1379/J XX.GP
der Abgeordneten Langthaler, Freundinnen und Freunde
an den Bundesminister für Justiz
betreffend strafrechtliche Verfahren MVA Flötzersteig IV
Die unterfertigten Abgeordneten danken für die Beantwortung ihrer parlamentarischen
Anfrage zum selben Gegenstand vom Juli 1996. Leider sind einige Fragen offen geblieben.
Das Strafverfahren ist unseres Erachtens insbesondere aus folgenden Gründen zu kritisieren:
a) Unzureichende Schadstofferfassung: Einschränkung auf
Dioxin und das Jahr 1990
Zur Beurteilung der Strafwürdigkeit wurden nicht alle relevanten Schadstoffe und Betriebs-
Zeiträume herangezogen. Der medizinische Gutachter hat lt. Antwort zu Punkt 3a) lediglich
die 1990 vom ÖFZ Seibersdorf genommen Dioxinmessungen herangezogen, für den
Zeitraum 1985 bis 1990 eine Gefährdung der Bevölkerung ohne Verwendung von
Meßergebnissen allgemein verneint.
Spätestens seit Inkrafttreten des DKEG im Jahre 1981 waren nach bundesrechtlichen
Vorschriften jährliche Emissionserklärungen für Dampfkesselanlagen bei der Behörde
abzugeben, für Altanlagen sah das DKEG eine erstmalige Überprüfung vor. Wie unten
belegt unterblieben diese gesetzlichen Messungen. Diese Rechtswidrigkeit wird vom
Staatsanwalt und dem Justizministerium völlig ignoriert. Es werden im Auftrag des
Betreibers gemachte Messungen erwähnt, die mehr als ungläubwürdig sind. So wird von
Messungen von Dipl.-Ing. Boos im Jahre 1984 berichtet, die Werte von 0,001 bis 0,006 ng
TEQINm3 Abgas ergaben, während im Jahre 1989 — selbst nach Einbau der
Rauchgaswäsche - der Grenzwert für Dioxin nach dem Luftreinhaltegesetz von 0,1 ng noch
um das 17,6 fache überschritten wurden.
Auch ist keine Rede von den Schadstoffmessungen aufgrund des LRG-K (Jährliche
Emissionserklärungen, Einzelüberprüfungen durch die Behörde). Seit dem Inkrafttreten des
Umweltinformationsgesetzes muß der Betreiber Grenzwertüberschreitungen am „Fabrikstor“
anschlagen. Dergestalt sind den unterzeichneten Abgeordneten zB folgende
Grenzwertüberschreitungen im 1. Halbjahr 1995 bekannt:
Februar 1995 Staub 0W 25 über 25 1HMW „Störung im Ölfilter“ am 17.2.1995
April 1995 CO (GW = 100) 118 am 19.4.1995 (hoher Kunststoffanteil im Müll)
Mai 1995 N02 (GW = 100) 270 am 13.5. Ausfall der NH4OH Eindüsung
3 HMW, Wassereintritt in den Schalterschrank
Sowohl das DKEG als auch das LRG-K nennen Grenzwerte für eine Reihe von
gesundheitsrelevanten Luftschadstoffen, die durch den Staatsanwalt vorgenommene
Einschränkung auf Dioxine entbehrt daher jeglicher sachlicher Grundlage.
Die Auswirkungen auf die Pflanzen wurden nicht untersucht, „weil aufgrund der
Heterogenität sowohl der betreffenden Böden als auch der Emmissionssituation und der
Eigenschaften der zu quantifizierenden Stoffe trotz erheblichen finanziellen und zeitlichen
Aufwänden eine kausalanalytische Beurteilung nicht möglich wäre“ (Anfragebeantwortung
des BMJ). Rudolf Schlauer schreibt hingegen in seiner Studie (Die Problematik der
Müllverbrennung mit einem Lösungskonzept für die Bundeshauptstadt Wien, in einer
Publikation von Heinz Moser in der Schriftenreihe Energie— und Umwelttechnik, 1995):
‚1Die mangelnde Rauchgasbehandlung der Müllverbrennungsanlage Flötzersteig führte
zwangsläufig zu Beschwerden der Anrainer. In 1 km Entfernung waren zB die Autodächer
verschmutzt, wenn die Autos in der Einzugsschneise der Rauchfahne parkten. Die
Kausalität hierfür war unverkennbar die Müllverbrennung. Bei Wind in Richtung
Gallitzinberg kam es hingegen zu einer Staulage und führte zu Schäden an den Pflanzen.“
Entgegen dem Gutachter Dr. Schulte—Herrmann war die Zentralanstalt für Meteorologie und
Geodynamik der Auffassung, daß mit der vorhandenen Datenlage eine genaue Berechnung
der langzeitlichen Belastung nicht möglich sei: „Eine exakte Berechnung der langzeitlichen
Belastung in Form von Jahres— oder Halbjahresmittelwerten erfordert die Erstellung einer
Immissonsklimatologie anhand mehrjähriger meteorologischer Meßreihen.“ (Schreiben der
Zentralanstalt an Dr. Schulte-Herrmann vom 4.2.1993)
b) Fälschlich angenommene Rechtmäßigkeit des Betriebs:
Verstoß gegen Dampfkessel-EmissionsG mehr als evident
Dampfkessel-EmissionsG
Von einer rechtmäßigen Betriebsweise der MVA Flötzersteig kann jedenfalls nicht zur Zeit
der Gültigkeit des DKEG ausgegangen werden, weil dies selbst von der Obersten Behörde
zum Vollzug des DKEG, dem Bundesministerium für wirtschaftliche Angelegenheiten,
verneint wurde. Die Antwort des Justziministeriums steht hier im Widerspruch zur
Anfragebeantwortung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 7.
August 1989, Nr. 3917/J!
Auf die Fragen der Grünen:
1. Wurde die MVA Flötzersteig gemäß § 11 Abs 1 DKEG von einem befugten Sachverständigen innerhalb
der gesetzlichen Frist, also bis zum 31. März 1982, besichtigt?
2. Wenn ja, welche Feststellungen traf der Befund des Sachverständigen, insbesondere wurde festgehalten,
daß die Grenzwerte der Durchführungs-VO zum DKEG nicht eingehalten werden sowie mit einer
erheblichen Überschreitung der Grenzwerte in angeführten Fällen der Betriebsstörung zu rechnen sei?
3. Welche Messungen der Schadstoffe fanden im
Zuge einer Überprüfung nach § 7 DKEG statt?
4. Waren Überschreitungen um das Zweifache des Grenzwertes gegeben und kam es zu einem Bescheid
nach § 11 Abs 6 DKEG?
5. Wurden die Nachbarn der Anlage zu diesem Sanierungsverfahren geladen bzw fand eine Kundmachung
der Verhandlung entsprechend den Bestimmungen des DKEG statt?“
antwortete der BMwA wie folgt:
.Zu den Punkten 1 bis 5 der Anfrage:
Der Betreiber der Müllverbrennungsanlage (MVA) Flötzersteig hat weder die in § 11 Dampfkessel-
Emissionsgesetz (»KEG) vorgesehen gewesene Besichtigung noch Überprüfungen gemäß § 7 DKEG
vornehmen lassen. Ein Sanierungsverfahren im Sinne des § 11 Abs 6 DKEG ist von den zuständigen Behörden
im Land Wien nicht durchgeführt worden. Der Betreiher hat nach eigenen Angaben - wenn auch ohne
Verfahrensschritte gemäß DKEG herbeigeführt zu haben, Emissionsmessungen vorgenommen und technische
Maßnahmen gesetzt, um die in der 2. Durchführungsverordnung zum DKEG vorgesehenen
Emissionsgrenzwerte zu erreichen.
Mein Ressort hat den Bürgermeister von Wien in seiner Funktion als Landeshauptmann - im Hinblick auf das
am 1. Jänner 1989 erfolge Inkrafttreten des Luftreinhaltegesetzes für Kesselanlagen (LRG-K) - beauftragt,
Maßnahmen zu ergreifen, um den der Rechtsordnung entsprechenden Zustand herzustellen.
Unabhängig davon wurde von meinem Ressort ein Gutachten über die Emissionen in Auftrag gegeben.
Wiener Bauordnung: standortausweisung steht in Widerspruch zu umliegenden Widmungen
Der Betrieb der MVA fußt(e) auf einer gesetzwidrig erlassenen Flächenwidmungs-
Verordnung. Der Verwaltungsgerichtshof beantragte beim Verfassungsgerichtshof am 24.
April 1990, die Flächenwidmung „Bauplatz für öffentliche Zwecke“ vom 17. Juli 1959
wegen Gesetzwidrigkeit aufzuheben. Die tatsächliche Nutzung dieser Fläche sei mit den
umliegenden Widmungen (Wohngebiet) nicht vereinbar, Ermittlungen zur Rechtfertigung
dieser unverträglichen Sonderwidmung wegen „wichtigen Rücksichten“ seien unterblieben
(A 72/90 (85/05/0133)). Zu einer Entscheidung in der Sache kam es nur deshalb nicht, weil
die Heizbetriebe Wien den beschwerdeführenden Nachbarn ihren Grund abkaufte und als
Rechtsnachfolgerin die Einstellung der Verfahren begehrte (Rücknahme der Beschwerde
durch die Heizbetriebe Wien vom 18. 12. 1991). Zur Relevanz dieser Frage sei auf die
Studie von R. Schlauer verwiesen, der den Standort der Anlage als Fehlplanung bezeichnet
und feststellt, daß ein solcher Standort im Norden oder Westen Wiens verboten werden
müßte sowie anregt, die Leistung der MVA um ein Drittel zu reduzieren, um die
Immissionsbelastung der Bevölkerung zu vermindern.
„Sanierung“ nach dem LuftreinhalteG: Fehlen eines gültigen Sanierungsbescheids obwohl
antragspflichtiger Sanierungszwang vorlag.
Der erstintanzliche Sanierungsbescheid erging am 29. Juni 1992. Über die zahlreichen
Berufungen der Nachbar/innen entschied der Landeshauptmann von Wien negativ. Der
Verwaltungsgerichtshof gab den Beschwerden jedoch am 8. November 1994 statt und hob
die negativen Bescheide des Landeshauptmanns von Wien wegen Verletzung des
Parteiengehörs auf: Nach der Kundmachung des Sanierungsantrages sei das Projekt derart
gravierend geändert worden sei, daß
ein anderer Verfahrensgegenstand vorliege und den
Nachbar/innen damit die Möglichkeit genommen worden, ihre Rechte zu verfolgen
(VwGH Zl. 93/04/0079). Mit Bescheid vom 6.6. 1995 wurde vom Landeshauptmann ein
neuerlicher Berufungsbescheid erlassen, mit dem der Sanierungsbescheid der 1. Instanz
„ersatzlos aufgehoben" wird. In der Begründung wird angeführt, daß dieser Bescheid ohne
Antrag ergangen sei (der ursprünglich fristgerecht eingebrachte Antrag wurde gravierend
abgeändert und damit zurückgezogen) und das modifizierte Projekt sei mit 12.8.1991 zu
spät eingelangt, da die Einreichfrist nur bis 31. 12. 1989 dauerte. Dieser Bescheid vom
6.6.1995 ist insofern rechtswidrig, als verspätet eingebrachte Anträge "zurückzuweisen"
sind.
Die unterfertigten Abgeordneten haben den Eindruck, daß die aufgrund der
Verwaltungsakzessorietät des Umweltstrafrechts notwendige Kenntnis des
Betriebsanlagenrechts im strafrechtlichen Vorverfahren nicht vorlag, dies offensichtlich
auch nicht durch Beiziehung einschlägiger juristischer Sachverständiger kompensiert wurde.
Diese aufgrund der Komplexität des Betriebsanlagenrechts akribischen Erhebungen wurden
durch ein wohl sündteures Gutachten eines Umwelthygienikers ersetzt, das jedoch aufgrund
der dünnen Datenlage nur ein abstraktes Placet für die Müllverbrennung sein kann.
Offenbar waren die Bemühungen der HBW zur Minderung des Schadstoffaustoßes ab dem
Jahre 1989 auch aus der Sicht des Justizministeriums imstande, jegliches Unrecht in der
Vergangenheit zu tilgen. Eine solche Sicht ist dem Strafrecht wohl fremd. Auch ein
Vergewaltiger entgeht der Strafe nicht, wenn er keine weiteren Straftaten setzt,
ausgenommen die Justiz unterlaßt die Ermittlungen innerhalb der Verjährungsfrist. In der
causa Flötzersteig war der Justiz aus der Sicht der betroffenen Bürger/innen besondere
Sorgfalt abverlangt, denn die Verwaltungsbehörden hatten bisher versagt, vom Betreiber
und der Stadt Wien wurden, wie oben aufgezeigt, Beschlüsse der öffentlichen Gerichtshöfe
unterlaufen, sodaß den Bürger/inne/n kein verwaltungsrechtlicher Rechtsschutz zukam.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende
Anfrage:
1. a) Warum wurde lediglich der Luftschadstoff Dioxin untersucht, wo doch schon
das DKEG und seine Ausführungsverordnungen zur Vermeidung einer
Gesundheitsbeeinträchtigung Grenzwerte für eine Reihe von Luftschadstoffen
festgelegt haben (so die 2. DKVQ, Grenzwerte für Dampfkesselanlagen der
Müllverbrennung: für Staub, Chlorwasserstoff, Fluorwasserstoff,
Schwefeldioxid, Blei, Zink, Arsen, Chrom, Cadmium und Quecksilber)?
b) Welche Untersuchungen zur Stickoxid-Belastung durch den LKW—Verkehr
wurden von der Strafbehörde herangezogen, um zum Ergebnis zu kommen, daß
die Stickoxid-Emissionen aus dem Verkehr höher waren als aus der MVA
Flötzersteig?
2. Warum ist die Strafbehörde darüber hinweggegangen bzw hat keine strafrechtliche
Verantwortlichkeit daraus abgeleitet,
daß
a) der Betreiber der MVA Flötzersteig (die Heizbetriebe Wien) die jährliche
Überprüfung der Anlage nach § 7 DKEG unterlassen hat (siehe Antwort des
BMwA) bzw.
b) die zuständige Behörde ebenfalls die Überprüfung des Betriebes nach § 11 Abs 3
DKEG unterlassen hat?
3. Erst aufgrund der parlamentarischen Anfrage der Grünen und den Nachprüfungen der
Oberbehörde wurden erstmals die - nunmehr nach dem LRG-K - gesetzmäßigen
Messungen durchgeführt. Wie kann der Bundesminister für Justiz zur Auffassung
gelangen, daß die Grenzwerte in den Jahren 1981 - 1988 eingehalten wurden, wenn
eine objektive Uberprüfung von außen unterlassen wurde?
4. Wird das Justizministerium zumindest das vom BMwA in Auftrag gegebene
Gutachten zur Überprüfung der Anlage (siehe Zitat oben) beischaffen, oder hält das
Justizministerium es mit dem Grundsatz der Objektivität der Erhebungen für
vereinbar, lediglich Messungen des Betreibers selbst, die offenbar auch nie der
Behörde übermittelt wurden, zur Beurteilung der Strafwürdigkeit in den Zeiträumen
1981 - 1988 (Geltungsdauer des DKEG) heranzuziehen?
5. Welche Dioxinkonzentrationen wurden in den Jahren 1986 bis 1994 durch die ARGE
Technischer Umweltschutz (ua wie in der Antwort des BMJ zu Punkt 2a) angegeben]
bei den Abgasen der MVA Flötzersteig gemessen?
6. Sind dem Justizministerium die Grenzwertüberschreitungen nach dem 1.1.1995
bekannt und wurde überprüft, ob es sich hier - wie von der Behörde in der
Anfragebeantwortung vom 11.9.1995 Nr. 1594/J angegeben, bloß um einen erhöhten
Schadstoffausstoß wegen kurzfristiger Ausfälle der Filteranlagen handelt?
7. a) Ist die Strafbehörde bei Beurteilung des Transports der MVA-Rückstande von
dem Sachverhalt ausgegangen, daß die Rückstände in loser Schüttung im
offenen LKW transportiert werden, wenn nicht, von welchem Sachverhalt dann?
b) Wenn die HBW selbst diesen Transport nicht zu verantworten hat, wurde gegen
den Transporteur ermittelt?
8. Ist die Strafbehörde der Lagerung von Filterkuchen mit einer Dioxinkonzentration von
14.100 ng TE/kg in einer Halle in Simmering (Greenpeace-Anzeige vom 3. Juli 1989)
nachgegangen oder wurde kein derartiger Sachverhalt festgestellt?
9. In der Anfragebeantwortung zu strafrechtliche Verfahren MVA Flötzersteig III wird
hervorgehoben, daß nicht nur die akute Wirkung von Dioxin sondern auch die
Langzeitwirkung berücksichtigt wurde. Um welche „Reihenuntersuchungen“ handelt
es sich hier und auf welche (große Zahl) „wissenschaftliche(r) Studien“ wird hier
unter Pkt. 3 c) verwiesen?