4460/J XX.GP

 

der Abgeordneten Gabriela Moser, Freundinnen und Freunde

an den Bundeskanzler

betreffend versäumte Maßnahmen und verbleibender Möglichkeiten der Bundesregierung

gegen die Inbetriebnahme des Kernkraftwerkes Mochovce in der Slowakei

Mochovce zeigt auf drastische Weise, wie tief Österreichs Anti - Atompolitik in der Krise

steckt. Wenige Tage vor der geplanten Aktivierung der Brennelemente, also dem ersten

Schritt zur Inbetriebnahme des Reaktorblockes 1 bricht, unter Assistenz engagierter Medien, in

den Reihen der Bundesregierung hektik aus. Diese erfahrungsgemäß temporären Maßnahmen

sind als Feuerwehraktion einzuschätzen, und Inhalt, Vorgangsweise und Umfang der

Aktivitäten lassen gravierende Defizite erkennen, und erfordern gerade in dieser Situation eine

kritische Analyse sowie rasche Konsequenzen.

Daß Mochovce etwa zu diesem Zeitpunkt in Betrieb genommen werden soll, ist seit dem

Einstieg des deutsch - französischen Firmenkonsortiums Siemens/Framatome in die

Fertigstellung bekannt. Daß die Aktivierung eher überstürzt noch vor den Parlamentswahlen

in der Slowakei erfolgen soll, ist zumindest seit einigen Monaten bekannt. Als die Grünen am

16. April darauf aufmerksam machten, daß laut Anfragebeantwortung aus dem deutschen

Bundestag mit einer Netzschaltung noch im Juni zu rechnen sei, war die empörte Reaktion

von Ministerin Prammer - in Richtung der Grünen - , daß es sich dabei nachweislich um einen

Druckfehler handle.

Aber das Projekt Mochovce und der Widerstand dagegen haben eine längere Geschichte.

Immer wieder - speziell vor Wahlen - wurden von der Bundesregierung teils plakative

Aktivitäten eingeleitet. Der Höhepunkt der österreichischen Kritik am Reaktorprojekt wurde

1994/95 erreicht, als 1,2 Millionen Österreicherinnen im Rahmen der damals geplanten

Kreditvergabe durch die EBRD/EIB Einwendungen erhoben. Politisches Lohbying in Brüssel,

Straßburg und London wurde betrieben, mit dem Ergebnis, daß sowohl EU als auch EBRD

von einer Finanzierung der Fertigstellung Abstand nahmen. Ab diesem Zeitpunkt kam es zu

einer Wende. Die damaligen grundsätzlichen inhaltlichen Argumente gegen Mochovce sind

scheinbar in Vergessenheit geraten, ein politisches Maßnahmenkonzept, wie auch im Sinne

der Parlamentsbeschlüsse Richtung gesamteuropäischer Finanzierung eines Ersatzprojektes

vorgegangen werden hätte können, wurde nicht erstellt.

Noch 1994 war die offizielle Position der Bundesregierung zum Reaktortyp WWER 440, daß

dieser aus technischen Gründen und unter wirtschaftlichen Aspekten nicht nachrüstbar sei,

also abgelehnt wird. Im Bericht zum „Walkdown 1“ der internationalen Expertenkommission,

der der Bundesregierung seit November 1995 vorliegt, und August 1997 veröffentlicht wurde,

heißt es völlig eindeutig in der Zusammenfassung, S. 9: „Auch wenn man einige notwendige

Anpassungen und Sicherheitsverbesserungen in Betracht zieht, wird aufgrund dieses Designs

das AKW Mochovce den westlichen Standards nicht genügen. Es würde auch nicht den

jüngsten russischen Vorschriften genügen.“ Im Kapitel 1, 1 - 25 heißt es: „Es wäre ökonomisch

sinnvoll, das existierende Kraftwerk zu verschrotten und stattdessen ein neues Kraftwerk mit

verbessertem Design zu bauen, - sowohl vom Standpunkt der Betriebsverläßlichkeit als auch

aus Sicherheitsgründen.“ Auch wurden das fehlende - im nachhinein nicht mehr errichtbare -

Containment, die Abwesenheit der russischen Hauptkonstrukteure unter anderem als

Argumente für eine generelle Ablehnung des Reaktors hergenommen. Der Sieherheitsstandard

und damit das Gefährdungspotential für Österreich galt grundsätzlich als inakzeptabel.

Mit dieser Position wurde mehrmals gebrochen. Mittlerweile führt Österreich eine Diskussion

über Änderungsmaßnahmen am Reaktordruckbehälter, die, selbst wenn sie durchgeführt

würden, nicht die seinerzeit grundsätzlich angeführten Sicherheitsdefizite betreffen oder gar

abändern würden. Aus von den Grünen vorgelegten internen jährlichen Prüfberichten geht

zudem hervor, daß sogar die slowakische Atombehörde in Mochovce gravierende

Sicherheitsmängel attestiert. Über Jahre kam es zu groben Mängeln bei Qualitätskontrolle

beim Einbau relevanter AKW - Komponenten und bei Schweißnähten. Unzählige versteckte,

unbehebbare Risikoquellen sind die Folge, und machen die Netzschaltung zu einem makabren

Abenteuer mit ungewissem Ausgang.

Die neuerliche Arbeit der Expertenkommission - deren Qualifikation freilich über jeden

Zweifel erhaben ist - diente der Politik als Alibimaßnahme, und nicht als Begleitung für

politische Aktivitäten im Sinne der ablehnenden Position zu Mochovce. Hätte Österreich in

den letzten 3 Jahren konsequent an seiner Politik festgehalten, mit der Slowakischen Republik

und auf EU - Ebene über Ausstiegskonzepte und Finanzierungsinstrumente verhandelt - das

Ergebnis hätte jedenfalls kein schlechteres sein können, als das nunmehr bekannte mit der

unmittelbar bevorstehenden Aktivierung und einem angespannten bilateralen Gesprächsklima

mit der Slowakei.

Machbare Alternativen, vom Gas - Dampf - Kraftwerk bis zur Nutzung des Kraft - Wärme -

Potentials waren laut bilateral ausgearbeiteten Studien bekannt, zeitlich wäre eine

Realisierung innerhalb der vergangenen 3 Jahre möglich gewesen. Das Investitionsvolumen

wäre jedenfalls unter den Fertigstellungskosten gelegen. Etwa 2,5 Mrd Schilling würde eine

Substitution durch ein Gas - Dampfkraftwerk erfordern, wie eine vergleichbare Referenzanlage

in Bratislava zeigt. Eine vernachlässigbare Größe, bedenkt man, daß beispielsweise das

österreichische NATO - Panzerpaket rund 11‚5 Mrd öS umfaßt, oder etwa der EU - Euratom-

Fonds ein Kreditvolumen von 50 Milliarden öS beinhaltet.

Osierreich hat sich mit seiner Argumentation, bei Erfüllung bestimmter Maßnahmen werde

Mochovce akzeptiert, zumal damit angeblich auch Bohuncic abgeschalet werden solle, in

eine strategische Sackgasse manövriert, entscheidenden Verhandlungsspielraum und damit

den Kern seiner früheren Anti - Atompolitik freiwillig entsorgt. Erst die gestrige Aussage des

Sprechers des slowakischen Außenministeriums in der ZiB 2 war bezeichnend. Es gehe zwar

eine anderslautende Abmachung, aber Bohunice werde aufgrund der Millioneninvestitionen

für Restrukturierungsmaßnahmen noch einige Jahre in Betrieb bleiben. Auch diese

Information liegt seit Jahren - trotz teilweiser Dementis aus der Slowakei - vor.

Doch auch Widerstand gegen die nunmehrige Form der Fertigstellungsfinanzierung wäre

jenseits der bilateralen Ebene möglich gewesen. Immerhin werden die Lieferungen des

deutsch - französischen Mochovce - Konsortiums durch staatliche Kreditgarantien in Höhe

dreistelliger Millionenbeträge besichert. Österreich hat nicht einmal einen kleinen Bwchteil

der Aktivitäten, die gegen die Vergabe des EBRD/ETB - Kredites gesetzt wurden, gegenüber

Deutschland und/oder Frankreich angewandt.

Ungeachtet der Versäumnisse der letzten Jahre und der Aufgabe der ablehnenden Haltung

Osterreichs, die noch vor wenigen Jahren als unverrückbar galt und ein offensives Auftreten

bei gleichzeitigem Verhandlungsspielraum ermöglichte -, sind auch kurzfristig noch nicht alle

Möglichkeiten gegen die Aktivierung der Brennelemente bzw, die Inbetriebnahme des

Reaktors ausgeschöpft.

In diesem Zusammenhang stellen die unterzeichneten Abgeordneten folgende

Anfrage:

1. Haben Sie seit Bekanntwerden des Termines zur Aktivierung der Brennelemente von

Block I des KKW Mochovce bereits direkten Kontakt mit den Staats - und

Regierungschefs Frankreichs und Deutschlands aufgenommen, uni die ablehnende

österreichische Position zur Inbetriebnahme des KKW Mochovce und den Protest gegen

die Beteiligung beider Länder an der Fertigstellung des KKW Mochovce (in Form

staatlicher Kreditgarantien) zum Ausdruck zu bringen?

2. Haben Sie persönlich gegenüber den Staats - und Regierungschefs dieser beiden Länder

uni Kooperation ersucht, um mit der Slowakei über eine Nachdenkpause in Sachen

Mochovce zu verhandeln, binnen der auf multilateraler Ebene Machbarkeit und

Finanzierung eines nicht nuklearen Ersatzes für das KKW geprüft werden könnten?

3. Haben Vertreter der Bundesregierung bereits Kontakt mit den deutschen bzw.

französischen Unternehmen Siemens und Framatome (Konsortium "EUCOM")

aufgenommen, und die ablehnende österreichische Position zur Inbetriebnahme des KKW

Mochovce unter Hinweis auf die Nichtgenehmigungsfähigkeit des Reaktors in

Deutschland bzw. Frankreich mitgeteilt?

4. Ilaben Sie bereits direkt mit dem EU - Kommissionspräsidenten Kontakt aufgenommen,

die ablehnende Position Österreichs dargestellt, und Um Unterstützung bezüglich

Verhandlungen für Nachdenkpause und Ersatzkonzept ersucht, oder scheint Ihnen die

gestrige Kontaktaufnahme des Außenministers auf Ratsebene unter Hinweis auf die

Akzeptanz Von Mochovce bei Erreichen eines "höheren" Sicherheitsstandards - als

ausreichend im Sinne der ursprünglichen österreichischen Zielsetzung einer

Nichtinbetriebnahme des KKW?

5. Haben Vertreter der Bundesregierung bereits Kontakt mit den Vorsitzenden relevanter

Oppositionsparteien der Slowakei, Deutschlands und Frankreichs aufgenommen, um die

österreichische Position bezüglich Nichtinbetriebnahme von Mochovce und Realisierung

eines Ersatzprojektes darzustellen?

6. Wann werden Sie die Länder, die das Ende 1996 in Kraft getretene völkerrechtliche

„Übereinkommen über nukleare Sicherheit“ bereits ratifiziert haben, kontaktieren, um

darauf hinzuweisen, daß Mochovce resp. dessen Inbetriebnahme in Widerspruch zu den

Artikeln 11, 14, 16, 17, 18 und 19 des Übereinkommens steht, und entsprechende

kurzfristige Konsultationen einerseits vorschlagen sowie für die Einberufung einer

„Außerordentlichen Tagung“ gemäß Artikel 23 eintreten, oder teilen Sie nicht die Position

des Außenpolitischen Ausschusses in seinem Bericht vom 1. Juli 1997 zur entsprechenden

Regierungsvorlage, wonach „Nachbarstaaten, wie Österreich, die selbst keine

Kernkraftwerke betreiben, durch das Abkommen zusätzliche Möglichkeiten der

Information und Mitsprache erhalten“?

7. Hat die Bundesregierung bereits mit den sog. „Iike - minded - countries“ zwecks Umsetzung

gemeinsamer diplomatischer Aktivitäten im Sinne der Ablehnung des KKW Mochovce

Kontakt aufgenommen?

8. Haben Sie zur Koordination der laufenden Aktivitäten in den verbleibenden Tagen vor der

geplanten Aktivierung der Brennelemente in Mochovce und zur Entwicklung und

Umsetzung eines Aktionsplanes der Bundesregierung einen Beraterstab eingerichtet, bzw.

welche konkreten Aktivitäten seitens der Bundesregierung sind für diese Woche noch

geplant?

9. Sehen Sie, gemessen am Umstand der nun drohenden Aktivierung des KKW Mochovce

und des gespannten Gesprächsklimas mit der Slowakei, noch einen Vorteil darin, daß die

Bundesregierung einen inhaltlichen Schwenk in der Anti - Atompolitik vollzogen hat, und

statt einer EU - weiten Debatte über Umsetzung und Finanzierung von Ausstiegskonzepten

nunmehr die Frage der Erreichbarkeit (ohnedies nicht definierter) „westlicher“ AKW -

Sicherheitsstandards in den Mittelpunkt stellt?

10. Im „Atompaket“ der Bundesregierung vom 13. November 1997 heißt es unter Punkt 6.,

daß „auf Basis der Entschließung des Nationalrates vom 10. Juli 1997 im Rahmen der

bevorstehenden EU - Beitrittsverhandlungen mit MOE - Staaten verbindlich für die

Erstellung von Atomausstiegskonzepten“ eingetreten werde und entsprechende Aktivitäten

gesetzt würden. Im „Vorentwurf für das Programm der österreichischen EU -

Präsidentschaft 1998“ vom 8.4. 1998, 18.00 Uhr, heißt es hingegen im Kapitel „Energie“

(S. 15): „Der österreichische Vorsitz wird weiters dem Ziel eines hohen Niveaus nuklearer

Sicherheit - nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Erweiterung - besondere Beachtung

schenken“. Warum wird plötzlich das (öffentlich dargestellte) Ansinnen der

Bundesregierung in Richtung „Atomausstiegskonzepte“ durch die (interne) Zielsetzung

„hohes Niveau nuklearer Sicherheit“ ersetzt, wo doch gerade Mochovce zeigt, daß diese

Argumentationslinie jedenfalls keinen Vorteil bringt?

11. Das 1995 gestoppte Vorhaben, Mochovce mittels EBRD -  und EIB - Krediten zu

finanzieren, beinhaltete im Vergleich zum aktuell realisierten Projekt höhere Investitionen

in „Sicherheitsmaßnahmen“. Zum damaligen Zeitpunkt war die Position der

Bundesregierung daß dieser Reaktortyp aus technischen Gründen und unter

wirtschaftlichen Aspekten praktisch nicht nachrüstbar ist, eine ausführliche Studie der

internationalen Expertenkommission belegte dies aus wissenschaftlicher Sicht im Jahr

1995 eindrucksvoll. Das Projekt wurde aufgrund einer Reihe von grundsätzlichen,

irreversiblen Sicherheitsdefiziten, etwa das fehlende, nachträglich nicht mehr errichtbare

Containment, als inakzeptabel abgelehnt. Warum ist die Bundesregierung von dieser

grundsätzlichen Position abgerückt, obwohl faktisch keine Zustandsänderung bei den

konstruktiven Sicherheitsdefiziten des Mochovce - Reaktortyps eintreten kann, ja sogar

immer neue Mängel und Risikofaktoren bekannt werden?

12. Anhand eines realisierten Referenzprojektes in Bratislava läßt sich ermitteln, daß die

Substituierung der 440 MW des Block 1 von Mochovce bei einer Bauzeit von rund 18

Monaten rund 2,5 Milliarden Schilling kosten würde (alleine die Kosten für die Sanierung

des Reaktordruckbehälters, durch die noch keine der zuvor bekannten Sicherheitsdefizite

des Reaktors behoben wäre, wird mit rund 1 Milliarde angegeben). Aus einer Studie der

Energieververwertungsagentur (E.V.A), die im Dezember 1996 veröffentlicht wurde, geht

hervor, daß das ungenutzte Kraft - Wärme - Kopplungs -Potential in der Slowakei bei 1.200

MW, also dem rund dreifachen des Block 1 Mochovce liegt. Wem gegenüber in der

Slowakei und auf Ebene der EU hat die Bundesregierung seit der Entscheidung gegen die

EBRD/EIB - Finanzierung von Mochovce 1995 diese Fakten in Gesprächen über ein

Atomausstiegskonzept dargelegt, und Schritte zur Realisierung dieser Alternativvarianten

vorgeschlagen bzw. verhandelt?

13. Welche Konsequenzen für weitere Aktivitäten zieht die Bundesregierung aus den

aktuellen Vorkommnissen im Zusammenhang mit der ebenfalls in den nächsten beiden

Jahren drohenden Inbetriebnahme von Block 11 des KKW Mochovce?

14. Die österreichische Akzeptanz der Inbetriebnahme von Block 1 des KKW Mochovce

in folge (maximal kosmetischer) Sicherheitsnachbesserungen hätte katastrophale

Auswirkungen auf die Argumentation gegenüber der Republik Tschechien in Sachen

Temelin. Immerhin erfüllt Temelin (bei vielen anderen grundlegenden Defiziten) durch

das dort vorhandene Containment ein Sicherheitskriterium, das bei Mochovce nicht

erfüllbar ist. Werden Sie gegenüber Tschechien nun ebenfalls die Akzeptanz bestimmter

Sicherheitsstandards, und damit letztlich des KKW insgesamt, in den Vordergrund stellen,

oder im Sinne der früheren Anti - Atompolitik für die Realisierung eines

Alternativprojektes auch im Rahmen der EU - Beitrittsgespräche eintreten?

In formeller Hinsicht wird die dringliche Behandlung dieser Anfrage unter Verweis auf §

93 Abs. 2 GOG verlangt.