5304/J XX.GP

 

ANFRAGE

 

 

der Abgeordneten Dipl.-Ing. Maximilian Hofmann und Kollegen

an den Bundesminister für Inneres

betreffend einige Ungereimtheiten im sog. ,,Staatsschutzbericht

1997”

 

 

       Im sog. “Staatsschutzbericht 1997” ist unter Punkt IV. Rechtsextremismus auch eine mit

“Revisionismus” betitelte Szenenbeschreibung enthalten.

 

       Auf Seite 20 dieses “Staatsschutzberichtes 1997” wird zum Stichwort “Revisionismus” ohne

weitere Erläuterung apodiktisch festgestellt:

 

                          “Unter Revisionismus ist das Verfälschen der Geschichte des

   Dritten Reiches zu verstehen. Revisionisten leugnen ... die Exi -

  stenz von Konzentrationslagern... Anzeigen ... haben dazu ge -

        führt, daß revisionistische Umtriebe ... vorwiegend im Vorfeldbe -

   reich, insbesonders (sic!) in rechtstendenziösen Organisationen

                          und Vereinen stattfinden...”

 

     Diese Begriffsbestimmung ist so unvollständig, rechtlich irreführend und somit f a l s c h.

 

     Zunächst sei erläutert, daß der Begriff des “Revisionismus” in der Wissenschaft bereits seit

langem einen festen Platz hat und beispielsweise im achtzehnten Band der "Brockhaus Enzyklo -

pädie” in vierundzwanzig Bänden, neunzehnte, völlig neubearbeitete Auflage. Mannheim: F.A.

Brockhaus, 1992 auf Seite 339 wie folgt umschrieben wird:

 

            “Revisionismus  der,  -,  vielfältig gebrauchtes Schlagwort;

            bezeichnet i.w.S. die Bemühungen, bestehende Verhältnisse,

            Verfassungen, Gesetzeswerke oder Staatsgrenzen zu verändern

            oder ideolog. Positionen zu modifizieren, i.e.S. die Richtung in

            der internat. Arbeiterbewegung um 1900, die zentrale Aussagen

            des Marxismus neu zu bewerten, zu revidieren suchte. Der R.

            wurde der historisch entscheidende Ansatz reformist. Theorien

            innerhalb der Arbeiterbewegung. Insbesondere die von E. BERN -

            STEIN entwickelte Theorie des R. stand im Ggs. zu fundamentalen

            Thesen des orthodoxen Marxismus. Er stellte u.a. fest, daß die

            ‚Verelendung des Proletariats‘, die ‚Konzentration des Kapitals‘

            und ‚die Polarisierung der Gesellschaft in Unternehmer und

            Handarbeiter‘ (d.h. ein sich ständig verschärfender Klassen -

            kampf) ausgeblieben sei. Der bestehende Staat sei weniger ein

            Ausdruck der Klassenherrschaft als ein Instrument für das

            Proletariat, die Gesellschaft im legalen Rahmen neu zu gestalten.

            Die durch den Druck von Arbeiterparteien und Gewerkschaften

            erreichten Sozialreformen zeigten, daß auch im Rahmen der

            bestehenden Gesellschaftsordnung Verbesserungen erreichbar

            seien. BERNSTEIN forderte daher die Sozialdemokratie auf, sich

            nicht auf die Revolution vorzubereiten, sondern auf parlamentar.

            Weg gesellschaftl. Reformen anzustreben und ggf. mit nicht -

            sozialist. Parteien zusammenzuarbeiten. In der SPD waren die

            Thesen BERNSTEINS lange Zeit umstritten (,R. - Streit‘). Von ROSA

            LUXEMBURG, K. KAUTSKY, LENIN u.a. auf das heftigste bekämpft,

            bestimmte der R. jedoch immer stärker die Sozialdemokratie,

            auch außerhalb Dtl.s. 1925 übernahm die SPD die Grundzüge des

            R. in ihr Heidelberger Programm. Die grundsätzl. Infragestellung

            marxist. oder marxistisch - leninistist. Positionen im reformist.

            Sinne gilt in kommunist. Parteien als eine schwerwiegende Form

            der Rechtsabweichung und führt zu Sanktionen, die vom Partei -

            ausschluß bis zu Schauprozessen reichen können.”

 

Daß unzählige Menschen unter dem Vorwand, sie seien “revisionistische Abweichler” nur

wegen ihrer (sozialdemokratischen) Gesinnung für Jahrzehnte in den Gulags der Sowjetmacht ver-

schwanden, nachdem sie in Schauprozessen gedemütigt und moralisch vernichtet wurden, sei nur

nebenbei erwähnt.

     Jeder absolvierte Politologe kennt Reinhard Beck: “Sachwörterbuch der Politik”. In diesem

Werk wird der Begriff des “Revisionismus” auf den Seiten 737 und 738 behandelt. Jeder Politologe,

der sich mit dem Begriff des “Revisionismus” beschäftigt, sollte Eduard BERNSTEINS Werk “Die

Voraussetzungen des Sozialismus und die Aufgaben der Sozialdemokratie”, ,,Pipers Handbuch der

politischen Ideen” herausgegeben von Iring Fetscher und Herfried Münkler, Band 4, S.545 ff. und

(wenigstens das Vorwort zu) “Bolschewismus und Reformismus” Moskau: Verlag Progreß, 1978

(siehe Beilage zu dieser Anfrage) gelesen haben.

 

Das BMI hat es wiederum (wie schon in den seit 1994 erschienen sog. “Jahreslageberichten”)

unterlassen, eine verbindliche Bestimmung des Begriffes “Rechtsextremismus” vorzunehmen, so

daß eine heillose Verwirrung und Rechtsunsicherheit die Folge ist.

       Nach ständiger Rechtsprechung ist die Bezeichnung einer Person als “rechtsextrem” nicht eh-

renrührig und ist daher nicht geeignet, den Tatbestand der “üblen Nachrede” nach §§ 111 ff. StGB

zu erfüllen. Dies bedeutet, daß eine rechtsextremistische Betätigung (was immer das BMI darunter

verstehen mag) für den Bereich der Strafrechtspflege unerheblich ist.

      Da die vom BMI oben angeführte Beschreibung des Begriffes des sog. “Revisionismus” je -

doch zweifellos den §§ 3g bzw. 3h Verbotsgesetz zu unterstellen ist, handelt es sich h i e r nicht nur

um eine (strafrechtlich unerhebliche) rechtsextremistische, sondern darüber hinaus eine strafrecht-

lich sehr wohl beachtliche neonazistische Äußerung.

 

     Die unterfertigten Abgeordneten richten daher an den Bundesminister für Inneres folgende

 

A n f r a g e :

 

 

1.) Wie und womit begründen Sie die von Ihnen zu verantwortende Aussage im “Staats-

     schutzbericht 1997”, wonach unter Revisionismus ausschließlich “das Verfälschen der

     Geschichte des Dritten Reiches” zu verstehen sei?

 

2.) Werden Sie dafür sorgen, daß diese unsaubere Begriffsbestimmung im “Staatsschutz -

     bericht 1998” verbessert wird? –

 

     Wenn nein, warum nicht?

3.) Wann, wo (in welcher Veröffentlichung) und von wem und bei welchem Anlaß wurde

      jemals behauptet, daß es im Dritten Reich “keine Konzentrationslager” gab?

 

4.) Was verstehen Sie unter dem Begriff des “Rechtsextremismus”, was unter dem Begriff

      des “rechtstendenziösen Vereines” und wie unterscheiden Sie beide Begriffe vom Begriff

      des “Neonazismus”?

 

5.) Welche und wie viele Vereine werden von Ihrem Ministerium als “rechtsextremistisch”

     bezeichnet, wie lauten die Namen dieser Vereine, welche davon wurden im Laufe der

    Jahre aus welchen Gründen verboten und wie lauten die Namen jener Vereine?

 

6.) Welche und wie viele Vereine werden von Ihrem Ministerium als “rechtstendenziös”

     bezeichnet, wie lauten die Namen dieser Vereine, welche davon wurden im Laufe der

     Jahre aus welchen Gründen verboten und wie lauten die Namen jener Vereine?

 

 

 

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