2008 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XX. GP

Bericht

des Ausschusses für Arbeit und Soziales


über den Antrag 1015/A(E) der Abgeordneten Sigisbert Dolinschek und Genossen betref­fend Vereinheitlichung des Sozialversicherungsrechts und Strukturreform der Sozialver­sicherungsträger

Die Abgeordneten Sigisbert Dolinschek, Edith Haller, Mag. Herbert Haupt und Genossen haben den gegenständlichen Entschließungsantrag am 16. Februar 1999 im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:

“Die österreichische Sozialversicherung hat nach Ansicht der Antragsteller folgende grundlegenden Probleme:

1.  zersplitterte Gesetzeslage;

2.  Mißachtung des Grundsatzes der Gleichbehandlung aller Bürger;

3.  Zergliederung der Organisation;

4.  ineffiziente und kostspielige Selbstverwaltung.

Im einzelnen stellen sich diese Problembereiche wie folgt dar:

1. Die gesetzliche Regelung des Sozialversicherungsbereiches ist aus historischen Gründen über eine Vielzahl von Gesetzen verstreut. Über hundert Novellierungen ohne Wiederverlautbarung, in ihrer Ge­samtheit nahezu undurchschaubare Übergangsbestimmungen und die Tendenz zu immer kasuistischeren Detaillösungen tragen wesentlich zum ständig wachsenden Verwaltungsaufwand bei. Die Vereinheit­lichung der rechtlichen Grundlagen der Sozialversicherung wäre daher die wesentlichste Voraussetzung für eine Optimierung der Verwaltung.

Aus der Sicht der betroffenen Bürger ist die bestehende Gesetzeslage unzumutbar und wegen des Rechtsstaatsprinzips vermutlich sogar verfassungswidrig, weil nicht nur das Auffinden der geltenden Bestimmungen durch die zahllosen Novellen erschwert ist, sondern auch das Verstehen der Anordnungen des Gesetzgebers durch überaus komplizierte Formulierungen, zahlreiche Querverweise und Übergangs­bestimmungen nahezu unmöglich gemacht wird.

2. Eine einheitliche gesetzliche Basis für die Sozialversicherung aller Österreicher ist naheliegend, weil ohnehin nahezu alle Berufstätigen in die Sozialversicherung oder vergleichbare Sicherungssysteme einbezogen sind. Die bestehenden Unterschiede zwischen den einzelnen Gruppen bzw. der Ausschluß aus der Sozialversicherung sind jedoch weder sachlich notwendig noch aus dem Blickwinkel der Gleichbe­handlung zu rechtfertigen.

3. Auch die Verwaltungsorganisation ist noch immer so, wie sie geschichtlich nacheinander für die einzelnen Gruppen von Erwerbstätigen entstanden ist. Eine Vielzahl von Verwaltungseinheiten und vermeidbaren Mehrgleisigkeiten für sachlich gleiche Verwaltungsaufgaben stellen eine unnötig kompli­zierte und teure Lösung dar, ohne daß damit Vorteile für die Bürger verbunden wären. Derzeit bestehen in Österreich unter dem Hauptverband der Sozialversicherungsträger folgende Verwaltungseinheiten: neun Gebietskrankenkassen, zehn Betriebskrankenkassen, eine Sozialversicherungsanstalt der Bauern mit neun Landesstellen, eine Versicherungsanstalt der öffentlich Bediensteten mit sieben Landesstellen, eine Allgemeine Unfallversicherungsanstalt mit vier Landesstellen, eine Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, eine Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter mit vier Landesstellen, eine Versicherungs­anstalt der österreichischen Eisenbahnen, eine Versicherungsanstalt des österreichischen Bergbaues und eine Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft mit neun Landesstellen; insgesamt gibt es also einen Hauptverband, 27 Sozialversicherungsträger, 33 Landesstellen und zirka 116 Außenstellen.

Zusätzlich ist noch darauf hinzuweisen, daß derzeit in Österreich über 100 regionale Geschäftsstellen des Arbeitsmarktservice bestehen, die zu einem großen Teil durchaus ähnliche Tätigkeiten verrichten wie die Sozialversicherungsträger (Bemessung und Auszahlung von Leistungen) und jetzt auch als Selbstverwal­tungskörper konstruiert sind; ihre organisatorische Integration in die Sozialversicherungsorganisation scheint daher durchaus sinnvoll, auch um der Bevölkerung eine gemeinsame Anlaufstelle zu bieten.

Diese Zersplitterung der Sozialversicherung in zahlreiche Organisationen bedingt einen beachtlichen Mehraufwand, der langfristig durch die weitere Stärkung des Hauptverbandes der Sozialversicherungs­träger und die Zusammenlegung der Sozialversicherungsträger mit ähnlicher Aufgabenstellung bzw. die Verlagerung ähnlicher Leistungen zu einem Träger zu vermeiden wäre. Viele Aufgaben müßten dann nur noch einmal statt vielfach erledigt werden (zB die Betreuung der EDV, Klärung allgemeiner Rechts­fragen, Organisation, Formularerstellung, Personalverwaltung) und zB Gebäude- und Personalkosten (vor allem in den höheren Einkommensstufen) könnten verringert werden. Es kann nach Meinung der Antrag­steller davon ausgegangen werden, daß alleine die Zusammenlegung der Sozialversicherungsträger Ein­sparungen in Höhe von etwa 3 bis 4 Milliarden Schilling ermöglichen würde. Mit einer Vereinheitlichung des Sozialversicherungsrechts steigt das Einsparungspotential sicher noch beträchtlich an.

4. Die Organisation der österreichischen Sozialversicherungsträger basiert auf einer Zweiteilung in die Verwaltung und die Organe der Selbstverwaltung. Die Verwaltung erledigt die anfallende Arbeit, während den Verwaltungskörpern – besetzt durch etwa 800 Versicherungsvertreter, die von den Sozial­partnern entsendet werden – mehrheitlich formale Beschlüsse und Kontrollaufgaben obliegen. Das Prinzip der Selbstverwaltung ist historisch dadurch entstanden und sinnvoll gewesen, daß früher in den Sozial­versicherungsgesetzen für branchenspezifische Einzelregelungen wesentlich größere Regelungsspiel­räume als jetzt vorhanden waren. Mittlerweile ist der überwiegende Teil der Aufgaben gesetzlich so genau determiniert, daß der Entscheidungsspielraum des einzelnen Versicherungsträgers nicht mehr allzu groß ist.

Zusätzlich hat sich in zahlreichen Rechnungshofberichten herausgestellt, daß die derzeitige Form der Selbstverwaltung nicht geeignet ist, Mißstände in den Sozialversicherungsträgern zu verhindern. Meist entsteht sogar eher der Eindruck, daß die Gefahr von Fehlentwicklungen durch die politisch besetzten Versicherungsvertreter erhöht wird. Die Entsendung der Versicherungsvertreter ist zwar zahlenmäßig festgelegt, jedoch innerhalb der Sozialpartnerorganisationen mehr oder weniger den dort dominierenden Parteien überlassen. Der einzelne Sozialversicherte fühlt sich durch diese indirekte Entsendung weder wirklich vertreten noch vor Mißständen innerhalb der Sozialversicherungsträger geschützt. Angesichts hoch dotierter Sonderverträge, protektionistischer Postenbesetzungen, luxuriöser Dienstwagen, exotischer Dienstreisen und Willkürakten gegen verdiente Mitarbeiter kann der Pflichtversicherte nur mehr den Eindruck haben, daß die Selbstverwaltung seinen Interessen nicht ausreichend zum Durchbruch verhilft.

Zusätzlich unterliegt die Selbstverwaltung zwar der Aufsicht der Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales, vielfach sind aber ihre Eingriffsmöglichkeiten zu gering und damit ihre Verantwortlichkeit für das Funktionieren der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung reduziert.

Die Antragsteller sind der Meinung, daß es nur zwei Lösungsmöglichkeiten gibt: die Abschaffung der Selbstverwaltung und Unterstellung der Sozialversicherung unter das Bundesministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales oder eine grundlegende Demokratisierung und Effizienzsteigerung der Selbstverwaltung. Eine Abschaffung der Selbstverwaltung erscheint derzeit nicht durchsetzbar und würde zudem durch eine lange Umstellungsphase Verbesserungen weit in die Zukunft verschieben. Die Antragsteller schlagen daher vor, die Selbstverwaltung massiv zu entschlacken und durch eine Direktwahl der Versichertenvertreter zu demokratisieren und andererseits die Kontrolle durch vermehrte Aufsichts­pflichten der Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales zu stärken.”

Der Ausschuß für Arbeit und Soziales hat den Antrag 1015/A(E) in seiner Sitzung am 30. Juni 1999 in Verhandlung genommen.

Berichterstatterin im Ausschuß war die Abgeordnete Heidrun Silhavy.

An der Debatte beteiligte sich der Abgeordnete Dr. Gottfried Feurstein.

Bei der Abstimmung fand der gegenständliche Entschließungsantrag keine Mehrheit.

Als Ergebnis seiner Beratung stellt der Ausschuß für Arbeit und Soziales somit den Antrag, der National­rat wolle diesen Bericht zur Kenntnis nehmen.

Wien, 1999 06 30

                             Helmut Dietachmayr                                                       Annemarie Reitsamer

                                   Berichterstatter                                                                            Obfrau