6309/J XX.GP
der Abgeordneten Kier, Partnerinnen und Partner
an den Bundesminister für Inneres
betreffend neue Erkenntnisse im Zusammenhang mit dem Tod des Nigerianers
Marcus Omofuma und Versäumnissen des Bundesministeriums für Inneres
Seit Behandlung der Dringlichen Anfrage und der Ablehnung eines Antrages auf
Einsetzung eines Untersuchungsausschusses in der Causa Omofuma in der
Sondersitzung des Nationalrates am 10. Mai 1999 wurden der Öffentlichkeit Fakten
zur Kenntnis gebracht, die einer weiteren Aufklärung bedürfen.
a) Ex - Innenminister Caspar Einem behauptete in der „Zeit im Bild“ am 11. Mai sowie
in NEWS (Nr. 19/1999), daß drei Sektionschefs im Innenministerium, Manfred
Matzka, Wolf Szymanski und Michael Sika von dem Bericht des „Europäischen
Komitees zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender
Behandlung“ (CPT) an die österreichische Regierung über dessen
Österreichbesuch, in dem Mißstände bei den Polizeibehörden bis hin zu
Folterungen und anderen Formen von Mißhandlungen gegenüber Häftlingen
aufgezeigt werden, gewußt hätten. In diesem Bericht heißt es unter Punkt 29, daß
der Delegation „Angaben über Mißhandlungen durch die Polizei bei der
Eskortierung von Ausländern zu Flugzeugen im Jahre 1993 (Klebebänder im
Gesicht und auf den Armen, Schläge) zur Kenntnis gebracht wurden.“ Die
betroffenen Sektionschefs haben auf diese Vorwürfe nie mit Weisungen oder
anderen zielführenden dienstlichen Maßnahmen reagiert und jedenfalls keine
wirkungsvollen Konsequenzen gezogen. Dies trifft allerdings auch auf den
Amtsvorgänger des heutigen Bundesministers für Inneres zu; der durchaus
zugibt, diesen Bericht gelesen, sich aber bezüglich notwendiger Konsequenzen
auf andere verlassen zu haben. Auch in der Antwort der Bundesregierung zum
CPT - Bericht wird auf die Klebebänder - Vorwürfe in keiner Weise eingegangen.
b) Seit 14. Mai 1999 liegt ein vorläufiger Obduktionsbericht über die Todesursache
des Nigerianer Marcus Omofuma vor. In diesem werden die schlimmsten
Vorwürfe über den Hergang der Ereignisse während des Fluges nach Sofia
bestätigt (vgl. FORMAT, 20/99, S. 27ff). Laut diesem Bericht
• starb Omofuma während des Fluges
• war nicht nur sein Mund, sondern waren höchstwahrscheinlich auch
überlebensnotwendige Teile seiner Nase verklebt
• ist er so straff an seinen Sitz gefesselt worden, daß sein Brustkorb und sein
Atemhubvolumen drastisch reduziert wurde, was den Tod mitverursacht haben
könnte
• ist der Tod durch Ersticken einwandfrei nachgewiesen
• gibt es keine Hinweise darauf, daß er an einer Atemwegserkrankung litt.
Die durch den Bericht bestätigten Foltermaßnahmen gegenüber dem
Abzuschiebenden fanden vor Dutzenden Zeugen, nämlich zumindest den anderen
Passagieren und dem Flugpersonal statt. Es ist
denkunmöglich, daß die Beamten
diese Handlungen in aller Öffentlichkeit gesetzt hätten, wenn sie sich nicht der
Billigung und/oder der Deckung durch ihre Vorgesetzten sicher waren.
c) Am 17. Mai entschied eine Disziplinarkommission im Bundesministerium für
Inneres, daß die drei Beamten, welche Omofuma „begleitet“ haben, nicht vom
Dienst suspendiert werden, obwohl im Beamten - Dienstrechtsgesetz ausgeführt
wird, daß eine vorläufige Suspendierung zu verfügen ist, wenn „durch die
Belassung des Beamten im Dienst wegen der Art der ihm zur Last gelegten
Dienstpflichtverletzungen das Ansehen des Amtes oder wesentliche Interessen
des Dienstes gefährdet“ werden (§ 112 Abs. 1 BDG). Offenbar war die
Disziplinarkommission also der Auffassung, daß durch die Vorgangsweise der
Beamten das Ansehen des Amtes nicht geschädigt wurde, obwohl Art. 3 der
Europäischen Menschenrechtskonvention (Folterverbot) verletzt wurde!
Innenminister Schlögl zeigte sich zwar über die Vorgangsweise der
Disziplinarkommission „äußerst unzufrieden“, mußte aber bestätigen, daß die drei
nun bei vollen Bezügen, da er vorläufig auf ihren Dienst „verzichten“ werde (APA
292,18.5.1999).
In diesem Zusammenhang stellen die unterzeichneten Abgeordneten folgende
ANFRAGE
an den Bundesminister für Inneres:
1. Welche im CPT - Bericht von 1995 eingeforderten Maßnahmen gegen Folter und
andere Formen der Mißhandlung wurden bisher umgesetzt?
2. In welcher Form wurde ein aus unabhängigen Personen bestehendes Gremium
eingesetzt, das befugt ist, Untersuchungen über von Polizeibeamten bei der
Festnahme und Einvernahme von Verdächtigen angewandten Methoden
durchzuführen?
3. Welche Ergebnisse hat dieses Gremium erbracht?
4. In welcher Form wurde die Empfehlung umgesetzt, daß den Vorgesetzten von
Exekutivbeamten eine wesentliche Rolle bei der Verhinderung von
Mißhandlungen zukommt, indem sie darüber wachen, daß ihre Untergebenen bei
der Erfüllung ihrer Aufgabe die Gesetze einhalten und unmißverständlich darauf
hinweisen, daß Mißhandlungen von Personen, denen die Freiheit entzogen
wurde, nicht tolerierbar sind?
5. Aus welchem Grund hat diese Überwachung im Fall Omofuma nicht funktioniert?
6. Stimmt die Annahme, daß die Beamten, die Omofuma fesselten und ihm den
Mund zuklebten, davon ausgingen, daß diese Vorgangsweise von ihren
Vorgesetzten gedeckt wird? Wenn nein, wie erklären Sie sich dann, daß sie
trotzdem so vorgingen, obwohl in dem Flugzeug Dutzende Zeugen anwesend
waren?
7. Aus welchem Grund wurde der Empfehlung im CPT - Bericht nicht Folge geleistet,
daß "einer intensiven Unterweisung in den Menschenrechten" hohe Priorität
eingeräumt werden soll?
8. Aus welchem Grund wurden bisher keine Konsequenzen aus den Feststellungen
des OPI gezogen, daß bei der Eskortierung von Ausländern in Flugzeugen (meist
bei Abschiebungen) laut Berichten Klebebänder im Gesicht verwendet wurden?
9. Aus welchem Grund ging das Bundesministerium für Inneres in seiner
Stellungnahme zu diesem Bericht auf diesen konkreten Vorwurf nicht ein?
10. Welche bereits abgeschlossenen oder eingeleiteten und noch anhängigen
Maßnahmen wurden seitens Ihres Amtsvorgängers getroffen, um diesen
gravierenden Mißstand abzustellen?
11. Welche Maßnahmen wurden seitens Ihres Vorgängers getroffen, um die übrigen
im OPI - Bericht beschriebenen Mißstände, insbesondere betreffend Folterungen
und andere Mißhandlungen, abzustellen?
12. Welche Initiativen (Weisungen etc.) hätten die genannten drei Sektionschefs
ergreifen müssen, um sicherzustellen, daß sich alle Beamten in Ausübung ihres
Dienstes an die Gesetze halten?
13. Einer der gravierendsten Vorwürfe in dem CPI - Bericht ist weiters, daß
festgenommene Personen während der Anhaltung durch die Polizei keinen
Zugang zu einem Anwalt besitzen, wenn sie einer gerichtlich strafbaren Handlung
verdächtigt werden. Weshalb wurde die Empfehlung des OPI, unverzüglich
Maßnahmen zu ergreifen, daß jede festgenommenen Person ab dem Beginn
ihrer Anhaltung das Recht auf Zugang zu einem Anwalt hat und von diesem
besucht werden darf (wichtig auch für Schubhäftlinge)?
14. In welcher Form wurden die Empfehlungen des OPI betreffend einer
Verbesserung der katastrophalen Zustände in den Polizeigefangenenhäusern
umgesetzt?
15. Welche Schlußfolgerungen ziehen Sie aus den oben beschriebenen Auszügen
aus dem Obduktionsbericht zur Todesursache von Marcus Omofuma?
16. Wurde seitens des Bundesministeriums für Inneres oder einen anderen
Dienststelle, etwa des BMfaA dahingehend interveniert, daß die drei
mutmaßlichen Täter kurzfristig nach Osterreich ausreisen durften und nicht etwa
ausgeliefert wurden?
17. Sind die in dem Bericht von FORMAT aufgezeigten Vorwürfe, vor allem
betreffend der brutalen Fesselung und der teilweise verklebten Nase von
Omofuma aus Ihrer Sicht zutreffend?
18. Wenn ja, welche Konsequenzen ziehen Sie
daraus?
19. Sind Sie der Auffassung, daß die Vorerhebungen in diesem Fall auf „fahrlässige
Tötung“ oder sogar „Mord“ ausgedehnt werden sollen?
20. Wie bewerten Sie die Tatsache, daß entgegen den Behauptungen des BMI
Marcus Omofuma laut den in FORMAT veröffentlichten Informationen
(Stellungnahme des bulgarischen Gerichtsmediziners, mehrmalige Besuche beim
Arzt) keineswegs an Bronchitis litt?
21. „Die Vorgangsweise (das Knebeln, Anm. d. Verf.) wurde in letzter Zeit immer
wieder erfolgreich angewendet. Es steht außer Zweifel, daß die
Zwangsmaßnahmen auch im Innenministerium bekannt und gebilligt waren“,
stellte der Chef der Freiheitlichen Gewerkschafter, Josef Kleindienst, fest
(STANDARD, 5.5.1999). Spricht er die Unwahrheit, da man sonst davon
ausgehen müßte, daß Sie über die Verklebungen des Mundes schon länger
informiert waren?
22. Am 1. Oktober 1998 berichtete SOS Mitmensch in einer Pressekonferenz mit
dem Titel „Dramatische Abschiebungen in Österreich - Handlungsbedarf für
Minister Schlögl“ über eine skandalöse Abschiebung des Ghanaischen
Staatsbürgers Adu P. Dabei wurde von Zeugen berichtet, daß der Betroffene
mittels Medikamenten „beruhigt“ wurde und daß sein Mund mit Leukoplast
verklebt wurde, obwohl die Lippe durch einen Schlag bereits geblutet habe. Sind
Sie diesen Vorwürfen damals nachgegangen? Wenn ja, mit welchem Ergebnis?
Wenn nein, warum nicht?
23. Aus welchem Grund haben Sie nicht schon damals Maßnahmen gegen die
offenbar regelmäßig angewendete Praktik der Verklebungen des Mundes bei
Abzuschiebenden ergriffen?
24. Welche weiteren Fälle von Verklebungen des Mundes bei Abschiebungen sind
Ihnen mittlerweile bekannt?
25. Sind Ihnen Fälle von gewaltsamer Verabreichung von Beruhigungsmitteln im
Zuge von Abschiebungen bekannt? Wenn ja, welche Konsequenzen werden
daraus gezogen?
26. Ist Ihnen die 1998 erschienene kanadische Studie bekannt (STANDARD,
11 .5.99),wonach es einen Zusammenhang zwischen dem Tod von
Festgenommenen und der Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit (Fesselung)
gibt? Wenn ja, welche Schlüsse ziehen Sie daraus?
27. Aus welchem Grund wurden offenbar bis heute nicht aus dem 16. Bericht der
Volksanwaltschaft an das Parlament Konsequenzen gezogen, in dem darauf
hingewiesen wird, daß sich die Disziplinarkommissionen des Innenministeriums
sehr nachsichtig zeigten, was die Verhängung von Strafen anlangt, insbesondere
bei Verhalten, das einen schweren Verstoß gegen die Grundrechte einer Person
darstellt, wie vom CPT aufgezeigt?
28. Sind Sie der Auffassung, daß die drei Beamten, die die Abschiebung von
Omofuma durchführen sollten, nach den Bestimmungen des BDG zu
suspendieren
sind?
29. Aus welchem Grund hat der Wiener Polizeipräsident Stiedl nicht sofort nach dem
Vorfall eine Suspendierung der drei Beamten gemäß § 112 BDG ausgesprochen?
30. "So leicht bekommen wir die Beamten mit unserem strengen Disziplinarrecht nicht
weg" Die Beamten können zwar suspendiert werden, ,,..doch das gibt nur Ärger
mit der Personalvertretung (Falter Nr. 14/ 99). Wie stehen Sie zu dieser Aussage
von GI Franz Schnabl?
31. Sind Sie der Ansicht, daß die Bestimmungen des geltenden Disziplinarrechts für
Bundesbedienstete bei Verstößen gegen die Dienstpflicht ausreichend ist?
32. Wie viele Beamte Ihres Ressorts wurden in den Jahren 1997,1998 und 1999
suspendiert und wegen welcher Verdachtsmomente?
33. In wie vielen Fällen in den Jahren 1997,1998 und 1999 wurde von Ihnen
Nachtragsanzeige erstattet?
34. Auf welcher gesetzlichen Grundlage bzw. Bestimmung des BDG haben Sie die
involvierten Beamten dienstfreigestellt?
35. Welche Reformen des Beamten - Disziplinarrechts sind aus Ihrer Sicht erforderlich,
damit im Falle von Verletzungen der Grund- und Menschenrechte gegenüber
festgenommenen Personen die betroffenen Beamten suspendiert werden
können?
36. Stimmen Sie dem Vorwurf - auch des CPT - zu, daß im Falle der Verletzung von
Grund - und Menschenrechten viel seltener eine Suspendierung ausgesprochen
wird als bei Bagatelldelikten?
37. Welche Konsequenzen hat der Fall Omofuma für künftige Abschiebungen, wenn
die abzuschiebenden Personen Widerstand leisten?