715/AE XXI.GP

Eingelangt am: 13.06.2002

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

der Abgeordneten Mag. Terezija Stoisits, Freundinnen und Freunde
betreffend Reform der Verfahrenshilfe im Strafprozess

Im Zuge der Gesamtreform des strafprozessualen Vorverfahrens soll die
„Pflichtverteidigung" gem. § 42 Abs. 2 StPO abgeschafft werden. Die
Regierungsvorlage zum Strafprozessreformgesetz (1165 d.B. XXI. GP) sieht vor, die
„Pflichtverteidigung" in die „Verfahrenshilfeverteidigung" zu integrieren. Das
Justizministerium begründet diesen Schritt im wesentlichen damit, „weil es (Institut
der Pflichtverteidigung) sich im System der Verfahrenshilfe als Fremdkörper
erwiesen und in der Praxis den Nachteil mit sich gebracht hat, dass in vielen Fällen
ein Verteidigerwechsel stattfinden muss, weil manche Rechtsanwaltskammern aus
administrativen Gründen nicht in der Lage sind, dieselbe Person als 'Pflicht-' und als
'Verfahrenshilfeverteidiger' zu bestellen. Auch der angestrebte Zweck des Instituts,
junge, engagierte Rechtsanwälte vermehrt für Vertretungen in Strafsachen zu
gewinnen, wurde in nennenswertem Ausmaß nicht erreicht".

Im derzeitigen System der Pflichtverteidigung konnte sich tatsächlich keine
Spezialisierung insbesondere junger Anwältinnen herausbilden. So teilten sich im
Jahr 1993 170 Anwältinnen noch 2200 Haftverhandlungstermine, 1997 hingegen
wurden die - nur mehr -1750 Haftprüfungen von bereits 330 Verteidigerinnen
bestritten und verschlechterte sich diese Relation im Jahr 2000 auf ca. 450
Anwältinnen für nur mehr 1664 Bestellungen. Diese Zahlen zeigen deutlich, dass
sich aufgrund des freien Zugangs zur Pflichtverteidigung die angestrebte
Spezialisierung nicht herausbilden konnte.

Die geplante Integration der Pflichtverteidigung in die Verfahrenshilfe kann
durchaus den positiven Effekt haben, dass ein Verteidigerwechsel nicht mehr
notwendig ist, das geschaffene Vertrauensverhältnis zwischen Anwältin und
Mandantin bestehen bleiben kann und das vorhandene Aktenwissen nicht verloren
geht.

Leider nutzt die Regierungsvorlage die Reform nicht zu einer umfassenderen
Neugestaltung der Verfahrenshilfe. Nach der geltenden StPO wählen Beschuldigte,
die es sich leisten können, selbst einen (Wahl-)Verteidiger. Beschuldigten, die sich
einen Verteidiger nicht leisten können, bewilligt das Gericht die Verfahrenshilfe. Sie
erhalten einen Verteidiger, den sie nicht bezahlen müssen. Diesen Verteidiger wählt
die Rechtsanwaltskammer aus. Wünsche nach einem bestimmten Verteidiger


äußern Beschuldigte in der Regel nicht, solche Wünsche könnten, wenn sie häufiger
wären, nach dem geltenden Kollektiventlohnungssystem auch gar nicht
berücksichtigt werden.

Der Verfahrenshilfeanwalt legt der Rechtsanwaltskammer eine Honorarnote,
bekommt aber kein Geld direkt ausbezahlt. Der Bund gilt die Leistungen der
Rechtsanwältlnnen als Verfahrenshelferinnen jährlich durch einen Pauschbetrag ab,
den die Rechtsanwaltskammern für Pensionszahlungen verwenden, wodurch
Rechtsanwältlnnen geringere Pensionsbeiträge bezahlen müssen. In diesem
Kollektiventlohnungssystem bestehen aber zu geringe direkte Leistungsanreize, was
in der Praxis zu nicht unerheblichen Problemen führt.

Da die meisten Beschuldigten Verfahrenshilfe haben, zahlende Beschuldigte
relativ selten sind, haben Rechtsanwältlnnen an Strafsachen in der Regel geringes
Interesse. Es gibt in Strafsachen wenig zu verdienen, Aneignung und Pflege
strafrechtlicher und strafprozessualer Kenntnisse verursachen aber einen
beträchtlichen Aufwand und erfordern eine kontinuierliche Verteidigungspraxis.

Viele Kanzleien übernehmen deshalb keine Strafverteidigungen, erledigen
aber die Verfahrenshilfeverteidigungen, weil sie ansonsten den substutuierenden
Anwalt selbst bezahlen müssten. Aus Kostengründen bleiben die
Verfahrenshilfeverteidigungen dann regelmäßig den jüngsten und unerfahrensten
Konzipientlnnen überlassen.

Nur wenige Anwältinnen spezialisieren sich auf Strafverfahren und legen
entsprechenden Wert darauf, als Strafverteidigerinnen einen guten Namen zu
haben. Die durchschnittliche Verteidigung besteht oft in nicht viel mehr als in der
Bitte um eine milde Strafe. Das hat negative Auswirkungen auf das ganze System:
Viel zu wenige Verteidigerinnen bestehen auf einer gewissenhaften Einhaltung der
StPO.

Die RV übernimmt das geltende System. Das ist bedauerlich. Auch
Beschuldigte, denen Verfahrenshilfe gewährt wurde, sollten sich selbst einen
Verteidiger wählen können. Dieser Verteidiger sollte vom Bund direkt entlohnt
werden, wie es sich in anderen europäischen Ländern - insbesondere in
Deutschland und vor allem in England - in der Praxis bewährt hat.

Eine solche Einzelentlohnung empfiehlt sich auch aus grundsätzlichen
psychologischen Überlegungen: Sowohl der Verteidiger als auch der Beschuldigte
haben im geltenden System das Gefühl, dass „umsonst gearbeitet wird". Der freie
Beruf der Rechtsanwältlnnen basiert grundsätzlich auf dem Prinzip der
Einzelentlohnung. Es ist auf Dauer nicht einzusehen, warum die Verfahrenshilfe im
Bereich des Strafrechts von diesem Prinzip zur Gänze ausgenommen sein sollte.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden


ENTSCHLIESSUNGSANTRAG:

Der Nationalrat wolle beschließen:

Der Bundesminister für Justiz wird ersucht, im Rahmen der Vorbereitung der
Neuregelung des strafprozessualen Vorverfahrens Maßnahmen zu einer
Gesamtreform der Verfahrenshilfeverteidigung zu setzen, die insbesondere
umfassen

•    eine direkte, einzelfallbezogene und wirtschaftlich vertretbare Entlohnung für
die Verfahrenshilfeverteidigung anstelle der derzeitigen
Pauschalvergütungsregelungen,

•    ein freies Verteidigerwahl- und -wechselrecht während des gesamten

Verfahrens zur Steigerung der anwaltlichen Motivation durch Konkurrenzdruck
und

•    die Einführung verpflichtender Qualitätsanforderungen in der
Verfahrenshilfeverteidigung.

In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Justizausschuß vorgeschlagen.