15 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XX. GP
Ausgedruckt am 30. 1. 1996
Regierungsvorlage
Bundesverfassungsgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 und das Finanz-Verfassungsgesetz geändert werden
Der Nationalrat hat beschlossen:
Artikel I
Änderung des Bundes-Verfassungsgesetzes
Das Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929, zuletzt geändert durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl. Nr. . . ./1994, wird wie folgt geändert:
Art. 98 Abs. 2 lautet:
“(2) Wegen Gefährdung von Bundesinteressen kann die Bundesregierung gegen den Gesetzesbeschluß eines Landtages binnen acht Wochen von dem Tag, an dem der Gesetzesbeschluß beim Bundeskanzleramt eingelangt ist, einen mit Gründen versehenen Einspruch erheben; ausgenommen sind Gesetzesbeschlüsse in Angelegenheiten, die denen des Art. 42 Abs. 5 entsprechen. Wenn dem Bund vor Einleitung des Gesetzgebungsverfahrens über den Gesetzesbeschluß Gelegenheit zur Stellungnahme zum zugrunde liegenden Entwurf gegeben worden ist, darf sich der Einspruch nur auf einen behaupteten Eingriff in die Zuständigkeit des Bundes gründen; dies gilt nicht im Falle der Gefährdung finanzieller Interessen des Bundes, wobei diesfalls der Bundesminister für Finanzen dann Einspruch erheben kann, wenn die Bundesregierung von einem solchen absieht. Im Falle eines Einspruches darf der Gesetzesbeschluß nur kundgemacht werden, wenn ihn der Landtag bei Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder wiederholt.”
Artikel II
Änderung des Finanz-Verfassungsgesetzes 1948
Das Finanz-Verfassungsgesetz 1948, BGBl. Nr. 45, in der Fassung der Bundesverfassungsgesetze BGBl. Nr. 686/1988, 30/1993 und 818/1993, wird wie folgt geändert:
Nach § 8 wird folgender § 8a eingefügt:
“§ 8a. (1) Zur gegenseitigen Abstimmung der Gesetzgebung des Bundes und der Länder mit Auswirkungen auf die finanziellen Interessen der Gebietskörperschaften wird ein Konsultationsgremium eingerichtet.
(2) Das Gremium hat die Verhandlungen aufzunehmen, wenn die Bundesregierung oder falls diese vom Einspruchsrecht keinen Gebrauch macht, der Bundesminister für Finanzen allein einen Einspruch gegen einen Gesetzesbeschluß eines Landtages wegen der Gefährdung der finanziellen Interessen des Bundes erhebt (Art. 98 Abs. 2 B-VG). Das gleiche gilt für den Fall, daß der Bundesrat gegen einen Gesetzesbeschluß des Nationalrates wegen der Gefährdung der finanziellen Interessen der Länder Einspruch erhebt.
(3) Dem Gremium gehören an:
1. als Vertreter des Bundes: der Bundeskanzler, der Bundesminister für Finanzen und dasjenige Mitglied der Bundesregierung, dessen Wirkungsbereich durch den Gesetzesbeschluß vorwiegend betroffen ist, als stimmberechtigte Mitglieder; weiters bei Einsprüchen des Bundesrates der Präsident des Nationalrates als Vorsitzender ohne Stimmrecht und die Obmänner des Finanzausschusses des Nationalrates als Mitglieder ohne Stimmrecht;
2. als Vertreter des betroffenen Landes bei Einsprüchen der Bundesregierung oder des Bundesministers für Finanzen: der Landeshauptmann, das für die Finanzen des Landes zuständige Mitglied der Landesregierung und das Mitglied der Landesregierung, dessen Wirkungsbereich durch den Gesetzesbeschluß vorwiegend betroffen ist, als stimmberechtigte Mitglieder; weiters der Präsident des Landtages als Vorsitzender ohne Stimmrecht;
3. als Vertreter der Länder bei Einsprüchen des Bundesrates: insgesamt drei von der Landeshauptmännerkonferenz jeweils für die Dauer eines Jahres namhaft zu machende Vertreter;
4. als Vertreter der Gemeinden: je ein Vertreter des Österreichischen Städtebundes und des Österreichischen Gemeindebundes.
(4) Weitere Mitglieder der Bundesregierung und der Landesregierungen, deren Wirkungsbereich durch den Gesetzesbeschluß berührt ist, sowie Mitglieder des Nationalrates, des Bundesrates und der Landtage können mit Stimmrecht, Experten können ohne Stimmrecht beigezogen werden. Die Beiziehung bleibt einer Regelung in der Geschäftsordnung (Abs. 9) vorbehalten.
(5) Jedes dieser Mitglieder kann einen Vertreter namhaft machen.
(6) Den Vorsitz in den Verhandlungen des Gremiums führt bei Einsprüchen der Bundesregierung oder des Bundesministers für Finanzen der Präsident des Landtages, der den Gesetzesbeschluß gefaßt hat, bei Einsprüchen des Bundesrates der Präsident des Nationalrates.
(7) Ein Einspruch der Bundesregierung oder des Bundesministers für Finanzen ist vom Bundeskanzler, ein Einspruch des Bundesrates vom Präsidenten des Bundesrates dem Vorsitzenden des Gremiums innerhalb von einer Woche nach Beschlußfassung zu übermitteln.
(8) Das Gremium hat den Einspruch binnen vier Wochen nach dem Tag, an dem die Mitteilung über den Einspruch beim Vorsitzenden eingelangt ist, zu beraten und kann innerhalb dieser Frist eine einvernehmlich zustande gekommene Empfehlung an den Nationalrat oder an den Landtag richten. Diese Empfehlung hat eine Darstellung der Kosten des Gesetzesbeschlusses und eine Aussage über seine Notwendigkeit oder Entbehrlichkeit zu enthalten. Die Empfehlung des Gremiums ist im Nationalrat oder im Landtag sowohl im zuständigen Ausschuß als auch im Plenum in der geschäftsordnungsmäßigen Form den Abgeordneten zur Kenntnis zu bringen. Vor Ablauf dieser Frist darf das Gesetzgebungsverfahren im Nationalrat oder im Landtag nur dann fortgesetzt werden, wenn das Gremium eine Empfehlung beschlossen hat oder einer Fortsetzung des Verfahrens ausdrücklich zustimmt. Wenn der Nationalrat oder der Landtag einen von seinem ursprünglichen Gesetzesbeschluß abweichenden Beschluß faßt, stehen dem Bundesrat, der Bundesregierung und dem Bundesminister für Finanzen neuerlich die in Art. 42 und 98 B-VG geregelten Befugnisse zu.
(9) Die Sitzungen des Gremiums finden in Wien statt, sofern nicht einvernehmlich ein anderer Ort bestimmt wird. Die Geschäftsordnung wird vom Bundeskanzler im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Finanzen, dem Präsidenten des Nationalrates und den von der Landeshauptmännerkonferenz namhaft gemachten Vertretern erlassen.”
Artikel III
Dieses Bundesverfassungsgesetz tritt mit 1. Jänner 1996 in Kraft und ist auf jene Gesetzesbeschlüsse des Nationalrates oder der Landtage anzuwenden, die nach dem 31. Dezember 1995 gefaßt werden.
vorblatt
Problem:
Es zeigt sich immer wieder, daß den finanziellen Auswirkungen auf andere Gebietskörperschaften in Gesetzgebungsverfahren des Nationalrates oder der Landtage zu geringes Augenmerk beigemessen wird.
Zielsetzung:
Schaffung einer Einrichtung zur gegenseitigen Abstimmung der Gesetzgebung des Bundes und der Länder mit Auswirkungen auf die finanziellen Interessen der Gebietskörperschaften.
Lösung:
Schaffung eines § 8a im Finanz‑Verfassungsgesetz 1948, wodurch ein qualifiziertes Gremium eingerichtet wird, das seine Tätigkeit entweder bei einem Einspruch der Bundesregierung oder des Bundesministers für Finanzen gegen einen Gesetzesbeschluß eines Landtages – diesbezüglich soll Art. 98 Abs. 2 B‑VG neu gefaßt werden – sowie bei einem Einspruch des Bundesrates gegen einen Gesetzesbeschluß des Nationalrates aufnimmt.
Alternativen:
Keine
Kosten:
Verwaltungsaufwand für die Tätigkeit des Gremiums.
EU‑Konformität:
EU‑Konformität ist gegeben.
Erläuterungen
Allgemeiner Teil
In der Regierungsvorlage einer Bundes‑Verfassungsgesetz‑Novelle 1994 (1706 BlgNR XVIII. GP) ist die prinzipielle Abschaffung der mittelbaren Bundesverwaltung in der Form vorgesehen, daß grundsätzlich die bisher in mittelbarer Bundesverwaltung vollzogenen Angelegenheiten nunmehr in den Kompetenztypus des Art. 11 B‑VG (Landesvollziehung von Bundesgesetzen) übertragen werden. Im Zusammenhang mit der grundsätzlichen Kostentragungsregel des § 2 Finanz‑Verfassungsgesetz 1948 ist daran die Konsequenz geknüpft, daß die Länder in diesen Angelegenheiten die gesamten Kosten zu tragen haben werden.
Bei den abschließenden Gesprächen zwischen dem Bund und den Ländern über die Bundesstaatsreform ging es daher ua. auch um die strukturelle Frage, welche Handhaben dem Bund und den Ländern von Verfassungs wegen zur Verfügung gestellt werden sollen, um die Berücksichtigung ihrer finanziellen Interessen mit Bezug auf die jeweils gegenbeteiligte Gebietskörperschaft in ausreichender Weise geltend machen zu können, wobei auch gesichert werden sollte, daß der Handlungsspielraum des zuständigen Gesetzgebers nicht über Gebühr eingeschränkt wird.
Hiezu soll, anknüpfend an die geltenden Regelungen über die Mitwirkung der Länder an der Bundesgesetzgebung durch den Bundesrat (Art. 42 B‑VG) und die Mitwirkung des Bundes an der Landesgesetzgebung (Art. 98 B‑VG) eine besondere finanzverfassungsgesetzliche Regelung über einen Konsultationsmechanismus zur Wahrung der finanziellen Interessen des Bundes und der Länder gegenüber Gesetzgebungsakten der gegenbeteiligten Gebietskörperschaft erlassen werden.
Der Gesetzentwurf sieht daher zur gegenseitigen Abstimmung der Gesetzgebung des Bundes und der Länder die Einrichtung eines derartigen qualifizierten Gremiums vor.
Um zwischen dem Bund und den Ländern Waffengleichheit zu schaffen, muß gleichzeitig im Rahmen der derzeit in Beratung stehenden Bundes‑Verfassungsgesetz‑Novelle 1994 die korrespondierende Änderung des Art. 98 Abs. 2 B‑VG in der Form vorgenommen werden, daß der Bundesregierung bei Landesgesetzen, durch die finanzielle Interessen des Bundes berührt werden, unabhängig von einem allfälligen Begutachtungsverfahren, ein uneingeschränktes Einspruchsrecht zukommt, das nicht der Einstimmigkeit der Bundesregierung bedarf, sondern – sollte die Bundesregierung ihr Einspruchsrecht nicht ausüben – auch vom Bundesminister für Finanzen allein wahrgenommen werden kann.
Die Zuständigkeit des Bundes zur Erlassung des im Entwurf vorliegenden Bundesverfassungsgesetzes gründet sich auf den Kompetenztatbestand “Bundesverfassung . . .” (Art. 10 Abs. 1 Z 1 B‑VG).
Besonderer Teil
Zu Art. I (Art. 98 Abs. 2 B‑VG):
Die vorgeschlagene neue Fassung des Art. 98 Abs. 2 B‑VG trägt dem Anliegen Rechnung, daß das Einspruchsrecht des Bundes in Fällen, in denen es um eine Beeinträchtigung der finanziellen Interessen des Bundes geht, in der Weise ausgeweitet wird, daß ein Einspruchsrecht auch dann gewährleistet ist, wenn der dem Gesetzesbeschluß zugrundeliegende Entwurf einem Begutachtungsverfahren unterzogen worden ist, sowie daß dem Bundesminister für Finanzen die Möglichkeit eingeräumt wird, auch dann, wenn die Bundesregierung – nach Befassung mit der Angelegenheit – von der Erhebung eines Einspruches abgesehen hat.
Es erscheint zweckmäßig, die in diesem Artikel vorgeschlagene Änderung aus dem Zusammenhang mit der vorgeschlagenen Änderung des Finanz‑Verfassungsgesetzes zu lösen (was im Zuge der parlamentarischen Behandlung geschehen könnte), und in die als Regierungsvorlage (1706 BlgNR) vorliegende B‑VG‑Novelle 1994 zu integrieren.
Zu Art. II (§ 8a F‑VG):
Die gesetzliche Grundlage für die Einrichtung des Konsultationsgremiums soll durch einen in das Finanz‑Verfassungsgesetz 1948 neu aufzunehmenden § 8a geregelt werden. Das besondere Verfahren des 26er‑Ausschusses nach § 9 F‑VG bleibt von dieser Regelung unberührt.
Voraussetzung für die Tätigkeit des Gremiums ist ein Einspruch der Bundesregierung gegen den Gesetzesbeschluß eines Landtages wegen Gefährdung der finanziellen Bundesinteressen oder – falls die Bundesregierung von ihrem Einspruchsrecht nicht Gebrauch macht – ein Einspruch durch den Bundesminister für Finanzen allein, oder ein Einspruch des Bundesrates gegen einen Gesetzesbeschluß des Nationalrates wegen Gefährdung der finanziellen Interessen der Länder.
Dem Gremium sollen grundsätzlich drei Bundesvertreter, drei Ländervertreter sowie je ein Vertreter des Österreichischen Städtebundes und des Österreichischen Gemeindebundes angehören; weiters bei Einsprüchen des Bundesrates der Präsident des Nationalrates als Vorsitzender ohne Stimmrecht und die Obmänner des Finanzausschusses des Nationalrates als Mitglieder ohne Stimmrecht, bei Einsprüchen der Bundesregierung der Präsident des Landtages als Vorsitzender ohne Stimmrecht.
Weitere mitberührte Mitglieder der Bundesregierung und der Landesregierungen sowie Abgeordnete zu den gesetzgebenden Körperschaften können mit Stimmrecht, Experten ohne Stimmrecht beigezogen werden. Die näheren Einzelheiten über die Beiziehung werden in der Geschäftsordnung des Gremiums geregelt. Den Vorsitz in den Verhandlungen führt jeweils der Präsident des Gesetzgebungsorganes, gegen dessen Gesetzesbeschluß der Einspruch erhoben wurde.
Das Gremium hat den Einspruch, der entweder vom Bundeskanzler oder vom Präsidenten des Bundesrates binnen einer Woche dem jeweiligen Vorsitzenden zu übermitteln ist, binnen weiteren vier Wochen nach Einlangen zu beraten und kann eine Empfehlung an die gesetzgebenden Organe richten, sofern ein Beschluß über diese Empfehlung einstimmig zustande gekommen ist. Die Empfehlung hat eine Darstellung der Kosten des zugrundeliegenden Gesetzesbeschlusses sowie eine Begründung über die unabdingbare Notwendigkeit oder die Entbehrlichkeit einer Beschlußfassung zu enthalten und ist sowohl im Nationalrat als auch im Landtag den Abgeordneten in den Ausschüssen und im Plenum zur Kenntnis zu bringen. Da das Gremium nur Empfehlungen abgeben kann, sind die gesetzgebenden Körperschaften in keiner Weise an diese Empfehlungen gebunden.
Grundsätzlich finden die Sitzungen des Gremiums in Wien statt. Einvernehmlich kann auch ein anderer Ort hiefür bestimmt werden.