4017/J XX.GP

 

ANFRAGE

der Abgeordneten Dr. Graf, Mag. Stadler

und Kollegen

an den Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten

betreffend Christen in der Türkei

Die Christen haben in der Türkei einen schwachen rechtlichen und einen schwierigen

gesellschaftlichen Status. Im Lausanner Abkommen von Juli 1923 sind nach der gängigen

Interpretation des türkischen Staates nur drei nichtmoslemische Minderheiten berücksichtigt,

nämlich die Armenier, die Griechen und die Juden.

Diese drei Gemeinschaften dürfen ihre Religion, den armenischen, den griechisch - orthodoxen

Glauben und das Judentum in eigenen privaten Schulen an ihre Nachfahren weitergeben. Dies

ist den syrisch - orthodoxen Christen, den mit Rom unierten chaldäischen Christen, den

syrischen Katholiken und den syrisch - evangelischen Gemeinden untersagt. Derzeit leben rd.

3000 griechisch - orthodoxe, ca. 50000 armenische und insgesamt über 10000 syrisch -

orthodoxe Christen in der Türkei. In Südostanatolien leben hauptsächlich syrisch - orthodoxe

Christen. Ihre Zahl ist jedoch von ca. 150000 in den dreißiger Jahren auf rd. 2500 gesunken.

Alle christlichen Konfessionen in der Türkei sind besonderer Diskriminierungen ausgesetzt:

So steht die Verbreitung der Bibel ebenso unter Strafe wie der Neubau von Kirchen.

Bestehende Kirchen dürfen nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Staates renoviert

werden, weshalb viele christliche Gotteshäuser vom Verfall bedroht sind. Andererseits werden

Kirchen und auch Friedhöfe vom Staat konfisziert und in der Folge zu Märkten, Kinos oder

anderen öffentlichen Einrichtungen umgewandelt. In der letzten Zeit sind auch häufiger

Anschläge auf Kirchen bekannt geworden. Das jüngste Beispiel ist der Brandanschlag auf die

Haghios - Therapion - Kirche am 13.1.1998 in Istanbul. Die Christen haben aufgrund der

gesetzlichen Bestimmungen praktisch keine Möglichkeit, nach Brandschatzung Reparaturen

vorzunehmen, so daß eine Kirche nach einem Anschlag so gut wie verloren ist.

Die syrischen Christen in Südostanatolien haben Schwierigkeiten, die noch weit über die

genannten rechtlichen und politischen Probleme hinausgehen. Die aramäische Sprache darf

nicht in staatlichen Schulen benutzt werden. Da sie aber auch keine eigenen privaten Schulen

unterhalten dürfen, blieb den syrischen Christen bislang nur die Möglichkeit in zwei von sechs

Klöstern in der Türkei Religion zu unterrichten. Die Klöster Mar Gabriel und Deir - es - Safaran

im Gebiet des Tur Abdin (Berg der Knechte Gottes) sind die beiden letzten Stätten, an denen

die Christen die syrisch - orthodoxe Kirchensprache, einen Dialekt des Aramäischen, lernen

können. Beide Einrichtungen bestehen seit dem 4. Jahrhundert und werden von einigen

Dutzend Mönchen und Nonnen aufrechterhalten. In beiden Klöstern sind auch Internate

untergebracht. Ferner gibt es dort Gästezimmer, die eine besondere Funktion haben: Christen

aus der Umgebung, die verfolgt werden, finden dort Unterschlupf. Das Gästehaus bietet

zudem die Möglichkeit der Begegnung von Angehörigen unterschiedlicher christlicher

Konfessionen. Der zuständige Gouverneur der nahegelegenen Provinzstadt Mardin, hat jedoch

am 6.10.1997 den Gästebetrieb verboten. Zugleich bestimmte er, daß auch der aramäische

Religionsunterricht und die Internatsführung eingestellt werden müssen. Damit wurde den

syrischen Christen diese letzte Möglichkeit genommen ihre Kirchensprache zu lehren, zumal

assyrische und syrisch - orthodoxe Bücher und Zeitschriften ja verboten sind und ebenso

Priesterseminare in dieser Region staatlicherseits geschlossen wurden.

Der türkische Staat setzt keine Maßnahmen, um die Minderheit in ihrer Identität zu schützen:

Nicht nur die neuen Auflagen für die Klöster stellen eine Bedrohung dar. Seit 1989 sind auch

die Ortsnamen türkisiert. Der Staat kann / will zudem offensichtlich nicht verhindern, daß die

Hesb Allah (die sog. Partei Gottes), die die Christen als “Ungläubige und Unreine" bezeichnet,

in Südostanatolien ihre islamistischen Ziele verfolgt. Sie kämpft für eine Südosttürkei ohne

Christen und schreckt auch nicht von Morden zurück. Somit kann von einer “zielgerichteten,

kollektiven Verfolgung” der syrisch - orthodoxen Christen im Tur Abdin gesprochen werden,

was auch beispielsweise das Nürnberger Bundesamt für die Anerkennung ausländischer

Flüchtlinge (24.11.1997) bestätigte.

Pikanterweise kündigte der türkische Tourismusmanager in einer Pressekonferenz im Oktober

1997 in Istanbul an, daß der türkische Staat das Jahr 2000 als Jubiläumsjahr der Geburt Christi

aufgreifen und u.a. Fahrten zu den früheren Stätten des Christentums in der Türkei anbieten

will.

In diesem Zusammenhang stellen die unterfertigten Abgeordneten an den Bundesminister für

auswärtige Angelegenheiten nachstehende

ANFRAGE

1. Welche Maßnahmen wurden seitens Ihres Ressorts bisher gesetzt, damit die

Diskriminierung und Verfolgung der Christen in der Türkei, insbesondere der syrischen

Christen in Südostanatolien beendet wird?

2. Hat Österreich diesbezüglich auf bilateralen Ebene interveniert?

• Wenn ja, mit welchem Erfolg?

• Wenn nein, warum nicht?

3. Was hat Österreich diesbezüglich auf EU - Ebene (z.B. im Rahmen der GASP) oder im

Assoziationsrat EG - Türkei oder bei sonstigen Beratungen des RAA unternommen?

4. Werden Sie diesbezüglich weitere Schritte ergreifen?

• Wenn ja, welche?

• Wenn nein, warum nicht?

5. Was hat Österreich diesbezüglich auf multilateraler Ebene (z.B. Europarat,

Menschenrechtskommission der VN, OSZE) unternommen?

6. Ist Ihnen die besonders schwierige Situation der Christen im Gebiet des Tur Abdin

bekannt?

• Wenn ja, was hat Österreich gegen das seitens der Türkei ausgesprochene Verbot in den

Klöstern Mar Gabriel und Deir - es - Safaran aramäischen Religionsunterricht zu erteilen,

gegen das Verbot der Weiterführung der Internate sowie des Gästebetriebes unternommen?

7. Aus welchen konkreten Gründen ist für Sie eine weitere Annäherung der Türkei an die

Europäische Union bzw. die Einbeziehung der Türkei in den Erweiterungsprozeß

wünschenswert bzw. notwendig?