4950/J XX.GP

 

der Abgeordneten Dr. Ofner, Dr. Graf, Scheibner

und Kollegen

an den Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten

betreffend fortgesetzte Verletzung der Menschenrechte in der Tschechischen Republik

und Slowenien

 

Der Europäische Rat in Kopenhagen (1993) hat als Voraussetzung für eine

Mitgliedschaft in der Europäischen Union u.a. institutionelle Stabilität als Garantie für

demokratische und rechtsstaatliche Ordnung, für die Wahrung der Menschenrechte

sowie die Achtung und den Schutz von Minderheiten festgelegt.

 

Der Europäische Rat in Luxemburg (12.113. Dezember 1997) hat beschlossen, im März

1998 auf Basis des Art. 0 EU - Vertrag bilaterale Regierungskonferenzen einzuberufen,

um Verhandlungen mit Zypern, Ungarn, Polen, Estland, der Tschechischen Republik und

Slowenien über die Bedingungen ihres Beitritts und die damit verbundene Anpassung

der Verträge, auf denen die Union beruht, zu beginnen. Gleichzeitig hat der Europäische

Rat betont, daß die Einhaltung der politischen Kriterien von Kopenhagen eine

unabdingbare Voraussetzung für die Eröffnung von Beitrittsverhandlungen darstellen.

Diese bilateralen Beitrittsverhandlungen mit den oben genannten Ländern wurden am

31. März 1998 eröffnet und derzeit findet das sog. "Acquis - screening" (Durchleuchtung

des Rechtsbestandes) auf Beamtenebene statt.

 

Fortschritte im Erweiterungsprozeß zählen zu den Schwerpunkten des österreichischen

EU - Ratsvorsitzes. Außenminister Dr. Schüssel kündigte im Juli d.J. an, daß die ersten

Verhandlungen mit den Beitrittskandidaten im November d. J. beginnen würden, und

bekräftigte seine Entschlossenheit, bei der Erweiterung von “symbolischen Anfängen”

zu “konkreten Schritten”” überzugehen (APA 08. Juli 98). Dies bestätigte auch

Bundeskanzler Mag. Klima (APA 14. Sept. 98). Schließlich hat der Rat “Allgemeines” am 5.

Oktober 1998 vereinbart, am 10. November konkrete Verhandlungen mit den sechs

Bewerberländern der ersten Gruppe aufzunehmen.

 

Unabhängig davon, ob dieser Schritt, nämlich die Aufnahme substantieller

Beitrittsverhandlungen, voreilig ist, wie dies die Anfragesteller aus einer Reihe von

Gründen befinden, ist es Faktum, daß in Slowenien und in der Tschechischen Republik,

die Einhaltung der politischen Kriterien von Kopenhagen, die vom Europäischen Rat als

“eine unabdingbare Voraussetzung für Beitrittsverhandlungen” angesehen wurden,

bislang nicht gewährleistet ist. In beiden Staaten gelten weiterhin menschenrechts - und

völkerrechtswidrige Gesetze bzw. Bestimmungen.

 

Slowenien verfügt, wie mittlerweile auch mehrfach wissenschaftlich nachgewiesen und

festgestellt wurde, innerhalb seiner Grenzen über eine Minderheit, nämlich die

Volksgruppe der Altösterreicher deutscher Muttersprache, denen keine spezifischen

Volksgruppenrechte zukommen. Im Gegensatz dazu erkennt die slowenische

Verfassung sehr wohl die Volksgruppen der Italiener und der Ungarn, in

eingeschränktem Maße auch der Roma und Sinti an. Außerdem sind in Slowenien,

anders als in Kroatien, nach wie vor die diskriminierenden AVNOJ - Bestimmungen

(Beschlüsse von Jajce vom 29.11.1943 und Belgrad vom 21. 11. 1944) in Kraft. Durch

diese Beschlüsse des “Antifaschistischen Rates der Volksbefreiung Jugoslawiens”

erfolgte die “Aberkennung der Bürgerrechte und die gewaltsame Enteignung der

deutschsprachigen Volksgruppe sowie ihre Degradierung zu recht - und besitzlosen,

unerwünschten Nicht - mehr - Bürgern des Staates” (Stefan Karner, Gutachten im Auftrag der

Bundesregierung). Die Volksgruppe wurde damals de facto für “vogelfrei” erklärt. Auch

in das Denationalisierungsgesetz vom 20. November 1991 sind die AVNOJ - Beschlüsse

“eingebaut” worden.

 

Ebenso gibt es in der Tschechischen Republik eine Volksgruppe von Altösterreichern

deutscher Muttersprache, die mindestens 60.000, nach manchen Schätzungen 200.000

Personen umfaßt. Auch dieser zahlenmäßig bedeutsamen Volksgruppe kommen keine

spezifischen Rechte, wie sie etwa Österreich, Deutschland, die skandinavischen Länder,

Ungarn und andere europäische Staaten gewähren, ja schlechthin überhaupt keine

Rechte, zu.

Darüber hinaus stehen im EU - Beitrittskandidatenland Tschechien nach wie vor die sog.

Benes - Dekrete, mit menschen - und völkerrechtswidrigem Inhalt, aus den Jahren 1945

und 1946 in Kraft. Durch diese vom tschechoslowakischen Präsidenten Edvard Benes

erlassenen Dekrete wurde folgendes verfügt:

 

Dekret des Präsidenten der Republik vom 19. Mai 1945, Sig. Nr. 5, erklärt

   “Personen deutscher oder madjarischer Nationalität als staatlich unzuverlässige Personen”.

   Es sind jedenfalls “als Personen deutscher oder madjarischer Nationalität Personen

   anzusehen, die sich bei irgendeiner Volkszählung seit dem Jahre 1929 zur deutschen oder

   madjarischen Nationalität bekannt haben ...“

 

Dekret des Präsidenten der Republik vom 21. Juni 1945, Sig. Nr. 12 verfügt, daß

  “mit augenblicklicher Wirksamkeit und entschädigungslos ... für die Zwecke der

  Bodenreform das landwirtschaftliche Vermögen enteignet” wird, “ das im Eigentum steht:

  a) aller Personen deutscher und madjarischer Nationalität, ohne Rücksicht auf die

  Staatsangehörigkeit,”

 

Verfassungsdekret des Präsidenten der Republik vom 2. August 1945, Sig. Nr. 33,

bestimmt, daß die

   “tschechoslowakischen Staatsbürger deutscher oder madjarischer Nationalität die

     tschechoslowakische Staatsbürgerschaft verlieren ...“

 

Dekret des Präsidenten der Republik vom 25. Oktober 1945, Sig. Nr. 108, bestimmt, daß

   “konfisziert wird ohne Entschädigung - soweit dies noch nicht geschehen ist- für die

   Tschechoslowakische Republik das unbewegliche und bewegliche Vermögen <wie

   Forderungen, Wertpapiere, Einlagen, immaterielle Rechte), das ... im Eigentum stand oder

   noch steht:

   ...physischer Personen deutscher oder madjarischer Nationalität ...“

 

Schließlich normiert das Gesetz vom 8. Mai 1946, Slg. Nr. 115, daß

   “eine Handlung, die in der Zeit vom 30.September 1938 bis zum 28. Oktober 1945

   vorgenommen wurde und deren Zweck es war, einen Beitrag zum Kampf um die

   Wiedergewinnung der Freiheit der Tschechen und Slowaken zu leisten, oder eine gerechte

   Vergeltung für Taten der Okkupanten oder ihrer Helfershelfer zum Ziele hatte, ... auch

   dann nicht widerrechtlich (ist), wenn sie sonst nach den geltenden Vorschriften strafbar

   gewesen wäre”.

Das heißt, daß alle bis ca. 6 Monate nach Kriegsende begangenen Verbrechen, auch

Mord und Totschlag, per Gesetz nicht nur für straffrei, sondern auch für rechtmäßig

erklärt wurden!

 

Die tschechische Regierung lehnt bis dato eine Aufhebung der Benes - Dekrete

kategorisch ab (APA, 19.Aug. 1998).

 

Es ist evident, daß diese Rechtsmaterien, nämlich die AVNOJ - Bestimmungen in

Slowenien einerseits und die Benes - Dekrete in der Tschechischen Republik andererseits,

nicht nur den sog. Kopenhagener Kriterien (Wahrung der Menschenrechte sowie

Achtung und Schutz von Minderheiten) widersprechen, sondern zudem den

Grundsätzen der Europäischen Union, wie im (noch nicht in Kraft getretenen)

Amsterdamer Vertrag (Art. 6 (ex - Art. F)) festgeschrieben, zuwiderlaufen. Trotzdem

weigert sich die österreichische Bundesregierung diese Problematik zum Gegenstand der

EU - Beitrittsverhandlungen zu machen. Österreich als Schutzmacht der Altösterreicher

deutscher Muttersprache auf dem Gebiet der ehemaligen k.u.k. Monarchie hat nicht nur

eine rechtliche und moralische Verpflichtung ihre Anliegen zu vertreten, sondern

darüberhinaus die Möglichkeit (Stichwort: Vetorecht bei Beitrittsverhandlungsabschluß),

diese auch durchzusetzen. Die italienische Regierung beispielsweise hat sehr wohl den

Abschluß des Assoziierungsabkommen der EU mit Slowenien solange durch ihr Veto

blockiert, bis die Forderungen der italienischen Flüchtlinge, die in den fünfziger Jahren

gezwungen waren, Jugoslawien zu verlassen und deren Besitz enteignet wurde, erfüllt

und im Assoziierungsabkommen vertraglich verankert wurden.

 

Unabhängig von der Tatsache, daß die von der österreichischen Bundesregierung

verfolgte Strategie der bilateralen Erörterung und Lösung der bestehenden Probleme der

Heimatvertriebenen und der Altösterreicher deutscher Muttersprache, wie die jüngsten

Gespräche zwischen Bundeskanzler Klima und dem tschechischen Regierungschef

Zeman neuerlich bestätigten, bislang ohne Erfolg blieben, vertreten die

anfragestellenden Abgeordneten die Auffassung, daß die Aufhebung der

Unrechtsgesetze letztlich keine bilaterale Angelegenheit ist. Menschenrechtsverletzende

und völkerrechtswidrige Gesetze, die auch weiter Anwendung finden, können und

dürfen einer Rechtsgemeinschaft wie der Europäischen Union nicht egal sein: Recht ist

unteilbar. Diese Chance der Geschichte, die Wiederherstellung der Menschenrechte im

Rechtsgut der beiden wichtigen europäischen Staaten Slowenien und Tschechische

Republik durchzusetzen, darf nicht ungenützt bleiben.

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher an den Herrn Bundesminister für

auswärtige Angelegenheiten folgende

 

DRINGLICHE ANFRAGE

 

1. Ist es zutreffend, daß der Europäische Rat (Luxemburg 1997) in seinen

    Schlußfolgerungen betont hat, daß die Einhaltung der politischen Kriterien von

    Kopenhagen (Wahrung der Menschenrechte sowie die Achtung und den Schutz von

    Minderheiten) eine unabdingbare Voraussetzung für die Eröffnung von

    Beitrittsverhandlungen darstellen?

 

2. Ist Ihnen bekannt, daß die AVNOJ - Bestimmungen in Slowenien und die Benes -

    Dekrete in der Tschechischen Republik nach wie vor in Kraft stehen?

 

3. Sind Ihrer Auffassung nach die nach wie vor in Slowenien gültigen AVNOJ -

    Bestimmungen und die in der Tschechischen Republik in Kraft stehenden und von

    Gerichten angewendeten Benes - Dekrete mit den genannten Kopenhagener Kriterien

    in Einklang zu bringen?

 

4. Sind Sie der Auffassung, daß die nach wie vor in Slowenien gültigen AVNOJ -

    Bestimmungen und die in der Tschechischen Republik in Kraft stehenden und von

    Gerichten angewendeten Benes  - Dekrete den Grundsätzen der Europäischen Union,

    wie im (noch nicht in Kraft getretenen) Amsterdamer Vertrag (Art. 6 (ex - Art. F))

    festgeschrieben, entsprechen?

 

5. Ist Ihnen bewußt, daß Staaten mit derartigen Rechtsbestimmungen eigentlich nicht

    Mitglied einer Rechtsgemeinschaft, die sich “zu den Grundsätzen der Freiheit, der

    Demokratie und der Achtung der Menschenrechte und der Grundfreiheiten und der

    Rechtsstaatlichkeit bekennt”, sein sollten?

6. Teilen Sie die Meinung, daß es nicht angeht, daß in einem potentiellen EU -

    Mitgliedsland menschenrechtswidrige und diskriminierende Bestimmungen bzw.

    Gesetze gegenüber Bürgern eines anderen Mitgliedstaates, nur wegen deren

    bestimmten Sprach - bzw. Volkszugehörigkeit, weiterhin in Kraft stehen und

    angewendet werden?

 

7. Sind Sie tatsächlich der Meinung, daß die Existenz menschenrechtswidriger

    Regelungen im Rechtsbestand von Beitrittskandidaten lediglich eine “bilaterale

    Angelegenheit” darstellt und nicht alle EU - Mitgliedsländer angeht?

 

8. Werden Sie dafür eintreten, daß vor einem Beitritt der Tschechischen Republik und

    Sloweniens zur Europäischen Union die erwähnten völkerrechts - und

    menschenrechtswidrigen Gesetze bzw. Bestimmungen in diesen Ländern

    aufgehoben werden?

 

9. Werden Sie als EU - Ratsvorsitzender im Rat, vor dem beabsichtigten Beginn

    substantieller Beitrittsverhandlungen, die Problematik der Benes - Dekrete und

    AVNOJ - Bestimmungen entsprechend zur Sprache bringen?

 

10.Welche Erfolge haben bislang die bilateralen Gespräche mit der Tschechischen

     Republik hinsichtlich der Aufhebung der Benes - Dekrete gezeitigt?

 

11. Welche Erfolge haben bislang die bilateralen Gespräche mit Slowenien hinsichtlich

      der Aufhebung der AVNOI - Bestimmungen gezeitigt?

 

12.Welche Erfolge haben bislang die bilateralen Gespräche mit Slowenien hinsichtlich

     der Anerkennung des Bestehens und der Rechte der Altösterreicher deutscher

     Muttersprache gezeitigt?

 

13.Hat es bisher bilaterale Gespräche mit der Tschechischen Republik hinsichtlich der

     Anerkennung des Bestehens und der Rechte der Altösterreicher deutscher

     Muttersprache gegeben?

     Wenn ja, mit welchem Erfolg?

14.Könnten Sie es wirklich verantworten, die sich bietende Chance, Recht und

     Gerechtigkeit im gegenständlichen Zusammenhang wiederherzustellen, und den

     Altösterreichern deutscher Muttersprache in Slowenien und der Tschechischen

     Republik zu einem Mindestmaß an Rechten zu verhelfen, ungenützt verstreichen zu

      lassen?

 

 

In formeller Hinsicht wird verlangt, diese Anfrage im Sinne des §93 Abs. 2 GOG - NR zum

frühest möglichen Zeitpunkt zu behandeln.