1582 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XX. GP
Bericht
des Rechnungshofausschusses
betreffend den Sonderbericht des Rechnungshofes über das Eisenbahnprojekt Semmering-Basistunnel (III-155 der Beilagen)
Der gegenständliche Sonderbericht erfolgt auf Grund des Prüfungsverlangens im Nationalrat gemäß § 99 Abs. 2 GOG vom 16. April 1997, mit dem der Rechnungshof eine “Sonderprüfung der Gebarung des Bundesministeriums für Wissenschaft und Verkehr, der Eisenbahn-Hochleistungsstrecken-AG und der Österreichischen Bundesbahnen hinsichtlich der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit des Projektes Semmering-Basistunnel unter Berücksichtigung der bisher gesammelten Erfahrungen sowie der geplanten Finanzierungsmodelle in allen Varianten” vorzunehmen hatte.
Der Rechnungshof erstattet den gegenständlichen Bericht sohin gemäß Art. 126b Abs. 4 und Art. 126d Abs. 1 B-VG im Sinne des § 99 Abs. 6 GOG über das Ergebnis der durchgeführten Gebarungsüberprüfung.
In der einleitenden Kurzfassung des gegenständlichen Berichtes wird der Prüfungsinhalt wie folgt komprimiert dargestellt: Die ÖBB verfolgten seit Jahrzehnten das Ziel, mit einem Neubautunnel durch den Semmering die Verkehrsabwicklung in diesem Abschnitt der Südbahnstrecke zu verbessern.
Zu Beginn der 80er Jahre planten die ÖBB, durch den Bau eines Semmering-Basistunnels eine etwa um die Jahrtausendwende fällige werdende Generalinstandsetzung der Bergstrecke einzusparen.
Dieses Ziel wurde nicht erreicht. Ursachen hiefür waren die zwölf Jahre lange Planungsphase, die erste 1991 erlassene Trassenverordnung, der 1992 verfügte Baustopp zur Einholung eines Gutachtens zur Projektwirtschaftlichkeit, offene Finanzierungsfragen, weiters der seit 1996 erfolgte Wassereinbruch im Sondierstollen sowie langwierige Genehmigungsverfahren und die Erhöhung der geplanten Bauzeit von ursprünglich vier bzw. sechs auf 13 Jahre.
Da die Fertigstellung des Tunnels dadurch für die ÖBB zu spät käme, begannen sie mit der Sanierung der Bergstrecke.
Für das Hochleistungsstrecken-Programm fehlten nach wie vor die Prioritätensetzung sowie Wirtschaftlichkeitsstudien, ein verkehrsträgerübergreifender Bundesverkehrswegeplan sowie die Klarstellung der Linienführung der künftigen Südbahn. Die seit langem bekannte Rechtsfrage, ob für Eisenbahnanlagen zusätzlich ein eigenes landesbehördliches Naturschutzverfahren erforderlich sei, wurde erst beim gegenständlichen Tunnelprojekt einer langwierigen Klärung zugeführt.
Die nach Ansicht der ÖBB und des Verkehrsministeriums technisch günstigste Basistunnel-Trasse bis Langenwang wurde nicht mehr tiefgreifend untersucht.
Im Jahr 1991 kamen der Bund und das Land Niederösterreich überein, daß die Bergstrecke für den Schüler-, Berufs- und Touristenverkehr erhalten bleiben solle, auch wenn der Semmering-Basistunnel gebaut werde.
Eine Wirtschaftlichkeitsberechnung der ÖBB für den Basistunnel setzte 1988 die Einstellung der Bergstrecke, offene Hangabschnitte und mehrere Tunnelvortriebspunkte voraus. Die Aufrechterhaltung der Bergstrecke sowie wiederholte Planungszugeständnisse der HL-AG an Behörden und Anrainer verteuerten das Projekt nachhaltig. Die Trasse rückte ins Berginnere, und Zwischenpunkte für den Tunnelvortrieb wurden aufgegeben.
Trotz dieser schwerwiegenden Änderungen der Projektumstände erstellte die HL-AG keine neuerliche Wirtschaftlichkeitsberechnung und untersuchte nicht eine Konzeptänderung, wie beispielsweise eine etappenweise Ausführung nach Schweizer Vorbild. Ebenso fehlten die gebotene Festlegung des Kostenrahmens durch Verordnung und eine Darstellung des gesamtwirtschaftlichen Interesses am Basistunnelprojekt durch den Bundesminister als Grundlage für verkehrspolitische Entscheidungen.
Die Kostenschätzungen der HL-AG stiegen von 4,2 Milliarden Schilling (1990) auf 7,9 Milliarden Schilling (1997). Eine Valorsierung bis zum angenommenen Bauende (2008) ergab 10 Milliarden Schilling. Die Kapitalkosten wurden nicht berücksichtigt; eine Kostenfortschreibung auf Grund des Wassereinbruchs und der verlängerten Baudauer unterlieb.
Für die Finanzierung des Semmering-Basistunnels und anderer Neubauvorhaben waren ab 1989 außerbudgetäre Mittel vorgesehen, welche jedoch insgesamt zu niedrig waren. Aus Budgetmitteln des Bundes wurde keine Vorsorge getroffen. Seit 1995 suchte das BMWV für den Semmering-Basistunnel einen privaten Errichter und Betreiber als Finanzierungspartner. Eine darauf zielende Ausschreibung des BMWV hob Bundesminister Dr. Caspar Einem im April 1998 auf. Die Finanzierung von Hochleistungsstreckenprojekten wurde auf Grund des Schieneninfrastrukturfinanzierungsgesetzes, BGBl. Nr. 201/1996, auf eine neue Grundlage gestellt. Dabei hat die SCHIG die Finanzierung von Schieneninfrastrukturinvestitionen insbesondere aus vereinnahmten Benützungsentgelten und getätigten Kreditoperationen sicherzustellen.
Die Unterlagen der ÖBB über die Anzahl der Züge waren fehlerhaft; die Angaben über die Streckenleistungsfähigkeit berücksichtigen keine Bauarbeiten; über den Güterverkehr bestanden zwei unterschiedliche Statistiken.
Eine Süd-Ost-Spange als zweite Südbahn würde neue Regionen erreichbar machen, Reisezeiten verringern und eine höhere Streckenleistungsfähigkeit aufweisen. Sie hätte allerdings ungünstigere Anlageverhältnisse als die bestehende Südbahntrasse und einen überwiegenden Neubauanteil; die 1991 mit 61,2 Milliarden Schilling ermittelten Investitionskosten wurden bisher nicht fortgeschrieben. Für den teilweisen oder gesamten Bau einer Süd-Ost-Spange sind mangels einer darauf gerichteten Bauverordnung des Ressortministers, für die das Einvernehmen mit dem Bundesminister für Finanzen hergestellt werden müßte, bisher keine Mittel vorgesehen.
Die Argumentation für den Semmering-Basistunnel wechselte mehrmals. Bis 1991 war die Einsparung der Generalsanierung der aufzulassenden Bergstrecke wichtig. Sodann standen die Fahrzeitreduktion sowie die Entlastung der Westbahn im Vordergrund. Seit der Ostöffnung wurde mit Durchzugsverkehren und Kapazitätsfragen, seit Vorliegen der Studie der Prognos AG im Jahre 1993 mit der darin behaupteten hohen Wirtschaftlichkeit für die ÖBB und seit dem EU-Beitrittsvertrag 1994 mit internationalen Verpflichtungen argumentiert.
Österreich ist verschiedenen internationalen Abkommen zum Ausbau einer auf europäische Bedürfnisse abgestimmten Eisenbahninfrastruktur beigetreten, aus denen sich jedoch eine Verpflichtung zur Durchführung konkreter Bauprojekte (etwa dem Semmering-Basistunnel) nicht ergibt.
Weitere Teile befassen sich mit folgenden Inhalten:
Anlageverhältnisse der Semmering-Bergstrecke
Erste Planungsschritte
Planungsschritte bis 1989
Wirtschaftlichkeitsberechnung der ÖBB
Tunnelplanungen seit 1989
Projektzugeständnisse
Tunnelquerschnitt
Sondierstollen
Wassereinbruch
Prognos-Studie
Besondere Planfälle
Ergebnisbericht
Entwicklung der Bauzeitvorgaben
Kostenentwicklung 1989 bis 1997
Kapitalkosten
Rechtlicher Rahmen
Gesetzliche Grundlagen
Verordnungen
Allgemeines
Hochleistungsstrecken-Verordnung
Planungs- und Bauverordnung
Trassenverordnung
Gesamtwirtschaftliches Interesse
Behördliche Genehmigungsverfahren
Eisenbahnrechtliche Baugenehmigung
Naturschutzverfahren
Grundeinlösungen und Enteignungen
Finanzierung des Semmering-Basistunnels
Fehlende Ausfinanzierung
Private-Public-Partnership
Öffentliche Interessentensuche 1995
Nicht öffentlicher zweiter Verfahrensschritt
Auswirkungen der Interessentensuche
Benützungsentgelt
Internationale Finanzierungspraxis
Bahnprojekte
Straßenprojekte
Umfang des Eisenbahnverkehrs über den Semmering
Anzahl der Züge
Streckenleistungsfähigkeit
Streckenauslastung
Güterverkehr auf der bestehenden Strecke
Güter-Transportleistung
Beförderung von Großcontainern und
Betrieb der Rollenden Landstraße
Personenverkehr auf der bestehenden Strecke
Projekt Süd-Ost-Spange
Allgemeines
Vorteile
Nachteile
Projektwirtschaftlichkeit
Eisenbahn-Neubaustrecke Slowenien–Ungarn
Internationale Verträge
EU-Beitrittsvertrag
AGTC-Übereinkommen
AGC-Übereinkommen
TER-Übereinkommen
TEN-Leitlinien
Auswirkungen
Entschließungen des Nationalrates
Parlamentarische Anfragen
Standpunkte der Bundesregierung bzw. des Bundesministers
Weitere Feststellungen im Zusammenhang mit dem Prüfungsauftrag
Weitere Entwicklung – Expertengruppe “Semmering”
Schlußbemerkungen
Zusammenfassend empfahl der Rechnungshof in den Schlußbemerkungen des gegenständlichen Berichts folgendes (wobei die Adressaten der Empfehlungen in Klammer angeführt sind):
(1) alle Eisenbahnprojekte in die Bewertung des Bundesverkehrswegeplans einzubeziehen und für Klarstellung zu sorgen, welche Linienführung die künftige Südbahn nehmen soll (BMWV, ÖBB, HL-AG);
(2) den Nachweis des gesamtwirtschaftlichen Interesses bei Eisenbahn-Hochleistungsstrecken nachvollziehbar zu belegen und beim Abschnitt Gloggnitz–Mürzzuschlag nachzuholen (BMWV);
(3) Alternativen zum bestehenden Konzept auszuarbeiten, die eine andere Teilung der Verkehrsleistungen zwischen der bestehenden Strecke und einer Neubaustrecke, etappenweise Teilausbauten oder einen Verzicht auf einen Tunnel vorsehen (BMWV, ÖBB, HL-AG);
(4) in regelmäßigen Zeitabständen Kostenfortschreibungen durchzuführen und bei allen Kostenberechnungen auch die Kapitalkosten zu berücksichtigen (HL-AG);
(5) die gebotene Festlegung des Kostenrahmens des Projektes durch Verordnung nachzuholen (BMWV);
(6) mit der Inangriffnahme des Haupttunnels bis zum rechtskräftigen Abschluß der anhängigen Verfahren bzw. nach höchstgerichtlicher Klärung der offenen Rechtsfragen zuzuwarten (HL-AG);
(7) die bereits seit Jahren in Ausarbeitung befindliche Reform der Betriebsleistungsstatistik der ÖBB ehestens abzuschließen (ÖBB);
(8) mit Rücksicht auf die bereits begonnene Sanierung der Bergstrecke ein Programm zur Sanierung auszuarbeiten und für die damit verbundenen Investitionen sodann eine Baubeauftragung durch Verordnung vorzunehmen (ÖBB, BMWV);
(9) die Teilabschnitte der Süd-Ost-Spange als mögliche Verkehrsmaßnahmen für die nähere Zukunft einer vertiefenden Wirtschaftlichkeitsprüfung, wie schon 1991 vom damaligen Bundesminister Dr. Rudolf Streicher beauftragt, zu unterziehen (BMWV);
(10) die Bauplanung der Süd-Ost-Spange an der laufend zu beobachtenden tatsächlichen Entwicklung der Verkehrsströme auszurichten (BMWV, ÖBB, HL-AG);
(11) die neuen, mit der Ost-Öffnung verbundenen Anforderungen im Verkehrsbereich großräumig durch Einbeziehung der Nachbarländer zu lösen (BMWV, ÖBB) und
(12) die von der Expertengruppe “Semmering” angeregten Untersuchungen unverzüglich durchzuführen (BMWV).
Darüber hinaus ist dem gegenständlichen Bericht der Endbericht der Expertengruppe “Ausbau-Varianten Südbahn” als Anhang angeschlossen.
Der Rechnungshofausschuß hat den gegenständlichen Sonderbericht in seinen Sitzungen vom 16. Dezember 1998 und vom 15. Jänner 1999 unter Beiziehung von Auskunftspersonen sowohl aus dem geprüften Bereichen wie auch aus den Expertengruppen gemäß § 40 Abs. 1 GOG behandelt.
An den Debatten beteiligten sich die Abgeordneten Otmar Brix, Mag. Reinhard Firlinger, Georg Wurmitzer, Josef Edler, Mag. Herbert Haupt, Dr. Gabriela Moser, Mag. Thomas Barmüller, Dr. Günther Kräuter, Mag. Karl Schweitzer, Mag. Helmut Kukacka, Gabriele Binder, Kurt Wallner, Mag. Kurt Gaßner, Franz Stampler, Franz Kampichler sowie der Präsident des Rechnungshofes Dr. Franz Fiedler und der Bundesminister für Wissenschaft und Verkehr Dr. Caspar Einem.
Die Entschließungsanträge der Abgeordneten Dr. Gabriela Moser und Mag. Thomas Barmüller sowie der Abgeordneten Mag. Karl Schweitzer und Genossen fanden nicht die Zustimmung der Ausschußmehrheit.
Mit Stimmenmehrheit wurde beschlossen, dem Nationalrat die Kenntnisnahme des gegenständlichen Sonderberichtes zu empfehlen.
Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Rechnungshofausschuß somit den Antrag, der Nationalrat wolle den Sonderbericht des Rechnungshofes über das Eisenbahnprojekt Semmering-Basistunnel (III-155 der Beilagen) zur Kenntnis nehmen.
Wien, 1999 01 15
Gabriele Binder Otmar Brix
Berichterstatterin Obmannstellvertreter