Zu 755 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XX. GP
Abweichende persönliche Stellungnahme
der Abgeordneten Mag. Terezija Stoisits
gemäß § 42 Abs. 5 GOG
zum Bericht des Ausschusses für innere Angelegenheiten über die Regierungsvorlage betreffend das Fremdengesetz 1997 und die Regierungsvorlage betreffend das Asylgesetz 1997
Grundsätzliches
Der Feststellung des Abgeordneten Paul Kiss, daß die Ausschuß- und Unterausschußsitzungen „von einem Geist getragen waren, der sich sehen lassen kann“, kann nicht zugestimmt werden. Wenn der von der FPÖ vorgeschlagene Ausschußexperte Mag. Peter Goldgruber sich über die Bestimmung des § 38 FrG, „ …, von klein auf … niedergelassen ist, …“ mit der Bemerkung lustig machte, „ob über Liliputaner kein Aufenthaltsverbot verhängt werden darf“ und dagegen von den Abgeordneten kein Protest erhoben wird, spricht es nicht unbedingt für ein hochstehendes Niveau. Außerdem besteht der Verdacht, daß sich die ÖVP-Abgeordneten nicht sehr intensiv mit dem Fremdengesetz auseinandergesetzt haben, ansonsten hätten sie sich wohl kaum mit dem Argument abspeisen lassen, daß volljährige behinderte Kinder nach dem Fremdengesetz ein Aufenthaltsrecht bekommen können. Tatsächlich ist nach dem Fremdengesetz ein Familiennachzug für volljährige behinderte Kinder nicht möglich. Diese könnten höchstens als Privatier nach Österreich kommen, wenn sie über ausreichende finanzielle Mittel verfügen, was bei behinderten Kindern in der Regel nicht der Fall ist.
Bestritten muß auch werden, daß die Anregungen der Experten ernst genommen wurden. Wenn dies der Fall wäre, warum sind dann die konkreten Änderungsvorschläge, zB insbesondere von UNHCR, nicht umgesetzt worden. Das von den Abgeordneten vorgebrachte Selbstlob ist daher keineswegs angebracht. Vielmehr hege ich den Verdacht, daß die Abgeordneten der Koalitionsparteien vor allem deshalb von einem positiven Klima sprechen, weil die sich mit den kritischen Anmerkungen und Anregungen der Grünen nicht auseinandersetzen mußten.
Zum Fremdengesetz
Die Abgeordneten der Koalitionsparteien müssen ein sonderbares Verständnis von Integration haben, wenn sie ein Gesetz, das den Familiennachzug für bereits in Österreich lebende Ausländer/innen für Personen über 14 Jahre zum Teil und für behinderte Kinder und Großeltern generell ausschließt, die nachgezogenen Familienangehörigen bis zu acht Jahren am Zugang zum Arbeitsmarkt hindert, die Ehefrauen vier Jahre lang in die vollkommene Abhängigkeit von den Männern drängt und in den ersten acht Jahren des Aufenthaltes bei Arbeitslosigkeit die Ausweisung ermöglicht.
Bei den positiven Bestimmungen, die zu einer Aufenthaltsverfestigung beitragen sollen, wie Ausweisungsschutz nach längerem Aufenthalt und kein Aufenthaltsverbot für Personen zweiter Generation, handelt es sich nur um eine längst überfällige Umsetzung der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte. Zu begrüßen ist sicherlich, daß endlich eine weitere Forderung der Grünen, nämlich eine wesentliche Gleichstellung der Angehörigen österreichischer Staatsbürger/innen mit den Angehörigen anderer EU-Bürger/innen gesetzlich geregelt wird. Aber auch diesbezüglich gibt es längst entsprechende Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes.
Bedauerlich ist vor allem, daß innerhalb der ersten acht Jahre die neugeschaffenen gesetzlichen Regelungen eine Integration von Migrant/inn/en praktisch verhindern. Der notwendige Nachweis einer ortsüblichen Unterkunft und die mögliche Ausweisung bei Arbeitslosigkeit zwingen Migrant/inn/en innerhalb der ersten acht Jahre, jede Arbeit und jede Wohnung unter allen Bedingungen anzunehmen, da ihnen ansonsten die Ausweisung droht. Unter diesen Voraussetzungen können Integrationsmaßnahmen nicht greifen, da sie in erster Linie mit der Absicherung ihres Aufenthaltsrechtes beschäftigt sind und andererseits die ständig drohende Ausweisung eine längerfristige integrative Planung unmöglich macht.
Beschränkung der Familienzusammenführung
Bisher war es zumindest in besonderen Härtefällen möglich, die Eltern bzw. volljährige behinderte Kinder, also Personen, denen Unterhalt gewährt wird, im Rahmen der Familienzusammenführung eine Aufenthaltsbewilligung zu erteilen. Mit der vorliegenden Gesetzesänderung ist eine Familienzusammenführung für volljährige Kinder, die behindert sind, und Großeltern nicht mehr möglich. Diese Personen könnten höchstens als Privatiers unter der Voraussetzung, daß sie über ein ausreichendes Vermögen verfügen, nach Österreich kommen. Diese Regelung ist nicht nur unmenschlich, sondern widerspricht auch der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte. Ausgeschlossen wird auch der Familiennachzug für Kinder, die älter als 14 Jahre sind, wenn sich die Eltern bzw. ein Elternteil in Österreich aufhalten und der Antrag auf Familienzusammenführung nicht bis zum 1. Jänner 1998 gestellt wurde. Auch diese Regelung erscheint im Sinne des Art. 8 EMRK als verfassungsrechtlich problematisch.
Förderung der Diskriminierung per Gesetz
Bereits in den letzten Jahren wurde immer wieder heftige Kritik an negativen Bescheiden, insbesondere der MA 62, geübt, die den Nachzug von Familienangehörigen mit der Begründung der „Überfremdung“ ablehnte. Von derselben Behörde wurden auch Bescheide ausgestellt, mit denen die Aufenthaltsbewilligung für Familienangehörige damit abgelehnt wurde, daß bekannt sei, daß sich diese Familienangehörigen in Österreich nicht integrieren wollen („Kopftuchbescheide“). Es ist zu befürchten, daß durch die beiden Bestimmungen, deren Streichung verlangt wird, ein derartiges Vorgehen legalisiert wird. Angesichts der Tatsache, daß 1997 von der EU als Europäisches Jahr gegen den Rassismus erklärt wurde, ist eine derartige gesetzliche Regelung wohl nicht tragbar. Wenn die Integration erreicht werden soll, dann sind Bestimmungen, die ein diskriminierendes Verhalten der Behörden fördern können, unter allen Umständen zu vermeiden.
Auch die in § 32 normierte verschärfte Ausweispflicht für „Fremde“ – in Hinkunft müssen diese Personen die Reisedokumente praktisch bei sich tragen – ermöglicht eine diskriminierende Behandlung von Personen, „denen man ansieht, …“. Da die Voraussetzungen für eine Identitätsfeststellung im Sicherheitspolizeigesetz und in den Verwaltungsverfahrensgesetzen klar geregelt sind, besteht kein Bedarf an dieser Bestimmung.
Gegen Angehörige von EU-Bürgern darf kein Aufenthaltsverbot mehr verhängt werden, wenn sie sich bereits zehn Jahre in Österreich aufgehalten haben. Offensichtlich gehen die Koalitionsparteien davon aus, daß die Gefährdung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit durch Personen, die nicht EU-Bürger/innen sind, größer ist als bei anderen Personen. Wenn dies nicht der Fall ist, gibt es auch keinen triftigen Grund, daß bei Nicht-EU-Bürger/inne/n ein Aufenthaltsverbot erst dann nicht erlassen werden darf, wenn sie sich mehr als die Hälfte ihrer Lebenszeit in Österreich aufgehalten haben bzw. von klein auf hier aufgewachsen sind.
Kein wirklicher Schutz für Opfer des Menschenhandels
Bedauerlich ist auch, daß insbesondere für die Opfer des Frauenhandels nicht wirklich eine Ausstiegsmöglichkeit geschaffen wird. Für diese Opfer wird lediglich zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche bzw. solange sie als Zeugen in Strafverfahren benötigt werden, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt. Diese Aufenthaltserlaubnis schließt sie aber vom Arbeitsmarkt aus, sodaß ein Ausstieg aus der erzwungenen Prostitution nur sehr schwer möglich sein wird.
Unsinnig ist auch die Bestimmung, daß Personen aus humanitären Gründen nur eine Aufenthaltserlaubnis und keine Niederlassungsbewilligung erhalten und somit einer Beschäftigung nicht nachgehen dürfen. Damit sind sie auf die Unterstützung caritativer Organisationen angewiesen oder können betteln gehen, sofern sie nicht in Graz leben.
Zusammenfassend kann gesagt werden, daß so lange nicht von Integration gesprochen werden kann, solange Migrant/inn/en von jedem passiven Wahlrecht ausgeschlossen sind, der Zugang zu Gemeindewohnungen nur in wenigen Städten gewährt wird und der Zugang zum Arbeitsmarkt drastisch beschränkt ist und außerdem die Einbürgerungsbestimmungen zu den strengsten in Europa gehören.
Zum Asylgesetz
Eintrittsverweigerung für Flüchtlinge, wenn der Asylantrag an der Grenze gestellt wird
Auch wenn Flüchtlinge an der Grenze einen Asylantrag stellen, sollten sie unverzüglich den Asylbehörden zwecks Einvernahme vorgeführt werden. Die Verweigerung der Einreise führt dazu, daß die betroffenen Flüchtlinge in Zukunft unter allen Umständen versuchen werden, auf irgendeine Art und Weise nach Österreich zu gelangen, um zu vermeiden, daß sie im Niemandsland vorerst eine Wahrscheinlichkeitsprüfung ihres Antrages abwarten müssen. Dies bringt nur einen zusätzlichen Umsatz für die Schlepperunternehmen und ist im Sinne eines fairen Asylverfahrens nicht zu rechtfertigen.
Abschiebung der Verantwortung für politische Flüchtlinge an unsere Nachbarländer
Gemäß § 4 besteht ein sicherer Schutz in einem Drittstaat regelmäßig dann, wenn dieser die Genfer Flüchtlingskonvention ratifiziert und ein Asylverfahren entsprechend den Grundsätzen der Konvention eingerichtet hat. Wie der Innenminister in Vorträgen bestätigt hat, sind diese Voraussetzungen in allen österreichischen Nachbarländern gegeben. Dies bedeutet, daß auf dem Landweg praktisch kein politischer Flüchtling mehr nach Österreich kommen kann. Eine derartige Praxis ist unverantwortlich. Von einem sicheren Drittland sollte nur dann gesprochen werden, wenn in jedem Fall auch geprüft wurde, ob der Asylwerber in dem sogenannten Drittland, in das er zurückgeschickt werden soll, auch aufgenommen wird und seine Fluchtgründe in einem fairen, effizienten Asylverfahren inhaltlich und individuell geprüft werden.
Mangelndes Aufenthaltsrecht und Unterstützung während der Dauer des Asylverfahrens
Asylbewerber/innen sollte mit Antragstellung ein Aufenthaltsrecht eingeräumt werden; sofern sie mittellos sind, sind sie in die Bundesbetreuung aufzunehmen. Die Kosten der Schubhaft sind ungleich höher als die Kosten der Bundesbetreuung (650 S zu 180 S). Außerdem sollte Flüchtlingen während des laufenden Asylverfahrens die Möglichkeit eingeräumt werden, einer Beschäftigung nachzugehen. Das Aufenthaltsrecht sollte generell auf die Dauer des Verfahrens vor dem Verwaltungs- oder Verfassungsgerichtshof ausgedehnt werden. Es ist zu bedauern, daß das Bundesbetreuungsgesetz diesbezüglich nicht novelliert wurde.
Unzumutbar und verfassungsrechtlich bedenklich ist – wie UNHCR ausgeführt hat – vor allem auch die 48stündige Berufungsfrist, wie sie in § 32 festgelegt wird. Außerdem sollten grundsätzlich Flüchtlinge darauf hingewiesen werden, daß sie die Möglichkeit der Kontaktaufnahme mit einem Flüchtlingsberater haben, wobei die Voraussetzungen zu schaffen sind, daß eine Beratung durch kompetente Personen caritativer, kirchlicher und anderer Organisationen auch sichergestellt wird. Die vorgeschlagene Änderung, daß es den Flüchtlingen freisteht, eine Beratung durch kirchliche oder humanitäre Organisationen in Anspruch zu nehmen, grenzt schon an eine Verhöhnung.
Kein ausdrücklicher Schutz für Personen, die aus sexuellen Gründen auf der Flucht sind, insbesondere für Frauen und Kinder
Heftig kritisiert wird von mir auch, daß die Mißhandlung von Frauen und Kindern nicht konkret als Asylgrund festgeschrieben wurde. Die Notwendigkeit einer derartigen Regelung hat sich im Zusammenhang mit den Konflikten im ehemaligen Jugoslawien deutlich gezeigt. Darüber hinaus sollte bezüglich des Asylverfahrens festgelegt werden, daß Frauen und Kinder nicht nocheinmal über die Mißbrauchshandlungen befragt werden, wenn diese von einem Arzt oder Psychologen als unzweifelhaft festgestellt wurden. Es ist unzumutbar, mißbrauchte Personen noch einmal der Tortur der Befragung auszusetzen, auch wenn diese nun von Personen gleichen Geschlechtes durchgeführt werden soll.
Keine Aufenthaltssicherheit, auch wenn das Asylverfahren länger als fünf Jahre dauert
Gemäß § 35 dürfen zwar Personen nach fünfjährigem ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalt in Österreich nicht mehr wegen Mittellosigkeit ausgewiesen werden. Gemäß § 14 Abs. 2 FrG kann ein Antrag im Inland gestellt werden, wenn der Antragsteller bereits rechtsmäßig niedergelassen ist. Laut § 7 Abs. 3 FrG sind auf Dauer niedergelassene Staatsangehörige jene, die in Österreich einen Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen haben. Bei einer Person, die nach Österreich geflüchtet ist, um hier um politisches Asyl anzusuchen, wird wohl anzunehmen sein, daß sie dieses Land zum Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen gemacht hat.
Asylwerber/inne/n, deren Asylverfahren nach fünf Jahren noch nicht abgeschlossen ist, ist über Antrag eine Niederlassungsbewilligung für jeglichen Aufenthaltszweck zu erteilen. Wenn über einen Asylantrag nach Jahren noch nicht endgültig entschieden wurde, weil zB vom Innenministerium nach Aufhebung des Bescheides durch den VwGH neuerlich ein negativer Bescheid erlassen und somit eine weitere Beschwerde provoziert wird, dann ist den Asylwerber/inne/n auf alle Fälle ein Aufenthaltsrecht in Österreich einzuräumen. Es ist unzumutbar, Personen fünf Jahre im Unsicheren zu belassen und dann möglicherweise, nachdem sie sich hier eingelebt haben, abzuschieben.
Terezija Stoisits