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der Abgeordneten Petrovic, Freundinnen und Freunde
an den Bundesminister für Wissenschaft, Forschung und Kunst
betreffend Wiener Konzertchor
Am 28.10.1994 wurde der ORF-Chor gekündigt, wodurch die Republik Österreich ihren
einzigen professionellen Kammerchor verlor, der sich zudem schwerpunktmäßig der
zeitgenössischen Musik gewidmet hatte. Eine Protestwelle aller namhaften österreichischen
Musikinstitutionen war die Folge, und protestier hat am 22.11.1994 auch der Musikbeirat des
BMWFK ("... Der Musikbeirat stellt fest, daß dieser Beschluß in bezug auf das zeitgenössische
Musikschaffen in Österreich eine ganze Sparte der Musik betrifft, da es ... österreichweit
keinen Klangkörper gibt, der im Sinne des Kulturauftrags des ORF die Aufgaben des
aufgelösten Chores übernehmen könnte.") Abgesehen von dem Vakuum, das damit in der
österreichischen Musiklandschaft hinterlassen wurde, verloren auch 40 höchstqualifizierte
Sänger ihre Arbeit (für 80% von ihnen war das die einzige Einnahmenquelle) und damit ihre
Sozialversicherung.
Die Sänger des ORF-Chors entschlossen sich dennoch, als Klangkörper weiterhin, wenn auch
freiberuflich zusammenzuarbeiten, und gründeten am 21.12. 1994 den Verein "Wiener
Konzertchor".
Da der Musikmarkt bei Konzertgagen größerer Ensembles nur einen Teil der tatsächlichen
Kosten zu tragen bereit ist, der Chor aber naturgemäß noch keine Rücklagen für
Querfinanzierungen durch kommerziellere Projekte aufzubringen imstande war, reichte er am
18.2.1995 ein Subvenstionsansuchen für das Jahr l995 in der Höhe von 6,4 Mill. ÖS ein.
Ausdrücklich betont wurde dabei, daß der Chor lediglich für 3 Jahre plane, eine staatliche
Subvention mit kontinuierlich fallenden Beträgen zu beanspruchen, da nach diesem Zeitraum
die notwendige Marktposition und die finanzielle Unabhängigkeit erreicht sein müßten.
Schon am 28.2.1995, d.i. vor der Begutachtung durch den Musikbeirat, erreichte den WKC ein
Schreiben des BMWFK, in dem unter anderem mitgeteilt wurde, daß "eine Förderung in der ...
beantragten Höhe nicht in Aussicht gestellt werden'' könnte. Der Musikbeirat des BMWFK
sprach sich jedoch dem Vernehmen nach für eine Förderung des WKC aus, worauf sich das
Ministerium trotzdem gegen jede Subvention entschied und dem WKC empfahl, sich an andere
Stellen zu wenden. Allenfalls könnten einzelne Projekte diskutiert werden.
Ein Blick über die Grenzen zeigt, wie andere Länder, die sich nicht den Ruf eines Musiklandes
zugute halten, sehr wohl professionelle Chorensembles beschäftigen: Die deutschen
Rundfunkchöre, der Dänische Rundfunkchor und die BBC-Singers sind naturgemäß
Angestellte der nationalen Rundfunkanstalten. Der Niederländische Kammerchor und Groupe
vocal de France sind den jeweiligen Kulturministerien direkt unterstellt. Aber das
interessanteste Beispiel findet sich in Berlin. Hier wurde nach der Wiedervereinigung Berlins
der RIAS (Rundfunk im Amerikanischen Sektor) aufgelöst, für die abhängigen Ensembles
(RIAS-Kammerchor, RIAS-Sinfonietta und RIAS-Big Band) jedoch eine
Klangkörpergesellschaft geschaffen, die auch drei Ostberliner Ensembles trägt. Diese
Klangkörpergesellschaft Deutschland Radio wird anteilig von den Ländern der BRD (über die
ARD), vom Bund, vom Senat Berlin und vom SFB fmanziert.
ln der Frage Nicht-Subvention des WKC ist schließlich das Gedankenexperiment erlaubt, was
mit dem verweigerten Geld sonst unterstützt wurde. Zufällig deckt sich die Summe mit den
Subventionen für Wiener Philharmoniker (2,5 Mill.) und Wiener Symphoniker (4 Mill.). Die
Wiener Philharmoniker sind auf den staatlichen Zuschuß vermutlich nicht angewiesen. da sie
im Hauptberuf ohnehin die hochsubventionierten Orchesterstellen der Wiener Staatsoper
besetzen. Die Wiener Symphoniker wiederrum werden von der Stadt Wien mit l46 Mill. ÖS
subventioniert und müßten im 50. Jahr ihres Bestehens in der Lage sein, einen sicher nicht
existenzbedrohenden Einschnitt von 2,7 % zu verkraften. Der Wiener Konzertchor hingegen
hätte mit dem benötigten Geld 47% des Jahresbudgets abgedeckt und damit die Arbeit des
ORF-Chors fortgesetzt. Mit der Subventionsabsage müssen die Sänger halbprofessionelle
Arbeitsbedingungen und Selbstausbeutung akzeptieren und den Weg an die Spitze wieder von
neuem beginnen.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende
ANFRAGE :
1) Welche kulturpolitischen Ziele verfolgten Sie, als Sie dem WKC die Startsubvention
verweigerten?
2) Ist es richtig, daß der Musikbeirat sich für eine Förderung des WKC ausgesprochen hat?
3) Wenn ja: Warum haben Sie sich nicht an seine Empfehlung gehalten?
4) Wieso war schon am Anfang des Jahres 1995 und vor der ersten Sitzung des Musikbeirats
klar, daß die Antwort des BMWFK negativ ausfallen würde ?
5) Welche kulturpolitischen Ziele verfolgen Sie mit der Subvention von etabliet.ten Ensembles,
die ohne öffentlichen Zuschuß in ihrer Existenz weder in Frage gestellt noch behindert
würden?
6) Haben Sie Anstrengungen unternommen, um nach dem Vorbild Berlins den WKC als
Klangkörper und Nachfolger des ORF-Chors dem Musikleben Österreichs zu erhalten?
7) Werden Sie in Zukunft solche Anstrengungen unternehmen? Wenn nicht: Was werden Sie in
nächster Zukunft zur Unterstützung des WKC, des einzigen Profikammerchor
Östereichs unternehmen?
9) Halten Sie es kulturpolitisch für sinnvoll, daß Österreich neben einem professionellen
Instrumentalensemble (Klangforum Wien) auch über einen professionellen Kammerchor
zur Verbreitung der zeitgenössischen Musik verfügt?