang nahelegen.

Darüber hinaus muß der Auskunftswerber nachweisen, daß der Betriebsunternehmer, Beförderer oder Halter örtlich und nach der Art der Strahlung als Verursacher in Betracht kommt. Auch diese Kriterien dürfen nicht zu eng gesehen werden, weil die Geltendmachung von Ersatzansprüchen durch die im Entwurf vorgesehenen Auskunftspflichten erleichtert, aber nicht erschwert werden soll.

Gegenstand des Auskunftsanspruchs sind alle Umstände, deren Kenntnis zur Beurteilung der Ursache und des Ausmaßes des Schadens (einschließlich der Umweltbeeinträchtigung) erforderlich sind. Dem Zweck der Auskunft entsprechend darf sich der Auskunftpflichtige nicht darauf beschränken, bloß allgemeine Auskünfte zu geben. Er muß vielmehr alle Umstände darlegen, die für die geschädigte Person zur Geltendmachung ihres Anspruchs von Interesse sein können.

Nach § 13 Abs. 2 des Entwurfs soll der Betriebsunternehmer, Beförderer oder Halter, dessen Haftpflicht in Anspruch genommen worden ist, gegen jeden anderen nach diesem Bundesgesetz potentiell Haftpflichtigen Anspruch auf Auskunft im Sinn des Abs. 1 haben. Mit dieser Regelung soll dem Haftpflichtigen ein Mittel zur Hand gegeben werden, einen gegen ihn erhobenen Anspruch ganz oder teilweise abzuwehren. Außerdem können die auf solchem Weg erlangten Informationen die Grundlage eines allfälligen Regreß- oder Ausgleichsanspruchs nach § 19 des Entwurfs bilden.

§ 13 Abs. 3 des Entwurfs schränkt die Auskunftspflicht des Betriebsunternehmers, Beförderers oder Halters ein. Zu einer solchen Auskunft soll es nicht kommen, wenn die Erteilung der Auskunft den Verpflichteten unverhältnismäßig belastet. Hiefür nennt der Entwurf verschiedene Beispiele.

§ 13 Abs. 4 des Entwurfs statuiert aus dem Gedanken der “Waffengleichheit” einen Auskunftsanspruch des Auskunftspflichtigen gegen den Auskunftswerber. Diese Regelung kann im Einzelfall die Position des Auskunftspflichtigen stärken, sei es, daß es ihm mit Hilfe der dadurch erlangten Informationen gelingt, den Auskunftsanspruch abzuwehren, sei es, daß er sich gegen das Hauptbegehren erfolgreich wehren kann. Der “Gegenauskunftsanspruch” steht unter der Bedingung, daß der Geschädigte durch die Erteilung der Auskunft nicht unverhältnismäßig belastet wird. Dabei ist vor allem an unangemessene Beeinträchtigungen der Privatsphäre zu denken.

Mit der zu § 13 Abs. 5 vorgesehenen Regelung soll schließlich vermieden werden, daß ein Schadenersatz- und Regreßberechtigter wegen der mit einem Auskunftsbegehren verbundenen Verzögerungen seinen materiellen Anspruch durch Verjährung verliert. Die Bestimmung statuiert eine Fortlaufshemmung der Verjährungsfrist.

Alle Auskunftsrechte nach § 13 des Entwurfs sollen im streitigen Zivilrechtsweg geltend gemacht werden. Ein gerichtliches Urteil soll nach den Bestimmungen über die Exekution zur Erwirkung unvertretbarer Handlungen (§§ 354 und 358 ff EO) vollstreckt werden.

§ 14 des Entwurfs sieht Regelungen zum Schutz von Geheimnissen vor, die auf Grund eines Auskunftsbegehrens nach § 13 des Entwurfs bekanntgegeben worden sind. Nach § 14 Abs. 1 sollen die durch eine Auskunft erlangten Informationen nur zur Durchsetzung von Ansprüchen nach diesem Bundesgesetz verwendet werden dürfen. Dies schließt eine Verwertung solcher Informationen bei der außergerichtlichen Schadensliquidierung ein.

§ 14 Abs. 2 des Entwurfs ermöglicht eine weitere Maßnahme zum Schutz von Geschäfts- oder Betriebsgeheimnissen oder von (anderen) auf Grund einer Auskunft nach § 13 erteilten Informationen, nämlich die Ausschließung der Öffentlichkeit in einem gerichtlichen Verfahren, in dem solche Umstände erörtert werden oder Gegenstand des Beweisverfahrens sind. Das Gericht hat den Ausschluß der Öffentlichkeit auf Antrag auch nur einer Partei zu beschließen. Die Bestimmung ähnelt dem § 26 UWG und dem § 172 Abs. 2 ZPO. Wenn im Verfahren die Öffentlichkeit ausgeschlossen worden ist, sind die darin besprochenen Geheimnisse durch § 301 Abs. 1 StGB vor der Veröffentlichung strafrechtlich geschützt.

Zu § 15 des Entwurfs (Mitverschulden):

Bei einem Zusammentreffen der Gefährdungshaftung des Betriebsunternehmers oder Beförderers oder der Verschuldenshaftung des Halters und einer mangelnden Sorgfalt des Geschädigten seinen eigenen Rechtsgütern gegenüber soll die Bestimmung des § 1304 ABGB über das Mitverschulden zur Anwendung kommen. Dies kann zu einer Minderung des Ersatzanspruchs der Geschädigten und (im Extremfall, etwa bei vorsätzlicher Beschädigung eigener Rechtsgüter) zu einem völligen Anspruchsverlust führen. Auch ergibt sich aus diesem Verweis, daß im Einzelfall die aus § 1304 ABGB abgeleiteten Grundsätze über die Schadensminderungspflicht heranzuziehen sind.

Zu § 16 des Entwurfs (Sonstige Ersatzansprüche):

Die durch andere Rechtsvorschriften der geschädigten Person eingeräumten Ansprüche auf Ersatz von Schäden sollen durch die Bestimmungen des vorliegenden Entwurfs nicht eingeschränkt oder ausgeschlossen werden. Vor allem soll, wie bereits im Allgemeinen Teil erläutert, die sogenannte “Kanalisierung der Haftung” (siehe insbesondere § 37 Atomhaftpflichtgesetz) weitestgehend beseitigt werden. Weiters sieht der Entwurf davon ab, die Haftung anderer Personen nach dem Vorbild des § 35 Atomhaftpflichtgesetz auf ein grobes Verschulden und mit einem bestimmten Haftungshöchstbetrag zu beschränken. Statt dessen soll es, soweit gesetzlich nicht anderes festgelegt ist (siehe § 15 Abs. 2 PHG), in Hinkunft grundsätzlich zur Anspruchskonkurrenz kommen. Dies impliziert auch, daß solche Ansprüche in der Regel gerichtlich geltend gemacht werden können. Damit entspricht das Atomhaftungsgesetz 1999 dem Standard anderer Sonderhaftpflichtgesetze, die neben der Gefährdungshaftung die Geltendmachung anderer Ansprüche auf Grund anderer Rechtsgrundlagen nicht einschränken.

Wie bereits im Allgemeinen Teil dargelegt worden ist (siehe die Ausführungen zu Punkt 4.), kann die Haftungskanalisierung dem Geschädigten auch zum Vorteil gereichen: Sofern nämlich ein ausreichender Deckungsfonds vorhanden ist, kann ein solches System in seinem Interesse liegen, zumal er auf diesen Deckungsfonds unabhängig davon greifen kann, ob der Schaden auf ein Verschulden Dritter zurückzuführen ist. Das System der Haftungskanalisierung ist aus der Sicht des Geschädigten also durchaus differenziert zu sehen. Der Entwurf versucht nun (§ 16 Abs. 2), dieser Interessenlage dadurch Rechnung zu tragen, daß er den Geschädigten auf die im Rahmen der Haftung des Betriebsunternehmers zur Verfügung stehenden Entschädigungsmittel verweist. Soweit er aus diesen Mitteln entschädigt werden kann, soll er nicht “Zulieferer” und andere Dritte, die für den Betriebsunternehmer Leistungen erbracht haben (etwa Anlagenkonstrukteure), in Anspruch nehmen.

Die gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen gegen solche Personen setzt zunächst voraus, daß eine vorherige Klagsführung gegen den Betriebsunternehmer der Kernanlage voraussichtlich nicht zur vollen Befriedung des Geschädigten führt. Die Beweislast dafür trifft jedoch nicht den Geschädigten. Vielmehr muß der beklagte “Zulieferer” nachweisen, daß der Geschädigte in angemessener Frist eine Entschei­dung gegen den Betriebsunternehmer erwirken kann, daß diese Entscheidung auch durchgesetzt werden kann und daß ausreichende Mittel für die Befriedigung des Anspruchs vorhanden sind (§ 16 Abs. 2 Z 1 bis 3 des Entwurfs). Dieser Beweis wird dem “Zulieferer” jedenfalls dann gelingen, wenn eine Klags­führung in Österreich erfolgversprechend ist, weil sie entweder in Österreich oder in einem Staat vollstreckt werden kann, mit dem dies staatsvertraglich vereinbart ist und eine ausreichend hohe Deckungsvorsorge (zB durch eine Haftpflichtversicherung oder einen “Staatseintritt”) zur Verfügung steht, auf die der Geschädigte bei der Vollstreckung des österreichischen Urteils auch greifen kann.

Bei der Auslegung des § 16 Abs. 2 Z 1 des Entwurfs kann davon ausgegangen werden, daß eine Klagsführung in Österreich eine Entscheidung “in angemessener Frist” erwarten läßt; eine vergleichbare Effizienz und Schnelligkeit wäre auch von einem ausländischen Verfahren zu fordern. Soweit der Betriebsunternehmer über Vermögen in Österreich (auch über Ansprüche aus einem dem österreichischen Recht unterliegenden Versicherungsvertrag) verfügt, werden auch die Voraussetzungen der vorgeschlagenen Z 2 und 3 erfüllt sein.

Wenn durch den vorhandenen und für den Geschädigten greifbaren Deckungsfonds nur ein Teil seiner Ansprüche abgedeckt wird, kann er den ungedeckten Rest – auch schon vorweg – gegen den Zulieferer gerichtlich geltend machen.

§ 16 Abs. 2 des Entwurfs schließt es im übrigen nicht aus, daß der “Zulieferer” den Geschädigten außergerichtlich befriedigt, auch wenn auf Grund der in den Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen die Klagbarkeit noch nicht gegeben ist. Dem Geschädigten steht also von vornherein zumindest eine Naturalobligation zu, deren Erfüllung durch den “Zulieferer” ohne Bedachtnahme auf die vom Entwurf statuierten Voraussetzungen möglich ist (und dann nicht zum bereicherungsrechtlichen Rückersatz führt).

Liegen die Voraussetzungen des § 16 Abs. 2 des Entwurfs im Einzelfall kumulativ vor, so ist die Klage abzuweisen. Wenn sich nach einem abweisenden Erkenntnis herausstellt, daß die Voraussetzungen nicht gegeben waren, so kann der Anspruch im Wege einer Wiederaufnahme (§ 530 Abs. 1 Z 7 ZPO) durch­gesetzt werden.

Zu § 17 des Entwurfs (Haftung für Gehilfen):

Nach dem Vorbild des § 19 Abs. 2 EKHG sollen der Betriebsunternehmer einer Kernanlage, der Beförderer von Kernmaterialien sowie der Halter eines Radionuklides auch für das Verschulden seiner Leute eintreten, soweit deren Tätigkeit den Schaden verursacht hat. Als “Leute” (Gehilfen) im Sinn des § 17 des Entwurfs werden alle Personen anzusehen sein, die mit dem Willen des Haftpflichtigen bei der betreffenden Tätigkeit mitgewirkt haben.

Zu § 18 des Entwurfs (Haftung mehrerer Haftpflichtiger):

Mit dieser Bestimmung soll ausdrücklich bekräftigt werden, daß mehrere nach diesem Entwurf oder anderen Bestimmungen haftpflichtige Personen der geschädigten Person solidarisch einzustehen haben, soweit sich die den einzelnen Haftpflichtigen zuzurechenden Schäden nicht auseinanderhalten lassen (vgl. § 1302 ABGB). Zur solidarischen Haftung soll es auch dann kommen, wenn die Haftpflicht mehrerer Personen auf unterschiedlichen Rechtsgrundlagen beruht, beispielsweise, wenn ein Beförderer von Kernmaterialien nach § 4 des Entwurfs und der Halter eines Kraftfahrzeugs nach den Bestimmungen des EKHG verantwortlich sind. Dabei soll aber jeder solidarisch Haftpflichtige nur nach den für ihn geltenden Bestimmungen einstehen. Diese Regelung impliziert, daß sich ein nach anderen Rechtsvorschriften Haftpflichtiger auf die in diesen Rechtsvorschriften vorgesehenen Haftungshöchstgrenzen (im vorliegenden Beispiel auf die §§ 15 und 16 EKHG) berufen kann.

Zu § 19 des Entwurfs (Rückgriffs- und Ausgleichsansprüche):

Die Bestimmung regelt nach dem Vorbild des § 11 EKHG und des § 152 LFG die Rückgriffs- und Ausgleichsansprüche mehrerer nach dem Entwurf oder auch nach anderen Rechtsvorschriften haftpflichtiger Personen (die gemäß § 18 des Entwurfs dem Geschädigten solidarisch einzustehen haben). Die Verpflichtung zum Ersatz und dessen Umfang sollen von den Umständen des Einzelfalls abhängen. Im besonderen wird es dabei darauf ankommen, inwieweit der Schaden zumindest mit Wahrscheinlichkeit von dem einen oder anderen Haftpflichtigen verschuldet oder sonst verursacht worden ist. Darüber hinaus (arg. “insbesondere”) wird – ohne daß dies ausdrücklich gesagt werden muß – das Gefahrenpo­tential, für das der jeweils Haftpflichtige einzustehen hat, bei der Abwägung eine Rolle spielen, sei es, daß dieser Umstand neben einem Verschulden oder einem bestimmten Verursachungsanteil zu beachten ist, sei es, daß nur auf das jeweilige Gefahrenpotential der verschiedenen Tätigkeiten abgestellt wird. Dem Betrieb einer Kernanlage und dem Transport von Kernmaterial wird in diesem Sinn auf Grund des damit verbundenen hohen Gefahrenpotentials faktisch immer eine wesentliche Bedeutung bei der im Rückgriffs- und Ausgleichsverhältnis maßgebenden Abwägung zukommen.

Ähnlich wie bei der solidarischen Verantwortlichkeit mehrerer Haftpflichtiger (siehe die Erläuterungen zur vorangegangenen Bestimmung) soll auch im Rückgriffs- und Ausgleichsverhältnis jeder der mehreren Haftpflichtigen nur nach den für ihn geltenden Bestimmungen einzustehen haben.

§ 19 Abs. 3 des Entwurfs beschränkt den Regreßanspruch des Betriebsunternehmers einer Kernanlage auf diejenigen Fälle, in denen dem an sich Regreßpflichtigen Absicht zur Last zu legen ist oder ein solcher Rückersatz vertraglich vereinbart worden ist. Ähnliche Regelungen sind auch dem internationalen Atomhaftungsregime geläufig. Die vorgeschlagene Bestimmung kann auch dann zum Tragen kommen, wenn sich die Ersatzpflicht des Betriebsunternehmers nicht nach diesem Bundesgesetz richtet (weil sie nach ausländischem Recht zu beurteilen ist); dabei wird allerdings vorausgesetzt, daß das Verhältnis zwischen dem Betriebsunternehmer und dem Regreßpflichtigen österreichischem Recht unterliegt. Zweck des vorgeschlagenen § 19 Abs. 3 ist es, wirtschaftliche Nachteile von allenfalls Regreßpflichtigen im Verhältnis zu Konkurrenten, denen ein solcher Regreßausschluß zugute kommt, hintanzuhalten. Die Position des Geschädigten wird dadurch in keiner Weise beeinträchtigt.

Zu § 20 des Entwurfs (Verjährung):

Die vorgeschlagene Bestimmung entspricht im wesentlichen der allgemeinen Regelung des § 1489 ABGB. Anders als nach § 34 Abs. 1 Atomhaftpflichtgesetz soll auch die Herbeiführung des Schadens durch eine oder mehrere strafbare Handlungen, die nur vorsätzlich begangen werden können und mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedroht sind, zur “langen” dreißigjährigen Verjährungsfrist führen. Im übrigen sollen die allgemeinen Grundsätze des bürgerlichen Rechts über die Verjährung gelten. Die Verjährungsfrist von 30 Jahren soll erst mit dem Eintritt des Schadens (nicht etwa der Schadens­verursachung) beginnen, um eine angemessene Entschädigung für allfällige Spätschäden zu gewähr­leisten. Für den Ersatz von Vorbeugemaßnahmen soll es – einer Anregung aus dem Begutachtungs­verfahren folgend – für den Verjährungsbeginn auf den Zeitpunkt der Kostentragung durch den Betroffenen ankommen.

Zu § 21 des Entwurfs (Unwirksame Vereinbarungen):

Die vorgeschlagene Bestimmung entspricht für die Haftpflicht des Betriebsunternehmers einer Kernan­lage und für den Beförderer von Kernmaterial im wesentlichen der Regelung des § 8 Atomhaftpflicht­gesetz. Der Entwurf dehnt die Unwirksamkeit von Freizeichnungen für Schäden an der Person aber auch auf die Haftung für Radionuklide aus. Damit schreibt er die Tendenz, vertragliche Vereinbarungen eines Haftungsausschlusses zurückzudrängen, fort. Für die Freizeichnung von Sachschäden sollen die hiefür entwickelten allgemeinen Grund- und Rechtssätze ebenso wie gesetzliche Sonderregelungen Anwendung finden.

Zu § 22 des Entwurfs (Gerichtsstand):

§ 22 des Entwurfs sieht für Klagen und einstweilige Verfügungen wegen Personen- oder Sachschäden durch ionisierende Strahlung sowie der Kosten von Vorbeugemaßnahmen eine neben die allgemeinen Zuständigkeitsregeln tretende wahlweise Zuständigkeit des Landesgerichts vor, in dessen Sprengel der Schaden verursacht worden ist. Damit gibt der Entwurf das Prinzip des § 42 Atomhaftpflichtgesetz, der eine Konzentration von Rechtsstreitigkeiten bei einem einzigen Gericht zur Vermeidung von “Doppel­geleisigkeiten” statuiert, auf. Dies hängt vor allem damit zusammen, daß in Hinkunft keine Haftungs­höchstbeträge vorgesehen sind und auch keine “Verteilungsordnung” im Sinn des § 16 Atomhaft­pflichtgesetz vorgeschlagen wird. Der Gerichtsstand soll darüber hinaus insbesondere (aber nicht nur) für diejenigen Schäden, die zwar im Ausland verursacht worden, aber in Österreich eingetreten sind, bestehen, hier soll das Landesgericht, in dessen Sprengel sich der Schaden ausgewirkt hat, zuständig sein. Damit geht der Entwurf weiter als der Wahlgerichtsstand nach § 92a JN, er steht auch im Gegensatz zu Art. XIII SCC, wo – vereinfacht gesagt – eine ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte jenes Staates vorgesehen ist, auf dessen Hoheitsgebiet sich das Ereignis zugetragen hat.

Die Eigenzuständigkeit des Landesgerichts soll auf Grund der zu gewärtigenden Komplexität atom­haftungsrechtlicher Streitigkeiten beibehalten werden.

Die zur Diskussion gestellte Regelung kann insbesondere im Verhältnis zu Staaten, die einer internationalen Atomhaftungskonvention angehören, zu Problemen bei der Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen im Ausland führen (vgl. die Erläuterungen am Ende von Punkt 2. des Allgemeinen Teils). Sie erscheint aber unumgänglich, um gerade für Schäden, die vom Ausland auf Österreich einwirken, im Interesse der in Österreich Geschädigten eine Klagemöglichkeit im Inland zu schaffen. Eine Klage oder Eilmaßnahme, die ein in Österreich Geschädigter in einem fremden Staat auf Grund der dort maßgeben­den Zuständigkeitsregeln einbringt, wird dadurch im übrigen nicht ausgeschlossen.

Zu § 23 des Entwurfs (Anzuwendendes Recht):

Das Potential zur Verursachung von Schäden durch ionisierende Strahlen ist in Österreich bedeutend geringer als im Ausland. Da aber bekanntermaßen Unfälle in Atomreaktoren ihre schädigenden Kreise sehr weit ziehen können, auch über mehrere Staatsgrenzen hinweg, ist aus österreichischer Sicht der im Ausland verursachte, im Inland eingetretene Schaden geradezu der typische Fall. Die Frage des anzuwendenden Rechts wird sich also regelmäßig stellen. Besondere Bedeutung gewinnt diese Frage dadurch, daß die rechtlichen Grundlagen, nach denen solche Schäden ersetzt werden, in vielen Staaten, von denen potentiell ein Risiko für Österreich ausgeht, unzureichend sind, weil sie oft nicht zu vollem Schadenersatz führen. Die allgemeine Regel des § 48 IPRG, wonach grundsätzlich außervertragliche Schadenersatzansprüche nach dem Recht des Staates zu beurteilen sind, in dem das den Schaden verursachende Verhalten gesetzt worden ist, soll durch eine Sonderkollisionsnorm (§ 23 Abs. 1 des Entwurfs) ergänzt werden, damit das Hauptziel des Gesetzes, allfällige Schäden möglichst vollkommen auszugleichen, erreicht werden kann.

Auf den ersten Blick begünstigt die vorgeschlagene Bestimmung den Geschädigten, indem sie ihm eine einseitige Rechtswahlmöglichkeit einräumt. Tatsächlich versucht sie aber nur, die im materiellen Recht anderer Staaten begründete Privilegierung des Schädigers auszugleichen. Für den Schädiger kann die Maßgeblichkeit eines anderen als des Rechts des Staates der Schadensverursachung nicht überraschend sein, weil er wissen und damit rechnen muß, daß seine Tätigkeit zu Schäden auch im Ausland führen kann, daß solche Schäden geradezu typisch sind. Kein Zweifel kann darüber bestehen, daß die hier zu beurteilenden Sachverhalte eine sehr enge Beziehung zum Staat des Schadenseintritts haben, die eine Anknüpfung an dieses Recht rechtfertigen.

Die vorliegende Sonderkollisionsnorm, die in ihrem Anwendungsbereich § 48 IPRG verdrängt, soll möglichst wenig in das allgemeine Regime eingreifen, daher sind ihr Anwendungsvoraussetzungen gesetzt: Es muß sich um einen außervertraglichen Schadenersatzanspruch handeln, der Schaden muß durch ionisierende Strahlen entstanden sein und schließlich muß der Schaden in Österreich eingetreten sein. Ist eine dieser Voraussetzungen nicht gegeben, so bleiben die Bestimmungen des IPR-Gesetzes anzuwenden. Die Anwendung der Sondernorm setzt aber nicht voraus, daß der Geschädigte Österreicher ist oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich hat.

Sind diese Voraussetzungen gegeben, so kann der Geschädigte – obwohl nach § 48 IPRG fremdes Recht maßgebend wäre, weil das den Schaden verursachende Verhalten im Ausland gesetzt worden ist – einseitig österreichisches Recht wählen. Macht der Geschädigte von dieser Möglichkeit Gebrauch, dann ist der gesamte Anspruch im sachlichen Anwendungsbereich des Deliktstatuts im Sinn des § 48 IPRG nach materiellem österreichischen Recht zu beurteilen. Das österreichische IPR bleibt dann außer Betracht (vgl. § 11 Abs. 1 IPRG).

Die Bestimmung berührt nicht die Möglichkeit des Haftpflichtigen und des Anspruchsberechtigten, gemeinsam nach § 35 IPRG ein anderes Recht zu wählen. Auch die in § 48 Abs. 1 zweiter Satz IPRG vorgesehene Auflockerung des allgemeinen Deliktstatuts bleibt anzuwenden, wenn der Geschädigte von der Wahlmöglichkeit nach der vorliegenden Bestimmung nicht Gebrauch gemacht hat.

Während nach den meisten Rechtsordnungen die Haftung für Schäden durch ionisierende Strahlen auf den Betreiber einer Kernanlage kanalisiert ist, also neben diesem niemand haftet, sollen nach dem Entwurf auch andere rechtswidrig und schuldhaft handelnde Personen haftbar sein, etwa der “Zulieferer” eines mangelhaften Teils oder der Konstrukteur einer Anlage. Dies kann zu einer unausgewogenen Situation führen, weil etwa ein der Haftung nach dem Entwurf unterliegender “Zulieferer” einem höheren Haftungsrisiko als sein Konkurrent ausgesetzt wäre, ohne daß in reinen Auslandsfällen österreichischen Geschädigten eine bessere Aussicht auf Ersatz gegenüberstünde. Dieser Unausgewogenheit, die sich aus dem internationalen “Haftungsgefälle” ergibt, soll durch eine Art Gegenseitigkeitsbestimmung (§ 23 Abs. 2 des Entwurfs) begegnet werden.

Das in der Regel strengere österreichische Recht soll bei Schäden im Ausland nur Anwendung finden, wenn das Personalstatut des Geschädigten eine ebenso strenge Haftung vorsieht. Ein der Haftung nach dem Entwurf unterliegender “Zulieferer” soll – um im Beispiel zu bleiben – zwar einem im Ausland geschädigten Österreicher (wenn österreichisches Recht maßgebend sein sollte), nicht aber etwa dem Angehörigen eines Staates, der die Haftung auf den Betreiber kanalisiert, verantwortlich sein.

Da mit der vorliegenden Bestimmung in bestimmten Fällen die strengere Haftung nach österreichischem Recht vermieden werden soll, kommt sie grundsätzlich nur dann zum Tragen, wenn aus der Sicht des Forumstaates österreichisches Recht maßgebend ist. Nach den meisten Kollisionsrechten richtet sich die Deliktshaftung entweder nach dem Recht des Handlungsorts oder (manchmal auch wahlweise) des Erfolgsorts. In besonderen Fällen kann das Recht des Staates maßgebend sein, zu dem – auf Grund der besonderen Fallgestaltung – eine engere Nahebeziehung zu einer anderen Rechtsordnung besteht. Da für in Österreich entstandene Schäden (österreichischer Erfolgsort) keine Ausnahmen gelten sollen und mangels eines Risikopotentials in Österreich der Handlungsort kaum in Österreich gelegen sein wird, wird die Bestimmung praktisch nur bei den erwähnten besonderen Fallgestaltungen oder dann zum Tragen kommen, wenn das IPR des Forums ungewöhnlicherweise auf das Personalstatut des Schädigers abstellt. (Eine solche Verweisung auf österreichisches Recht wäre in einem Verfahren vor österreichischen Gerichten zu beachten, weil die Verweisung des § 48 IPRG eine Gesamtverweisung ist und die Rückverweisung des erstverwiesenen Rechts auf österreichisches Recht gemäß § 5 IPRG zu beachten wäre.)

Im Ergebnis wird die Bestimmung nur in jenen seltenen Fällen anzuwenden sein, in denen auf Grund einer ungewöhnlichen kollisionsrechtlichen Lage österreichisches Recht zur Anwendung berufen wäre, obwohl sowohl Handlungsort als auch Erfolgsort im Ausland gelegen sind.

Es ist zwar ungewöhnlich und für den potentiell Haftpflichtigen kaum kalkulierbar, daß kollisions­rechtlich das Personalstatut des Geschädigten eine Rolle spielt. Andere, vielleicht sachnähere Anknüpfungen, etwa an das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des Geschädigten, würden aber nicht zu dem gewünschten Ergebnis führen. Der geschädigte Österreicher mit dem gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland würde vom österreichischen Zulieferer keinen Ersatz auf Grund des österreichischen Rechts erhalten.

Das Personalstatut des Geschädigten ist nach den §§ 9 und 10 IPRG zu bestimmen. Dieses Personalstatut des Geschädigten soll die Haftung nach österreichischem Recht nicht nur hinsichtlich der Person des Haftpflichtigen (Kanalisierung der Haftung oder nicht) begrenzen, sondern auch hinsichtlich anderer Kriterien, wie etwa des Haftungsumfangs.

Zu § 24 des Entwurfs (Direktklage):

Nach dem Vorbild des § 166 LFG sieht § 24 des Entwurfs die Möglichkeit einer “Direktklage” der geschädigten Person gegen einen oder auch mehrere Haftpflichtversicherer des Haftpflichtigen (nicht aber gegen den oder die Rückversicherer) vor. Eine derartige, im Interesse des Geschädigten liegende Maßnahme läßt auch Art. 3 Z 9 des Anhangs zum SCC zu. Die positiven mit der Direktklage gemachten Erfahrungen im Bereich anderer Pflichtversicherungen sprechen dafür, dieses Instrument auch für die im Rahmen der Sicherstellungspflichten nach diesem Bundesgesetz eingegangenen Haftpflichtversicherungs­verträge vorzusehen.

Ein unmittelbares Klagerecht soll dem Geschädigten auch in denjenigen Fällen zukommen, in denen der Bund oder ein Land im Wege einer Haftungserklärung eintritt.

Zu § 25 des Entwurfs (Strafbestimmungen):

Die vorgeschlagenen Verwaltungsstrafbestimmungen sollen die Verpflichtung zur Sicherstellung absichern. Im übrigen entspricht die Regelung im wesentlichen dem § 44 Atomhaftpflichtgesetz. Die im Begutachtungsentwurf vorgesehenen Strafrahmen sind auf Grund verfassungsrechtlicher Bedenken herabgesetzt worden. Es ist nicht erforderlich, die in § 25 des Entwurfs enthaltenen Tatbestände in das gerichtliche Strafrecht zu transferieren. Die Ermächtigung zum Verfall soll nicht übernommen werden, zumal dafür kein praktischer Bedarf besteht.

Zu den §§ 26 bis 31 des Entwurfs (Vollzugs- und Schlußbestimmungen):


Im 6. Abschnitt werden die notwendigen Schlußbestimmungen getroffen.

§ 26 des Entwurfs enthält die erforderliche Verweisungsbestimmung.

§ 27 des Entwurfs stellt auf Grund mancher Bedenken im Begutachtungsverfahren ausdrücklich klar, daß insbesondere die Vorschriften über die Sozialversicherung unberührt bleiben (vgl. auch § 41 Atomhaftpflichtgesetz). Dies wird insbesondere auch für das Dienstgeberprivileg des § 334 ASVG gelten.

§ 28 des Entwurfs regelt die Vollzugszuständigkeiten.

§ 29 sieht als Datum des Inkrafttretens den 1. Jänner 1999 vor. Die Neuordnung der Atomhaftung soll zur Vermeidung allfälliger Rückwirkungsprobleme nur für die nach dem Zeitpunkt des Inkrafttretens verursachten Schäden gelten. Dies soll auch für das Verhalten (Handeln oder Unterlassen) von dritten haftenden Personen im Sinn des § 16 des Entwurfs ausdrücklich klargestellt werden.

§ 30 des Entwurfs statuiert eine Berichtspflicht der Bundesregierung, die sicherstellen soll, daß die Frage, ob und inwieweit ein Beitritt Österreichs zu einer internationalen Atomhaftungskonvention – unter entsprechenden Änderungen bzw. Anpassungen des vorliegenden Entwurfs – im Interesse der österreichischen Geschädigten liegt, weiterhin nicht außer acht gelassen werden soll.

§ 31 des Entwurfs verfügt schließlich, daß das geltende Atomhaftpflichtgesetz außer Kraft treten soll.