4634/J XX.GP
der Abgeordneten Pollet - Kammerlander, Freundinnen und Freunde
an den Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten
betreffend schwerste Menschenrechtsverletzungen in Chiapas, Mexiko
Am 10. Juni 1998 starteten die mexikanische Armee und Polizei eine gemeinsame
Offensive gegen mehrere zapatistische Dörfer im Bundesstaat Chiapas. Dabei wurden
mindestens acht SympathisantInnen der Zapatisten sowie ein Polizist getötet, vier Indigenas
und fünf Polizisten verletzt und 57 Dorfbewohner verhaftet.
An der Operation waren über 1000 Soldaten und Polizisten beteiligt, um - so die offizielle
Version der Vorfälle - 15 Haftbefehle zu vollstrecken. Die Operation begann in den frühen
Morgenstunden. Zunächst drangen hunderte von Soldaten und Polizisten in El Bosque ein,
das sich vor einiger Zeit in die autonome Gemeinde "San Juan de Libertad" umbenannt
hatte. Die Militärs nahmen das autonome Verwaltungsgebäude ein und verhafteten vier
Personen.
Zu den gewaltätigen Auseinandersetzungen kam es bei der Militäraktion in den beiden
kleinen Dörfern Union Progreso und Chavajeval. Nach Darstellung der mexikanischen
Regierung wurden die Armeeinheiten von Unbekannten, die mit Schußwaffen bewaffnet
waren, angegriffen. Zeugenaussagen von Bewohnern in Union Progreso besagen allerdings,
daß die Armee auf die Dorfbewohner schoß, die vor den heranrückenden Soldaten zu
fliehen versuchten. Dabei wurde ein Mann getötet und sechs weitere wurden verletzt. Die
sechs Verletzten seien dann von Armee - und Polizeiangehörigen aufgegriffen und exekutiert
worden. In dem Dorf Chavajeval, wo die Armee auch Helikopter, Panzer und Tränengas
einsetzte, sind nach Angaben von Dorfbewohnern drei Indigenas getötet worden, während
sie in die umliegenden Wälder zu fliehen versuchten.
Das gewaltsame Vorgehen der mexikanischen Armee gegen die autonome Gemeinde von
"San Juan de la Libertad" ist bereits die vierte derartige Aktion gegen sogenannte
"Autonome Gemeinden". Dabei wurden über 200 Personen verhaftet. Insgesamt gibt es in
Chiapas seit Dezember 1994 über 30 "Autonome Gemeinden". Die Anerkennung der
Selbstbestimmung der indigenen Gemeinden ist eine der zentralen Fragen des
Friedensprozesses.
Das gewaltsame Vorgehen der mexikanischen Armee ist um so besorgniserregender, als
wenige Tage zuvor, am 7. Juni 1998, Bischof Samuel Ruiz sein Mandat als Vorsitzender
der nationalen Vermittlungskommission (CONAI) niedergelegt hatte. In einer Predigt
beklagte Bischof Samuel Ruiz, daß die mexikanische Regierung durch ihr Vorgehen den
Weg der Verhandlungen verlassen habe. Außerdem sei
die Diözese von San Cristobal
zunehmender Aggression und systematischer Verfolgung ausgesetzt. Nach dem Rücktritt
von Bischof Ruiz löste sich die CONAI anschließend auf. In ihrem letzten Kommuniqué
wurden die Vermittler noch deutlicher als Bischof Ruiz. Unter anderem warfen sie der
Regierung vor, sie habe die notwendigen Voraussetzungen für Friedensgespräche zerstört.
Gleichzeitig forderten sie die Präsident Ernesto Zedillo auf, "seiner derzeitigen
Kriegsstrategie abzuschwören."
In Anbetracht der Ereignisse der letzten Monate und Tage ist zu befürchten, daß weitere
Operationen von Polizei und Militär zu neuen gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen
den Sicherheitskräften des mexikanischen Staates und der EZLN führen werden.
Aufgrund dieser alarmierenden Situation stellen die unterfertigten Abgeordneten folgende
ANFRAGE:
1. Was wird die österreichische Bundesregierung auf der bilateralen und internationalen
Ebene sowie im Rahmen der EU unternehmen, daß die aggressiven Polizei - und
Militäroperationen gegen die indigenen Gemeinden in Chiapas beendet werden und eine
friedliche Lösung des Konfliktes herbeigeführt wird?
2. Inwiefern werden Sie dazu beitragen, daß die Abkommen von San Andres über die
Rechte und die Kultur der Indigenas in der Form zu erfüllt werden, wie sie am 16.
Februar 1996 unterzeichnet wurden?
3. Was werden Sie dazu betragen,
a) daß die paramilitärischen Gruppen, die - an diesen schwersten Menschenrechts -
verletzungen beteiligt sind, entwaffnet und aufgelöst werden?
b) daß die vielen tausend Vertriebenen in ihre Dörfer zurückkehren können, geschützt
werden und sämtliche bei den Militäraktionen willkürlich verhafteten Indigenas
umgehend freigelassen werden?
c) daß die Morde an der Zivilbevölkerung in El Bosque aufgeklärt und die
Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden?
d) daß die ständigen Angriffe gegen Bischof Samuel Ruiz und Mitarbeiter der Diözese von
San Cristobal, an denen sich auch höchste Machthaber des Staates beteiligt haben,
umgehend beendet werden?
e) daß die Anwesenheit von internationalen Menschenrechtsbeobachtern in Chiapas
erleichtert wird?