2926/J XX.GP

 

der Abgeordneten Kier, Partnerinnen und Partner

an den Bundesminister für Inneres

betreffend rechtswidrige Vorgangsweise bei Erlassung von Berufungsbescheiden in

aufenthaltsrechtlichen Verfahren

Den unterzeichneten Abgeordneten vorliegende Dokumente beweisen eine seit

Jahren skandalöse Vorgangsweise des Bundesministeriums für Inneres in

Zusammenhang mit der Ausstellung von Berufungsbescheiden in fremden- und

aufenthaltsrechtlichen Angelegenheiten sowie dem gesamten dazu erforderlichen

Berufungsverfahren: Die zuständigen Fachreferentinnen und Fachreferenten stellen

obwohl in vielen Fällen aufgrund der fehlenden Ausbildung rechtsunkundig,

zumindest seit 1996 die entsprechenden Bescheide im Akkord mithilfe von

Textbausteinen aus und erhalten eine Abgeltung für fiktive Überstunden nach

Anzahl der ausgefertigten Bescheide, wodurch nicht nur wesentliche Vorschriften

des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes (AVG) verletzt und der

Verwaltungsgerichtshof lahmgelegt wird, sondern auch vielen Ausländerinnen und

Ausländern völlig unqualifiziert in die weitere Lebensplanung eingegriffen wird. Dies

ist durch eine Dienstanweisung, Textbaustein - Formulare sowie entsprechende

Bescheide belegt. Obwohl diese Dienstanweisung aus der Amtszeit von Caspar

Einem als Innenminister stammt, hat der amtierende Innenminister Karl Schlögl

aufgrund seiner persönlichen Ministerverantwortlichkeit umgehend

Handlungsbedarf, indem er die Umstände der Bescheiderstellung überprüft und

dienstrechtliche Konsequenzen gegenüber dem verantwortlichen Beamten ergreift.

Die Vorgangsweise des Bundesministeriums für Inneres in dieser Angelegenheit im

Detail:

Der Sektionschef der Sektion III, Paß-, Staatsbürgerschafts-, Flüchtlings- und

Fremdenwesen, Dr. Manfred Matzka, hat seiner Abteilung III/11 schriftlich an-

geordnet, Berufungsbescheide in aufenthaltsrechtlichen Verfahren aus ganz

Österreich im Akkord zu erledigen. Den Referentinnen und Referenten der Abteilung

III/11 wurde am 29. Februar 1996 mittels Dienstanweisung die

Überstundenverrechnung nach Bescheidanzahl“ (laut ,, Betreff“) verordnet. Darin

wird wörtlich vorgeschlagen, „ab der 10. Woche das Punktesystem für die

Überstundenverrechnung vorübergehend zu sistieren und

die... Überstundenverrechnung nach Bescheidanzahl entsprechend der Beilage Platz

greifen zu lassen.“ Die Beilage liegt den unterzeichneten Abgeordneten vor.

Schon 1993 war ein Punktesystem eingeführt worden, das die zu erlassenden

Bescheide je nach Arbeitsaufwand katalogisierte und nach diesen Punkten

Überstundenentgelte verteilte. Mit 29. Februar 1996 wurde dieses Punktesystem von

Dr. Matzka sistiert und die geschilderte Vorgangsweise eingeschlagen.

Das bedeutet: Je Referentin und Referent ist ein Plansoll von 20 Bescheiden pro

Woche zu erfüllen. Das ergibt bei 40 Wochenstunden durchschnittlich alle zwei

Stunden einen Bescheid. Zusätzlich werden über diesem Plansoll pro angefangene

drei Bescheide je zwei Überstunden ausbezahlt. Das sind 40 Minuten pro Bescheid.

Die Überstunden gelten als geleistet, wenn die entsprechende Bescheidanzahl

erreicht ist. Ob die Dienstzeit auch tatsächlich erbracht wurde, wird nicht überprüft.

Ursprünglich hatte Matzka sogar beabsichtigt, den Referentinnen und Referenten

mindestens 10 Bescheide pro Tag (!) vorzuschreiben. Das wäre ein

Berufungsbescheid alle 48 Minuten!

Da Berufungsbescheide in aufenthaltsrechtlichen Verfahren aber wesentlich

zeitaufwendiger sind, als diese Vorgaben, wurden alle möglichen Berufungsbe-

scheide katalogisiert und in Textbausteine aufgegliedert. Diese Textbausteine

wurden zu „Musterbescheiden“ zusammengesetzt. Die Referentinnen und

Referenten, allesamt keine Juristen sondern B-Verwaltungsbeamte oder

Vertragsbedienstete, brauchen nur mehr die Freitext- und Namensfelder dieser

Musterbescheide per Hand ausfüllen. Der gesamte Bescheid, bestehend aus

Textbausteinen und wenigen Worten Freitext, wird durch die Schriftführerinnen und

Schriftfüher daraufhin ,,endgefertigt“. Den unterzeichneten Abgeordneten liegen alle

aktuellen Versionen dieser ,,Fließband-Bescheide“ vor.

Das Parteiengehör ist ein im AVG garantiertes Recht des Betroffenen, vom Er-

mittlungsergebnis eines Verfahrens Kenntnis zu bekommen und dazu Stellung

nehmen zu können. Es besteht der dringende Verdacht, daß in der Mehrzahl der auf

diese Weise erstellten etwa 15.000 Berufungsbescheide der Abt. III/11 seit

Gültigkeit des Aufenthaltsrechtes dieses Recht ignoriert wurde. Darüberhinaus ist

die Berufungsbehörde verpflichtet, den Vorbescheid in jede Richtung zu prüfen.

Allein das gewissenhafte Studium eines Vorbescheides aus dem Amt der

Landesregierung (in Wien MA 62) braucht schon mehr als eine Stunde. An ein

weiteres Ermittlungsverfahren, Einvernahmen (auch mit Dolmetscher),

Parteiengehör oder Akteneinsicht ist bei einer durchschnittlichen

Gesamtbearbeitungsdauer von zwei Stunden pro Bescheid schon gar nicht zu

denken. Bei Bescheiden, die über dem Plansoll liegen, ist die Bearbeitungszeit

noch geringer.

Dazu kommt: Die Berufungen gegen Bescheide im Aufenthaltsrecht werden

ausnahmslos von Nichtjuristinnen und Nichtjuristen ausgefertigt. Während z.B. die

Wiener Polizeijuristinnen und -juristen nach neuen Betätigungsfeldern suchen und

jeder angezeigte Falschparker im Verwaltungsstrafverfahren von einem Juristen

abgestraft wird, liegen die Schicksale von tausenden Familien - nicht ganz zufällig -

in der Hand nicht rechtskundiger Beamter und Vertragsbediensteter. Nichtjuristinnen

und - juristen sind in der komplexen Materie des Aufenthaltsrechts nämlich viel

leichter dirigierbar als rechtskundige Beamte.

Die Folgen der Akkord-Bescheide aus dem BMI sind gewaltig. Der Verwaltungs-

gerichtshof wurde mit Beschwerden gegen die Fließband - Bescheide lahmgelegt.

Allein in Aufenthaltsangelegenheiten liegen dort mehr als 10.000 Beschwerden vor.

Dazu kommen etwa 4000 Beschwerden in Asylfragen (ebenfalls Sektion III, Matzka).

Jahrelange Wartefristen sind daher die Regel. Im neuen Fremdengesetz 1997

wurde aus diesem Grund auf Drängen des VwGH eine Bestimmung aufgenommen,

die mit 1.1.1998 alle beim VwGH angefochtenen Bescheide des BMI wegen

Nichtverlängerung oder Entzug einer Aufenthaltsbewilligung aufhebt und das

Verfahren an das BMI zurückverweist (§ 113 Abs. 6 und folgende FrG 1997). Dabei

werden Tausende von anstehenden Beschwerden einfach als gegenstandslos

erklärt und die Beschwerdeführer zurück an den Start geschickt. Darüber hinaus

wurde für alle Eingaben beim Verwaltungsgerichtshof eine Gebühr von öS 2500.-

eingeführt. Die Fließband-Bescheide des Herrn Sektionschefs haben somit allen

Rechtssuchenden eine 2500 Schilling - Hürde zum Verwaltungsgerichtshof

eingebracht. Das entspricht etwa einer Verzehnfachung der Gebühren.

Die hier geschilderte Vorgangsweise wirft ein bezeichnendes Licht auf die Geistes-

haltung, mit der seitens der Behörde an die Vollziehung der 1992 und 1993

beschlossenen Fremdengesetze herangegangen wird. Nicht nur, daß die rechtlichen

Grundlagen für Berufungsverfahren mit Füßen getreten werden, gelten ausländische

Mitbürgerinnen und Mitbürger für die Verantwortlichen des Bundesministeriums für

Inneres bestenfalls als lästige Nummern, die man möglichst rasch und effizient

abfertigt, indem man die zuständigen Fachreferentinnen und Fachreferenten auch

noch zur Akkordarbeit anhält. Es zeigt sich aber auch, welchen menschen—

verachtenden Spielraum das Aufenthaltsgesetz für die verantwortlichen Behörden

offenläßt: Die totale Überlastung der Beamten, die zu einer solchen Vorgangsweise

„provoziert“ ist schon in den bestehenden Fremdengesetzen angelegt. Daran hat

sich bedauerlicherweise auch durch durch die Novelle für das Fremdengesetz 1997

nichts geändert.

Entlarvend und skandalös ist schließlich die Reaktion von Sektionschef Dr. Matzka

auf die Veröffentlichung der ,,Akkordbescheide“ (APA 311 vom 17.9.97). Besonders

zynisch ist sein Vergleich der von ihm entworfenen Mustertexte mit „Straf-

verfügungen wegen Falschparkens“, wodurch er einen direkten Zusammenhang

zwischen einfachen Verkehrssündern und Menschen, bei denen - gelinde

ausgedrückt - tiefgreifend in ihre künftige Lebensgestaltung eingegriffen wird,

herstellt. „Egal wie“, meint er, müßten daher die betreffenden Bescheide zustande

kommen! Nicht nur aus diesem Grund, sondern auch deshalb, weil sich Dr. Matzka

obendrein rechtsunkundig zeigt, ist er für seine derzeitige Funktion nicht mehr

tragbar: Wenn er meint, in Berufungsbescheiden könne nur auf die in der Berufung

angegebene Begründung eingegangen werden, weshalb gemäß der ersten Instanz

zu entscheiden wäre, wenn keine entsprechende Begründung vorhanden sei,

widerspricht diese Auffassung den Bestimmungen des AVG. Danach hat sich die

Berufungsbehörde mit der vorliegenden Sache in gleicher Weise zu befassen, wie

die vorhergehende Instanz (VWSIgNF 2296 A, 7548 A, 7655 A, 7959 A). Im übrigen

ist auf alle Ausführungen und Anträge des Berufungswerbers einzugehen (VWSlg

14705 A, 14732 A). Das heißt, daß die Entscheidung der 1. Instanz unabhängig von

der Textierung der Begründung der Berufung einer umfassenden Würdigung zu

unterziehen ist. Wenn dies nun offensichtlich in Tausenden Verfahren nicht

geschehen ist, so müssen diese offensichtlich wegen Nichtbeachtung der oben

zitierten rechtlichen Grundlage aufgehoben werden!

In diesem Zusammenhang richten die unterzeichneten Abgeordneten folgende

ANFRAGE

an den Bundesminister für Inneres:

1. Aus welchem Grund wurde die oben zitierte Dienstanweisung vom 29.2.1996,

erstellt von Sektionschef Dr. Matzka, erlassen?

2. War das Ministerbüro des BMI von der Dienstanweisung informiert, bevor sie an

die betroffenen Beamten verschickt wurde? Wenn nein, warum nicht und wann

wurden Sie oder Ihr Vorgänger davon informiert? Wenn ja, warum hat sie der

damalige Innenminister zugelassen?

3, Ist diese Dienstanweisung nach wie vor gültig? Wenn ja warum? Wenn nein,

wann, in welcher Form und von wem wurde sie aufgehoben?

4. Beabsichtigen Sie, diese Dienstanweisung aufzuheben? Wenn nein, warum

nicht?

5, Welche Auswirkungen auf die Qualität der Berufungsbescheide hat die Tatsache,

daß den zuständigen Referentinnen und Referenten bei der durch Dr. Matzka

gewählten Vorgangsweise für das gesamte Berufungsverfahren, vom Studium des

Vorbescheides, über Beweiswürdigung, Zeugeneinvernahmen, Beschaffung

sonstiger Beweismittel und Parteiengehör bis hin zur Bescheidausfertigung im

Schnitt nur 2 Stunden Zeit eingeräumt wird?

6. Auf welcher gesetzlichen Grundlage basiert der Anspruch auf Überstundenentgelt

für Referentinnen und Referenten, die mehr als 20 Bescheide pro Woche in ihrer

normalen Dienstzeit ausführen und nicht tatsächlich Überstunden leisten?

7. Halten Sie den offenkundigen Personalmangel bei der Vollziehung des

Aufenthaltsgesetzes auch für einen Ausfluß der zu rigiden

Gesetzesbestimmungen selbst, welche die hohe Anzahl an Berufungen geradezu

provozieren? Wenn nein, warum nicht?

8. Wie viele Berufungsbescheide betreffend das Aufenthaltsgesetz wurden seit

dessen Gültigkeit ganz oder zum Teil aus vorgefertigten Textbausteinen

zusammengesetzt?

9. Halten Sie die unreflektierte Verwendung von standadisierten Textbausteinen in

fremdenrechtlichen Verwaltungsverfahren für gerechtfertigt? Wenn ja, warum?

Wenn nein, werden Sie diese Praxis abstellen?

10.Welche Auswirkungen hat die in Ihrem Ministerium angeordnete Vorgangsweise

bei Erlassung von Bescheiden in Berufungsverfahren aus Ihrer Sicht auf die

Arbeit des Verwaltungsgerichtshofes?

11. Aus welchem Grund werden Nichtjuristinnen und Nichtjuristen für die Ausstellung

von Berufungsbescheiden herangezogen?

12.Welche Auswirkungen hat dies auf die Qualität der Bescheide?

13.In welcher Weise erfolgt die von Dr. Matzka (APA 311,17.9.1997) behauptete

„Qualitätskontrolle“ der von B - Beamten ausgestellten Bescheide?

14.Welche Kriterien sind dafür ausschlaggebend, daß ab und zu Juristinnen und

Juristen in die Fälle eingebunden werden? Wer entscheidet die Vorfrage, ob

diese zu befassen sind?

15.Können Sie einschätzen, wie viele Berufungsbescheide nicht den Kriterien der

einschlägigen Gesetze, insbesondere des AVG, wie sie in den den oben zitierten

Verwaltungssammlungen zugänglich sind, was in allen Fällen gegeben ist, in

denen die erstinstanzliche Entscheidung (unabhängig von der Berufung) nicht

einer umfassenden Würdigung unterzogen wurde, (von Dr. Matzka in der oben

zitierten APA-Ausendung als übliche Vorgangsweise bezeichnet)?

16.Welche Konsequenzen sind daraus zu ziehen? Werden Sie veranlassen, daß

diese Bescheide von Amts wegen aufgehoben werden? Wenn nein1 warum nicht?

17.Wie bewerten Sie die diesbezügliche Stellungnahme Dr. Matzkas?

18.Wie bewerten Sie den Vergleich Dr. Matzkas über die Verwendung von

Textbausteinen mit Strafverfügungen wegen Falschparkens (APA, ebenda)?

19.Teilen Sie die Auffassung des zuständigen Sektionschefs über die

Vorgangsweise bei Berufungsbescheiden, wozu er ausführte: „Es muß erledigt

werden, egal wie!" (APA, ebenda)? Wenn ja, warum? Wenn nein, welche

Konsequenzen werden Sie daraus ziehen?

20. Hat der zuständige Sektionschef irgendwelche Konsequenzen in Zusammenhang

mit der Dienstanweisung und der Vorgehensweise bei Berufungsbescheiden zu

gewärtigen? Wenn ja, welche? Wenn nein, warum nicht?