XX. GP.-NR

1742/J

 

 

A N F R A G E

 

der Abgeordneten Blünegger, Dr. Partik-Pablé, Böhacker, Lafer, Haller, Mag. Trattner und Kollegen

an den Bundesminister für Inneres

betreffend Dienstzuteilung von Tiroler und Salzburger Gendarmeriebeamten ohne deren Zustimmung zum LGK-NÖ/Sicherung der EU-Außengrenze

 

Am 13.11.1996, um 18:00 Uhr, erging an die Gendarmerieposten der Bundesländer Tirol und Salzburg unter dem Titel „Zuteilung von Beamten zum LGK f. NÖ – Grenzsicherung, Ausschreibung“ ein dringendes Fernschreiben betreffend einer mehrmonatigen Zuteilung von insgesamt 110 Gendarmeriebeamten an das LGK f. NÖ zur Sicherung der EU-Außengrenze ab 1.12.1996(!). Tirol hätte laut diesem Fernschreiben 65 Beamte zu stellen.

 

Die vorerst auf sechs Monate befristeten Zuteilungen sollten grundsätzlich auf „freiwilliger“ Basis erfolgen, das Kontingent sei jedoch einzuhalten. Als Termin für die Meldungen wurde der 20.11.1996 festgesetzt. Falls das Kontingent nicht durch „Freiwillige“ erfüllt werden könne, sollten die Kommandanten die noch die noch erforderlichen Personen namhaft machen. Zwischen „Freiwilligen“ und „Unfreiwilligen“ wäre in der Meldung ausdrücklich zu unterscheiden.

 

Österreich hat sich in einer Volksabstimmung für den Beitritt zur EU ausgesprochen, wobei die damit verbundene Notwendigkeit zur Sicherung der EU-Außengrenze von den Gendarmeriebeamten akzeptiert wird. Problematisch erscheint allerdings nunmehr die Art und Weise,   w i e   die Exekutivbeamten in den Genuß der Grenzsicherung kommen und wie sie als Spielball der politisch Verantwortlichen herhalten sollen.

 

Die Bundesregierung kam anscheinend aufgrund einer ihr vorliegenden Statistik plötzlich zur Auffassung, daß sich die illegalen Grenzübertritte im Bereich der EU-Außengrenze Niederösterreich eklatant „häufen“ müssen. Anders ist die beschlossene „Sofortaktion“, Sicherung der Grenze und Verstärkung der mit der Grenzsicherung betrauten Organe durch Gendarmeriebeamte aus Tirol und Salzburg, nicht zu erklären. Dem Gendarmeriezentral­kommando gelang es zudem noch relativ schnell, einen „Schlüssel“ zu errechnen, wieviel Beamte aus den Bundesländern Tirol und Salzburg abgezogen werden sollen.

 

Anfang Dezember 1996 wurden 62 Tiroler Gendarmeriebeamte zum Grenzdienst nach Niederösterreich abkommandiert, 40 (rund zwei Drittel) haben diesen Dienst unfreiwillig angetreten.

 

Ein Teil der Beamten bezog in der Folge die von Tirol aus versprochene Unterkunft und mußte menschenunwürdige Zustände feststellen: 19 qm Wohnfläche für 6 Personen, Stock­betten, benützte, schmutzige Bettwäsche, 1 Dusche für 18 Personen und keine Verpflegung, lautete der Befund. Die Mißstände wurden zwischenzeitlich wohl beseitigt, sie sind aber dennoch charakteristisch für eine „Sofortaktion“, bei der die Interessen der Betroffenen auf der Strecke geblieben sind.

 

Grundlage der Zuteilungen bildet das Beamtendienstrechtsgesetz, BGBl. Nr. 333/79 i.d.g.F., wobei der Passus, eine Zuteilung auch ohne Zustimmung des Beamten zu ermöglichen, gegenständlich durch Erzeugung von unbilligen Härten in unvertretbarer Weise angewandt wird. Bis Anfang Dezember 1996 diente die angesprochene Bestimmung des Beamtendienstrechtsgesetzes in der Praxis vor allem eher dafür, „Querulanten, Aufmüpfige oder ähnlich3“ für einige Monate von deren Dienststelle fernzuhalten oder besonders geeignete Beamte an andere Dienststellen zuzuteilen, um deren Fachwissen weiterzugeben. Nunmehr werden §§ 38, 39 leg.cit. dafür verwendet, Tiroler und Salzburger Familien für Monate zu trennen, nur weil weitblickende Planungen bisher unterblieben sind.

 

Tatsache ist, daß von den ca. 1.200 bis 1.300 in Tirol Dienst verrichtenden Gendarmeriebeamten nur 22 bereit waren, sich freiwillig an die Grenze nach NÖ zuteilen zu lassen. In diesem Kontext erscheint das „Recht“ des Gendarmeriezentralkommandos bzw. des LGK für Tirol, auch in weiterer Folge noch gegen den Willen Hunderter Gendarmen vorzugehen und diese gegen ihren Willen an die Ostgrenze zuzuteilen, sozial, menschlich und politisch unvertretbar und stellt eine unverhältnismäßige Maßnahme dar, die an Situationen eines Ausnahme- bzw. Notstandes heranreicht. Faktisch handelt es sich um nichts anderes, als um einen Willkürakt gegen Hunderte Tiroler und Salzburger Familien.

 

Völlig unverständlich erscheint auch in diesem Zusammenhang, daß wiederholte Ersuchen um Dienstzuteilungen von Gendarmeriebeamten aus anderen Bundesländern auf freiwilliger Basis nach Tirol zur Unterstützung in den Wintermonaten, vom BmfI aus „prinzipiellen Gründen“ stets abgelehnt wurden. Zuteilungen von Tiroler Gendarmerie­beamten nach NÖ – trotz intensivster Belastungen in den Spitzenmonaten des Fremdenverkehrs – stehen allerdings keine „prinzipiellen Gründe“ entgegen.

 

Angeblich weisen einzelne Grenzüberwachungsposten derzeit sogar Überzahlen auf. Der Schluß drängt sich auf, eine weit geringere Anzahl von dienstzugeteilten Tiroler Beamten müßte zur Sicherung der EU-Außengrenze in NÖ ausreichen. Die Annahme gründet sich darauf, daß am GüP Katzelsdorf, besetzt mit 17 NÖ-Beamten und 20 Tiroler Gendarmen, im Zeitraum von einem Monat keine fünf Einschreitungen vorkamen.

 

Resignation und Frustration haben sich in Kreisen der Tiroler Gendarmeriebeamten breitgemacht. Anonyme Schreiben von Gruppen engagierter Gendarmeriebeamter zirkulieren als „Hilferuf“ an das GZK und LGK-Tirol. Es werden Mißstände aufgezeigt und sie beinhalten Kritik an der Führungsebene. Dies ist nur die „Spitze eines Eisberges“. Die Beamten fühlen sich als „Schachfiguren“ und von ihrer Führung, vor allem von der politischen Führung unter der Verantwortlichkeit des Herrn Bundesministers für Inneres „verkauft“.

 

Rasch einberufene Podiumsdiskussionen in Tirol am 9. und 10.12.1996 mit Vertretern des GZK und LGK-Tirol (Gen. Weichselbaum, Brig. Stelzer, Brig. Bäumel) konnten die rund 350 teilnehmenden Gendarmeriebeamten nur beschwichtigen. Eine Entspannung der Situation wurde jedoch nicht erreicht.

 

Die unterfertigten Abgeordneten richten in diesem Zusammenhang an den Bundesminister für Inneres folgende

 

A n f r a g e :

 

1.             Welche Gründe sind/waren für die Entscheidung, die EU-Außengrenze Nieder­österreichs mit zusätzlichem Personal aus Tirol und Salzburg zu verstärken, aus­schlaggebend? Über welchen Zeitraum erstreckt sich die angeordnete Maßnahme?

 

2.             Sind weitere Zuteilungen von Tiroler/Salzburger Gendarmeriebeamten zur Sicherung der EU-Außengrenze in NÖ oder in anderen Bundesländern geplant?

                Wenn ja, in welchem Umfang und Dauer?

 

3.             Wie hoch ist die Anzahl der aus den Bundesländern Tirol und Salzburg dem LGK-NÖ derzeit und künftig zugeteilten Gendarmeriebeamten, wieviele davon waren bisher „freiwillig“ und „unfreiwillig“?

 

4.             Welche Gründe bewogen das GZK, eine Unterscheidung zwischen „Freiwilligen“ und „Unfreiwilligen“ zu veranlassen? Welche Absicht verfolgte diese Anordnung, welche Folgen haben die „Unfreiwilligen“ zu gewärtigen?

 

5.             Entspricht es der Richtigkeit, daß das Bundesland Tirol gegenüber dem Bundesland Salzburg eine verhältnismäßig höhere Anzahl von Gendarmeriebeamten zum Schutz der EU-Außengrenze NÖ zu stellen hat, obwohl sowohl das LGK Tirol als auch das LGK Salzburg über eine annähernd gleich hohe Anzahl Beamter über dem Systemstand aufweisen (Tirol 109, Salzburg 100)?

                Wenn ja, wie begründen Sie diese Maßnahme?

                Nach welchem „Schlüssel“ erfolgten die Dienstzuteilungen?

 

6.             Wie beurteilen Sie den Vorwurf engagierter Gendarmeriebeamter, es würden „nur interne Belastungsstatistiken zur Berechnung der Überstände an Beamten pro Dienststelle, Bezirk, Land, herangezogen. Diese Zahlen gingen jedoch an der Realität weit vorbei“?

 

7.             Entspricht es der Richtigkeit, daß im Bereich des LGK-Tirol durch die Übernahme von Zollwachebeamten erstmals der theoretische „Ist-Zustand“ an systemisierten Beamten erreicht worden ist?

 

8.             Wieviele illegale Ausländer wurden in den Jahren 1995-1996 im Westen Österreichs (Vorarlberg, Tirol, Salzburg) bzw. Osten (OÖ, NÖ, W, Bgld.) aufgegriffen? Bildet dieses Zahlenmaterial eine Grundlage zur Entscheidung über das Erfordernis gegen­ständlicher Dienstzuteilungen?

 

9.             Wie beurteilen Sie die gegenständlichen Dienstzuteilungen ohne Zustimmung der Beamten, das Ausmaß und das „Recht“, auch künftig Hunderte Beamte gegen deren erklärten Willen in andere Bundesländer zuzuteilen?

 

10.           Halten Sie es für richtig, daß Gendarmeriebeamte mit absolut familienfeindlichen Dienstzeiten und Einsätzen von oftmals mehr als 100 Stunden in der Woche, zusätzlich noch derartige Zwangsmaßnahmen über sich ergehen lassen müssen?

 

11.           Wie beurteilen Sie als politisch verantwortlicher Ressortminister die erzeugten Frustrationserscheinungen in den Reihen des Tiroler/Salzburger Gendarmeriecorps? Welche Maßnahmen gedenken Sie zum Wohle der Beamten zu ergreifen?

 

12.           Sind Ihnen die in der Einleitung erwähnten anonymen Schreiben von Gruppen engagierter Gendarmeriebeamter bekannt?

                Wenn ja, bitte um Ihre Stellungnahme.

 

13.           Wie begründen Sie die Verweigerung der Ersuchen um österreichweite Dienstzuteilungen auf freiwilliger Basis nach Tirol zur Verstärkung in den Wintermonaten seitens des BMfI? Weshalb finden „prinzipielle“ Gründe, die zur Ablehnung geführt haben, nicht auch bei Dienstzuteilungen von Tirol nach NÖ Anwendung?

 

14.           Die hohe Wahrscheinlichkeit einer künftigen Dienstzuteilung nach NÖ gegen deren erklärten Willen schwebt als „Damoklesschwert“ über Hunderten Tiroler und Salzburger Gendarmeriefamilien. Erachten Sie die sich hieraus ergebenden psychischen und sozialen Belastungen als zumutbar für die Betroffenen und deren Familien?

 

15.           Werden Sie nach Kenntnis der vorliegenden Sachlage – unverhältnismäßige Anwendung des Rechts auf Dienstzuteilungen ohne Zustimmung der Beamten – dem Gesetzgeber eine Änderung des Beamtendienstrechtsgesetzes vorschlagen oder zumindest Weisungen zur restriktiven Anwendung erteilen?

 

16.           Wurde eine österreicheite Rekrutierung von Gendarmeriebeamten zum NÖ-Grenz­einsatz auf freiwilliger Basis in Erwägung gezogen?

                Wenn ja, warum mit mangelndem Erfolg?

                Wenn nein, warum nicht?

 

17.           Wären Sie bereit, für entsprechende finanzielle Anreize neben der Zuteilungsgebühr bei Dienstzuteilungen ohne Zustimmung der Beamten in andere Bundesländer zu sorgen?

 

18.           Sind Ihnen in Österreich noch andere Berufssparten oder Menschengruppen bekannt, die gegen deren erklärten Willen zu Tätigkeiten gezwungen werden, ausgenommen die Gruppen der Wachkörper, des Bundesheeres und der Häftlinge?

 

19.           Halten Sie es mit den Grundsätzen der Humanität vertretbar, ausländische Familien in Österreich zusammenzuführen, Familien von Gendarmeriebeamten gegen deren erklärten Willen jedoch auseinanderzureißen?