2036 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XX. GP

Bericht

des Verfassungsausschusses

 

über den Antrag 1159/A der Abgeordneten Dr. Volker Kier und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem ein Allgemeines Behinderten-Gleichstellungsgesetz (Beh-GStG) erlassen wird

 

Die Abgeordneten Dr. Volker Kier und Genossen haben den gegenständlichen Antrag am 17. Juni 1999 im Nationalrat eingebracht, der wie folgt begründet war:

“Allgemeiner Teil

Mit Verfassungsgesetz vom 13. August 1997, BGBl. I Nr. 87/1997, sind Menschen mit Behinderungen bekanntlich in den Art. 7 Abs. 1 B-VG aufgenommen worden.

Der Bundeskanzler hat im Dezember 1997 angeordnet, daß im Verfassungsdienst des BKA eine Arbeitsgruppe gebildet werde, die die Bundesgesetze nach Bestimmungen durchforsten sollte, die Benachteiligungen für Behinderte enthalten. Diese Arbeitsgruppe hat sich am 8. Jänner 1998 konstituiert und hielt seit Februar 1998 zahlreiche Sitzungen ab. Sie wurde aus Beamten des BKA und einiger Ministerien, Vertretern von Behindertenorganisationen und Vertretern der im Parlament vertretenen Parteien gebildet. Neben der Arbeitsgruppe im BKA gab es noch Arbeitsgruppen im BMAGS, im BMUK und im BMWV, die ebenfalls jeweils zu mehreren Sitzungen zusammenkamen.

Das BKA hat am 2. November 1998 einen ,Vorläufigen Gesamtbericht‘ versendet, der allerdings verschiedentlich kritisiert wurde. Nach einigen ergänzenden Sitzungen erschien anfangs Februar 1999 ein ,Gesamtbericht‘, der in einer Sitzung im BKA am 17. Februar 1999 mit geringfügigen Änderungen von allen Teilnehmern an den Arbeitsgruppen akzeptiert wurde und in einer Endfassung vor kurzem erschienen ist.

Im Zuge der Durchforstung der Bundesgesetze wurden 60 bis 70 Gesetze besprochen, in denen Be­stimmungen geortet wurden, die als behindertendiskriminierend angesehen werden können. Eine genaue Feststellung der Zahl der Gesetze bzw. der diskriminierenden Bestimmungen ist deshalb nicht möglich, weil innerhalb der Arbeitsgruppe keineswegs Einhelligkeit darüber bestand, ob eine Bestimmung diskriminierend ist oder nicht. Außerdem ergaben sich zahlreiche Fälle, in denen eine an sich neutrale Bestimmung im Vollzug diskriminierend wurde. Es ergab sich daher, daß gesetzliche Regelungen in manchen Fällen gar nicht abgeändert werden müßten, daß aber ihre Auslegung und der darauf basierende Vollzug zu Diskriminierungen führt.

Es wurde daher bereits bei den Beratungen der Arbeitsgruppen der Gedanke geäußert, daß in Ergänzung zu der Verfassungsbestimmung nicht nur Korrekturen der einzelnen Gesetze zu erfolgen haben, sondern ein Allgemeines Behinderten-Gleichstellungsgesetz nötig wäre. Weiters muß berücksichtigt werden, daß trotz intensiver Arbeit bei der Durchforstung wahrscheinlich Bestimmungen übersehen wurden, sodaß auch in diesem Zusammenhang ein allgemeines Gesetz erforderlich ist.

Besonderer Teil

Die Einteilung in Abschnitte soll der besseren Übersicht dienen und entspricht auch der von den Arbeitsgruppen eingehaltenen Vorgangsweise.

Zum 1. Abschnitt:

Zu § 1:

Dieses Gesetz muß eine Verfassungsbestimmung enthalten, da anderenfalls infolge der Zersplitterung der Kompetenzbestimmungen der Bundesverfassung eine Vollziehung des Gesetzes nicht gewährleistet ist.

Zu § 2:

Diese Bestimmung stellt die Verbindung mit der Ergänzung des Art. 7 B-VG aus dem Jahre 1997 her. Da in zahlreichen Gesetzen jedoch auf Grund der Ergebnisse der oben dargestellten Arbeitsgruppen Änderungen vorgenommen werden müssen, soll im Abs. 2 zum Ausdruck gebracht werden, daß die in diesem Gesetz enthaltenen Bestimmungen als allgemeine Richtlinien gedacht sind.

Zu § 3:

Diese allgemeine Begriffsbestimmung der Behinderung ist dem ,Behindertenkonzept der Bundesre­gierung‘ entnommen und hat auch als Grundlage für andere Gesetze zu dienen. Um einen Schutz  vor Benachteiligung zu gewährleisten und eine umfassende rechtliche Gleichstellung durch die verschiedenen legislativen Maßnahmen sowie die Rechtsinterpretation zu ermöglichen, ist es notwendig, den Begriff der Diskriminierung zu definieren.

Zum 2. Abschnitt:

Bei der Behandlung der diversen Verfahrensgesetze hat sich herausgestellt, daß in allen die gleichen Probleme auftreten, sodaß eine allgemeine Regelung geboten erscheint. Unbeschadet dessen wurde das Problem ,Gebärdensprache‘ bereits in Novellen zur StPO und zur ZPO gesetzlich geregelt (BGBl. I Nr. 20 und 21/1999).

Zum 3. Abschnitt:

In §§ 9 und 10 wird das Problem der Ausbildung Behinderter in Form allgemeiner Bestimmungen berührt. Die Regelung edukatorischer Probleme muß der Schulgesetzgebung und die Probleme der Wissenschafts­vermittlung der Hochschulgesetzgebung überlassen bleiben.

Im § 8 wird die bauliche Gestaltung von Bildungseinrichtungen geregelt, da die mangelnde Zugangsmög­lichkeit oftmals dazu führt, daß Behinderte in ihrer Bildung benachteiligt sind.

Zum 4. Abschnitt:

Mit diesen Bestimmungen sollen die oftmals geradezu lächerlichen Hindernisse beseitigt werden, die den Behinderten die Teilnahme am gesellschaftlichen und kulturellen Leben erschweren. Ihre generelle Regelung in diesem Gesetz erspart zahlreiche Bestimmungen in einschlägigen Gesetzen und Verord­nungen. Die Zeitvorgaben für die Adaptierung bestehender Einrichtungen sind durch die jeweils zuständigen Bundesminister per Verordnung zu regeln, wobei die vorausgehende Anhörung des Bundesbehindertenbeirats garantieren soll, daß die zeitlichen Fristen zur Umsetzung im Sinne der Zielvorgaben dieses Gesetzes maximal beschränkt sind. Es hätte wenig Sinn gehabt, in dieses Gesetz allgemeine Zeitvorgaben für die Adaptierung aller Einrichtungen festzuschreiben, da in einigen Fällen die Maßnahmen in kurzer Zeit verwirklicht werden können, in anderen Fällen jedoch im Hinblick auf die wirtschaftlichen Gegebenheiten mehrere Jahre veranschlagt werden müssen. Eine Zustimmung des Hauptausschusses des Nationalrates zu den Verordnungen wird im Sinne einer raschest möglichen Umsetzung aller Adaptierungsmaßnahmen für notwendig erachtet.

Mit Hilfe einer Art ,Stand der Technik‘-Klausel soll in der Frage der konkreten Verwirklichung der Bestimmungen der §§ 11 bis 16, was die Anwendung bestehender Standards und Normen (ÖNORM, ISO usw.) betrifft, ein Spielraum geschaffen werden. Durch die Determinierung ,Stand der Technik‘ ist garantiert, daß die optimalen Normvorgaben zum Einsatz kommen (beispielsweise Abschrägung der Gehsteigkanten bei gleichzeitiger Kennzeichnung derselben durch taktile Aufmerksamkeitsfelder). Die Erwähnung einer bestimmten Norm in diesem Gesetz hätte dies unter Umständen verhindert.

Zum 5. Abschnitt:

Diese Bestimmungen bezwecken das gleiche für den Bereich Bauwesen, wie die Bestimmungen für den Bereich Verkehr. Die an sich unsinnige Aufsplitterung der Bauordnungen auf die einzelnen Länder macht diese Bestimmungen besonders bedeutsam. Die Zeitvorgaben entsprechen dem 4. Abschnitt.

Zum 6. Abschnitt:

Hier muß darauf verwiesen werden, daß das Behinderteneinstellungsgesetz eine umfassende Regelung für Unselbständige darstellt. Das BEinstG ist zwar in vielen Belangen unvollkommen und entspricht nicht den Bedürfnissen der behinderten Arbeitnehmer, doch ist es wie alle Arbeits- und Sozialgesetze einer dauernden Novellierung unterworfen, sodaß die Hoffnung besteht, daß einmal ein besseres Gesetz zustande kommt.

Aus diesem Grund beschränkt sich dieser Entwurf auf die Regelung von Berufszulassungen, ein Bereich, der im BEinstG überhaupt nicht behandelt wird.

Zu § 18:

Diese Regelung wirkt darüber hinaus auch auf sozialrechtliche Materien (zB Behinderteneinstellungs­gesetz; nicht jedoch Bundespflegegeldgesetz, wo der Pflegebedarf nach gänzlich anderen Kriterien ermittelt wird). Der Grund, warum die prozentuelle Bestimmung der Erwerbsfähigkeit abgelehnt wird, liegt darin, daß sowohl eine Prozentgrenze an sich als auch die anzuwendenden Feststellungsverfahren willkürlich erscheinen.

Es gibt nämlich zahlreiche Fälle, in denen Personen, die als 90% erwerbsunfähig eingestuft wurden, hervorragende Arbeit leisten, die der eines 100%ig Arbeitsfähigen um nichts nachsteht, und es gibt auch sehr viele Fälle, die nach ärztlicher und berufskundlicher Begutachtung als mehr als 50%ig arbeitsfähig eingestuft werde, nichts leisten können. Es mag für die Bürokratie sehr bequem sein, Menschen schematisch abzustempeln, doch entspricht dieses System nicht der Wirklichkeit, schadet den Betroffenen und mißachtet ihre Menschenwürde. Aber auch der Wirtschaft ist nicht damit gedient, daß man Personal falsch klassifiziert.

Die zu erwartenden Einwände werden sicher vor allem Kostenprobleme anführen. Nun mag es tatsächlich billiger sein, Menschen nach einem Schablonensystem zu klassifizieren als sie richtig zu beurteilen, doch verursacht die Fehlbegutachtung wirtschaftlich viel größere Schäden als die zusätzlichen Kosten einer individuellen Beurteilung.

Zum 7. Abschnitt:

Hier werden zwei weitverbreitete Benachteiligungen der Behinderten verboten, wobei der § 20 dem Art. IX EGVG (Einführungsgesetz zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen) entnommen ist und der § 21 eine unbedingt erforderliche Regelung darstellt, da die ausschließliche Regelung mittels ,genereller Normen‘ erfahrungsgemäß zu Fehlinterpretationen oder mißbräuchlicher Handhabung führt.

Absichtlich wurde die hart umstrittene Frage des Notariatszwangs für Verträge von Blinden hier nicht aufgenommen, weil dieses Problem noch gar nicht gelöst ist und durch einfache Weglassung im Notariatszwangsgesetz geregelt werden müßte.

Zum 8. Abschnitt:

Zu § 21:

Dieser ist ebenso wie der § 20 dem EGVG nachgebildet.

Zu § 22:

Dieser führt die Parteistellung behinderter Menschen ein, was ebenso gerechtfertigt ist, wie die zahl­reichen Nachbarschafts- und Anrainerrechte, die in letzter Zeit immer häufiger in Verwaltungsverfahren zur Geltung kommen. Ob es auch eine sogenannte Verbandsintervention geben soll, bleibe dahingestellt. Keinesfalls dürfen die Sozialpartner hier Rechte erhalten, da diese Behinderteninteressen niemals vertreten, wenn sie dies auch gelegentlich behaupten.

Zu § 23:

Hier ist eine Rechtsdurchsetzungsmöglichkeit für betroffene Personen vorgesehen, die in Österreich ungewöhnlich ist. Allerdings gibt es bekanntlich im Sozialversicherungsrecht ein Vorbild, da ablehnende Bescheide der Sozialversicherungsträger in Leistungssachen vor dem Arbeits- und Sozialgericht, also einem Zivilgericht mit Klage angefochten werden können.

Gegen die Form der Rechtsdurchsetzung im Wege einer Zivilklage wird oftmals angeführt, daß sie umständlich, langwierig und kostspielig ist, während die Durchsetzung im Verwaltungswege rascher und billiger sei. Diese Argumente können leicht entkräftet werden. Erstens wird das Verwaltungsverfahren im § 23 ausdrücklich zugelassen, sodaß beide Wege gewählt werden können. Zudem muß leider festgestellt werden, daß in vielen Verwaltungsverfahren das Wort Rasch ein Fremdwort ist. Dagegen gibt es im Zivilverfahren das Institut der Einstweiligen Verfügung, die tatsächlich rasch erlassen wird.  Aus Gründen der größeren Wirksamkeit wurde auf die Regelung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) verwiesen.

Ergänzend wäre noch zu bemerken, daß die Einreichung einer im § 23 konzipierten Klage gegen eine Behörde die Problematik des Art. 94 B-VG (Gewaltentrennung) nicht berührt, da es sich hier nicht um eine Zivilklage gegen einen Bescheid handelt, sondern um eine Klage auf Beseitigung eines gesetzwidrigen Zustands und auf Schadenersatz.

Zu § 24 Abs. 2:

 

Diese Bestimmung mußte eingefügt werden, um die Blockade der Gerichtsbarkeit durch Tausende von Klagen zu verhindern. Eine interne Aufteilung der Kosten zwischen allen Betroffenen hängt aber von ihrer prozessualen Stellung als Kläger oder Nebenintervenient nicht ab. Bewußt wurde in diesem Antrag auf die Einführung einer sogenannten Verbandsklage verzichtet, weil eine solche eine Entmündigung des einzelnen Betroffenen darstellt und Verbandsklagen oftmals nicht im Interesse der Betroffenen, sondern im Interesse des jeweiligen Verbandes geführt werden.

Kosten:

Die Feststellung, welche Kosten die Vollziehung dieses Gesetzes verursachen wird, ist schwer ab­schätzbar.

Die Kosten der behördlichen Vollziehung des Gesetzes werden geringfügig sein, da keine ausufernden Verwaltungsverfahren zu erwarten sind und die Kosten allfälliger gerichtlicher Verfahren die Gerichte nicht mehr belasten als andere Zivilverfahren auch.

Zum Teil hohe Kosten sind für die Betreiber von Einrichtungen zu erwarten, welche sohin behinderten­gerecht ausgestattet werden müssen. Dies wird die öffentliche Hand ebenso treffen wie Private. Ein Blick in die Vereinigten Staaten beispielsweise zeigt jedoch, daß öffentliche wie private Einrichtungen und Betriebe es mittlerweile als selbstverständlich betrachten, daß die Herstellung des verfassungsrechtlich garantieren Gleichheitsgrundsatzes gelegentlich Anstrengungen und Kosten verursacht, denen man sich schlichtweg nicht verweigern darf, will man die Grundfesten des demokratischen Staates nicht in Frage stellen. Dieses Bewußtsein gilt es – als Aufgabe aller gesellschaftlich maßgeblichen Gruppen – in jeder Hinsicht zu stärken.

Als dritte Gruppe von Kostenbetroffenen sind schließlich die behinderten Menschen selbst zu erwähnen. Wie schon in den Erläuterungen zu § 23 ausgeführt, können die Kosten von Zivilprozessen durch die Verfahrenshilfe und den in der ZPO vorgesehenen Kostenersatz wesentlich reduziert werden.

Abschließend weisen die unterfertigten Abgeordneten des Liberalen Forums darauf hin, daß das im Art. 7 B-VG normierte Staatsziel der Gleichbehandlung der behinderten Menschen im täglichen Leben durch das vorgeschlagene Gesetz entscheidend gefördert würde. Wie die Beispiele Vereinigte Staaten, Kanada, Australien oder auch die Ansätze im Vereinigten Königreich zeigen, führen Anti-Diskriminierungsgesetze zu einem Quantensprung in der Durchsetzung eines selbstbestimmten Lebens für alle BürgerInnen in einer freien und solidarischen Gesellschaft.”

Der Verfassungsausschuß hat den Initiativantrag in seiner Sitzung am 1. Juli 1999 in Verhandlung genommen.

Berichterstatter im Ausschuß war Abgeordneter Dr. Volker Kier.

An der Debatte beteiligten sich die Abgeordneten Theresia Haidlmayr, Dr. Helene Partik-Pablé, Maria Rauch-Kallat, Dr. Volker Kier und Heidrun Silhavy.

Jene Abgeordneten, die den Gesetzesantrag ablehnten, betonten, daß sie das inhaltliche Anliegen des Gesetzentwurfes teilen. Allerdings hielten sie den Gesetzentwurf für keine taugliche Umsetzung dieses Anliegens: zum einen deswegen, weil er in keiner Weise auf die Struktur der österreichischen Rechtsordnung Rücksicht nimmt und daher auch kaum vollziehbar ist, zum anderen weil er Kostenfolgen in ungeschätzter, aber beträchtlicher Höhe nach sich ziehen würde und die Kostentragung in keiner Weise geklärt ist.

Bei der Abstimmung fand der gegenständliche Initiativantrag keine Mehrheit.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Verfassungsausschuß somit den Antrag, der Nationalrat wolle diesen Bericht zur Kenntnis nehmen.

Wien, 1999 07 01

                                      Otto Pendl                                                                    Dr. Peter Kostelka

                                   Berichterstatter                                                                           Obmann