1472 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XX. GP

Nachdruck vom 20. 11. 1998

Regierungsvorlage


Bundesgesetz, mit dem das Verbrechensopfergesetz geändert wird

Der Nationalrat hat beschlossen:

Änderung des Verbrechensopfergesetzes

Das Verbrechensopfergesetz, BGBl. Nr. 288/1972, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 139/1997, wird wie folgt geändert:

1. Dem § 4 wird folgender Abs. 5 angefügt:

“(5) Erbringt der Träger der Krankenversicherung auf Grund der Satzung dem Beschädigten oder dem Hinterbliebenen einen Kostenzuschuß für psychotherapeutische Krankenbehandlung infolge einer Handlung im Sinne des § 1 Abs. 2, so sind die Kosten für die vom Träger der Krankenversicherung bewilligte Anzahl der Sitzungen, die der Beschädigte oder der Hinterbliebene selbst zu tragen hat, bis zur Höhe des dreifachen Betrages des Kostenzuschusses des Trägers der Krankenversicherung zu über­nehmen.”

2. Der bisherige § 15b erhält die Absatzbezeichnung “(1)”; folgender Abs. 2 wird angefügt:

“(2) Wurde die Handlung im Sinne des § 1 Abs. 2 vor dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. xxx/xxxx gesetzt, gilt § 10 Abs. 1 für Ansuchen auf Kostenersatz nach § 4 Abs. 5 mit der Maßgabe, daß die Zweijahresfrist für das Ansuchen mit 1. Jänner 1999 beginnt.”

3. Dem § 16 wird folgender Abs. 5 angefügt:

“(5) § 4 Abs. 5 und § 15b in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. xxx/xxxx treten mit 1. Jänner 1999 in Kraft. § 4 Abs. 5 ist nach Maßgabe der Abs. 2 und 3 anzuwenden.”

Vorblatt

Problem:

Verbrechensopfer haben nach der derzeitigen Gesetzeslage für kausale psychotherapeutische Behand­lungen oft erhebliche Eigenmittel selbst aufzubringen, sofern der Schädiger keinen Ersatz leistet.

Ziel:

Verbesserung der materiellen Lage von Verbrechensopfern, die psychotherapeutische Behandlungen in Anspruch nehmen müssen.

Inhalt:

Übernahme der Selbstkosten für die kausalen psychotherapeutischen Behandlungen von Verbrechens­opfern und deren Hinterbliebenen, sofern der zuständige Krankenversicherungsträger einen Kostenzu­schuß leistet.

Alternativen:

Beibehaltung des bisherigen Zustandes.

Kosten:

1999: 3,2 Millionen Schilling

2000: 3,2 Millionen Schilling

2001: 3,0 Millionen Schilling

EU-Konformität:

Gegeben.

Erläuterungen


Allgemeiner Teil

1. Inhalt der Novelle

Der Gewalt in der Gesellschaft soll mit einer Fülle von präventiv-wirkenden, interventionistischen, rehabilitativen, therapeutischen sowie öffentlichkeitsbezogenen Maßnahmen entgegengewirkt und der Bereich der Opferhilfe durch ressortspezifische Maßnahmen ausgeweitet werden.

Im Zusammenhang mit den Änderungen im Straf- und Strafprozeßrecht wurde immer wieder die Forderung nach Übernahme der Therapiekosten für Verbrechensopfer erhoben. Dieses Anliegen wurde auch in der Entschließung des Nationalrates vom 26. Februar 1998, E-105-NR,XX.GP, artikuliert.

Die Realisierung von Maßnahmen zur Verbesserung der materiellen Hilfe fällt in den Bereich des Verbrechensopfergesetzes. Das System des Verbrechensopfergesetzes sieht vor, daß staatliche Hilfe in Form von Vorleistungen gewährt wird. Der Bund fordert die von ihm erbrachten Leistungen vom Schädiger im Regreßweg zurück. Mit dem vorliegenden Entwurf soll das Verbrechensopfergesetz den geänderten Rahmenbedingungen angepaßt werden. Es ist vorgesehen, unter Beibehaltung der primären Leistungszuständigkeit des Krankenversicherungsträgers, die Selbstkosten für psychotherapeutische Behandlungen im Rahmen der Heilfürsorge gemäß § 4 VOG zu übernehmen.

Es bestehen derzeit verschiedene Möglichkeiten, eine psychotherapeutische Behandlung in Anspruch zu nehmen.

Für Versicherte ist eine psychotherapeutische Behandlung dann mit keinen Kosten verbunden, wenn sie von einem Facharzt durchgeführt wird. In einigen Bundesländern haben Krankenversicherungsträger Vereinbarungen mit Vereinen geschlossen, die für Versicherte psychotherapeutische Behandlungen anbieten. Die Gebietskrankenkassen in Wien und Oberösterreich verfügen über eigene Einrichtungen, in denen psychotherapeutische Behandlungen erbracht werden.

Eine psychotherapeutische Behandlung ist dann mit Kosten verbunden, wenn ein freiberuflich tätiger Psychotherapeut in Anspruch genommen wird. In diesem Fall sehen die Satzungen der Kranken­versicherungsträger die Erbringung eines Kostenzuschusses je Therapiestunde vor.

Nach der geltenden Rechtslage erhalten Verbrechensopfer und Hinterbliebene im Rahmen der Heilfür­sorge gemäß § 4 VOG grundsätzlich auch psychotherapeutische Behandlung. Der Anspruch besteht allerdings nur im Umfang der Leistungspflicht des zuständigen Krankenversicherungsträgers. Für den Fall der Inanspruchnahme eines freiberuflichen Psychotherapeuten bedeutet dies derzeit, daß Versicherten über den Kostenzuschuß des Krankenversicherungsträgers hinaus kein Ersatz geleistet werden kann und Nichtversicherten die Hilfe lediglich in Höhe des Kostenzuschusses der Gebietskrankenkasse zu erbringen ist. Für kausale psychotherapeutische Behandlungen sind demnach oft erhebliche Eigenmittel aufzu­bringen, sofern der Schädiger keinen Ersatz leistet.

Unter Berücksichtigung der breiten Diskussion der erforderlichen Maßnahmen für Mißbrauchsopfer ist die bestehende Rechtslage unbefriedigend und nicht mehr zeitgemäß. Eine kriminelle Gewalttat zu erleiden gehört zu den krisenhaftesten Erlebnissen des Menschen. Von den Opfern werden Schäden im psychischen Bereich als besonders schwerwiegend empfunden.

Mit dem vorliegenden Entwurf soll eine Verbesserung der Situation erreicht werden. Es sollen die Selbstkosten für kausale psychotherapeutische Behandlungen nach dem Verbrechensopfergesetz übernommen werden, sofern der zuständige Krankenversicherungsträger einen Kostenzuschuß leistet. Wenngleich der Therapiebedarf bei (minderjährigen) Opfern sexueller Gewalt am höchsten einzuschätzen sein dürfte, können selbstverständlich auch bei schweren Körperverletzungen bzw. Verunstaltungen seelische Krankheiten nicht ausgeschlossen werden, sodaß die Hilfe nicht auf bestimmte strafrechtliche Delikte eingeschränkt werden soll. Weiters sollen auch Hinterbliebene, die auf Grund des Todes des Unterhaltspflichtigen durch eine Handlung im Sinne des § 1 Abs. 2 VOG eine seelische Krankheit erlitten haben, in die Regelung miteinbezogen werden.

Die Kostenübernahme soll auch dann erfolgen, wenn die Handlung im Sinne des § 1 Abs. 2 VOG vor dem Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes gesetzt wurde. Sie kommt somit für alle vom zeitlichen Geltungsbereich des Verbrechensopfergesetzes umfaßten Personen in Betracht. Allerdings sollen die Kosten nur für psychotherapeutische Behandlungen ab dem Inkrafttreten der Neuregelung übernommen werden.

Die vorgeschlagenen Regelungen stützen sich auf Art. 17 Abs. 1 B-VG.

2. Kosten

Bei der Ermittlung des durch diese Novelle bedingten finanziellen Mehraufwandes ist einerseits zu berücksichtigen, daß nicht sämtliche Opfer von Gewaltdelikten Hilfe nach dem Verbrechensopfergesetz in Anspruch nehmen und andererseits gerade bei dieser Personengruppe – vor allem bei Mißbrauchsopfern – ein besonders hoher Therapiebedarf vorliegt. Nach dem Verbrechensopfergesetz wird jährlich etwa 250 Verbrechensopfern Hilfe geleistet. Diese im Vergleich zur Kriminalstatistik relativ geringe Zahl von entschädigten Opfern ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß Opfer und Hinterbliebene auf Grund der umfassenden sozialrechtlichen Absicherung in Österreich (insbesondere Pensionen und Renten aus der Sozialversicherung) oft keinen ungedeckten Schaden in Form von Verdienst- und Unterhaltsentgang erleiden und auch ein Krankenversicherungsschutz besteht. Die neue rechtsetzende Maßnahme wird insofern eine Ausdehnung des anspruchsberechtigten Personenkreises bewirken, als auch sozialrechtlich abgesicherte Opfer Selbstkosten für psychotherapeutische Behandlungen zu tragen haben. Da nur ein geringer Teil der Bevölkerung, der als therapiebedürftig eingeschätzt wird, sich tatsächlich in psychotherapeutische Behandlung begibt, kann davon ausgegangen werden, daß auch nur ein kleiner Prozentsatz der nunmehr ebenfalls für Hilfeleistungen in Betracht kommenden Verbrechensopfer sich wegen einer psychischen Krankheit behandeln läßt. Außerdem erhält erfahrungsgemäß ein knappes Drittel der Psychotherapie-Klienten psychotherapeutische Hilfe ohne eigene Zuzahlung.

Es kann somit realistischerweise davon ausgegangen werden, daß bei vielen der Verbrechensopfer, die ohnehin Hilfeleistungen beantragen, zumindest ein kurzfristiger psychotherapeutischer Behandlungs­bedarf besteht, der auch realisiert wird. Zudem ist zu erwarten, daß Opfer schwerer Sexual- und Mißbrauchsdelikte, denen nach der bisherigen gesetzlichen Regelung nur bedingt geholfen werden konnte, die Kostenübernahme nach der Neuregelung beanspruchen werden. Es wird geschätzt, daß vermutlich 300 Personen jährlich die Übernahme der Restkosten für psychotherapeutische Behandlungen nach dem Verbrechensopfergesetz beantragen werden. Die sich durch den zeitlichen Geltungsbereich der Novelle ergebenden Auswirkungen – grundsätzlich kann auch für lange zurückliegende Straftaten die Übernahme der aktuellen Therapiekosten begehrt werden – lassen sich nicht genau abschätzen. In den beiden ersten Jahren des Bestehens der neuen Regelung ist jedoch mit zusätzlichen Kosten zu rechnen.

Es ergibt sich daher nachstehende – auf Durchschnittswerten basierende – Berechnung:

Für die Jahre 1999 und 2000:

Opfer

Sitzungen/Jahr

Restkosten/

Sitzung

Jahresaufwand/

Opfer

Jahresaufwand

gesamt

320

20

500 S

10 000 S

3 200 000 S

Für das Jahr 2001:

Opfer

Sitzungen/Jahr

Restkosten/

Sitzung

Jahresaufwand/

Opfer

Jahresaufwand

gesamt

300

20

500 S

10 000 S

3 000 000 S

Die vorgesehene Regelung ist insofern verwaltungsökonomisch, als die grundsätzliche Prüfung, ob die Gesundheitsschädigung einen therapiebedürftigen Krankheitswert verursacht hat, weiterhin von den Krankenversicherungsträgern vorgenommen wird. Die für die Durchführung des Verbrechensopfer­gesetzes zuständigen Bundessozialämter haben vor der Kostenübernahme die Kausalität zu beurteilen. Zusätzliche (relevante) Personalkosten sind dadurch nicht zu erwarten.

Besonderer Teil

Zu Z 1 (§ 4 Abs. 5 VOG):

Diese Bestimmung sieht vor, daß allfällige Selbstkosten für psychotherapeutische Behandlungen, die Beschädigte und Hinterbliebene infolge einer mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohten rechtswidrigen und vorsätzlichen Handlung in Anspruch nehmen müssen, zu übernehmen sind. Voraussetzung für die Kostenübernahme ist, daß der zuständige Krankenversicherungsträger für die psychotherapeutischen Behandlungen einen Kostenzuschuß leistet.

Die Krankenversicherungsträger leisten Kostenzuschüsse für Psychotherapie aus dem Titel der Kranken­behandlung. Voraussetzung für die Bewilligung eines Kostenzuschusses wegen Inanspruchnahme eines freiberuflichen Psychotherapeuten ist, daß eine seelische Krankheit vorliegt, die eine Krankenbehandlung notwendig macht. Durch die Krankenbehandlung soll die Gesundheit, die Arbeitsfähigkeit und die Fähigkeit, für die lebenswichtigen persönlichen Bedürfnisse zu sorgen, nach Möglichkeit wiederherge­stellt, gefestigt oder gebessert werden. Die Krankenbehandlung muß ausreichend und zweckmäßig sein, sie darf jedoch das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Es obliegt den Krankenversicherungs­trägern, sich vor einer Leistungsgewährung davon zu überzeugen, daß diese Voraussetzungen vorliegen. Die nötigen Informationen werden dem zuständigen Krankenversicherungs­träger im Auftrag des Patienten vom behandelnden Psychotherapeuten erteilt. Die Feststellung des Krankenversicherungs­trägers, daß eine Gesundheitsschädigung mit Krankheitswert vorliegt, ermöglicht es, in Zweifelsfällen die medizinische Prüfung nach dem Verbrechensopfergesetz auf die Frage zu beschränken, ob die psychotherapeutische Behandlung kausal auf die Handlung im Sinne des § 1 Abs. 2 VOG zurückzuführen ist.


Die vorgesehene Regelung soll zu einer möglichst unkomplizierten Vorgangsweise führen und den von den Opfern vielfach als belastend empfundenen Umgang mit Behörden und Sachverständigen vereinfachen.

Die Kostenübernahme ist an die Anzahl der vom Krankenversicherungsträger bewilligten Sitzungen geknüpft.

Freiberuflich tätige Psychotherapeuten sind nicht an fixe Honorarsätze gebunden. Aus diesem Grund muß die Kostenübernahme betraglich begrenzt werden. Durch den Kostenzuschuß des Krankenversicherungs­trägers und die vorgesehene Kostenübernahme werden in der Regel die von den Psychotherapeuten in Rechnung gestellten Honorare abgedeckt sein.

Zu Z 2 (§ 15 b Abs. 2 VOG):

Die Antragsfrist gemäß § 10 Abs. 1 VOG für Leistungen der Heilfürsorge beträgt zwei Jahre. Wird ein Ansuchen nach Ablauf dieser Frist gestellt, so sind die Leistungen mit Beginn des auf das Ansuchen folgenden Monates zu erbringen. Benötigt der Beschädigte oder Hinterbliebene infolge einer Handlung im Sinne des § 1 Abs. 2 VOG zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes psychotherapeutische Krankenbehandlung, soll ihm ebenfalls ermöglicht werden, das Ansuchen um Kostenübernahme innerhalb von zwei Jahren einzubringen. Um Härten zu vermeiden, war der Beginn der zweijährigen Antragsfrist für diese Überleitungsfälle gesondert festzulegen. Wird der Antrag nach Ablauf dieser Überleitungsfrist gestellt, so gebühren die Leistungen frühestens mit Beginn des auf das Ansuchen folgenden Monates.

Zu Z 3 (§ 16 Abs. 5 VOG):

Die Kostenübernahme soll ab 1. Jänner 1999 für alle vom zeitlichen Geltungsbereich des Verbrechens­opfergesetzes umfaßten Personen in Betracht kommen.

 


Textgegenüberstellung

                                                      Geltende Fassung:                                                                                                           Vorgeschlagene Fassung:      


Verbrechensopfergesetz


 

§ 4. (5) Erbringt der Träger der Krankenversicherung auf Grund der Satzung dem Beschädigten oder dem Hinterbliebenen einen Kostenzuschuß für psychotherapeutische Krankenbehandlung infolge einer Handlung im Sinne des § 1 Abs. 2, so sind die Kosten für die vom Träger der Krankenversicherung bewilligte Anzahl der Sitzungen, die der Beschädigte oder der Hinterbliebene selbst zu tragen hat, bis zur Höhe des dreifachen Betrages des Kostenzuschusses des Trägers der Krankenversicherung zu übernehmen.


§ 15b. § 10 Abs. 1 letzter Satz in der bis zum 31. Dezember 1997 geltenden Fassung ist auf Verfahren weiter anzuwenden, in denen das Ansuchen vor dem 1. Jänner 1998 gestellt wurde und über die Hilfeleistungen noch nicht entschieden wurde.

§ 15b. (1) § 10 Abs. 1 letzter Satz in der bis zum 31. Dezember 1997 geltenden Fassung ist auf Verfahren weiter anzuwenden, in denen das Ansuchen vor dem 1. Jänner 1998 gestellt wurde und über die Hilfeleistungen noch nicht entschieden wurde.


 

(2) Wurde die Handlung im Sinne des § 1 Abs. 2 vor dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. xxx/xxxx gesetzt, gilt § 10 Abs. 1 für Ansuchen auf Kostenersatz nach § 4 Abs. 5 mit der Maßgabe, daß die Zweijahresfrist für das Ansuchen mit 1. Jänner 1999 beginnt.


 

§ 16. (5) § 4 Abs. 5 und § 15b in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. xxx/xxxx treten mit 1. Jänner 1999 in Kraft. § 4 Abs. 5 ist nach Maßgabe der Abs. 2 und 3 anzuwenden.