6179/J XX.GP

 

                                                               ANFRAGE

 

der Abgeordnete Mag. Johann Maier und Genossen

an den Bundesminister für Justiz

betreffend die Sicherung des Grundrechtes auf ein faires Verfahren in

Wiederaufnahmeprozessen und betreffend die Sicherung des Verfahrensgrundsatzes

der amtswegigen Wahrheitsforschung gemäß § 3 der Strafprozeßordnung in

Strafverfahren und kriminalpolizeilichen Ermittlungen

 

Am 10. Juni 1994 wurde P. Heidegger wegen Mordes an der Salzburger Taxilenkerin C.

Deubler zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt. Über 4 Jahre hat P. Heidegger nun bereits

abgesessen. Die Taxilenkerin C. Deubler. wurde in der Nacht vom 5. auf 6. Juni 1993 in

Salzburg erschossen. Ein Zeuge erkannte P. Heidegger als autostoppenden Präsenzdiener, der

in Gmunden verhaftet wurde. Obwohl dieser am 9. Juli 1993, einen Tag nach der Verhaftung

- aufgrund des Drucks ein Geständnis ablegte, beteuert er seit 5 Jahren nun seine Unschuld.

Zeugen und neue Indizien sprechen für den Verurteilten und für eine Wiederaufnahme seines

Verfahrens.

 

Nach § 3 der Strafprozeßordnung trifft alle mit kriminalpolizeilichen Ermittlungen befaßten

Erhebungsbeamten und die Organe der Staatsanwaltschaft die Verpflichtung zur materiellen

Wahrheitsforschung, wonach alle im Strafverfahren tätigen Behörden die zur Belastung und

zur Verteidigung des Beschuldigten dienenden Umstände mit gleicher Sorgfalt zu

berücksichtigen haben. Dies bedeutet, daß auch anläßlich von Ermittlungen durch die

Behörden, ohne Beisein eines Verteidigers oder einer Vertrauensperson - manchmal auch

unter nicht näher geklärten Umständen - herbeigeführte Geständnisse von Beschuldigten

inhaltlich auf ihre Richtigkeit genau zu überprüfen sind.

 

In letzter Zeit wurden in der Öffentlichkeit mehrere Strafverfahren bekannt, in denen es zur

Verurteilung zu langjährigen Freiheitsstrafen gekommen ist, bei denen die Tatumstände nur

unzureichend und der Sachverhalt nur mangelhaft aufgeklärt erschienen.

Beispielsweise im Mordfall Deubler wurden in Salzburg kriminaltechnisch mögliche

Überprüfungen eines mehrfach widerrufenen ,,Geständnisses“ nicht durchgeführt, der Tatort

mangelhaft nach Tatwerkzeugen abgesucht, Fingerabdrücke nicht gesichert, Beweismittel an

der Getöteten, nämlich Schmauchspuren, abgewaschen, Schußsachverständige nicht

beigezogen etc. Dies hat dazu geführt, daß erst über Nachforschungen des Verteidigers des

Verurteilten Peter Heidegger eine mögliche Tatwaffe Jahre nach dem Delikt in Tatortnähe

aufgefunden wurde!

 

Mittlerweile sollen weitere, die Unschuld des Verurteilten Peter Heidegger und die Schuld des

möglichen Täters Tomi Sch. Erhärtende Fakten vorliegen:

- Ein gerichtliches, ärztliches Sachverständigengutachten, nach dem der den wirklichen

  Täter belastende Zeuge sehr wohl zeugnisfähig und nicht generell unglaubwürdig sei;

- ein ehemaliger Mithäftling des Tomi Sch., der diesen glaubhaft der Täterschaft in Sachen

  Deubler beschuldigt;

- weiter mögliche Taten des Tomi Sch., der angeklagt ist auch im Jahre 1997 wiederum

  einen Raub begangen und zuletzt im Februar 1999 eine schwere Körperverletzung

  (Messerstich in das Gesicht eines Taxilenkers) verübt zu haben.

Trotz dieser vielen, den Verurteilten Peter Heidegger entlastenden Umstände hat die

Staatsanwaltschaft, die in gleicher Weise wie das Gericht zur amtswegigen

Wahrheitsforschung ist, bis heute einer Wiederaufnahme nicht zugestimmt, sondern die

Einholung eines neuerlichen Sachverständigengutachtens beantragt und dadurch wiederum

die Entscheidung über die Neuaufnahme des Verfahrens gegen Peter Heidegger und dessen

vorläufige Enthaftung verzögert.

Diese Umstände und die im Zuge des Wiederaufnahmeverfahrens von der Verteidigung

mehrfach festgestellte Voreingenommenheit und Einseitigkeit von befaßten Behörden zu

Lasten der Beschuldigten gibt Anlaß zu nachstehenden Fragen, insbesondere auch deshalb

weil Geschworene als Laienrichter zwar ihrem Gewissen verantwortlich, aber in tatsächlicher

Hinsicht den Rechtsbelehrungen der Berufsrichter und deren Prozeßleitung überantwortet

sind.

 

Die unterzeichneten Abgeordneten richten daher an den Bundesminister für Justiz

nachstehende Anfrage:

 

1. Wie viele Wiederaufnahmeverfahren wurden zwischen 1989 - 1998 beantragt?

 

2. In wie vielen Wiederaufnahmeverfahren zwischen 1989 - 1998 wurden ehemals

    Verurteilte freigesprochen? Woran sind abgelehnte Wiederaufnahmeverfahren

    gescheitert?

3. Welche Entschädigungen wurden in diesem Zeitraum - nach einem erfolgreichen

    Wiederaufnahmeverfahren - für freigesprochene Personen bezahlt? Wie wurden diese

    berechnet?

 

4. Ist nach Ihrer Ansicht mit den Verfahrensgrundsätzen der Strafprozeßordnung und der

    Menschenrechtskonvention vereinbar, daß in einem Wiederaufnahmeverfahren dieselben

    Gerichte, in der Regel die Gerichte der ersten Instanz, die zuvor das verurteilende

    Erkenntnis gefällt haben, darüber Recht zu sprechen haben, ob ihre unmittelbaren

    Kollegen desselben Gerichtsortes ein Fehlurteil gefällt haben?

 

5. Wie stehen Sie zu der Forderung, daß die Überprüfbarkeit der Entscheidung eines

    Geschworenengerichtes mit den Möglichkeiten anderer Verfahren gleichgestellt werden

    bzw. diese Überprüfbarkeit sogar erleichtert werden sollte (Erleichterung der

    Anfechtung)?

 

6. Halten Sie es mit rechtsstaatlichen Grundsätzen vereinbar, daß ein und derselbe

    Staatsanwalt, der sich besonders für die Verurteilung des ursprünglichen Verdächtigen

    eingesetzt hat, im Wiederaufnahmeverfahren einschreiten kann und dort auch als

    Staatsanwalt zur Aufklärung verpflichtet wäre, daß die von ihm in erster Instanz massiv

    vertretene Anklage ein „Justizirrtum“ war?

 

7. Bereits einmal zuständige Staatsanwälte sind kaum in der Lage, Wiederaufnahme -

    verfahren objektiv zu sehen und einzuschreiten. Wie stehen Sie dazu, daß statt des

    zuständigen Staatsanwaltes eine „Oberbehörde“ mit einem Wiederaufnahmeantrag befaßt

    werden sollte?

 

8. Welche Anweisungen, Anordnungen haben Sie ergriffen oder werden Sie in Hinkunft

    ergreifen, um solche Interessenkollisionen zu vermeiden und dafür Sorge zu tragen, daß

    nicht derjenige Staatsanwalt - der in gleicher Weise wie die übrigen Behörden auch

    verpflichtet ist, den Beschuldigten entlastende Umstände zu prüfen - mit der Vertretung in

    einer Causa befaßt wird, in der er sich quasi selbst eines Justizfehlers zu überführen hätte?

 

9. Besonders problematisch ist es, wenn im Strafverfahren Angehörige des/der

    Beschuldigten wegen angeblicher „falscher Zeugenaussage“ von der Staatsanwaltschaft

verfolgt werden, weil die Geschworenen ihren Aussagen nicht geglaubt haben und der

Staatsanwalt auf Grund dessen ein entsprechendes Strafverfahren beantragt.

Wäre es für derartige Fälle sinnvoll in der StPO, eine ,,Strafbefreiungsklausel“

vorzusehen?