5834/J XX.GP
ANFRAGE
des Abgeordneten Öllinger, Freundinnen und Freunde
an den Bundeskanzler
betreffend passives Wahlrecht
Seit dem Beitritt zum EWR bzw. zur Europäischen Union ist die Republik verpflichtet, das
Gemeinschaftsrecht umzusetzen bzw. anzuwenden. Davon betroffen sind auch die Rechte
der WanderarbeitnehmerInnen, im speziellen das Recht der Wählbarkeit zu den
betrieblichen und überbetrieblichen gesetzlichen Interessenvertretungen.
Während das Wirtschaftskammergesetz 1998 das Recht der Wählbarkeit (“passives
Wahlrecht”) immerhin für alle EWR - bzw. EU - BürgerInnen und darüber hinaus auf
Gegenseitigkeit garantiert, wurde in der Novelle des Arbeiterkammergesetzes, die ebenfalls
im Juni 1998 vom Parlament beschlossen wurde, vom Ministerrat eine Bestimmung
gestrichen, die das passive Wahlrecht auch allen ausländischen ArbeitnehmerInnen
eingeräumt hätte.
Das Parlament hat bei der Novelle des Arbeiterkammergesetzes mit der Mehrheit der
Koalitionsparteien eine Regierungsvorlage beschlossen, die durch die (neuerliche) Bindung
der Wählbarkeit an das Erfordernis der österreichischen Staatsbürgerschaft krass im
Gegensatz zum Gemeinschaftsrecht steht. Da das Gemeinschaftsrecht in diesem Fall über
eine Verordnung geregelt ist, ergibt sich daraus unmittelbare Rechtswirksamkeit: diese
Rechtsauffassung ist der Bundesregierung bekannt und wird auch von ihr, der
Arbeiterkammer und de facto allen namhaften JuristInnen geteilt.
Mit dem Beschluß der Hauptwahlkommission der Arbeiterkammer Vorarlberg, türkische
Staatsangehörige, die auf der Liste “Gemeinsam - alternative und grüne Gewerk -
schafterInnen” kandidiert wurden, nicht zur Wahl zuzulassen, hat die Auseinandersetzung
um das passive Wahlrecht eine neue Qualität erreicht.
Den unterzeichneten Abgeordneten ist in diesem Zusammenhang auch bekannt geworden,
daß die Kommission der EU in zwei Briefen von der österreichischen Bundesregierung
diesbezüglich Auskünfte bzw.
Klarstellungen eingefordert hat.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende
ANFRAGE:
1. Welchen Inhalts ist der erste Brief, den die EU - Kommission im Jahr 1997 an die
österreichische Bundesregierung in dieser Frage gerichtet hat und der angeblich mit
16.10.97 datiert ist?
2. Welchen Inhalts ist die Antwort, die die österreichische Bundesregierung
diesbezüglich der EU - Kommission gegeben hat?
3. Hat sich die österreichische Bundesregierung über den Brief der Kommission jemals
beraten?
Wenn ja, mit welchem Ergebnis? Wenn nein, warum nicht?
4. War die Bestimmung zum passiven Wahlrecht in der Novelle des
Arbeiterkammergesetzes, die im Frühjahr 1998 vom Ministerrat an das Parlament zur
Beschlußfassung weitergeleitet worden war, das Ergebnis dieser Beratungen?
5. Wurde Bundesminister Fasslabend, der eine Ausweitung des passiven Wahlrechts
beeinsprucht hat, im Ministerrat von Ihnen auf den Brief der EU - Kommission bzw.
darauf aufmerksam gemacht, daß eine Bindung des passiven Wahlrechts an die
österreichische Staatsbürgerschaft auf jeden Fall gemeinschaftsrechtswidrig ist?
6. Welchen Inhalts ist der zweite Brief, den die EU - Kommission im Jahr 1998 an die
österreichische Bundesregierung in dieser Frage gerichtet hat und der angeblich mit
28.10.1998 datiert ist?
7. Welchen Inhalts ist die Antwort der österreichischen Bundesregierung zu diesem
Brief?
8. Wurde der Brief bzw. die Haltung der EU - Kommission auch im Ministerrat
diskutiert? Wenn ja, mit welchem Ergebnis?
9. Wurde der Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes in der Frage der Wählbarkeit
zu den Organen der betrieblichen und überbetrieblichen Arbeitnehmer -
Interessensvertretungen zur Stellungnahme herangezogen bzw. mit einem Gutachten
betraut? Wenn ja, wie lautet dieses Stellungnahme des Verfassungsdienstes und
berücksichtigt sie auch die Gleichstellungserfordernisse für türkische
ArbeitnehmerInnen nach dem Assoziationsabkommen EU - Türkei ?
10. Hat Bundesminister Fasslabend zur Begründung seiner selbst die Wählbarkeit von
EU - BürgerInnen ablehnenden Haltung im Ministerrat ein Rechtsgutachten vorgelegt?
Wenn ja. wie
lautet es?
11. Mit der Entscheidung der Vorarlberger Hauptwahlkommission der Arbeiterkammer,
die übrigens gegen eine Stimme des Juristen und Bezirkshauptmannes von allen in der
Kommission vertretenen Parteien (SPÖ, ÖVP und FPÖ) beschlossen wurde, ist das
Gemeinschaftsrecht zum ersten Mal faktisch gebrochen worden.
Plant die Österreichische Bundesregierung, das Arbeiterkammergesetz noch vor den
Neuwahlen des Nationalrates bzw. vor den nächsten Arbeiterkammerwahlen in den
anderen Bundesländern, so zu novellieren, daß es dem Gemeinschaftsrecht entspricht?