1026/J
DRINGLICHE ANFRAGE
der Abgeordneten Dr. Salzl
und Kollegen
an den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft betreffend EU-Beitritt und Baumsterben
Im Solidarpaket vom 25.04.1994 überschüttete die Bundesregierung Österreichs Bäuerinnen und Bauern mit einer Flut von Versprechungen, die sich nun nach eineinhalb Jahren EUMitgliedschaft Österreichs teilweise als haltlos erweisen.
Im ersten Jahr der EU-Mitgliedschaft Österreichs haben fünf Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebsführer das Handtuch geworfen, bei den Hofübernehmern und Jungbauern sind es gar zehn Prozent, die in der Landwirtschaft keine Zukunft mehr sehen und - trotz trister Konjunkturlage und hoher Verschuldung - einen beruflichen Neubeginn wagen müssen.
Die Umstellung des österreichischen Agrarsystems auf EU-Bedingungen wurde vom Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft einschließlich des Amtes der AM.A dilettantisch vorbereitet und überforderte mit ihren bürokratischen Auswucherungen sogar die Landwirtschaftskammern, geschweige denn die Bäuerinnen und Bauern, denen die erforderlichen Informationen nur nach und nach, teilweise und manchmal sogar unrichtig erteilt wurden.
Trotz wiederholter eklatanter Dumping-Aktionen bei Obst, Gemüse und Kartoffeln zu 12sten der heimischen Erzeuger hat der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft bzw. die bäuerliche Interessensvertretung den vor dem Beitritt so gerühmten Schutzmechanismus bei ernsten Marktstörungen seit dem EU-Beitritt noch nie in Gang gesetzt.
Ein weiteres gravierendes Versäumnis beging das Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft bei der Wahrnehmung des Währungsausgleichs: Bereits am 17. Jänner 1995 machten freiheitliche Abgeordnete den Bundesminister in einer schriftlichen Anfrage (Nr. 382/J) auf die bedrohliche Entwicklung zu Lasten der Agrarförderungcn in Hartwährungsländern aufmerksam.
Der Bundesminister wartete geduldig auf eine Entscheidung der EU. Sie fiel im Juni 1995. jubelnd meldeten Österreichs Zeitungen:
"Währungsverluste für Bauern abgewehrt. Die heimischen Landwirte erhalten Kompensation" (Kurier, 23.6.1995). Im Detail: "Brüssel wird für jeden Prozentpunkt 115 Mio. Schilling als Beihilfe im ersten Jahr zahlen. Im zweiten wird diese um ein Drittel, im folgenden Jahr um ein weiteres Drittel gekürzt. Dazu steht es den nationalen Regierungen frei, bis zur Höhe der EU-Zahlungen ihrerseits Beträge an die Bauern als Währungsabsicherung zu zahlen."
Auf dieses Geld warten Österreichs Bauern noch heute.
Ebenfalls vergeblich warten Österreichs Bauern auf eine Kompensation für die finanziellen Nachteile im Gesamtausmaß von ca. 1,2 Mrd. Schilling, die ihnen aus der pauschalierten ,Vorsteuerregelung pro Jahr erwachsen und deren Abgeltung vor dem EU-Beitritt versprochen wurde.
Zu diesen EU-induzierten, aber auch hausgemachten Problemen tritt -verschärfend der von Großbritannien ausgehende BSE-Skandal, der die gesamte europäische Rinderhaltung in größte Schwierigkeiten brachte. Während aber Italien einen nationalen Zuschuß von ca. 950 Schilling pro Rind auszahlt und eine massive Werbekampagne für italienisches Rindfleisch startet, läßt die österreichische Bundesregierung die österreichischen Rinderbauern im Regen stehen. Seit dem Preisverfall und dem dramatischen Kaufrückgang Ende März 1996 wurde noch keine einzige Hilfsmaßnahme zum Nutzen der österreichischen Rinderhalter ergriffen, obwohl die freiheitlichen Abgeordneten seit 28.2.1996, also ein Monat vor dem Eingeständnis der britischen Misere, im Nationalrat wiederholt Anträge einbrachten, die den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, die Bundesministerin für Gesundheit und Konsumentenschutz und den Bundesminister für Finanzen zu gezielten Maßnahmen auffordern.
Österreichs Bäuerinnen und Bauern werden also nicht nur durch drei Bclastungspakete und Sozialabbau, sondern auch durch eine geradezu fahrlässige EU- und Agrarpolitik betrieblich und finanziell geschädigt.
In einem Überraschungscoup brachten die Regierungsparteien am 2.7.1996 einen Antrag zur Änderung des Landwirtschaftsgesetzes ein, in dem per Ver-fassungsbestimmung massive Kürzungen des ÖPUL-Programmes enthalten sind. Dieses Programm wurde Österreichs Landwirten vor dem EU-Beitritt als das Existenzsicherungsprogramm und die ökosoziale Wundermaßnahme schlechthin verkauft. Nun verkauft der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft Österreichs Bauern, deren Interessen hinter einer vermeintlichen Budgetsanierung zurückzustehen haben. Um EU-Programme Oberhaupt finanzieren zu können und im Wege von Umschichtungen massive Streichungen bei Investitionskrediten, bei der Wildbach und Lawinenverbauung, beim ländlichen Wegenetz, bei der Schutzwaldsanierung und vieles mehr notwendig.
Der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, aber letztendlich die gesamte Bundesregierung und die Mandatare der Koalitionsparteien, die diese Landwirtschaftsgesetznovelle beschließen, haben offenbar vergessen, daß die volle Bezeichnung dieses Gesetzes lautet:
Bundesgesetz, mit dem Maßnahmen zur Sicherung der Ernährung sowie zur Erhaltung einer flächendeckenden, leistungsfähigen, bäuerlichen Landwirtschaft getroffen werden. Davon wird spätestens am Ende dieser Gesetzgebungsperiode leider keine Rede mehr sein können.
Daher richten die unterzeichneten Abgeordneten an den Herrn Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft nachstehende
Dringliche Anfrage:
1. Wie viele Land- und forstwirtschaftliche Betriebsführer haben seit 1. Jänner 1995
a) ihren Betrieb verkauft,
b) ihren Betrieb eingestellt,
c) ihre Bctriebsflächen verpachtet?
2. Für wie viele Betriebe gibt es seit 1. Jänner 1995 keinen Hofübemehmer?
3. Wie viele Betriebe wurden seit 01. Jänner 1995 zwangsversteigert?
4. Wie viele land- und forstwirtschaftliche Arbeitsplätze sind seit 01. Jänner 1995 insgesamt verlorengegangen?
5. Wie viele Förderungsanträge, aufgegliedert nach den einzelnen Förderungsarten, sind bis 30.06.1996 bei den zuständigen Förderungsstellen eingereicht worden?
6. Wie viele dieser Förderungsanträge, aufgegliedert nach den einzelnen Förderungsarten, erhielten eine Förderungszusage
a) in voller Höhe,
b) für einen Teilbetrag?
7. Wie hoch ist, aufgegliedert nach den einzelnen Förderungsarten, die durchschnittliche Förderungszusage?
8. Wie hoch sind die Beträge, aufgegliedert nach den einzelnen Förderungsarten, die zwischen 01.01.1995 und 30.06.1996 pro Betrieb im Durchschnitt tatsächlich ausbezahlt wurden?
9. Warum haben Sie im 1. Halbjahr 1996 einen ÖPUL-Einstiegsstopp zu Lasten der österreichischen Bauern verhängt?
10. Warum wurde die von Ihnen in Anfragebeantwortung 3328/AB zu 299/J erwähnte Ermächtigung zur Budgetüberschreitung im Ausmaß von 600 Mio. Schilling Bundesmitteln nicht in Anspruch genommen, obwohl damit zusätzliche EU-Mittel für Österreichs Bauern lukriert werden können?
11. Warum wird die degressive Ausgleichszahlung für Mastschweine ab August 1996 eingestellt?
12. Werden die Ausgleichszahlungen 1996 für Zuchtschweine um 50 % reduziert?
13. Werden die degressiven Ausgleichszahlungen für Getreide nicht nur - wie vereinbart auf 65 %, sondern auf 50 % reduziert?
14. Warum wird die im Bundesfinanzgesetz 1996 vorgesehene
Überschreitungsermächtigung von 50 Mio. Schilling nicht in Anspruch genommen,.. obwohl damit zusätzliche Mittel für degressive Ausgleichszahlungen zur Verfügung stünden?
15. Warum wird die Fruchtfolgeprämic nicht mehr für die gesamte Fläche der jeweiligen Bauern in der ursprünglich vereinbarten Höhe ausbezahlt?
16. Warum haben Sie, im Gegensatz zu anderen EU-Staaten, den österreichischen Rinderbauern noch keinen Schilling Überbrückungshilfe für den Preisverfall und Absatzrückgang anläßlich des britischen BSE-Skandals gegeben?
17. Wann ist mit der Auszahlung der von der EU finanzierten BSE-Hilfen an die österreichischen Bauern zu rechnen?
18. In welcher Höhe haben die österreichischen Bauern BSE-Hilfen
a) aus EU-Mitteln,
b) aus Bundesmitteln
zu erwarten?
19. Wie sollen die BSE-Mittel verteilt werden?
20. Wann werden endlich die Gelder ausbezahlt, die den österreichischen Bauern von der EU für den Währungsausgleich seit 1995 zugestanden worden sind?
21. Wie soll der Währungsausgleich verteilt werden?
22. Warum hat Ihr Ressort trotz wiederholter eklatanter Dumping-Aktionen bei Obst, Gemüse und Kartoffeln bisher noch nie den EU-Schutzmechanismus bei ernsten Marktstörungcn in Gang gesetzt?
--)3. Wann werden Sie mit dem Bundesminister für Finanzen übcr eine Vollabgeltung der Nachteile, die den österreichischen Bauern durch die pauschalierte Vorsteuer entstehe und die das WIFO mit jährlich 1,2 Mrd. Schilling quantifiziert, zu einem gültigen Abschluß kommen und den Bauern ausbezahlt werden?
Wien, den 11.Juli 1996