745/J

ANFRAGE

 

der Abgeordneten Anschober, Freundinnen und Freunde

an den Bundesminister für Wissenschaft, Verkehr und Kunst

betreffend Abschluß eines Assoziationsvertrages mit Euratom im Bereich der reaktorrelevanten Kernfusionsforschung

 

Seit Jahren existiert in Österreich eine Diskussion über die Sinnhaftigkeit der Forschung im Bereich der Kernfusion bzw. deren Intensivierung.  Nicht zuletzt durch den Beitritt Österreichs zur EU und der damit verbundenen Mitgliedschaft in der Europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM), entwickelte sich eine politische und wissenschaftliche Diskussion zu diesem Themenbereich, die nunmehr in der anstehenden Entscheidung über den Abschluß eines Assoziationsvertrages zwischen Österreich und der EU im Bereich der Kernfusionsforschung gipfelt.

 

Immerhin belaufen sich die Ausgaben der EU im Bereich der Kernfusionsforschung auf 840 Millionen ECU im laufenden vierjährigen Rahmenprogramm Energieforschung (gesamt: 2,25 Mrd.), wobei der österreichische Beitrag bei etwa 80 Millionen öS jährlich liegt.  Durch den Abschluß dieses Assoziationsvertrages würde das Forschungsvolumen -unabhängig vom Beitrag zum Rahmenprogramm- in Österreich von bisher angegebenen rund 10 Mio öS/Jahr auf 364 Mio öS für 3 Jahre anwachsen und eine Beschäftigung von 50 zusätzlichen bzw. je nach Angaben 80 gesamt Beschäftigten ausmachen.  Kostenrückflüsse aus der EU für einzelne Projekte im Rahmen des Assoziationsvertrages würden größtenteils lediglich um die 25 % ausmachen, woraus sich ein jährliches Finanzvolumen in Österreich zusätzlich zum Rahmenprogramm-Beitrag von etwa 90 Mio öS jährlich errechnen läßt.

 

Allfällige von Österreich eingereichte Projekte wären wie das gesamte Fusionprogramm der EU nach Angaben des Vertreters der zuständigen Generaldirektion dahingehend zielorientiert, langfristig einen Kernfusionsreaktor zu errichten.  Nach den Vorläuferprojekten JET und NET soll dies der international projektierte und finanzierte, mit etwa 100 Milliarden öS budgetierte Reaktor ITER sein, mit dem in etwa 15 Jahren erstmals zumindest kurzfristig versuchsweise der Fusionsprozeß unter realen Bedingungen funktionieren solle, um in weiterer Folge mittels DEMO etwa im Jahr 2040 erstmals elektrische Energie zu erzeugen.

 

Die Fusionsforschung ist geprägt von vielen grundsätzlichen physikalischen,

technischen, Werkstoff- wie strahlenspezifischen, finanziellen und Akzeptanzproblemen.  Selbst Befürworter der Fusionstechnologie können derzeit keine seriöse Einschätzung treffen, ob und wann es jemals möglich sein wird, all diese Probleme zu lösen, ob tatsächlich jemals netto, wirtschaftlich und umweltverträglicher als mittels Kernspaltung

 

Energie gewonnen werden wird können, ob die großen, zentralen Einheiten, die Fusionsreaktoren bedeuten würden, einer zukunftsorientierten dezentralen Energiepolitk entsprechen würden.

 

Diese Problemstellungen legen den Schluß nahe, daß eine alternative Energieforschung in den Bereichen Erzeugung und Effizienzsteigerung prioritär behandelt werden müßte, da die Kernusion nicht imstande ist, weder kurz- noch mittelfristig dringend notwendige Lösungsansätze etwa im Bereich der CO2-Problematik zu bieten, wenngleich einer parallelen Weiterführung einer kritischen österreichischen Fusionsforschung, etwa im bisherigen Ausmaß, durchaus eine Berechtigung auch im internationalen Kontext zuzuerkennen wäre.  Diese Rolle, von Österreich im Bereich der Kernspaltung teilweise praktiziert, hätte seine Begründung auch in der atomkritischen Positionierung der österreichischen Bevölkerung und den Aussagen der Bundesregierung im Zusammenhang mit der Debatte über den österreichischen EU-Beitritt.

 

Die Entscheidung über den Abschluß des Assoziationsvertrages ist nicht nur eine wissenschaftliche und emotionale - immerhin entstände auch durch den Betrieb von Fusionsreaktoren radioaktiver Müll durch Neutroneninduktion und würde mit Tritium hantiert - sondern nicht zuletzt eine politische.  Hierbei ist doch anzumerken, daß eine Reihe von Aussagen des Bundeskanzlers aber auch der Bundesregierung, vor allem aus der Zeit vor der EU-Volksabstimmung sehr eindeutig zum Inhalt hatten oder suggerierten, Österreich werde als Mitgliedsstaat nichtnukleare Aktivitäten fördern und umsetzen.

 

Im Rahmen des Fusions-Hearings am 5. Oktober 1995 wurde quasi im Konsens festgehalten, der Abschluß eines Assoziationsvertrages stünde nicht im Widerspruch zum österreichischen "Atomsperrgesetz".  Dazu ist allerdings anzumerken, daß dies nur deswegen nicht der Fall ist, da sich dieses Gesetz auf den Betrieb von Kernspaltreaktoren, nicht aber auf Kernfusionsreaktoren -wie etwa ITER- bezieht.

 

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

 

 

ANFRAGE:

 

 

1 .   Aufgrund der weitreichenden Bedeutung der Frage des Einstiegs Österreichs in die umstrittene EU-Kernfusionsforschung wurde am 5. Oktober 1995 im BMWFK ein" Hearing durchgeführt.  Dabei wurden eine Reihe von relevanten Fragen im Bereich der Forschungspolitik, der Finanzierung, der Rechts- bzw.  Organisationssituation, der Kostenentwicklung sowie fachlich-wissenschaftlicher Natur erörtert.  Nach allgemeiner Einschätzung gab es nur in wenigen Punkten einheitliche Meinungen unter den Anwesenden.  Gerade aus politischer Sicht scheint Bedarf für eine weiterführende öffentliche Diskussion gegeben.  Zuletzt verdichteten sich jedoch Informationen, wonach der Abschluß des Vertrages unmittelbar bevorstehe.  Wann wird darüber entschieden, ob es zum Abschluß eines Assoziationsvertrages Österreichs mit der EU zwecks Beteiligung am Euratom- Fusionsforschungsprogramm kommt?

 

2.    Für welche Laufzeit würde dieser Assoziationsvertrag abgeschlossen, bzw. wie würde eine Entscheidungsfindung über eine eventuelle Fortführung des Vertrages für das Folgerahmenprogramm ablaufen?

 

3.    Immer wieder wird in der Öffentlichkeit behauptet, der Abschluß des Assoziationsvertrages sei schon deshalb erforderlich, da nur damit Rückflüsse des österreichischen Fixbeitrages in Höhe von rund 80 Mio öS jährlich aus dem Rahmenprogramm Kernfusionsforschung der EU (840 MECU) ermöglicht würden.  Ist es nicht vielmehr korrekt zu behaupten, dieser Fixbeitrag sei grundsätzlich und ohne Rückflußoption zu leisten, und nur im Falle eines Assoziationsvertrags­Abschlusses könnten Rückflüsse aus der EU zu 25 - 45 % lukriert werden, soferne zuvor die restlichen 55 - 75 % in Form von Projekten seitens Österreich zusätzlich zum Fixbeitrag bereitgestellt würden?

 

4.    Aus den Beilagen bzw. dem Protokoll des Hearings vom 5. Oktober 1995 geht hervor, daß ein derartiger Assoziationsvertrag zukünftig eine österreichische Kernfusionsforschung mit einem Kostenvolumen von 364 Millionen öS in 3 Jahren (excl. 25,3 % EU-Rückfluß), mit durchschnittlich 80 Beschäftigten pro Jahr, bzw. zumindest 50 zusätzlich Beschäftigten im Bereich Kernfusion bedeuten würde.  Käme dies, gemessen am bisherigen Forschungsvolumen von rund 5 - 10 Millionen öS pro Jahr einer deutlichen Intensivierung der Kernfusionsforschung in Österreich gleich?

 

5.    Wie ist es möglich, daß ein österreichischer Nettoanteil an Fusionsprojekten im Rahmen eines Assoziationsvertrages im Ausmaß von rund 90 Millionen öS pro Jahr im Vergleich zu den bisher knapp zweistelligen Millionenbeträgen keinen zusätzlichen öffentlichen Finanzierungsaufwand bedeuten würde, wie dies im Rahmen des Hearings behauptet wurde?

 

6.    Wie würden nach Abschluß eines Assoziationsvertrages mit der EU im Bereich Kernfusionsforschung die 80 bzw. 50 zusätzlich Beschäftigten finanziert werden?  In welchen anderen Forschungsbereichen würden damit personelle Kapazitäten in welchem Umfang abgezogen werden müssen?

 

7.    In welchem Ausmaß würden durch den Abschluß eines Assoziationsvertrages und der Folgedurchführung von österreichischen Kernfusions-Forschungsprojekten Zusatzkosten entstehen, die nicht direkt projektspezifisch anrechenbar wären (also in den 364 Mio öS nicht enthalten sind), etwa im Bericht der Verwaltung oder der Errichtung diverser Anlagen, und in welchem Ausmaß wäre hier eine EU­Beteiligung vorgesehen?

 

8.       In einem Brief des Herrn Bundeskanzlers vom 21.  Juni 1994 an Anti-Atom­International ist unter Beantwortung der Frage 4 auf den Seiten 3 ff. zu lesen, daß es alleine Sache Österreichs sei, über eine Teilnahme an diesen EU- Nulklearforschungsprogrammen zu entscheiden. Österreich stehe es frei, in bestimmten Programmen aktiver zu sein - etwa im Bereich effiziente Energienutzung oder erneuerbare Energieträger - bzw. in anderen Bereichen wie der Nuklearenergie grundsätzlich nicht mitzuarbeiten, womit eine sehr eindeutig ablehnende Haltung suggeriert wird.  Stünde der Abschluß des Assoziationsvertrages im Widerspruch zu dieser Position?

 

9.       Stünde ein allfälliger Abschluß eines derartigen Assoziationsvertrages in politischem Widerspruch zur Aussage des Herrn Bundeskanzlers, der anläßlich der Beantwortung der Grünen Dringlichen parlamentarischen Anfrage im April 1993, Frage 19, bezüglich der österreichischen Beteiligung an der EU-Fusionsforschung den damaligen Wissenschaftsminister zitierend sagte, es könne nicht nachvollzogen werden, daß in für die Errichtung von Fusionsreaktoren relevanten Bereichen geforscht werden solle?

 

10.     Würde ein Kernfusions-Assoziationsvertrag im geplanten Umfang einen politischen Widerspruch zum Positionspapier der österreichischen Bundesregierung zu EURATOM, das vor dem Beitritt Österreichs herausgegeben wurde darstellen, in dem es auf Seite 8 ff. unter Punkt 9. Nuklearforschung heißt, daß die Finanzierung des Fusions-Rahmenprogrammes zwar mitzutragen sei, aber Österreich bemüht sein werde, im Rahmen der gemeinschaftlichen wie nationalen Forschungspolitik insbesondere den Bereich der effizienten Energienutzung und der erneuerbaren Energieträger zu forcieren?

 

11.  Im EU-Weißbuch der Bundesregierung aus 1994 werden auf den Seiten 81 ff. unter Punkt IV. 1. die Entwicklungen in der Forschungs- und Technologiepolitik dargestellt.  Unter 1.5.2. werden die thematischen Schwerpunkte angeführt, in denen Österreich besonderes Interesse an einer engen Abstimmung mit der EU hat, dabei werden konkret 9 Technologiebereiche (Erneuerbare Energien, Informationstechnologie etc.), nicht aber die Kernfusion angeführt.  Wie wäre also eine enge Kooperation im Bereich der Fusionstechnologie, wie dies aus dem Assoziationsvertrag zweifellos resultieren würde, erklärbar und vor allem mit den von der Bundesregierung genannten Schwerpunkten aus 1994 vereinbar?

 

12.     In Beantwortung der schriftlichen parlamentarischen Anfrage 1530/J, XVM.  GP, der Grünen, fährt der Herr Bundeskanzler zu Frage 6 aus, daß im Bereich der Kernfusion in Österreich nur jenes Know-how aufgebaut werde, das für Österreich unbedingt erforderlich sei.  Würde der Abschluß des Assoziationsvertrages Österreichs mit der EU im Bereich Kernfusionsforschung bei einem Volumen von 364 Millionen öS und 80 Beschäftigten tatsächlich noch im Bereich des für Österreich unbedingt erforderlichen liegen?

 

13.     Im Protokoll der 117.  Nationalratssitzung, XVHI.  GP, Seite 2101, ist die Aussage Ihres Vorgängers, BM Busek nachzulesen, wonach eine Teilnahme an Kemfusionsreaktoren von den Voraussetzungen in Österreich her nicht nur politisch, sondern auch grundsätzlich nicht in Frage komme, außer in einem marginalen Bereich der Forschung.  Nun ist die Fusionsforschung der EU aufgrund der wenig ausgereiften Technologie teils noch im Stadium der Grundlagenforschung, jedoch von der Zielsetzung -der Errichtung eines Fusionsreaktors- her eindeutig reaktorrelevant.  Wie würden Sie eine von Ihrem Vorgänger abweichende Position in dieser Frage, die Grundlage für die Unterzeichnung eines Assoziationsvertrages sein dürfte, begründen?

 

14.     Nach Aussagen der zuständigen EU-Vertreter ist die EU-Fusionsforschung dahingehend zielorientiert, langfristig den sogenannten "ITER"-Fusionreaktor zu errichten.  Nun gab es Ende 1995 verstärkt Zweifel einzelner Mitgliedsstaaten an diesem Projekt, bzw. den Vorschlag, diese Pläne grundsätzlich auf die Sinnhaftigkeit zu überprüfen, was den deutschen Forschungsminister Rüttgers zur Frage veranlaßte, ob das Projekt nun sterben würde.  Sehen Sie die Schwierigkeiten innerhalb der EU über die Fortführung des ITER-Projektes als mit der Sinnhaftigkeit der österreichischen reaktororientierten Fusionsforschung im Rahmen des Assoziationsvertrages in Verbindung stehend, bzw. wäre der Abschluß eines derartigen Vertrages Oberhaupt empfehlenswert, wenn das Zielprojekt zumindest nicht definitiv realisierbar erscheint?

 

15.     Im Zusammenhang mit dem möglichen Kernfusions-Assoziationsvertrag wird immer wieder argumentiert, ein Nicht-Abschluß sei ein Angriff auf die Freiheit der Wissenschaft in Österreich.  Könnte nicht die Beibehaltung des bisherigen österreichischen Kernfusions-Forschungsvolumens als die größere wissenschaftliche Freiheit angesehen werden, da in diesem Fall weder finanzielle, noch personelle Ressourcen als auch die generelle Projektorientierung nicht in dem Ausmaß eine Bindung und Unflexibilität darstellen würden, wie dies durch Abschluß des Vertrages die Folge wäre?

 

16.     Wann wird darüber entschieden, ob zusätzliche Verträge im Kernfusionsbereich mit der EU, etwa für JET, NET oder ITER abgeschlossen werden?

 

17.     Welche über die aus der Mitgliedschaft erwachsenden Kosten für das 4. Rahmenprogramm und die aus dem Assoziationsvertrag potentiell entstehenden Kosten würde der Abschluß jedes dieser Zusatzverträge an direkten und indirekten Kosten pro Jahr zur Folge haben?