416/J

 

 

 

 

 

der Abgeordneten Petrovic, Freundinnen und Freunde

 

an die Bundesministerin für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten

 

betreffend "Rassensaal'' im Naturhistorischen Museum

 

 

Anläßlich der Skelettfunde auf der Baustelle des Kraftwerks Lambach und des Expertenstreits

um den ersten Befund des Umbetters Horst Littmann, erschien am 3. Februar im STANDARD

ein Artikel, in dem Folgendes festgestellt wird:

 

,,Wissenschaftsminister Erhard Busek habe vor einigen Jahren den 'Rassensaal' im

Naturhistorischen Museum in Wien schließen lassen, weil 'Rassenkunde' und

' Schädelforschung' wissenschaftlich nicht mehr haltbar sind."

 

Leider entspricht dies nicht den Tatsachen, denn trotz anhaltender wissenschaftlich fundierter

Kritik in verschiedenen Medien, trotz häufiger dringender Hinweise von FachkollegInnen und

trotz der Versprechungen, die Ihr Vorgänger, Bundesminister Dr. Erhard Busek, anläßlich der

letzten parlamentarischen Anfrage zum sogenannten ,,Rassensaal" im Oktober 1993 gemacht

hat, steht dieser den BesucherInnen des Naturhistorischen Museums in Wien weiterhin im

wesentlichen unverändert offen. Nach wie vor werden im Saal XVII, der Abteilung für

Anthropologie, ,,rassenkundliche" Lehrmeinungen, deren Inhalte wissenschaftlich längst

überholt sind, ohne Erwähnung oder gar Aufarbeitung ihrer schrecklichen Auswirkungen im

20. Jahrhundert und ohne Kommentierung ihres Anachronismus in Relation zu gegenwärtigen

wissenschaftlichen Erkenntnissen dargestellt.

 

 

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

 

 

ANFRAGE :

 

 

1 .) Halten Sie es für wissenschaftlich und gesellschaftspolitisch vertretbar, daß ein staatliches

Museum, trotz anhaltender Kritik, im Saal XVII ,,Varietäten des heutigen Menschen", dem

sogenannten ,,Rassensaal", eine ,,rassenkundliche "Ausstellung zeigt, die in Inhalt und

Darstellung völlig veraltet ist und aufwissenschaftlich unhaltbarer Forschung basiert?

 

2.) Wenn nein: welche Konsequenzen werden Sie daraus ziehen?

 

3.) Seit zweieinhalb Jahren ist im ,,Rassensaal" eine Tafel angebracht, auf der zu lesen steht,

,,daß die erst in den letzten Jahren gewonnenen Erkenntnisse der Molekularbiologie hier ihren

Niederschlag finden müssen". Halten Sie dies für einen hinreichenden Hinweis auf die

 

Überalterung der dargestellten morphologgischen Betrachtungsweise und die Relativierung

einer Einteilung der Menschheit in Rassen durch die Erkenntnisse der Genforschung?

 

4.) Wenn nein: was werden Sie diesbezüglich unternehmen?

 

5.) Da die Anthropologische Ausstellung im ,,Rassensaal", trotz ministerieller Anordnung,

bis heute nicht aktualisiert, verändert oder geschlossen wurde, liegt der Schluß nahe, daß dies

mit Rücksicht auf die mit Ende 1996 bevorstehende Pensionierung des gegenwärtigen Leiters

der Anthropologischen Abteilung. Prof. Johann Szilvassy, verzögert wird. Stellt dies nicht eine

zweifelhafte Vermengung von fragwürdigen und veralteten wissenschaftlichen Erkenntnissen

mit der Personalpolitik dar?

 

6.) Warum konnten die in der Antwort auf die letzte Anfrage betreffend den sogenannten

,.Rassensaal" vom 19. November 1993 beschriebenen ,,erfolgversprechenden Verhandlungen

über einen Ankauf der (damals) im Pariser Musee de l,Homme mit großem Erfolg laufenden,

die in Rede stehende Problematik grundsätzlich behandelnden Großaustellung 'Tous Parents -

Tous Differents," nicht mit Erfolg abgeschlossen werden?

 

7.) Obwohl in der Antwort auf die Anfrage von Oktober 1993 eine ,,besonders wertfreie

neue Beschriftung" der physischen Merkmale der beschriebenen ,,Rassen " angekündigt wurde,

ist es bis heute zu keiner Veränderung der alten, eurozentrisch orientierten, diskriminierenden,

hierarchisierenden und implizit wertenden Beschriftungen gekommen. Wann genau wird es zu

den durch ihren Vorgänger angekündigten Maßnahmen kommen?

 

8.) Im Schausaal für Kinder werden drei Großrassen - ,,Europide", ,,Mongolide " und

,,Negride - in einer implizit hierarchisierenden Darstellungsweise aufweißem, gelbem und

schwarzem Hintergrund vorgestellt. Worin sehen Sie den pädagogischen Wert der

anthropologischen Ausstellung für Kinder, in der offensichtlich eine unwissenschaftliche,

fälschlich vereinfachte und hierarchisierende Darstellung von ,,Rassen" gezeigt wird?

 

9.) Falls Sie dies für nicht sinnvoll erachten, was werden Sie für Konsequenzen ziehen?

 

10.) Ist Ihnen bekannt, daß in den Archiven der Anthropologischen Abteilung 40.000

menschliche Schädel und Skeletteile verschiedener Ethnien und zweifelhafter Herkunft

aufbewahrt werden?

 

11 .) Die Israelitische Kultusgemeinde hat die als ,jüdisch" lklassifizierten Skeletteile

zurückgefordert und im Sommer 1991 einer angemessenen Bestattung zugeführt. Zu welchem

Zweck werden die verbliebenen Schädel und Skeletteile archiviert und was wird mit Ihnen

geschehen?

 

11.a) Was wird zum Beispiel mit den als ,,polnisch" klassifizierten Skeletteilen geschehen?

 

l2.) Wie ist es zu verstehen, daß die Bevölkerung des Amerikanischen Kontinents in der

Darstellung des "Rassensaals" ausschließlich als ,,Indianide " beschrieben wird?

 

13.) Bedeutet dies nicht eine AußerachtIassung der Eroberungg. dieses Kontinents durch

Europäer und der darauffolgenden grausamen Dezimierungen der ursprünglichen Bevölkerung

sowie eine Diskriminierung anderer Ethnien, die ebenfalls diesen Kontinent besiedeln?

 

14.) In einer Vitrine des ,,Rassensaales" wird das historische Schickal der Tasmanier wie folgt

beschrieben: ,,1642 wurde Tasmanien durch Abel Tasman entdeckt. (...) Er (Missionar) brachte

 

.

 

sie dazu, ihre nomadisierende Lebensweise aufzugeben. Die Regierung siedelte sie schließlich

auf den Flinders-lnseln nördlich von Tasmanien an. Diese Maßnahmen waren gut gemeint,

wirkten sich jedoch verhängnisvoll aus. Ihrer traditionellen Lebensweise beraubt, siechten sie

langsam dahin. 1947 waren von den etwa 2000 Tasmaniern noch 47 übrig, die auf das Festland

zurüclkgebracht wurden. Dort verschlechterte sich ihr Zustand schnell durch den Kontalkt mit

der weißen Zivilisation."

Hier ist die Rede von ,,entdecken", ,,gut gemeinten Maßnahmen " und ,,Kontakt mit der

Zivilisation". Halten Sie diese Verharmlosung der historischen Tatsache der sukzessiven

Ausrottung für eine korrekte wissenschaftliche Beschreibung des Geschehenen?

 

15.) In derselben Vitrine wird weiters bemerkt: ,,Das Naturhistorische Museum ist

glücklicherweise im Besitz eines Original-Tasmanierschädels." Worin besteht dieses Glück?

 

16.) Der Begriff der ,,Vermischung von Rassen" wird nur in Zusammenhang mit der

Bevölkerung der melanesischen Inseln verwendet. Jegliche Berücksichtigung geographischer

Mobilität fehlt. Halten Sie diese Darstellung für wissenschaftlich korrekt und zeitgemäß?

 

17.) In der Präsentation der verschiedenen ,,Rassen" werden Unterschiede inszeniert, wie

zum Beispiel durch die Abbildung der Menschen in Trachten und in ihrem sogenannten

,,natürlichen Lebensraum." Selbst die zahlreichen Totenschädel, die den Besucherl.nnen

ohnehin keinerlei Aufschlüsse bieten (und selbst den FachexpertInnen höchstens tendenziell

und erst durch genaue Schädelvermessungen und deren Vergleich mit Relationszahlen),

werden mit unterschiedlichem Neigungswinkel präsentiert, wodurch sich eine verzerrte

Wahrnehmung ergibt. So werden Schädel von ,,Negriden" nach hinten gekippt präsentiert,

wodurch der Eindruck entsteht, daß das Unterkiefer besonders vorsteht, was einer

Wahrnehmung entsprechend der dort vertretenen Rassentheorie Vorschub leistet. Erachten Sie

eine Präsentation der Betonung und Inszenierung von Unterschieden für sinnvoll und

wissenschaftlich korrekt?

 

18.) Diese Präsentation der ,,Rassen", wird den Differenzen und unterschiedlichen

Lebensformen innerhalb von Ethnien nicht gerecht, da sie eine vermeintliche Homogenität

suggeriert, die nicht den Tatsachen entspricht. Halten Sie ein solches Vorgehen für

wissenschaftlich korekt?

 

19.) Auf der vor zweieinhalb Jahren, versteckt in einer Ecke von Saal XVII, angebrachten

Tafel heißt es: ,,Wir haben uns daher entschlossen, eine Neugestaltung der Anthropologischen

Schausäle in nächster Zeit in Angriff zu nehmen. In diesem Zusammenhang ist es für uns ein

Gebot der Stunde, darzustellen, aufwelche Art und Weise gerade unser Jahrhundert den an

sich wertneutralen biologischen Rassebegriff zum Rassismus verwandelte und ihn als legitime

Grundlage für die Ausrottung und Vertreibung ganzer Völker unter dem Deckmantel der

Wissenschaft mißbrauchte."

Wann genau wird die lang angekündigte ,,nächste Zeit" gekommen sein und ,,eine

Neuaufstellung, die der inzwischen eingetretenen wissenschaftlichen Entwicklung entsprechend

Rechnung trägt", wie es von Ex-Wissenschaftsminister Dr. Erhard Busek bereits 1993

angeordnet wurde und die sich laut seiner Antwort auf die damalige Anfrage bereits im Herbst

l993 in Konzeption befand, eröffnet werden?

 

20.) ln welcher Form wird dem ,,Gebot der Stunde" Rechnung getragen werden und wie wird

sich die Aufarbeitung der ,,Art und Weise" wie die ,,Rassenkunde ", sich selbst als

Wissenschaft verstehend, derartig schreckliche und Menschenleben fordernde Auswüchse

hervorbringen konnte, in der Ausstellungsgestaltung zeigen? .

 

21.) Hier wird festgestellt, daß der Rassebegriff als ,./egitime Grund/age für die Ausrottung

und Vertreibung ganzer Völlker" verwendet werden lkonnte (und noch immer verwendet wird).

Die Abgrenzung (Dislkriminierung!) und Klassifiizierung von Menschengruppen anhand

äußerlicher Merkmale, und damit das Konstrulkt ,,Rasse" selbst, sind notgedrungen

reduktionistisch, scheinen untrennbar mit einer Hierarchisierung verbunden und dadurch sehr

geeignet jeglichem Rassismus Vorschub zu leisten. Finden sie die Verwendung des Begriffes

,,Rasse" als wissenschaftliche Kategorie nach wie vor vertretbar?

 

22.) Wenn nein: Welche Konsequnzen werden Sie daraus ziehen?

 

23.) Ausgehend von neueren wissenschaftstheoretischen Erkenntnissen, daß es keine

wertneutrale Wissenschaft gibt (Woolgar, Foucault, Harding etc.), lkann es auch den in der

Antwort auf die Anfrage von Oktober 1993 postulierten und oben zitierten ,,wertneutralen

Rassebegriff" nicht geben. Wie verträgt sich Ihr ,,wertneutraler Rassebegriff" mit der

modernen Wissenschaft?

 

24.) ln der Antwort auf die Anfrage von Olktober 1993 wird zugeben, daß in der Ausstellung

die ,,Bezugnahme auf den Europäer als Basis für jeden Vergleich mit außereuropäischen

Völkern (...) sicherlich unwillkürlich und submental eingenommen" wurde. Dies steht im

Widerspruch zu einer reflektierten, vorurteilsfreien, seriösen wissenschaftlichen Arbeitsweise.

Können Sie die Zur-Schaustellung der Ergebnisse einer derartig unwissenschaftlichen

Arbeitsweise in einem staatlichen Museum vertreten?

 

25.) Wenn nein: Was werden Sie diesbezüglich unternehmen?

 

26.) Wie sinnvoll finden Sie es, den ,,Rassensaal" als historisches Dokument bzw. als Meta-

Ausstellung mit ausreichender Kommentierung des anachronistischen

Wissenschaftsverständnisses versehen, zu belassen?