1670/J
der Abgeordneten Ing. Nußbaumer
und Kollegen
an den Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten
betreffend Umstrukturierung und Standortverlagerung der Industrie
Angesicht der Tatsache, daß ein großer Teil der heutzutage fließenden Kapitalströme auf
Direktinvestitionen zurückzuführen ist, gewinnt diese Art der Finanzierungsform immer mehr
an Bedeutung.
Hauptakteure sind die etwa 37.000 multinationalen Unternehmen mit über 170.000
ausländischen Niederlassungen, bei einem globalen FDI-Bestand von zwei Billionen Dollar
und Verkäufen von 5,5 Billionen Dollar durch ausländische assoziierte Unternehmen (UN-
Daten 1993).
Aber besonders in Österreich ist die Annahme, durch Investitionen würden Kapazitäten
geschaffen oder ausgeweitet werden, keinesfalls ohne weiteres als richtig hinzunehmen
Denn einerseits ist zumindest seit Mitte der achtziger Jahre ersichtlich, daß mit getätigten
Auslandsinvestitionen nicht mehr so sehr neue Produktionsstätten errichtet, als vielmehr das
Schwergewicht auf Beteiligungen und Verschmelzungen gelegt wird. Eine heute beliebtere
Form von Auslandsaktivitäten liegt in den Abschlüssen von Kooperationsverträgen.
Andererseits entwickelt sich die Meinung, durch den EU-Beitritt komme es zu einem
erhofften Investitionsschub, zu einem Trugschluß. Denn die zentrale und nahe Lage zu den
Reformstaaten brachte keine nennenswerte Attraktivitätssteigerung (große Konzerne wie
Coca-Cola, IBM, Nestle, Phillips oder Siemens waren ohnedies schon in Österreich ansässig).
Vielmehr scheinen große Investoren ihre Produktionsstandorte weniger innerhalb der EU zu
verlagern, als sie vielmehr aus der EU auszuIagern (Beispiele aus der Autoindustrie: VW
nach Tschechien, Mercedes nach Indien und Usbekistan, Renault nach Vietnam).
Außerdem entfielen laut OECD in den Jahren 1983 bis 1992 bereits 43% des gesamten
amerikanischen/europäischen Warenverkehrs auf (bloß) unternehmensinternen Handel in
weltweit operierenden Unternehmen.
Es ist die Tendenz erkennbar, daß innovationsträchtige Industrien ihre neuen Produkte in
Hochlohnländern entwickeln und herstellen, anschließend aber die Produktion in
Niedriglohnländer auslagern, dort in Massenproduktion gehen.
Bei den Erwägungen für diesen Zyklus geht es nicht nur um niedrige Löhne, sondern auch
um geringere Arbeitsschutz- und Umweltstandards, flexiblere Arbeitsverhältnisse, , vor allem
in Relation zu Österreich auch um vereinfachte Verwaltungsabläufe.
Dementsprechend entfielen im Jahre 1993 bereits 55% der gesamten Direktinvestitionen oder
80 Mrd. USD auf Nicht-OECD-Länder.
Der Bericht des Europäischen Parlaments über dieses Thema vom 29.10.1996 stellt in seiner
Begründung daher auch fest, daß durch Auslandinvestitionen in der EU ,,kein realer Zuwachs
bei den Arbeitsplätzen festzustellen ist, es scheinen die Verluste sowohl zahlenmäßig als auch
qualtitativ größer zu sein, als die Zahl der neugeschaffenen Arbeitsplätze."
Damit ist festgestellt, daß der EU-Beitritt Österreichs auch in dieser Hinsicht keine
entscheidenden Vorteile für die Beschäftigungslage in Österreich gebracht hat.
Angesichts der bedeutenden Größe der weltweit fließenden Kapitalströme, aber auch der
geringen positiven Auswirkungen auf das Beschäftigungsniveau in Österreich stellen die
unterfertigten Abgeordneten daher an den Bundesminister für wirtschaftliche
Angelegenheiten folgende
Anfrage
1) Welche Zahlen liegen Ihnen über den Umfang und die Struktur von Standortverlagerungen
aus, in und nach Österreich für die Jahre 1995 und 1996 vor?
2:) Welche Vorteile erwarten Sie von einer möglichen Standortverlagerung der Industrie nach
Osterreich?
3) Nach Berechnungen der Österreichischen Nationalbank betrugen 1995 die Brutto-
Desinvestitionen in Österreich in den Jahren zuvor die noch nie auch nur annähernd erreichte
Größe von 12,3 Mrd. Schilling. Worin sehen Sie die Gründe dafür?
4) Im ersten Halbjahr 1996 betrugen die Brutto-Neuinvestitionen 18,1 Mrd. Schilling (als
Quelle dienen wieder Zahlen der OENB). 90% dieser Kapitalströme kamen aus der EU.
Allein 11 Mrd. Schilling flossen in Beteiligungen an österreichischen Banken.
Welche positiven Beschäftigungseffekte konnten durch diese Investitionen erzielt werden?
5) Inwiefern sind Ihre Erwartungen bezüglich der Standortattraktivität Österreichs für
Drittstaaten als Brückenkopf der EU zu den MOEL seit dem EU-Beitritt erfüllt, bzw. nicht
erfüllt worden?
6) Welche Maßnahmen sind geplant, um Österreich als Industriestandort für ausländische
Investoren interessanter zu gestalten?
7) Sehen Sie die geringere Besteuerung mobiler Produktionsfaktoren gegenüber der
steigenden Steuerbelastung von eher statischen Faktoren, wie z.B. Arbeit, als eine Gefahr für
die Erstellung dauerhafter regionaler Entwicklungskonzepte an?
8) WeIche Initiativen sind im Bereich der Anerkennung von Pensionsansprüchen, von
Aufenthaltsrechten, der Anerkennung von Diplomen oder der Freizügigkeit von
Wanderarbeitnehmern geplant, um neben einem bereits bestehenden liberalen Kapitalverkehr
in der Europäischen Union diese Defizite zu egalisieren?
9) Teilen Sie die Auffassung des Europäischen Parlaments, daß spätestens nach Eintritt der
dritten Stufe der WWU zur Wahrung völliger Chancengleichheit unter den Mitgliedstaaten
auch die gesetzlichen Bestimmungen über die soziale Sicherheit, die Arbeitsbedingungen, die
Umwelt- und die Steuerpolitik dringend durch eine Rahmengesetzgebung harmonisiert
werden müssen?
10) Welche Schritte werden gesetzt, um Förderungen für die sich in Österreich ansiedelnden
Betriebe von Zusagen auf dem Gebiet der Arbeitsplätze und lokaler Entwicklung abhängig zu
machen und so eine Wertschöpfung und dauerhafte Anbindung an die bestehende Wirtschaft
zu erreicheu?
11) Welche grundsätzlichen Sozialklauseln sollten Ihrer Ansicht nach in internationale
Handels- und Investitionsabkommen eingebaut werden?
12) Der Ausschuß für soziale Angelegenheiten und Beschäftigung des Europäischen
Parlaments fordert in seiner Stellungnahme zu oben genanntem Bericht in Punkt 11. seiner
Erklärung, daß die Kommission Untersuchungen über den Gebrauch und Mißbrauch von EU-
Subventionen, -Anreizen und der Struktur- und Kohäsionsfonds durchführen und
gegebenenfalls die vollständige Abschaffung (bestimmter) Beihilfen in Erwägung ziehen soll.
Vertreten Sie dieselben Ansichten, wie der Ausschuß für soziale Angelegenheiten und
Beschäftigung?
13) Wenn ja, welche konkreten Fördermittel haben ihre Ansicht nach die an sie gestellten
Zielvorgaben (besonders im Bereich von Beschäftigungsförderungen) völlig ve rfehlt?
14) Besteht Ihrer Meinung nach die Gefahr, daß nationale und EU-Interventionen sowie
direkte Auslandsinvestitionen die bestehenden Unterschiede zwischen den Regionen
zementieren und die Möglichkeiten zur Erreichung der Kohäsionsziele verringern?