880 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XX. GP

Bericht

des Ausschusses für Arbeit und Soziales


über den Antrag 388/A(E) der Abgeordneten Dr. Volker Kier und Genossen betreffend Schaffung eines Bundessozialhilfegesetzes


Die Abgeordneten Dr. Volker Kier und Genossen haben den gegenständlichen Entschließungsantrag am 29. Jänner 1997 im Nationalrat eingebracht. Dieser Antrag war wie folgt begründet:

„In jüngster Zeit wurde die Öffentlichkeit mit unterschiedlichen Arbeitsmarktstudien, Umver­teilungs­berichten und Forschungsergebnissen zum Thema Armut konfrontiert, die das folgende Bild zeichnen: Neu entstandene Armutsrisiken, erschwerte Arbeitsmarktzugänge für Behinderte, Minder­qualifizierte, Wiedereinsteigerinnen, Alleinerziehende, Jugendliche, Langzeit-Arbeitslose sowie eine Verschiebung der Armutsbetroffenheit weg von den traditionellen ,Randgruppen‘ hin in den Nahebereich des sogenannten prekären Wohlstands. Zugleich erweisen sich die bestehenden staatlichen Wohl­fahrtsverwaltungen auf Grund ihrer internen Organisation, aber auch auf Grund ökonomischer Sparmaßnahmen überfordert, mit den veränderten Risikoverteilungen und den neuen Strukturen der Armut fertigzuwerden. Durch Scham, Statusängste und eine populistisch angeheizte Ausgrenzungs­debatte (,Sozialschmarotzertum‘) nimmt die Quote derer zu, die die Mindestleistungen aus öffentlicher Hand nicht in Anspruch nehmen.

Im Zusammenhang mit dieser kritischen sozialen Entwicklung läuft, in anderen Staaten der EU oder OECD intensiver als bei uns, eine Debatte über die Möglichkeiten, die die Einführung einer staatlich garantierten Grundsicherung bietet. Zwar ist der Diskussionprozeß über die Chancen, Risiken und Grenzen einer Grundsicherung noch nicht abgeschlossen, allerdings läßt sich als ein breit konsensuales Ergebnis, auch von wissenschaftlicher Seite, bereits jetzt festhalten, daß die Trennung von Erwerbs­einkommen und Arbeitsersatzeinkommen bzw. Sozialversicherungsleistungen eine wichtige Voraus­setzung für eine monetäre Mindestsicherung darstellt.

Zuletzt äußerte sich die Zweite Österreichische Armutskonferenz, die am 20./21. Jänner 1997 in Salzburg stattfand, in ihrem Forderungskatalog zum Thema Grundsicherung, indem sie als einen ersten Schritt die bundeseinheitliche Regelung der Sozialhilfe verlangt. Die gegenwärtige sozialpolitische Entwicklung in Österreich weist indes in die umgekehrte Richtung: Niedrigeinkommen führen zu niedrigen Arbeits­ersatzeinkommen (wie Arbeitslosengeld oder Pension) und werden durch die Sozialhilfe der Länder äußerst uneinheitlich aufgestockt – dies betrifft sowohl die Anspruchsvoraussetzungen als auch die Höhe der Sozialhilfe in den einzelnen Bundesländern.

So besteht beispielsweise bei den Sozialhilferichtsätzen für Hauptunterstützte eine Schwankungsbreite in den einzelnen Bundesländern zwischen 3 715 S (Salzburg) und 5 460 S (Oberösterreich). Bei den Zusatzleistungen werden zB in Tirol die Wohnkosten in der Höhe des tatsächlichen Aufwands, in der Steiermark hingegen in Höhe des vertretbaren Aufwandes übernommen, während Kärnten für die Wohn­kostenerstattung Obergrenzen bestimmt und Salzburg einen Teil der Kosten aus der ,Hilfe für besondere Lebenslagen‘ bestreitet. Schließlich bestehen markante Ungleichheiten, was die Gewährung von Sozialhilfe in Ergänzung zum Arbeitslosengeldbezug betrifft. In einigen Bezirken Nieder- und Ober­österreichs sowie der Steiermark werden sogar grundsätzlich keine Sozialhilfeleistungen gewährt, wenn ein Arbeitslosengeldbezug vorliegt.

Für einen Umbau der Sozialhilfesysteme in Richtung einer Grundsicherung scheint daher die Schaffung eines Bundesgrundsatzgesetzes mit bundesweit einheitliche Mindeststandards geboten. Diese Mindest­standards sollten vor allem folgende Elemente umfassen:

–   Vorgabe einheitlicher Richtsätze, die eine regionale Differenzierung von Lebenshaltungsniveaus verhindern und eine klare Regelung im Hinblick auf die Richtsatzvorschreibung vorsehen;


–   Festschreibung des Umfangs der Leistungen, auf die unbedingt ein Rechtsanspruch besteht;

–   Schaffung eines gleichförmigen Zugangs zum Recht (zB Antragsbindung, Amtswegigkeit, Weiter­gewährung von Hilfe, Sanktionen);

–   Festlegung eines regulär monatlichen Bezugszeitraums;

–   Vorgaben für die Pauschalierung von Leistungen in Form von pauschalierten Mehrbedarfszuschlägen je nach Haushaltsgröße und Bedarfslage;

–   Bestimmungen über Erfordernis und Zumutbarkeit des Einsatzes der eigenen Arbeitskraft (kein Zwang zu atypischer, nachhaltig dequalifizierender Arbeit);

–   Beschränkung der Verwertbarkeit von Vermögen und die Festlegung von Schonvermögen;

–   Beschränkung des Regresses bei laufendem Bezug in der offenen Sozialhilfe.“

Der Ausschuß für Arbeit und Soziales hat den Antrag 388/A(E) in seiner Sitzung am 1. Oktober 1997 in Verhandlung genommen. Berichterstatter im Ausschuß war Dr. Volker Kier.

An der Debatte beteiligten sich die Abgeordneten Karl Öllinger, Dr. Gottfried Feurstein, Reinhart Gaugg, Helmut Dietachmayr, Mag. Herbert Haupt, Dr. Volker Kier sowie die Bundesminsterin für Arbeit, Gesundheit und Soziales Eleonora Hostasch.

Im Zuge der Beratungen brachten die Abgeordneten Annemarie Reitsamer, Dr. Gottfried Feurstein einen Abänderungsantrag ein.

Bei der Abstimmung wurde mit Stimmenmehrheit beschlossen, dem Nationalrat die Annahme des Ent­schließungsantrages 388/A(E) in der Fassung des Abänderungsantrages der Abgeordneten Annemarie Reitsamer, Dr. Gottfried Feurstein zu empfehlen.

Als Ergebnis seiner Beratung stellt der Ausschuß für Arbeit und Soziales somit den Antrag, der Nationalrat wolle die beigedruckte Entschließung annehmen.

Wien, 1997 10 01

                        Dr. Elisabeth Pittermann                                                   Annemarie Reitsamer

                                 Berichterstatterin                                                                          Obfrau

Anlage

Entschließung

Die Bundesregierung, insbesondere die Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales, wird ersucht, mit den Ländern Gespräche über die Weiterentwicklung der Sozialhilfe aufzunehmen.