786 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XX. GP

Bericht

des Verfassungsausschusses


über den Antrag 4/A(E) der Abgeordneten Dr. Friedhelm Frischenschlager und Genossen betreffend Verankerung von Grundrechten in bezug auf Lauschangriff und Raster­fahndung


Die Abgeordneten Dr. Friedhelm Frischenschlager und Genossen haben diesen Entschließungsantrag am 15. Jänner 1996 im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:

„Eine Verankerung des Schutzes gegen schrankenlose und unverhältnismäßige Lauschangriffe und Rasterfahndungen bzw. eine Optimierung des bestehenden Grundrechtsschutzes gegen diese Maßnahmen ist angesichts aktueller Bedrohungen für die grundrechtlich geschützte Sphäre (auch bezüglich Unbeteiligter) rechtspolitisch sinnvoll und geboten. Im Interesse einer generellen legistisch sinnvollen und sprachlich gelungenen Regelung sowie eines möglichst umfassenden Grundrechtsschutzes sollte ein unmittelbarer normativer Zusammenhang zwischen dem Recht auf Privatleben, dem Datenschutz, den Schranken der EMRK, vor allem dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und spezifisch (sicher- und staats-)polizeilichen Maßnahmen (insbesondere hinsichtlich Lauschangriff und Rasterfahndung, aber auch gegenüber erkennungsdienstlichen bzw. sonstigen „polizeilichen“ Maßnahmen im gegebenen Kontext) hergestellt werden.

Der ,Sitz‘ einer Grundrechtsnorm, welche die Privatsphäre im weiteren Sinn gegen die oben beschriebenen und einfachgesetzlich begründeten Maßnahmen schützen soll (solcherart eine ,neue‘ Norm) findet sich in systematischer Sicht im wesentlichen in Art. 9, 10, 10a StGG, in Art. 8 EMRK und in § 1 DSG, so daß es zutreffenderweise einer systematischen Weiterentwicklung all dieser klassisch-liberalen Grundrechts­normen bedürfte.

Dieser Entschließungsantrag zielt vorerst auf eine Anpassung des StGG, bis dann in weiterer Folge die Schaffung eines neuen, längst überfälligen Grundrechtskatalogs verwirklicht werden kann. Gleichzeitig sollte aber auch eine Verbesserung des prozessualen Rechtsschutzes im Auge behalten werden, da jede Grundrechtsnorm nur soweit tatsächlich schützt, wie sie vor einem unabhängigen Tribunal durchsetzbar und solcherart wirksam ist.

Bezüglich Art. 8 EMRK kann festgehalten werden: Diese Norm steht nicht zur selbständigen und autonomen Disposition des österreichischen Bundesverfassungsgesetzgebers, da sie auch völkerrechtlich verbindlich (bzw. Teil eines multilateralen Staatsvertrages) ist. Nichtsdestotrotz kann der österreichische Bundesverfassungsgeber Inhalte des Art. 8 Abs. 2 EMRK in Grundrechtsnormen (oder einfaches Recht) inkorporieren oder darauf verweisen. Letzteres stellt eine bereits im Datenschutz- und im Fremdenrecht geübte, wenngleich legistisch als nicht optimal zu bewertende Vorgangsweise dar. Eine Parallelregelung wie sie zB im Bereich des Schutzes der persönlichen Freiheit in Kraft ist, birgt wiederum eine Fülle an ihrerseits problematischen Überlagerungen und Redundanzen in sich. Andererseits stellt sich das Problem, daß das Recht auf Privatleben oder auf Privatheit nicht umfassend (und schon gar nicht hinsichtlich der aktuellen Bedrohungen) im StGG gewährleistet ist.

Angesichts des schleppenden bzw. stagnierenden Verfahrens bei der Neubeschaffung eines Grundrechts­kataloges wäre es – als überkommene, wenngleich nur ,zweitbeste Lösung‘ – sinnvoll, vorläufig einen neuen Artikel 10b StGG zu schaffen, der das Recht auf Privatleben (zusätzlich zu Art. 8 EMRK) gewährleistet und letzteres gegen „polizeiliche“ (gemeint: sicher- und staatspolizeiliche, darunter auch informelle) Eingriffe in diversen neuartigen Handlungsformen schützen sollte. Gemeint sind schon im historischen Kontext ohne ausdrückliche Nennung insbesondere (Raster-)Fahndungsmethoden und der ,Lauschangriff‘. Weiters aber auch ein Verbot aller Versuche, die Computernetze durch verschiedene Methoden, wie etwa einem Verschlüsselungsverbot oder einer zwangsweise Bekanntgabe des Schlüssels bei kodierten Computernachrichten und gesetzliche Kontrollen bei der Durchsuchung von Computerdatenbanken unter eine polizeiliche Kontrolle zu stellen. Durch die verfassungsrechtliche Bindung an eine richterliche Anordnung und die Anordnung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes wäre zumindest ein äußerster Rahmen geschaffen, der eine allfällige einfachgesetzliche Neuregelung ungeachtet ihrer konkreten Formulierung determinieren könnte. Natürlich könnte man theoretisch auch den Schutz des Privatlebens vor derartigen Eingriffen durch einen Hinweis auf Art. 8 EMRK in einer neuzuschaffenden Grundrechtsnorm besonders hervorheben, doch birgt dies die legistisch unerwünschte Verquickung von EMRK und innerstaatlichen Grundrechtsnormen in sich. Daher bleibt als sinnvoller Ausweg nur die Ergänzung des StGG durch eine entsprechende Verankerung des Rechts auf Privatleben und eine daran anknüpfende, einfachgesetzliche (allenfalls auch verfassungsrechtlich begründbare) Verbesserung des Rechtsschutzsystems durch die Unabhängigen Verwaltungssenate. Entgegen manchmal geäußerten Befürchtungen scheint das Rechtsschutzpotential der UVS noch nicht ausgeschöpft.


Die Verankerung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im StGG und dessen Erstreckung auf die genannten polizeilichen Handlungsformen sowie deren Bindung an die richterliche Anordnung hätte einen über den eigentlichen Schutzzweck hinausgehenden, positiven Effekt für den Grundrechtsschutz des Privatlebens und würde nicht nur eine (redundante und solcherart abzulehnende) Wiederholung des Art. 8 EMRK darstellen, weil dort die richterliche Kontrolle bzw. Grundlage (Anordnung) von Eingriffen nicht verlangt wird. Im Zusammenhang mit dem Schutz des Brief- und Fernmeldegeheimnisses ist Derartiges bzw. Vergleichbares hinsichtlich der richterlichen Anordnung ohnehin angeordnet und bedürfte daher keiner Wiederholung.

Optimal wäre eine Verknüpfung eines neuen Artikels 10b StGG mit einem entsprechenden Rechtsschutzsystem, das sämtliche (im weiteren Sinn „polizeiliche“) Akte, nicht nur klassische Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in die Kognition eines Tribunals (UVS; Erweiterung des § 88 SPG), im staatspolizeilichen Bereich allenfalls alternativ (Gewalten­trennung) in die Kontrolle parlamentarischer Organe (zB ständige Unterausschüsse gemäß Art. 52a Abs. 1 B-VG) überwiese.

Für die Auslegung der neuen Grundrechtsnorm wäre der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in mehrfacher Hinsicht, vor allem auch für die Abwägung von Sicherheits- und Grundrechtsinteressen relevant.

Das anzustrebende rechtsstaatliche Ziel wäre: Alle polizeilichen Handlungsformen hätten dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu entsprechen und sollten einer rechtsstaatlichen Kontrolle unterliegen. Allfällige Lücken des Rechtsschutzes, die durch Art. 8 EMRK nicht vollends abgedeckt werden, wären zu schließen.“

Der Verfassungsausschuß hat den erwähnten Antrag in seiner Sitzung am 26. Juni 1997 in Verhandlung genommen.

In der Debatte ergriff der Ausschußobmann Dr. Peter Kostelka das Wort.

Bei der Abstimmung fand der gegenständliche Entschließungsantrag nicht die Zustimmung der Ausschußmehrheit.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Verfassungsausschuß somit den Antrag, der Nationalrat wolle diesen Bericht zur Kenntnis nehmen.

Wien, 1997 06 26

                                Dr. Volker Kier                                                              Dr. Peter Kostelka

                                   Berichterstatter                                                                          Obmann