831 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XX. GP

Bericht

des Bautenausschusses


über den Entschließungsantrag 379/A(E) der Abgeordneten Ing. Mag. Erich L. Schreiner und Genossen betreffend Bericht über das Chaos um das Mautpickerl


Die Abgeordneten Ing. Mag. Erich L. Schreiner und Genossen haben den gegenständlichen Ent­schließungsantrag am 14. Jänner 1997 im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:

„Das Jahr 1997 begann für Österreich mit einer beispiellosen internationalen Blamage: Nicht nur, daß die Bundesregierung ein weiteres Kapitel des Lehrstückes ,Wie man eine Bank nicht privatisiert‘ schrieb, die diesbezüglichen Krisensitzungen hielten den Wirtschaftsminister offensichtlich auch davon ab, seine eigentlichen Amtsgeschäfte in ordnungsgemäßer Form abzuwickeln. Dementsprechend geriet auch die geplante Einführung der ohnedies problematischen Pickerlmaut auf den österreichischen Autobahnen mangels entsprechender Vignetten derart chaotisch, daß sie nach zwei Tagen um ein Monat verschoben werden mußte – dies im übrigen ohne brauchbare Rechtsgrundlage.

Doch das Ergebnis war eben nicht nur ein Einnahmenausfall für die Bundesstraßengesellschaften beziehungsweise den Finanzminister, vielmehr geriet die Angelegenheit zu einer internationalen Blamage mit großen Schäden für den Tourismus, weil unsere ausländischen Gäste feststellen mußten, daß sie nicht nur geschröpft werden sollten, sondern daß die österreichische Regierung nicht einmal in der Lage war, diese an sich unpopuläre Aktion zu organisieren. Besonders unverständlich, denn bekanntlich ist der verantwortliche Wirtschaftsminister gleichzeitig auch für Fremdenverkehr zuständig. Kein Wunder daher, daß sich in ausländischen Medien Kommentare häufen, die zum Boykott Österreichs als Urlaubsland aufrufen, wie etwa der folgende:

,B.Z.‘ (Berlin): Sag leise Servus

,Österreich bestraft jetzt Ausländer, die in der Alpenrepublik urlauben wollen. Nicht genug, daß die saftigen Autobahngebühren fällig sind. Nein, statt die Sache vernünftig zu organisieren, inszeniert Wien jetzt das totale ,Pickerl‘-Chaos. Offizielle Stellungnahme: ,Wir haben den extremen Käuferandrang einfach unterschätzt.‘ Klartext: Die Versorgung läuft nicht. Wien versucht krampfhaft, die Totalblamage zu verhindern. Aber das ist schon lange passiert. Fazit zur bisherigen Aktion: teuer, und dann auch noch doof. Bei der Gelegenheit: Die ganze Richtung stimmt sowieso nicht. Das Austro-Chaos führt doch nur immer weiter ins Euro-Chaos: Falls Deutschland auch eine Vignette einführt, sind Europas Windschutzscheiben bald dicht. Die richtige Richtung: freie Fahrt für freie Steuerzahler – und zwar in ganz Europa. Ach, und übrigens: Wir geschröpften ,Piefkes‘ sollten uns das mit dem Ferienland Österreich noch mal überlegen. Sag doch leise Servus.‘

Es ist also ganz offensichtlich, daß dieses Pickerlchaos gewaltige volkswirtschaftliche Auswirkungen hat, und zwar ungleich negativere, als der Verkauf einer Bank an die andere. Dabei ist die Geschichte des Mautpickerls von allem Anfang an eine höchst unrühmliche: Nach untauglichen Versuchen von Generationen von ÖVP-Wirtschaftsministern (Graf, Schüssel, Ditz) sollte es mit dem Belastungspaket des Vorjahres Ernst werden. Grund dafür war weniger die Möglichkeit zusätzlicher Einnahmen – das hätte sich ja auch mit einer gewöhnlichen Steuererhöhung bewerkstelligen lassen – sondern Budget­kosmetik und Schuldenakrobatik mit dem Ziel, die ,Maastricht-Kriterien‘ für die Währungsunion zu erreichen, wofür eine Trendumkehr bei den Staatsschulden erforderlich wäre. Weil dies angesichts ständig neuer Schulden und Defizite, die die Koalition produziert, natürlich gänzlich unmöglich wäre, griff man zum Trick, die Schulden zu ,privatisieren‘, was dann laut Maastricht möglich ist, wenn zumindest die Hälfte der Annuitäten nicht aus dem Budget sondern aus sonstigen Einnahmen stammen – im konkreten Fall also aus dem Mautpickerl. Damit sollten nun die Zinsen für die 77 Milliarden Schilling ASFINAG-Straßen-Schulden bezahlt werden, wodurch trotz Neuverschuldung die offiziellen Staatsschulden tatsächlich gesunken wären. Tatsächlich ist dies aber noch ziemlich ungewiß, weil sich die Länder derzeit – zu Recht – weigern, einer dazu nötigen Fusion der Straßengesellschaften zuzu­stimmen.

Bleibt also unterm Strich die Erkenntnis: Das Mautchaos haben wir letztlich dem geplanten ,Euro‘ zu verdanken, ein kleiner Vorgeschmack ...

Besonders empörend ist dabei die Tatsache, daß der Pickerlmangel auftrat, obwohl (oder weil?) die Herstellung trotz um Millionenbeträge billigerer heimischer Angebote an ein amerikanisches Unter­nehmen vergeben wurde – mit der offiziellen Begründung, daß letzteres in der Lage sei, schneller zu liefern, was sich ja mittlerweile als unzutreffend herausgestellt hat.

Interessant ist auch die Tatsache, daß mit derartigen Dingen vertraute Personen bzw. Institutionen, insbesondere die Autofahrerclubs ÖAMTC und ADAC, den Bedarf offensichtlich wesentlich reali­stischer einschätzten, aber nur rund ein Zehntel der gewünschten Menge erhielten.

Nicht genug damit, daß es kaum welche zu kaufen gab, stellt sich nun auch noch heraus, daß sich die Vignetten – jedenfalls manche – so leicht ablösen, daß sie nun schon wieder ersetzt werden müssen, was natürlich mit weiterem Ärger für die Lenker verbunden ist.

Besonders bemerkenswert ist auch die legistische Qualität der Vorgangsweise des Wirtschafts­ministeriums, denn während schon nach wenigen Monaten eine Novelle des Bundesstraßen­finanzierungsgesetzes wegen Inkompatibilität mit EU-Bestimmungen erforderlich wurde, schaffte es das Ministerium offensichtlich nicht, rechtzeitig eine Mautordnung zu genehmigen bzw. für deren Publikation durch die ÖMG in der Wiener Zeitung zu sorgen. Das wiederum hat zur Folge, daß ab 1. Dezember Mautpickerln verkauft und mittels einer teuren Kampagne, an deren Sinn man ohnedies zweifeln muß, beworben wurden, für deren Gestaltung, geschweige denn Benutzung keine rechtliche Grundlage bestand.

Doch damit nicht genug: Als sich herausstellte, daß die Pickerlversorgung nicht funktioniert und daher eine Bestrafung von pickerllosen Lenkern unzumutbar wäre, wurde zunächst gerüchteweise, dann per Verordnung eine ,Amnestie‘ bis Ende Jänner erlassen. Doch ganz so einfach ist es nicht, denn der Lenker müsse ,glaubhaft machen‘, daß er kein Pickerl bekommen habe. Was darunter zu verstehen ist, versuchte der Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit in einem von vielen als kabarettreif empfundenen Radiointerview – erfolglos – zu erklären, irgendwie werden die Exekutivorgane schon wissen, wer zu bestrafen ist, lautete die Botschaft. Rechtsunsicherheit in schier unerträglichem Ausmaß.

Doch es kommt noch schlimmer: bei genauer Betrachtung der Verordnung stellt man fest, daß nicht nur die Verordnungsermächtigung im Bundesstraßenfinanzierungsgesetz eine solche ,Ausnahme‘ gar nicht zuläßt (es ist lediglich möglich ,bestimmte Gruppen‘ im ,öffentlichen Interesse‘ auszunehmen) vor allem verstößt der Zeitraum 3. bis 31. Jänner klar gegen den Gleichheitsgrundsatz der Bundesverfassung: Warum soll die Mautpflicht am 1. und am 2. Jänner normal gelten, wenn der Grund für die Ausnahme die Nichterhältlichkeit der Vignetten ist, die wohl ohne Zweifel auch an den beiden ersten Tagen des Jahres gegeben war? Es ist also absehbar, daß der organisatorischen Blamage auch noch eine juristische folgt.

Bleibt nur mehr eine Schlußfolgerung aus der Formulierung der Ausnahmeverordnung: offensichtlich meint auch der Wirtschaftsminister, daß es im öffentlichen Interesse liegt, die Mautpflicht für alle Straßenbenützer aufzuheben. Das müßte dann allerdings generell und auf Dauer gelten. Und in diesem Fall hätte der Wirtschaftsminister die ungeteilte Zustimmung der Antragsteller.

Zunächst erscheint es allerdings dringend erforderlich, Licht in die chaotischen Vorgänge zu bringen, der Wirtschaftsminister soll daher raschestmöglich einen Bericht an den Nationalrat erstatten, wie das Mautchaos entstehen konnte, was dagegen getan wurde und wie analoge Blamagen, etwa im Hinblick auf das geplante ,Road Pricing‘ in Hinkunft vermieden werden können.“

Der Bautenausschuß hat den vorliegenden Entschließungsantrag in seiner Sitzung am 3. Juli 1997 in Verhandlung genommen.

An der Debatte beteiligten sich die Abgeordneten Kurt Eder, Mag. Reinhard Firlinger, Karl Freund, Dr. Volker Kier, Edith Haller, Karl Gerfried Müller, Dipl.-Ing. Maximilian Hofmann, Rudolf Anschober, Hermann Kröll, Mag. Herbert Kaufmann, Mag. Johann Maier, Matthias Ellmauer und der Ausschußobmann Dr. Walter Schwimmer sowie der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten Dr. Hannes Farnleitner.

Bei der Abstimmung fand der Entschließungsantrag 379/A(E) keine Mehrheit.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Bautenausschuß somit den Antrag, der Nationalrat wolle diesen Bericht zur Kenntnis nehmen.


Wien, 1997 07 03

                       Dipl.-Ing. Leopold Schöggl                                                Dr. Walter Schwimmer

                                   Berichterstatter                                                                          Obmann