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ANFRAGE

 

der Abgeordneten Dr. Brader, Mag.  Mühlbachler, Dr. Maitz, Schuster, Homgacher und Kollegen

an den Bundeskanzler

betreffend demokratiepolitische Entwicklung der Slowakei und nachbarschaftliche Beziehungen Österreichs

 

Am 26.  März 1996 wurde im slowakischen Parlament mit den Stimmen der Regierungsparteien eine Novelle zum Strafgesetzbuch der Republik Slowakei beschlossen.  Diese Novelle enthält u.a. eine Bestimmung, wonach die Verbreitung „unwahrer Informationen im Ausland, weiche die Interessen der Republik schädigen," mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft werden kann (§ 98).  Eine andere Bestimmung sieht Freiheitsstrafen für das Organisieren öffentlicher Versammlungen mit der Absicht, die Verfassungsordnung, die territoriale Ungeteiltheit oder die Verteidigungsfähigkeit der Republik zu zerrütten, vor (§ 91).

Da diese Bestimmungen sehr unscharfe Tatbestandsumschreibungen beinhalten, besteht in der Anwendung für die Staatsgewalt großer Interpretationsspielraum.  Jedenfalls stellen die Bestimmungen eine Einschränkung der Grundrechte sowie der Meinungs- und Versammlungsfreiheit dar und können somit als Polit-Paragraphen' gewertet werden.

Die christdemokratischen und sozialistischen Oppositionsparteien haben sich bereits vor dem Beschluß vom 26.  März 1996 an die internationale Gemeinschaft gewandt, um auf die Einschränkung der demokratischen Rechte und Menschenrechte, die diese StrafgesetzNovelle mit sich bringen würde, aufmerksam zu machen.  Trotz breiter internationaler und nationaler Proteste, u.a. von 10 Bischöfen, beschlossen die Parteien der Regierung Meciar den Entwurf.

Der slowakische Staatspräsident Michal Kovac wies in der Folge die umstrittene Strafrechts­Novelle wieder an das Parlament zurück.  Kovac stellte fest, daß verschiedene Bestimmungen der Novelle undemokratisch und verfassungswidrig sind und die Meinungs-, Informations- und Versammlungsfreiheit in der Slowakei verletzen.  Laut Staatspräsident Kovac stehen die kritisierten Bestimmungen auch im Widerspruch mit den Artikeln 10 und 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention, die seit 1992 Teil des slowakischen Rechtsbestandes ist.

Auch seitens der Europäischen Union wurde Besorgnis geäußert, daß die betreffenden Änderungen im slowakischen Strafrecht die Meinungsfreiheit und andere demokratische Grundrechte verletzen.  Die Slowakei wurde aufgefordert, diese Bestimmungen sorgfältig zu prüfen, um Lösungen im Einklang mit demokratischen Prinzipien und auf eine Art und Weise zu finden, die kompatibel mit den Beschlüssen des EU-Gipfels in Kopenhagen und mit der von der Slowakei angestrebten EU-Mitgliedschaft sind.  Beim EU-Gipfel in Kopenhagen im Juni 1993 wurden die Grundbedingungen festgelegt, die für eine EU-Mitgliedschaft erfüllt werden müssen.  Den demokratischen Prinzipien und den Menschenrechten kommen hier besondere Bedeutung zu.

Die Slowakei war auch vom US-Außenministerium für die Mißachtung von Menschenrechten scharf kritisiert worden.  Im jährlich erstellten Länderbericht des State Departments für die Slowakei werden unterschiedliche Verstöße gegen die demokratischen Prinzipien und die Menschenrechte aufgelistet, so z. B. politisch motivierte Entlassungen aus dem Staatsdienst, Mißbrauch der Polizeigewalt, "Politisierung" der elektronischen Medien, Einschüchterung von Oppositionspolitikern, etc.

In Anbetracht dieser Umstände stellte Vizekanzler Außenminister Dr. Wolfgang Schüssel am 25. April 1996 anläßlich eines offiziellen Besuchs der Slowakei fest, daß wer der Union beitreten will, den gesamten Rechtsbestand der Europäischen Union und damit die höchsten Menschenrechtsstandards der Welt akzeptieren muß'.  Dementsprechend rief Dr. Schüssel die Slowakei auf, ihre Gesetzgebung möglichst rasch den EU-Standards anzupassen, um die Chancen für einen EU-Beitritt zu verbessern, da es bei der Osterweiterung der EU keine minimalistische Lösung und keinen Beitritt ä la carte geben werde.  Dementgegen äußerte Bundeskanzler Dr. Franz Vranitzky - während der österreichische Außenminister bereits seinen Staatsbesuch in Bratislava angetreten hatte - daß er, Vranitzky, dagegen sei, in der Nachbarschaftspolitik Druckmittel" zu verwenden.

Unmittelbar danach äußerte der dem Bundeskanzler nahestehende SPÖ-Klubobmann Dr. Peter Kostelka neuerlich Kritik an Österreichs Nachbarschaftspolitik.  Nachdem Bundeskanzler Dr. Vranitzky noch in den letzten Monaten der kommunistischen Herrschaft in der DDR intensiven Besuchsaustausch mit DDR-Regierungschef Hans Modrow pflegte und bei seinen Besuchen in den Ostblockstaaten Zusammentreffen mit der antikommunistischen Opposition mied, kritisiert nun SPÖ-Klubobmann Dr. Kostelka Österreichs Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland und bezeichnet die Politik des österreichischen Außenministers als zu deutschlandlastig".  So gebe es laut Kostelka viel häufiger Gespräche mit dem Bonner Kanzlerbüro als mit den kleinen EU-Ländern.  Der SPÖ­Klubobmann äußerte seine Kritik an einer Achse Wien-Bonn wenige Wochen vor einem offiziellen Besuch von Bundeskanzler Dr. Kohl in Österreich.

 

Die unterzeichneten Abgeordneten stellen daher an den Bundeskanzler nachstehende Anfrage:

 

1 .   Wie beurteilen Sie die Garantie der demokratischen Prinzipien und der Menschenrechte in der Slowakei?

 

2.    Sehen Sie eine Einschränkung der demokratischen Freiheit und der Menschenrechte durch die geplante Strafgesetz-Novelle?

 

3.    Betrachten Sie die Nennung von Verletzungen demokratischer Prinzipien und von Menschenrechten gegenüber anderen Regierungen als unzulässiges Druckmittel?

 

4.    Welche Position vertreten Sie gegenüber den internationalen Protesten gegen die geplante Strafgesetz-Novelle, die sowohl von christdemokratischen, konservativen wie auch sozialistischen Parteien geäußert wurden?

 

5.    Teilen Sie die Auffassung des Generalsekretärs der Europäischen Sozialisten (PSE), Jean-Francois Vallin, wonach "der gegenwärtige slowakische Regierungschef selbst ein Hindernis für den EU-Beitritt seines Landes" ist?

 

6.    Teilen Sie die Auffassung des Vorsitzenden der Partei der Demokratischen Linken der Slowakei (SDL), Peter Weiss, wonach die Strafgesetz-Novelle kein Gesetz zum Schutz

 

der Republik" sondern ein Gesetz zum Schutz derer ist, die sich seit neuem die slowakische Republik angeeignet haben"?

 

7.    Haben Sie bei Ihrem letzten Treffen mit Premierminister Vladimir Meciar am 1 0. April 1996 über die Wahrung der Menschenrechte und der demokratischen Prinzipien in der Slowakei gesprochen?

 

- Wenn ja, haben Sie bei dieser Gelegenheit Vorbehalte gegenüber der geplanten Strafgesetz-Novelle geäußert?

 

- Wenn ja, welche Kritikpunkte haben Sie angeführt?

 

8.    Weiche Aussagen bezüglich der Wahrung der Menschenrechte und der demokratischen Prinzipien machten Sie anläßlich Ihrer Rede bei der Verleihung des Ehrendoktorrates an der Wirtschaftsuniversität Bratislava?

 

9.       Wie beurteilen Sie die Feststellung von Präsident Michal Kovac, daß die geplante Strafgesetz-Novelle“ undemokratisch" und verfassungswidrig" ist?

 

10.     Stehen Sie zu den Schlußfolgerungen des Europäischen Rates in Kopenhagen vom Juni 1993, wonach Beitrittskandidaten "als Voraussetzung für die Mitgliedschaft eine institutionelle Stabilität als Garantie für Demokratie und rechtsstaatliche Ordnung, die Wahrung der Menschenrechte sowie die Achtung und den Schutz von Minderheiten verwirklicht haben' müssen?

 

          - Wenn ja, warum äußerten Sie zur diesbezüglichen Feststellung des österreichischen

Außenministers, daß Sie gegen Druckmittel" in der Nachbarschaftspolitik sind?

 

11.     Fördert es Ihrer Ansicht nach die österreichischen Interessen, wenn Sie Erklärungen des Außenministers während eines Auslandsbesuches über die Medien und ohne Kontaktnahme mit dem Regierungsmitglied entgegentreten und mit Ihren Äußerungen darüber hinaus auch die erwähnten Schlußfolgerungen des Europäischen Rates kritisieren?

 

          - Wenn nein, was wollten Sie mit Ihrer Äußerung vom 26.  April 1996 zu den

Feststellungen des österreichischen Außenministers bezwecken?

 

12.     Teilen Sie die Auffassung von SPO-Klubobmann Dr. Kostelka, daß die Beziehungen Österreichs zur Bundesrepublik Deutschland zu eng seien und man sogar von einer "Achse Wien-Bonn" sprechen könne?  Was werden Sie beim Besuch des von Ihnen eingeladenen deutschen Bundeskanzlers Kohl dagegen unternehmen?

 

13.     Werden Sie beim bevorstehenden offiziellen Besuch von Bundeskanzler Kohl in Österreich den Wunsch von SPÖ-Klubobmann Dr. Kostelka vortragen, sich von der Bundesrepublik Deutschland zu emanzipieren?