1809 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XX. GP

Bericht

des Unterrichtsausschusses


über den Antrag 732/A der Abgeordneten Maria Schaffenrath und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Schulpflichtgesetz 1985 (BGBl. Nr. 76/1985) in der gelten­den Fassung geändert wird


Die Abgeordneten Maria Schaffenrath und Genossen haben den gegenständlichen Antrag am 26. März 1998 im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:

“Allgemeiner Teil:

Die öffentliche Schule ist jene gesellschaftliche Institution, der die Aufgabe der systematischen Förderung der Kinder in kognitiver, emotionaler, sozialer und physischer Hinsicht zukommt. Diese Aufgabe hat sie für alle Kinder wahrzunehmen. Die Schule muß sich daher in vielfältiger Hinsicht den unterschiedlichen Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler stellen und die entsprechenden Angebote machen.

Die allgemeine Zugänglichkeit der öffentlichen Schulen gemäß § 4 Abs. 1 SchOG garantiert den Bürgerinnen und Bürgern bzw. deren Kindern daher das Recht auf Bildung, wie es in Artikel 2 des ersten Zusatzprotokolls der MRK sowie in Artikel 28 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes formuliert wird.

Vor diesem Hintergrund erhält der § 15 des Schulpflichtgesetzes in der derzeitigen Fassung eine irritierende Bedeutung. Wohl wird hier unter dem Titel ,Befreiung eines Kindes von der allgemeinen Schulpflicht wegen Schulunfähigkeit‘ die Möglichkeit, unter bestimmten Umständen von der Schulpflicht abzugehen, als eine positive Maßnahme im Sinne des betroffenen Kindes dargestellt. Tatsächlich impliziert diese gesetzliche Regelung unausgesprochen jedoch die Möglichkeit des Staates, sich seiner Verantwortung für die bestmögliche (schulische) Unterrichtung bzw. Förderung eines Kindes zu entledigen. Darüber hinaus bedeutet dieses Gesetz, daß das oben bezeichnete ,Recht auf Bildung‘ bestimmten Kindern unter bestimmten Voraussetzungen auch verwehrt werden kann, und steht daher jedenfalls in Widerspruch zu Artikel 2 des Zusatzprotokolls der MRK.

In seinen praktischen Auswirkungen ermöglicht die gegenständliche Bestimmung des Schulpflicht­gesetzes die Verweigerung der allgemeinen Zugänglichkeit der öffentlichen Schule für bestimmte, schwerstbehinderte Kinder und die Abgabe der gesellschaftlichen Verantwortung für die optimale schulische Förderung dieser Kinder von den Schulbehörden an die Eltern. Ist ein Kind einmal als ,schulunfähig‘ erklärt, besteht auf Grund der derzeitigen Gesetzeslage bezüglich der schulischen Bildung keinerlei subsidiäre Verantwortung durch andere Stellen des Bundes oder der Länder. Die betroffenen Kinder werden somit der alleinigen Verantwortung der Eltern oder Erziehungsberechtigten überlassen.

Anstelle der ,Schulunfähigkeit‘ tritt ,das Recht auf außerschulische Förderung‘.

Im vorliegenden Antrag wird versucht, die oben angesprochene, möglicherweise menschenrechtswidrige Ausschlußklausel des derzeitigen Schulpflichtgesetzes in einen gesetzlichen Anspruch im Sinne der Betroffenen umzuwandeln. Anstelle der ,Schulunfähigkeit‘ tritt ,das Recht auf Unterricht bzw. Förderung außerhalb der Schule‘.

Denn es ist nicht abzustreiten, daß für manche Schülerinnen oder Schüler die Schule in ihrer derzeitigen Form kein sinnvolles Angebot darstellt. Dies darf jedoch nicht dazu führen, daß sich der Staat in diesen Fällen von seiner Verantwortung verabschieden kann. Im Gegenteil: Dies muß vielmehr bedeuten, daß staatlicherseits angemessenere, sinnvollere und damit bessere Unterstützung angeboten werden muß. Im gegenständlichen Antrag wird daher der § 15 des Schulpflichtgesetzes völlig neu gefaßt. Darin wird nun ein Rechtsanspruch auf Erfüllung der Schulpflicht durch Unterricht bzw. Förderung außerhalb der Schule (so der neue Titel des § 15) definiert.


Besonderer Teil:

Zu 1:

Die Erweiterung des § 5 um einen Absatz 1a verweist auf die Möglichkeit, die allgemeine Schulpflicht durch den Unterricht bzw. die Förderung außerhalb der Schule gemäß § 15 zu erfüllen.

Zu 2:

Das Recht auf außerschulische Unterrichtung bzw. Förderung ist an dieselben Bedingungen gebunden, die bisher als zureichend angesehen wurden, um ein Kind als ,schulunfähig‘ zu erklären. Dies ist der Fall, wenn medizinische Gründe einen Schulbesuch ausschließen oder der Schulbesuch eine unzumutbare Belastung für die Schülerin oder den Schüler darstellen würde. Schließlich besteht der Anspruch auf außerschulische Förderung auch, wenn nach einem angemessenen Beobachtungszeitraum mit besonderer Förderung in der Schule kein Entwicklungsfortschritt feststellbar ist. Letzteres allerdings ausschließlich auf Antrag der Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten, um diesen das letzte Entscheidungsrecht zu belassen.

Zur Klärung des Anspruches auf außerschulische Unterrichtung bzw. Förderung ist das Verfahren zur Feststellung von sonderpädagogischem Förderbedarf, wie es in § 8 SchulPflG definiert ist, sinngemäß anzuwenden. Dem für diese Entscheidung zuständigen Bezirksschulrat obliegt auch die Verantwortung für die Bereitstellung aller notwendigen Maßnahmen zur Unterrichtung bzw. Förderung außerhalb der Schule. Die Schulverwaltung kann und soll sich dabei der Unterstützung durch andere Behörden oder Institutionen versichern.

Worin die außerschulische Förderung genau besteht, kann und soll nicht im Gesetz festgelegt werden, sondern muß für jeden Einzelfall entschieden werden. Im Gesetz werden lediglich einige Grundsätze festgelegt:

Der Inhalt der Förderung muß jedenfalls im Einvernehmen mit den Eltern oder sonstigen Erziehungs­berechtigten festgelegt werden. Gerade bei schwerstbehinderten SchülerInnen ist eine möglichst voll­ständige Abstimmung der von Seiten der Familie und von Seiten des Staates organisierten Erziehungs- und Förderungsmaßnahmen unerläßlich.

Das Ausmaß der Unterrichtung bzw. Förderung außerhalb der Schule soll im Regelfall ebenso viele Stunden umfassen, als in der Schule Unterricht zu erteilen wäre. Im Einzelfall ist das zeitliche Ausmaß natürlich flexibel zu handhaben. Auch ist natürlich nicht nur an Unterricht zu denken, denn jede andere Art der Förderung kann ebenso wichtig oder wichtiger sein.

Kosten: Die Antragsteller gehen davon aus, daß bei Maßnahmen zum Abbau von menschenrechts­widrigen Diskriminierungen das Kostenargument jedenfalls nicht im Vordergrund stehen darf, halten aber fest, daß durch die geringe Anzahl der Betroffenen ein allfälliger finanzieller Mehrbedarf durch Umschichtungen/Einsparungen im Unterrichtsbudget abdeckbar ist.”

Der Unterrichtsausschuß hat den gegenständlichen Antrag in seiner Sitzung am 6. Mai 1999 in Verhand­lung genommen.

Berichterstatterin im Ausschuß war Abgeordnete Maria Schaffenrath.

An der Debatte beteiligten sich die Abgeordneten Dipl.-Ing. Leopold Schöggl, Maria Schaffenrath, Dr. Johann Stippel, Katharina Horngacher sowie die Bundesministerin für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten Elisabeth Gehrer.

Bei der Abstimmung fand der gegenständliche Initiativantrag keine Mehrheit.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Unterrichtsausschuß somit den Antrag, der Nationalrat wolle diesen Bericht zur Kenntnis nehmen.

Wien, 1999 05 06

                                Brunhilde Fuchs                                                           Mag. Dr. Josef Höchtl

                                 Berichterstatterin                                                                          Obmann