1152/AB XXI.GP

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Terezija Stoisits, MMag. Dr. Madeleine

Petrovic, Freundinnen und Freunde haben an mich eine schriftliche Anfrage betref -

fend „Heimpflicht für Zeugen“ gerichtet.

 

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

 

Einleitend weise ich auf Folgendes hin:

 

Den mit den in der Anfrage angesprochenen Sachverhaltskomplexen befassten

Staatsanwaltschaften und Gerichten war es infolge der Kürze der zur Verfügung

stehenden Zeit nicht möglich, alle notwendigen Unterlagen bzw. Daten zur Verfü -

gung zu stellen. Mehrere der zu einer umfassenden Anfragebeantwortung erforderli -

chen Akten befanden sich bei Rechtsmittelgerichten, wobei im Interesse einer

Beschleunigung dieser Verfahren von der Rückforderung dieser Akten Abstand

genommen wurde.

 

Ich ersuche daher um Verständnis, dass ich einige der an mich gerichteten Fragen

unter diesen Umständen nicht präzise beantworten kann.

 

Ich gehe davon aus, dass sich die Fragen 1 a - 1 c lediglich auf die „Operation

Spring“, die übrigen Fragen hingegen auch auf die Ermittlungen gegen Bewohner

des Heimes in der Zohmanngasse beziehen.

 

Demgemäß beantworte ich die an mich gerichteten Fragen anhand der von den

zuständigen Staatsanwaltschaften, dem Landesgericht für Strafsachen Wien und

dem Jugendgerichtshof  Wien eingeholten Informationen wie folgt:

Zu 1a und 1b:

 

Da die Staatsanwaltschaft Wien - abweichend von den übrigen Anklagebehörden -

ihrem Bericht nicht den Stichtag, auf dem die Beantwortung der zur Zahl

6601/J - NR/1999 eingebrachten parlamentarischen Anfrage beruht, sondern den

Stichtag 9.9.1999 zu Grunde gelegt hat, ist eine präzise Beantwortung bezogen auf

die in der Anfrage genannten 90 Personen nicht möglich.

 

Unter diesem Vorbehalt ist auszuführen, dass gegen 59 Personen Anklageschriften,

gegen 21 weitere Personen Strafanträge eingebracht wurden. Gegen 73 Personen

hat bereits eine Hauptverhandlung stattgefunden.

 

Zu 1c:

 

47 Personen wurden - zum Teil allerdings noch nicht rechtskräftig - verurteilt. Eine

auch nur annähernd vollständige deliktsbezogene Auflistung der Schuldsprüche ist

wegen des Umfangs nicht möglich.

 

Zu 1d:

 

Bisher wurden zumindest gegen 118 Personen Anklageschriften bzw. Strafanträge

eingebracht. Eine präzisere Beantwortung der Frage ist nicht möglich, weil die

Verfahren gegen eine große Personenanzahl (mehrere hundert) an Bezirksgerichte

abgetreten wurden und der Fortgang dieser Verfahren nur mit einem unvertretbaren

Erhebungsaufwand hätte festgestellt werden können.

 

Zu 1e:

 

Diese Frage entzieht sich schon deshalb einer präzisen Beantwortung, weil nur die

Sicherheitsbehörden exakte Aufzeichnungen über sichergestellte Suchtgiftmengen

führen. Da aus dem gesamten Komplex „Aktion Spring“ zahlreiche Akten ausge -

schieden wurden, würde eine Erhebung der sichergestellten Suchtgiftmengen im

Wege der Gerichte zu einer mehrfachen Berücksichtigung identer Suchtgiftmengen

führen.

 

Zu 1f und 1g:

 

Eine Beantwortung dieser Fragen wäre nur nach Durchsicht sämtlicher bezughaben -

der Akten möglich. Ich ersuche um Verständnis, dass davon wegen des unvertretba -

ren Verwaltungsaufwands Abstand genommen werden muss.

Zu 1h:

 

Gegen einige Personen konnten die Verfahren noch nicht beendet werden, weil die

Erhebungen noch nicht abgeschlossen bzw. die genannten Personen unbekannten

Aufenthaltes sind.

 

Zu 2a:

 

Im Rahmen der beim Landesgericht für Strafsachen Wien geführten Verfahren

wurden sieben Zeugen anonym vernommen. Sie erhielten die Bezeichnung AZ 1,

AZ 2, AZ 4, AZ 6, AZ 9, AZ 11 und AZ 3000. In den beim Jugendgerichtshof Wien

geführten Verfahren traten ursprünglich sechs derartige Zeugen auf, von denen zwei

in weiterer Folge auf ihre Anonymität verzichteten. Diese erhielten die Bezeichnung

ZA 1 bis ZA 6. Es liegt allerdings der Schluss nahe, dass es sich bei den im Bereich

der Staatsanwaltschaft Wien und der Staatsanwaltschaft beim Jugendgerichtshof

Wien erfassten Zeugen überwiegend um idente Personen handelt.

 

Zu 2b:

 

Sechs Zeugen sind vorbestraft.

 

Im Übrigen fällt die Beantwortung der weiteren in diesem Zusammenhang an mich

gerichteten Fragen nicht in meinen Zuständigkeitsbereich.

 

Zu 2c:

 

Offenbar befanden sich alle anonymen Zeugen unter den Tatverdächtigen.

 

Zu 2d und 2e:

 

Gegen sieben der anonym vernommenen Zeugen wurde ein Verfahren wegen des

Verdachts des Suchtgifthandels, gegen eine weitere Person wegen eines allgemei -

nen Deliktes eingeleitet. Gegen vier der genannten Personen wurde bereits eine

Anklageschrift wegen Suchtgifthandels eingebracht. Über diese vier Personen

wurden wegen Verbrechens nach dem Suchtmittelgesetz Freiheitsstrafen im

Ausmaß zwischen 20 Monaten und 4 Jahren verhängt.

 

Zu 2f:

 

Das Verfahren gegen den genannten Beschuldigten ist noch anhängig, die Erhebun -

gen sind noch nicht abgeschlossen.

Zu 2g und 2h:

 

In diesem Zusammenhang haben mehrere Besprechungen stattgefunden. Aufzeich -

nungen über diese Besprechungen hat die Staatsanwaltschaft nicht geführt. Erörte -

rungen, wie sie in der Anfrage bezeichnet werden, haben nicht stattgefunden. Wie

schon aus der Beantwortung der Fragen 2c und 2d ersichtlich ist, wurden gegen alle

tatverdächtigen anonymen Zeugen Strafverfahren eingeleitet.

 

Zu 2i:

 

In keinem einzigen Fall.

 

Zu 2i und 2k:

 

Die Namen aller anonym vernommenen Zeugen sind Gerichten und Staatsanwalt -

schaften bekannt.

 

Zu21:

 

Die Justizbehörden haben den „anonymen Zeugen“ keinerlei Versprechungen

gemacht.

 

Zu 2m und 2n:

 

Die Zeugen hatten durchaus die Möglichkeit, nicht anonym aufzutreten. In allen

Fällen lag diese Entscheidung in ihrem freien Ermessen. Die Anonymisierung

erfolgte durchwegs auf Wunsch der Zeugen wegen akuter Bedrohung. Sie wurden

auf ihr Entschlagungsrecht hingewiesen.

 

Es gab weder die in der Anfrage angesprochenen Deals mit anonymen Zeugen

noch Drohungen durch die Justizbehörden.

 

Zu 2o:

 

Bisher hat kein einziger anonym vernommener Zeuge einen „Deal“ mit der Polizei

behauptet oder seine Aussage tatsächlich widerrufen. In Einzelfällen hat sich ein

zunächst anonym vernommener Zeuge zu einem späteren Verfahrenszeitpunkt der

Aussage entschlagen.

 

Zu 2p und 2g:

 

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in den Entscheidungen vom

20.11.1999 (Kostovski gegen die Niederlande), vom 26.3.1996 (Doorson gegen die

Niederlande) und vom 23.4.1997 (Van Mechelen gegen die Niederlande) zwei

Prinzipien erarbeitet: Er geht grundsätzlich dort von einer den Artikel 6 MRk verlet -

zenden Vorgangsweise aus, wo Schuldsprüche ausschließlich oder in einem

entscheidenden Ausmaß auf die Aussagen anonymer Zeugen gestützt werden.

Weiters erachtet er Verteidigungsrechte immer dann in einer den Artikel 6 MRK

verletzenden Weise beeinträchtigt, wenn Beschuldigter oder Verteidiger entweder im

Vorverfahren, im Verfahren vor dem erkennenden Gericht oder im Rechtsmittelver -

fahren keine Möglichkeit hatten, (anonyme) Zeugen zu befragen.

 

Auf Grund der vorliegenden Berichte der Staatsanwaltschaften und Stellungnahmen

der Gerichte feststeht, dass in keinem einzigen Fall ausschließlich die Aussage

eines anonym vernommenen Zeugen zu einem Schuldspruch führte.

 

Die Frage, ob Schuldsprüche in einem entscheidenden Ausmaß auf die Aussagen

von anonymen Zeugen gestützt werden, ist Frage der richterlichen Beweiswürdi -

gung. Die richterliche Beweiswürdigung kann mit einer Nichtigkeitsbeschwerde zur

Wahrung des Gesetzes grundsätzlich nicht releviert werden.

 

Zu 3a und b:

 

Der gemäß § 149 o Abs. 5 StPO erstattete Bericht des Rechtsschutzbeauftragten

für das Jahr 1999 liegt vor und wird - zusammen mit den gemäß § 10a Abs. 2 und 3

des Staatsanwaltsgesetzes zu erstattenden Berichten der staatsanwaltschaftlichen

Behörden - Grundlage des Gesamtberichtes über den Einsatz besonderer Ermitt -

lungsmaßnahmen sein, den ich nach § 10a Abs. 4 StAG dem Nationalrat, dem

Datenschutzrat und der Datenschutzkommission zuleiten werde.

 

Zu 4:

 

Hiezu verweise ich auf den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien vom 3.3.2000,

21 Bs 21/00: Dieses Gericht wies die Beschwerden der Datenschutzkommission der

Republik Österreich sowie des Rechtsschutzbeauftragten gegen den in der Anfrage

zitierten Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien (richtig: 26 d Vr

11.372/98) im Wesentlichen mit der Begründung zurück, der bekämpfte Beschluss

enthalte lediglich einen der Untersuchungsrichterin zustehenden Auftrag zur auflis -

tenden und analysierenden Darstellung bisheriger, aber auch künftiger kriminalpoli -

zeilicher Erkenntnisse, ohne dass damit ein Vergleich oder die Verknüpfung von

Daten verschiedener Datenverarbeitungen angeordnet worden seien. Es handle

sich somit um keinen Datenabgleich im Sinne des § 149 i StPO.

 

Zu 4a:

 

Derartige „Zufallsfunde“ wurden in keinem einzigen Verfahren verwertet.

Zu 4b:

 

Da ein Abgleichen oder Verknüpfen von Daten verschiedener Datenverarbeitungen

weder von der Staatsanwaltschaft Wien noch von der zuständigen Untersuchungs -

richterin des Landesgerichtes für Strafsachen Wien beabsichtigt war, erübrigte sich

eine derartige Antragstellung.

 

Zu 4c bis 4e:

 

Ich verweise auf die angeführte Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien. Den

Justizbehörden ist nicht bekannt, dass Daten von Personen, gegen die außerhalb

der „Operation Spring“ wegen eines Suchtmitteldeliktes ermittelt wurde, mit den im

Zuge der „Operation Spring“ gewonnenen Daten unter Verwendung des in der

Anfrage genannten Softwareprogramms abgeglichen worden wären. Die Justizbe -

hörden haben einen Auftrag hiezu nicht erteilt.

 

Zu 5:

 

Die präzise Beantwortung dieser Frage ist aus den eingangs dargestellten Gründen

nicht möglich.

 

Zu 6 bis 8:

 

Da die Gespräche teilweise in afrikanischen Sprachen bzw. Dialekten, für die es

keine gerichtlich beeideten Dolmetscher gibt, geführt wurden, mussten die Sicher -

heitsbehörden zwangsläufig wiederholt auf unbeeidete, sprachkundige Personen

zurückgreifen. Unter diesen befanden sich keine tatverdächtigen Personen. Alle bei

Gericht als Dolmetscher eingesetzten Personen wurden beeidet.

 

Zu 9:

 

Die Anonymität einzelner Dolmetscher gründet sich auf mehrfach erfolgte massive

Drohungen aus Täterkreisen. Die Namen dieser Dolmetscher sind in jedem Fall dem

Gericht und - zumindest in einem Fall - der Staatsanwaltschaft bekannt

 

Zu 10:

 

Ja.

 

Zu 11:

 

Die Zahl der „betroffenen Jugendlichen“ ist derzeit nicht feststellbar. Im Rahmen der

Ermittlungen gegen Bewohner des Hauses in der Zohmanngasse etwa wurden

bisher acht Personen als Erwachsene angeklagt, von denen zwei als Jugendliche

verurteilt wurden. Keines dieser Urteile ist in Rechtskraft erwachsen. In vielen, aus

der „Operation Spring" resultierenden Verfahren kann das Alter von Beschuldigten

erst im Verlauf des Gerichtsverfahrens geklärt werden. Diese Verfahren sind

teilweise noch nicht abgeschlossen.

 

Zu 12 bis 14:

 

Das von den Verdächtigen angegebene jugendliche Alter wurde in nahezu allen

Fällen (im Zuge der Operationen Spring und „Zohmanngasse“ wurden dem Jugend -

gerichtshof Wien insgesamt 32 Personen eingeliefert) angezweifelt. In einigen der

genannten Verfahren wurde Univ. Prof. Dr. Johann SZILVASSY zwar zum Sachver -

ständigen bestellt, dessen Gutachten aber zur Altersbestimmung nicht herangezo -

gen, sondern das Alter angeklagter Personen im Rahmen der Hauptverhandlung in

freier richterlicher Beweiswürdigung beurteilt.

 

Nach Aufkommen der Kritik an den Methoden des Sachverständigen Univ. Prof.

Dr. Johann SZILVASSY wurde dieser nicht mehr zum Gutachter bestellt. In einem

einzigen Falle wurde bisher ein anderer Sachverständiger bestellt, dessen Gutach -

ten aber noch nicht vorliegt und dessen Methodik mir daher nicht bekannt ist.