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der Abgeordneten Petrovic, Freundinnen und Freunde
an die Bundesministerin für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten
betreffend "Rassensaal'' im Naturhistorischen Museum
Anläßlich der Skelettfunde auf der Baustelle des Kraftwerks Lambach und des Expertenstreits
um den ersten Befund des Umbetters Horst Littmann, erschien am 3. Februar im STANDARD
ein Artikel, in dem Folgendes festgestellt wird:
,,Wissenschaftsminister Erhard Busek habe vor einigen Jahren den 'Rassensaal' im
Naturhistorischen Museum in Wien schließen lassen, weil 'Rassenkunde' und
' Schädelforschung' wissenschaftlich nicht mehr haltbar sind."
Leider entspricht dies nicht den Tatsachen, denn trotz anhaltender wissenschaftlich fundierter
Kritik in verschiedenen Medien, trotz häufiger dringender Hinweise von FachkollegInnen und
trotz der Versprechungen, die Ihr Vorgänger, Bundesminister Dr. Erhard Busek, anläßlich der
letzten parlamentarischen Anfrage zum sogenannten ,,Rassensaal" im Oktober 1993 gemacht
hat, steht dieser den BesucherInnen des Naturhistorischen Museums in Wien weiterhin im
wesentlichen unverändert offen. Nach wie vor werden im Saal XVII, der Abteilung für
Anthropologie, ,,rassenkundliche" Lehrmeinungen, deren Inhalte wissenschaftlich längst
überholt sind, ohne Erwähnung oder gar Aufarbeitung ihrer schrecklichen Auswirkungen im
20. Jahrhundert und ohne Kommentierung ihres Anachronismus in Relation zu gegenwärtigen
wissenschaftlichen Erkenntnissen dargestellt.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende
ANFRAGE :
1 .) Halten Sie es für wissenschaftlich und gesellschaftspolitisch vertretbar, daß ein staatliches
Museum, trotz anhaltender Kritik, im Saal XVII ,,Varietäten des heutigen Menschen", dem
sogenannten ,,Rassensaal", eine ,,rassenkundliche "Ausstellung zeigt, die in Inhalt und
Darstellung völlig veraltet ist und aufwissenschaftlich unhaltbarer Forschung basiert?
2.) Wenn nein: welche Konsequenzen werden Sie daraus ziehen?
3.) Seit zweieinhalb Jahren ist im ,,Rassensaal" eine Tafel angebracht, auf der zu lesen steht,
,,daß die erst in den letzten Jahren gewonnenen Erkenntnisse der Molekularbiologie hier ihren
Niederschlag finden müssen". Halten Sie dies für einen hinreichenden Hinweis auf die
Überalterung der dargestellten morphologgischen Betrachtungsweise und die Relativierung
einer Einteilung der Menschheit in Rassen durch die Erkenntnisse der Genforschung?
4.) Wenn nein: was werden Sie diesbezüglich unternehmen?
5.) Da die Anthropologische Ausstellung im ,,Rassensaal", trotz ministerieller Anordnung,
bis heute nicht aktualisiert, verändert oder geschlossen wurde, liegt der Schluß nahe, daß dies
mit Rücksicht auf die mit Ende 1996 bevorstehende Pensionierung des gegenwärtigen Leiters
der Anthropologischen Abteilung. Prof. Johann Szilvassy, verzögert wird. Stellt dies nicht eine
zweifelhafte Vermengung von fragwürdigen und veralteten wissenschaftlichen Erkenntnissen
mit der Personalpolitik dar?
6.) Warum konnten die in der Antwort auf die letzte Anfrage betreffend den sogenannten
,.Rassensaal" vom 19. November 1993 beschriebenen ,,erfolgversprechenden Verhandlungen
über einen Ankauf der (damals) im Pariser Musee de l,Homme mit großem Erfolg laufenden,
die in Rede stehende Problematik grundsätzlich behandelnden Großaustellung 'Tous Parents -
Tous Differents," nicht mit Erfolg abgeschlossen werden?
7.) Obwohl in der Antwort auf die Anfrage von Oktober 1993 eine ,,besonders wertfreie
neue Beschriftung" der physischen Merkmale der beschriebenen ,,Rassen " angekündigt wurde,
ist es bis heute zu keiner Veränderung der alten, eurozentrisch orientierten, diskriminierenden,
hierarchisierenden und implizit wertenden Beschriftungen gekommen. Wann genau wird es zu
den durch ihren Vorgänger angekündigten Maßnahmen kommen?
8.) Im Schausaal für Kinder werden drei Großrassen - ,,Europide", ,,Mongolide " und
,,Negride - in einer implizit hierarchisierenden Darstellungsweise aufweißem, gelbem und
schwarzem Hintergrund vorgestellt. Worin sehen Sie den pädagogischen Wert der
anthropologischen Ausstellung für Kinder, in der offensichtlich eine unwissenschaftliche,
fälschlich vereinfachte und hierarchisierende Darstellung von ,,Rassen" gezeigt wird?
9.) Falls Sie dies für nicht sinnvoll erachten, was werden Sie für Konsequenzen ziehen?
10.) Ist Ihnen bekannt, daß in den Archiven der Anthropologischen Abteilung 40.000
menschliche Schädel und Skeletteile verschiedener Ethnien und zweifelhafter Herkunft
aufbewahrt werden?
11 .) Die Israelitische Kultusgemeinde hat die als ,jüdisch" lklassifizierten Skeletteile
zurückgefordert und im Sommer 1991 einer angemessenen Bestattung zugeführt. Zu welchem
Zweck werden die verbliebenen Schädel und Skeletteile archiviert und was wird mit Ihnen
geschehen?
11.a) Was wird zum Beispiel mit den als ,,polnisch" klassifizierten Skeletteilen geschehen?
l2.) Wie ist es zu verstehen, daß die Bevölkerung des Amerikanischen Kontinents in der
Darstellung des "Rassensaals" ausschließlich als ,,Indianide " beschrieben wird?
13.) Bedeutet dies nicht eine AußerachtIassung der Eroberungg. dieses Kontinents durch
Europäer und der darauffolgenden grausamen Dezimierungen der ursprünglichen Bevölkerung
sowie eine Diskriminierung anderer Ethnien, die ebenfalls diesen Kontinent besiedeln?
14.) In einer Vitrine des ,,Rassensaales" wird das historische Schickal der Tasmanier wie folgt
beschrieben: ,,1642 wurde Tasmanien durch Abel Tasman entdeckt. (...) Er (Missionar) brachte
.
sie dazu, ihre nomadisierende Lebensweise aufzugeben. Die Regierung siedelte sie schließlich
auf den Flinders-lnseln nördlich von Tasmanien an. Diese Maßnahmen waren gut gemeint,
wirkten sich jedoch verhängnisvoll aus. Ihrer traditionellen Lebensweise beraubt, siechten sie
langsam dahin. 1947 waren von den etwa 2000 Tasmaniern noch 47 übrig, die auf das Festland
zurüclkgebracht wurden. Dort verschlechterte sich ihr Zustand schnell durch den Kontalkt mit
der weißen Zivilisation."
Hier ist die Rede von ,,entdecken", ,,gut gemeinten Maßnahmen " und ,,Kontakt mit der
Zivilisation". Halten Sie diese Verharmlosung der historischen Tatsache der sukzessiven
Ausrottung für eine korrekte wissenschaftliche Beschreibung des Geschehenen?
15.) In derselben Vitrine wird weiters bemerkt: ,,Das Naturhistorische Museum ist
glücklicherweise im Besitz eines Original-Tasmanierschädels." Worin besteht dieses Glück?
16.) Der Begriff der ,,Vermischung von Rassen" wird nur in Zusammenhang mit der
Bevölkerung der melanesischen Inseln verwendet. Jegliche Berücksichtigung geographischer
Mobilität fehlt. Halten Sie diese Darstellung für wissenschaftlich korrekt und zeitgemäß?
17.) In der Präsentation der verschiedenen ,,Rassen" werden Unterschiede inszeniert, wie
zum Beispiel durch die Abbildung der Menschen in Trachten und in ihrem sogenannten
,,natürlichen Lebensraum." Selbst die zahlreichen Totenschädel, die den Besucherl.nnen
ohnehin keinerlei Aufschlüsse bieten (und selbst den FachexpertInnen höchstens tendenziell
und erst durch genaue Schädelvermessungen und deren Vergleich mit Relationszahlen),
werden mit unterschiedlichem Neigungswinkel präsentiert, wodurch sich eine verzerrte
Wahrnehmung ergibt. So werden Schädel von ,,Negriden" nach hinten gekippt präsentiert,
wodurch der Eindruck entsteht, daß das Unterkiefer besonders vorsteht, was einer
Wahrnehmung entsprechend der dort vertretenen Rassentheorie Vorschub leistet. Erachten Sie
eine Präsentation der Betonung und Inszenierung von Unterschieden für sinnvoll und
wissenschaftlich korrekt?
18.) Diese Präsentation der ,,Rassen", wird den Differenzen und unterschiedlichen
Lebensformen innerhalb von Ethnien nicht gerecht, da sie eine vermeintliche Homogenität
suggeriert, die nicht den Tatsachen entspricht. Halten Sie ein solches Vorgehen für
wissenschaftlich korekt?
19.) Auf der vor zweieinhalb Jahren, versteckt in einer Ecke von Saal XVII, angebrachten
Tafel heißt es: ,,Wir haben uns daher entschlossen, eine Neugestaltung der Anthropologischen
Schausäle in nächster Zeit in Angriff zu nehmen. In diesem Zusammenhang ist es für uns ein
Gebot der Stunde, darzustellen, aufwelche Art und Weise gerade unser Jahrhundert den an
sich wertneutralen biologischen Rassebegriff zum Rassismus verwandelte und ihn als legitime
Grundlage für die Ausrottung und Vertreibung ganzer Völker unter dem Deckmantel der
Wissenschaft mißbrauchte."
Wann genau wird die lang angekündigte ,,nächste Zeit" gekommen sein und ,,eine
Neuaufstellung, die der inzwischen eingetretenen wissenschaftlichen Entwicklung entsprechend
Rechnung trägt", wie es von Ex-Wissenschaftsminister Dr. Erhard Busek bereits 1993
angeordnet wurde und die sich laut seiner Antwort auf die damalige Anfrage bereits im Herbst
l993 in Konzeption befand, eröffnet werden?
20.) ln welcher Form wird dem ,,Gebot der Stunde" Rechnung getragen werden und wie wird
sich die Aufarbeitung der ,,Art und Weise" wie die ,,Rassenkunde ", sich selbst als
Wissenschaft verstehend, derartig schreckliche und Menschenleben fordernde Auswüchse
hervorbringen konnte, in der Ausstellungsgestaltung zeigen? .
21.) Hier wird festgestellt, daß der Rassebegriff als ,./egitime Grund/age für die Ausrottung
und Vertreibung ganzer Völlker" verwendet werden lkonnte (und noch immer verwendet wird).
Die Abgrenzung (Dislkriminierung!) und Klassifiizierung von Menschengruppen anhand
äußerlicher Merkmale, und damit das Konstrulkt ,,Rasse" selbst, sind notgedrungen
reduktionistisch, scheinen untrennbar mit einer Hierarchisierung verbunden und dadurch sehr
geeignet jeglichem Rassismus Vorschub zu leisten. Finden sie die Verwendung des Begriffes
,,Rasse" als wissenschaftliche Kategorie nach wie vor vertretbar?
22.) Wenn nein: Welche Konsequnzen werden Sie daraus ziehen?
23.) Ausgehend von neueren wissenschaftstheoretischen Erkenntnissen, daß es keine
wertneutrale Wissenschaft gibt (Woolgar, Foucault, Harding etc.), lkann es auch den in der
Antwort auf die Anfrage von Oktober 1993 postulierten und oben zitierten ,,wertneutralen
Rassebegriff" nicht geben. Wie verträgt sich Ihr ,,wertneutraler Rassebegriff" mit der
modernen Wissenschaft?
24.) ln der Antwort auf die Anfrage von Olktober 1993 wird zugeben, daß in der Ausstellung
die ,,Bezugnahme auf den Europäer als Basis für jeden Vergleich mit außereuropäischen
Völkern (...) sicherlich unwillkürlich und submental eingenommen" wurde. Dies steht im
Widerspruch zu einer reflektierten, vorurteilsfreien, seriösen wissenschaftlichen Arbeitsweise.
Können Sie die Zur-Schaustellung der Ergebnisse einer derartig unwissenschaftlichen
Arbeitsweise in einem staatlichen Museum vertreten?
25.) Wenn nein: Was werden Sie diesbezüglich unternehmen?
26.) Wie sinnvoll finden Sie es, den ,,Rassensaal" als historisches Dokument bzw. als Meta-
Ausstellung mit ausreichender Kommentierung des anachronistischen
Wissenschaftsverständnisses versehen, zu belassen?