1465/J
der Abgeordneten Petrovic, Freundinnen und Freunde
an den Bundeskanzler
betreffend des Friedensprozeßes von Dayton und östereichische IFOR-Soldaten in Bosnien
Am 18. Oktober 1996 referierte der bekannte Historiker und Balkan Experte Charles Ingrao
(University of Minesota) in der Amerikanischen Botschaft in Wien über seine Sicht der
historischen WurzeIn des Krieges in Bosnien und über mögIiche Lösungsansätze. Unter
anderem betonte er die Notwendigkeit der Durchsetzung der Vereinbarungen von Dayton
betreffend eine gerichtliche Verantwortung mutmaßlicher Kriegsverbrecher. Insbesondere
die Hauptverantwortlichen für die Kriegsgreuel in Bosnien und nicht nur untergeordnete
Mittäter sollten seiner Meinung nach in einem korekten Gerichtsverfahren zur
Verantwortung gezogen werden.
Es ist den Flüchtlingen und Vertriebenen nicht zumutbar in Gegenden zurückzukehren, in
denen die HauptverantwortIichen für die unfaßbaren Kriegsverbrechen - egal von welcher
Seite sie begangen wurden - nach wie vor ungehindert ihre Funktionen ausüben und ihre
Strategien der nationaIistischen Hetze weiter entwickeln können.
Vor diesem Hintergrund macht es zutiefst betroffen, daß Charles Ingrao persönlich als
Augenzeuge wahrgenommen hat, daß östereichische und schwedische IFOR-Einheiten
regelmäßig an einer Straße in der Nähe von Pale im Einsatz sind, die mehrmals tägIich und
vöIlig offen von Radovan Karadzic, der aIs mutmaßlicher Anführer bei zahllosen
Kriegsverbrechen zur Fahndung ausgeschrieben ist, frequentiert wird. Dem Vernehmen
nach soII Radovan Karadzic mehrmals täglich und ohne große Bewachung bzw. miIitärische
Begleitung den östereichischen Stützpunkt völlig ungehindert passieren, wobei sämtliche
dort dienstverrichtende Soldaten genau wissen, daß es sich um den mutmaßlichen
Kriegsverbrecher Karadzic handelt.
BekanntIich haben sich die Grünen aufgrund der östereichischen Balkanvergangenheit und
mangels eines UNO-Oberbefehls gegen den Einsatz östereichischer Soldaten in Ex-
Jugoslawien ausgesprochen ; die Grünen Warnungen und Bedenken wurden seitens der
östereichischen Bundesregierung übergangen. Wenn nunmehr östereichische IFOR-
Soldaten wesentliche Punkte des Dayton-Abkommens wissentlich nicht volIziehen und
damit die Hoffnung der bosnischen Zivilbevölkerung auf Frieden und Gerechtigkeit
enttäuschen, dann gefährdet dies nicht zuletzt auch das Ansehen Östereichs , aber in
allererster Linie eine Fortsetzung und Vertiefung des Friedens- und Versöhnungsprozeßes
vor Ort.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende
ANFRAGE:
1. In welcher Art und Weise wurde sichergestellt, daß die östereichischen IFOR-
Soldaten über den Inhalt des Vertragswerkes von Dayton informiert werden und sich
dementsprechend gegenüber mutmaßIichen Kriegsverbrechern verhalten? (Bitte
detailIierte Darstellung der zur Einschulung verwendeten Materialien)
2. WeIche Erklärung haben Sie dafür, daß die mutmaßlichen Anführer bei
Kriegsverbrechen ungehindert mehrmals täglich den von östereichischen Soldaten
abgesicherten IFOR-Stützpunkt passieren können?
3. Teilen Sie die Meinung, daß eine Heimkehr von Vertriebenen und Flüchtlingen
absolut unzumutbar ist, solange internationaI berüchtigte mutmaßliche
Kriegsverbrecher ihre Funktionen völlig ungehindert weiter ausüben können?
4. Befürchten auch Sie, daß die Untätigkeit der östereichischen IFOR-Soldaten zu
ähnlich negativen öffentlichen Reaktionen führen kann wie die Untätigkeit der
damaIigen UNO-Truppen bei den Massakern an Zivilisten in Srebrenica und anderen
bosnischen Orten? Was gedenken Sie daher zu tun?
5. Was tun die östereichischen IFOR-Soldaten, die neuralgische Straßenzüge in Bosnien
überwachen, wenn sie nicht einmaI die berüchtigsten mutmaßlichen Kriegsverbrecher
anhalten und festnehmen? Was ist der Inhalt ihres Auftrages und wer überwacht den
korekten Vollzug?
6. Sind Sie bereit über die bisherigen Erfahrungen mit dem Bosnien Einsatz noch vor
einer VerIängerung des Mandates für östereichische IFOR-Soldaten das Parlament zu
befassen und dabei auch über die Versäumnisse bei der Umsetzung des Dayton
Prozeßes zu berichten. Wenn ja, wann gedenken Sie dies zu tun , wenn nein , warum
nicht?