1179/J
ANFRAGE
der Abgeordneten Pollet-Kammerlander, Freundinnen und Freunde
an den Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten
betreffend immerwährende Neutralität
Die Vertreter der österreichischen Bundesregierung argumentieren in bezug auf Österreichs Neutralität widersprüchlich. Durch Sprachschöpfungen werden die wahren Absichten, nämlich die Unterwerfung unter die verteidigungspolitischen Vorgaben aus Brüssel, verschleiert. Doppelzüngige Botschaften zur Neutralität je nachdem ob sich ein Regierungsvertreter in Brüssel oder Wien befindet beherrschen den diesbezüglichen Diskurs. Die Bundesregierung ist an der Aufgabe, die Neutralitätspolitik nach der West/OstKonfrontation jetzt auch als spezifischen Beitrag für eine europäische und globale Friedensordnung zu entwickeln, gescheitert. Ebenso gescheitert ist sie an der Weiterentwicklung der Kreisky'schen Politik der Neutralität im Nord/Süd-Konflikt.
Im Rahmen der EU-Regierungskonferenz 1996 wird über sicherheitspolitische Kompetenzen der Europäischen Union verhandelt. Nach wie vor ist eine enge Kooperation - bis zu einem institutionellen Zusammenschluß - von EU und Westeuropäischer Union (WEU) unter Einbindung der NATO in Rede. Andererseits hat sich bei der NATO-Ratstagung in Berlin herauskristallisiert, daß die WEU zum westeuropäischen Pfeiler der NATO weiterentwickelt wird.
Aufgrund der innenpolitischen Debatte in Österreich wird das Einverständnis von Spitzenpolitikern der SPÖ/ÖVP-Koalition mit diesen Vorhaben deutlich. Angesichts der kaum überbrückbaren Differenz zwischen den Positionen der österreichischen Bundesregierung, den Meinungen fahrender Koalitionspolitiker und der überwältigenden Neutralitätsbefürwortung der Österreicherinnen und Österreicher muß vor einer etwaigen weiteren sicherheitspoltischen Vertiefung der europäischen Integration eine Volksabstimmung über die Zukunft der österreichischen "immerwährenden Neutralität" und damit den völkerrechtlichen und verfassungsrechtlichen Verpflichtungen Österreichs abgehalten werden.
Aus dem Umstand der Stationierung von Nuklearsprengköpfen und Atomwaffen ergibt sich ein enormes grundsätzliches Sicherheitsrisiko auch für die österreichische Bevölkerung.
Gemessen an der offiziellen Politik Österreichs gegen die Gefahren aus grenznahen
Risikoreaktoren sollte auch hier eine kritische Bewertung und Positionierung erfolgen.
Immerhin könnten mit rund zwei Prozent der rund 5000 Milliarden Schilling der
Rüstungsausgaben der NATO-Mitglieder alle Blöcke der 12 gefährlichsten Atomkraftwerke
(20.000 Megawatt) im Osten ersetzt werden. Eine zukunftsweisende Sicherheitspolitik im
Sinne der Sorgen der Bevölkerung könnte etabliert werden.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende
ANFRAGE:
1. Machen Sie einen etwaigen Beitritt zu WEU und NATO und die damit verbundene Aufgabe der Neutralität von einer Volksabstimmung abhängig?
2. In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage des Neutralitätsgesetzes (598 d. Beil. VII GP) heißt es ausdrücklich: "Der Gesetzesbefehl der Vorlage richtet sich auch an die vollziehende Gewalt und insbesondere an die Bundesregierung".
2.1 Erachten Sie sich an diesen Gesetzesbefehl weiterhin gebunden?
2.1. Durch welche Maßnahmen werden Sie sicherstellen, daß auch die österreichischen
Vertreter in internationalen Foren - z.B. bei der Regierungskonferenz - sich an diesen
Gesetzesbefehl gebunden fühlen?
3. Schließen Sie sich der Überzeugung an, daß der nationale Konsens über das Ziel eines atomfreien Europas selbstverständlich die Forderung mit einschließt alle Atomwaffen zu beseitigen und dieser nationale Konsens jedenfalls einen Beitritt zu einem nuklearbewaffneten Militärbündnis ausschließt?
4. Nach einer Studie des Pentagon, müßten die potentiellen Neumitglieder der NATO, Polen, Tschechien und Ungarn bis ins Jahr 2010, 124 Milliarden Dollar investieren, um ihre Armeen auf NATO-kompatible Waffensysteme umzustellen. Ohne sich in die inneren Angelegenheiten dieser Länder einzumischen: Halten Sie eine solche horrende Aufrüstung in Europa und die daraus folgende wirtschaftliche Belastung, für die europäische Integration und eine friedliche und demokratische Entwicklung dieser Länder für förderlich?
5. Sind Sie bereit - insbesondere vor dem Hintergrund von Budgetkrise und Arbeitslosigkeit - die Kosten von einem unabhängigen Institut analysieren zu lassen und offen zu legen,
die durch einen Beitritt zu NATO oder @U dem österreichischen Steuerzahler erwachsen würden?
6. Sind Sie für eine Anpassung der österreichischen Kriegsmaterialiengesetzgebung an die Regelungen der EU?
6.1. Wenn ja; sehen Sie darin nicht die Gefahr einer weiteren Aushöhlung der Neutralität?
7. Bei der 9. Tagung der Regierungsbeauftragten am 6.06.96 wurde im Hinblick auf die Frage der Entscheidungsfindung einer Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU von den anderen neutralen EU-Mitgliedern Schweden und Finnland die Beibehaltung einer Veto-Möglichkeit gefordert. Österreich hat sich in dieser Frage für Beschlüsse mit qualifizierter Mehrheit ausgesprochen. Wie soll mit qualifizierter Mehrheit und ohne Veto-Recht in der GASP den Verfassungs- und völkerrechtlichen Verpflichtungen Österreichs zur immerwährenden Neutralität entsprochen werden?
8. Sind Sie bereit, die sich aus den bestehenden Einstimmigkeitsregeln ergebenden Möglichkeiten in Fragen der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, bei der Regierungskonferenz dazu zu nutzen, ein tatsächliches System kollektiver Sicherheit unter der Oberhoheit von UNO und OSZE anzusteuern, anstatt NATO und WEU als Rahmen für eine militärisch ausgerichtete europäische Sicherheitspolitik anzunehmen?