2143/J XX.GP

 

der Abgeordneten Öllinger, Freundinnen und Freunde

an den Bundesminister für Justiz

betreffend NS-Kindereuthanasie - Involvierung von Dr. Heinrich Gross

Die Versäumnisse und das Versagen der österreichischen Justiz bei der Verfolgung von

NS-Tätern nach 1945 manifestieren sich im besonderen in dem Fall des

Kindereuthanasiearztes Dr. Heinrich Gross. Wie aus der wissenschaftlichen Literatur, aus

Gerichtsverfahren und aus unzähligen Zeitschriften- und Zeitungsberichten hervorgeht, war

Dr. Heinrich Gross ab 1940 als Arzt in der Kinderklinik "Am Spiegelgrund', in die NS-

Kindereuthanasie involviert, die allein in Wien nach Schätzungen zwischen 500 und 1000

Opfer gefordert hat. Obwohl diese Umstände den Justizbehörden seit langem bekannt sind,

immer wieder neue belastende Unterlagen auftauchen und auch eine öffentliche Diskussion

darüber stattfindet, ist die österreichische Justiz untätig geblieben und hat nicht einmal

Prüfungen der sich ergebenden Verdachtsmomente eingeleitet.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

ANFRAGE:

1. Das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Volksgericht vom 29.3. 1950,

mit dem Dr. Heinrich Gross wegen des Verbrechens der Mitschuld am Totschlag zu

zwei Jahren schwerem 'Kerker verurteilt worden ist, wurde vom Obersten Gerichtshof

1951 aufgehoben und an das Landesgericht für Strafsachen Wien zu neuer Verhandlung

und Entscheidung zurückverwiesen. Obwohl also ein höchstgerichtlicher Auftrag zur

Weiterverfolgung des Dr. Heinrich Gross vorlag, wurde das Verfahren in bis heute

unverständlicher Weise auf Antrag der Staatsanwaltschaft Wien eingestellt.

a) Aus welchen Gründen erfolgte die Antragstellung zur Verfahrenseinstellung und

warum wurde dem höchstgerichtlichen Auftrag zur Weiterverfolgung nicht Folge

geleistet?

b) War das Bundesministerium für Justiz in diese Verfahrenseinstellung involviert und

hat es damals Weisungen an die Staatsanwaltschaft Wien gegeben?

c) Trifft der Vorwurf zu, daß das damalige gerichtsärztliche Gutachten lediglich 18 von

772 Krankengeschichten der in der Kinderklinik "Am Spiegelgrund" getöteten Kinder

untersuchte und daher das volle Ausmaß der Involvierung von Dr. Heinrich Gross gar

nicht restlos festgestellt werden konnte?

2. In einem von Dr. Heinrich Gross gegen Dr. Werner Vogt 1980 angestrengten

Ehrenbeleidigungsverfahren stellte das Oberlandesgericht Wien in einem rechtskräftigen

Urteil am 30.3. 1981 fest, "daß Dr. Heinrich Gross an der Tötung einer unbestimmten

Zahl von geisteskranken, geistesschwachen oder stark mißgebildeten Kindern (die erb-

und anlagebedingte schwere Leiden hatten) mitbeteiligt war,'. Aufgrund des vorgelegten

Wahrheitsbeweises und nach eingehender Prüfung wurde Dr. Werner Vogt damals

rechtskräftig freigesprochen.

a) Warum wurde nach dem Vorliegen dieses rechtskräftigen Urteils 1981 kein

Verfahren von der Staatsanwaltschaft Wien gegen Dr. Heinrich Gross eingeleitet?

b) Wurde damals das Bundesministerium für Justiz involviert, hat es irgendwelche

Weisungen oder Rücksprachen mit der Staatsanwaltschaft Wien gegeben?

3. 1995 hat das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes eine

Sachverhaltsdarstellung betreffend Dr. Heinrich Gross an die Staatsanwaltschaft Wien

gerichtet, in der ein neues belastendes Dokument vorgelegt worden ist, das die

freiwillige Mitwirkung von Dr. Heinrich Gross an der Kindereuthanasie beweist.

a) Welche Schritte hat die Staatsanwaltschaft Wien zur Klärung dieses massiven

Vorwurfes unternommen?

b) Welche Haltung hat das Bundesministerium für Justiz eingenommen?

c) Warum wurden konkrete weitere Ermittlungen nicht durchgeführt' wie zum Beispiel

eine Einvernahme von Dr. Heinrich Gross oder die penible Durcharbeitung der

gesamten im PKH Baumgartnerhöhe noch vorhandenen Krankengeschichten der

Kindereuthanasiefälle?

d) Warum wurde die Anzeige gegen Dr. Heinrich Gross am 2. 1 . 1996 von der

Staatsanwaltschaft Wien zurückgelegt?

e) Welches Prüfungsverfahren ist dieser Einstellung vorangegangen?

4. Im "profil" vom 10.3. 1997 wird über eine Göttinger Dissertation über die

Kindereuthanasie in Wien berichtet, die neuerlich schwere Verdachtsmomente bezüglich

der Involvierung von Dr. Heinrich Gross in die Kindermorde am "Spiegelgrund"

beinhaltet. Auch wird die Aussage einer Frau deren Kind 1944, als Dr. Gross die

Reichsausschußarbeit am "Spiegelgrund" durchführte, umgekommen ist' zitiert.

a) Werden Sie beziehungsweise die Staatsanwaltschaft Wien diese neuen Umstände zum

Anlaß nehmen, um eine Prüfung sowohl der rechtlichen Situation als auch der

Faktenlage durchzuführen?

b)Werden Sie auch die Frage, ob der Verdacht des Mordes nach § 211

Reichsstrafgesetz vorliegt, untersuchen lassen und in diesem Zusammenhang den

Gesichtspunkt der freiwilligen Mitwirkung an der Kindereuthanasie und des

"wissenschaftlichen", Forschungsinteresses seitens Dr. Heinrich Gross prüfen lassen?

c) Werden Sie bzw. die Staatsanwaltschaft Wien ohne jede Prüfung und unter

Negierung aller neuen vorgebrachten Fakten Totschlag und damit eine Verjährung

annehmen?

5. Besonderes Ärgernis und Unverständnis erweckt die - ungeachtet aller Vorwürfe und

Belastungen - fortgesetzte Gutachtertätigkeit von Dr. Heinrich Gross für österreichische

Gerichte.

a) Ist dem Bundesministerium für Justiz bekannt' in wievielen Fällen' für welche

Gerichte und zu welchen Kosten Dr. Heinrich Gross als Sachverständiger fungierte?

b) Wurde Dr. Gross auch noch nach der Anzeige 1995 als Gutachter herangezogen?

c) Für den Fall, daß diese Gutachtertätigkeit immer noch andauert: welche

Möglichkeiten hat das Bundesministerium für Justiz, um solche fragwürdige Praktiken

von Gerichten oder Richtern hintanzuhalten?