1256/AB XXI.GP

Eingelangt am: 20.11.2000

 

zur Zahl 1 248/J-NR/2000

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Terezija Stoisits, Freundinnen und Freunde

haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend "Selbstmord eines Häftlings im

Gefangenenhaus des Landesgerichts Linz am 16. Juni 2000" gerichtet.

 

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

 

Zu 1:

Jede Selbsttötung in einer Justizanstalt wird vom Bundesministerium für Justiz

untersucht. Darüber hinaus werden die Strafverfolgungsbehörden verständigt. Auch

im angesprochenen Fall wurde der Sachverhalt der Bundespolizeidirektion Linz,

dem Journalrichter und dem Bundesministerium für Justiz unverzüglich gemeldet.

 

Zu 2:

Im Wesentlichen führte der Leiter der Justizanstalt Linz in seinem Bericht wie folgt

aus:

 

Der Untersuchungshäftling Navid T., österreichischer Staatsbürger, Taxilenker,

zuletzt wohnhaft in Wien, wurde am 9.5.2000 in die Justizanstalt Linz eingeliefert.

Die Festnahme des Untersuchungshäftlings war am 20.4.2000 zum Verfahren vor

dem Landesgericht Wels, 8 Vr 190/00, 8 Ur 36/00, wegen des Verdachts nach §§ 28

Abs. 2 bis 4 SMG und 278a StGB erfolgt. Nach seiner Einlieferung in die Justizan -

stalt Wels am 21.4.2000 wurde gemäß § 185 StPO wegen der großen Anzahl an

mutmaßlichen Komplizen (26 Personen) am 9.5.2000 Navid T. in die Justizanstalt

Linz überstellt. Die zuletzt durchgeführte Haftverhandlung fand am 30.5.2000 vor

dem Landesgericht Wels statt.

Im Zeitraum von 26.4.2000 bis 9.5.2000 war Navid T. wegen seines psychischen

Zustandes stationär im Wagner - Jauregg - Krankenhaus in Behandlung. Im

Abschlussbericht weist das Wagner - Jauregg - Krankenhaus darauf hin, dass es

durch die Medikation zu einer deutlichen Reduktion der anfänglich ausgeprägten

Agitiertheit und zu einer Distanz zu suizidalen Tendenzen gekommen sei.

 

An Freitagen, wie auch dem 16.6.2000, übernehmen in der Justizanstalt Linz bereits

um 12.00 Uhr die Nachtdienstposten die Aufsicht, wobei der Zeitraum von 12.00 Uhr

bis 16.00 Uhr auf 4 Nachtdienstposten aufgeteilt ist. Bei den mehrmals

durchgeführten Kontrollen konnte keiner der Posten Auffälliges feststellen.

 

Am 16.6.2000, um 16.30 Uhr, verständigte der mit der Abendessensausgabe auf

der 1. Abteilung betraute Nachtdienstposten 2, Glnsp. Michael R., den

Nachtdienstkommandanten, dass sich im Einzelhaftraum 127 der Insasse Navid T.

erhängt hat. Seinen Angaben zufolge hat er im Zuge der Essensausgabe

gleichzeitig auch die Hafträume kontrolliert. Um 16.28 Uhr bemerkte er, dass die

Sicht durch die Beobachtungsöffnung des Haftraumes 127 nicht möglich war. Nach

der Öffnung der Speisedurchreiche stellte er fest, dass die Beobachtungsöffnung mit

einem Socken, der durch einen Besenstiel fixiert war, verhängt worden war und die

Toilettentür offen stand. Da der Insasse trotz Rufens nicht antwortete, wurden über

Funk die Nachtdienstposten 1 und 3, Glnsp. Markus O. und Rlnsp. Andreas W., zur

Verstärkung gerufen. Nach der Öffnung des Haftraumes wurde der

Untersuchungshäftling am Haftraumfenster hängend aufgefunden. Das Leintuch

wurde unverzüglich von Glnsp. R. abgeschnitten und Navid T. auf den Boden

gelegt. Der Insasse hatte sich mit einem aus seinem Leintuch abgeschnittenen

Stoffstreifen, den er am Griff des Haftraumfensters befestigte, erhängt. Die von den

Justizwachebediensteten eingeleiteten Wiederbelebungsversuche wurden bis zum

Eintreffen des Notarztes um 16.40 Uhr durchgeführt. Um 16.42 Uhr stellte der

Notarzt den Tod des Untersuchungshäftlings fest. Ein Abschiedsbrief des Insassen

konnte nicht gefunden werden. Es wurden verständigt: 16.32 Uhr Inspektionsdienst,

16.57 Uhr Journaldienst der Bundespolizeidirektion Linz, 16.57 Uhr Anstaltsleiter

und 16.59 Uhr Journalrichter.

 

Die Leiche wurde um 17.05 Uhr nach dem Eintreffen des Journalrichters beschlag -

nahmt und es wurde eine Obduktion angeordnet. Nach Abschluss der Ermittlungen

durch die Bundespolizeidirektion Linz sowie der erkennungsdienstlichen Behandlung

um 18.35 Uhr wurde der Leichnam um 19.00 Uhr durch das Bestattungsunterneh -

men abtransportiert. Die für 20.30 Uhr angeordnete Obduktion erbrachte als Todes -

ursache "Tod durch Ersticken".

 

Die Mutter des Verstorbenen konnte - nach mehrfachen erfolglosen Verständigungs-

versuchen am 16.6.2000 - am 17.6.2000 um 8.30 Uhr vom Ableben ihres Sohnes in

Kenntnis gesetzt werden.

 

Navid T. war auf Grund der Anhaltung von zwei weiteren Komplizen zu diesem

Verfahren seit seiner Einlieferung am 9.5.2000 in Gemeinschaftshaft in der Kranken -

abteilung untergebracht. Er wurde wegen seiner schwierigen Persönlichkeit zwei Mal

im Bereich der Krankenabteilung verlegt. Am 8.6.2000 wurden wegen mehrfacher

Androhung von Selbstbeschädigungen (Aufschneiden der Pulsadern) kurzfristig die

notwendigen, gesetzlichen Sicherungsmaßnahmen getroffen. Am 12.6.2000, 4.15

Uhr, wurde der Insasse, diesmal wegen Tätlichkeiten gegen seine beiden Mithäft -

linge (Schläge und Tritte gegen Arme und Beine) abgesondert. Die Aufhebung der

Absonderung erfolgte am 13.6.2000, 8.00 Uhr. Auf eigenen Wunsch wurde Navid T.

ab diesem Zeitpunkt in einen Einzelhaftraum verlegt. Bei seiner Vorführung zur

Anstaltsärztin am 13.6.2000 wurde seine Behandlung von Entzugserscheinungen

erweitert. In persönlichen Gesprächen mit der Anstaltsärztin, dem Psychologischen

Dienst, dem Sozialen Dienst aber auch gegenüber der Anstaltsleitung äußerte der

Insasse zu keiner Zeit Selbsttötungsabsichten.

 

Zu 3:

Die Anhaltung des Navid T. in Einzelhaft erfolgte auf eigenen Wunsch. Bedenken

gegen die Einzelunterbringung wurden seitens der Fachdienste nicht geäußert.

 

Zu 4:

Nach dem gerichtsmedizinischen Ergänzungsgutachten besteht kein Hinweis auf

eine der Selbsttötung vorangegangene physische Gewalteinwirkung gegen den

Körper des Navid T. durch Dritte.

 

Zu 5 und 6:

Es gibt keinen Hinweis darauf, dass tätliche Angriffe von Seiten der Justizwachebe -

amten gegen Navid T. stattgefunden hätten. Es war daher nicht erforderlich, straf -

oder disziplinarrechtliche Anzeigen zu erstatten.

Zu 7.:

Die Justizanstalten verfügen über in der Drogenproblematik erfahrene Mitarbeiter

(Ärzte, Psychiater, Psychologen, Sozialarbeiter und Justizwachebedienstete).

Darüber hinaus gibt es dichte Kontakte zu den verschiedenen externen Drogenbera -

tungseinrichtungen. Für die Fälle des § 68a StVG und des § 22 StGB stehen eigene

Abteilungen (Justizanstalt Feld kirch, Justizanstalt Innsbruck, Justizanstalt Eisenstadt

[Methadon - Substitution], Justizanstalt Stein [Abteilung für abstinenzorientierte

Entwöhnungsbehandlung und Abteilung für Substitutionsbehandlung]) und die Justi -

zanstalt Wien - Favoriten zur Verfügung. Darüber hinaus gibt es 500 Haftplätze in

drogenfreien Zonen.