1472/AB XXI.GP

Eingelangt am: 11. 01. 2001

 

Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten

 

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Maria Kubitschek und Genossen haben am

24.November 2000 unter der Nr.1 5741J - NR/2000 an mich eine schriftliche

parlamentarische Anfrage betreffend die EU - Regierungskonferenz und die WTO gerichtet.

 

Diese Anfrage beantworte ich wie folgt:

 

 

Zu Frage 1:

Der Art. 133 zählte zu jenen Bestimmungen, die beim Europäischen Rat von Nizza unter

dem Thema „Ausdehnung der Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit“ bis zum letzten

Verhandlungstag am meisten und am heftigsten diskutiert wurden.

In der Fassung des Amsterdamer Vertrags legt Art. 133 Abs.1 bis 4 EGV das Verfahren

fest, demgemäß auf Vorschlag der Kommission der Rat die Kommission zu

Verhandlungen im Bereich der gemeinsamen Handelspolitik mit qualifizierter Mehrheit

ermächtigt. Gemäß Abs. 5 „kann der Rat (...) durch einstimmigen Beschluss die

Anwendung der Absätze 1 bis 4 auf internationale Verhandlungen und Übereinkünfte über

Dienstleistungen und Rechte des geistigen Eigentums ausdehnen“.

 

Bei der Regierungskonferenz ging es nun darum,

• ob eine unmittelbare primärrechtliche Kompetenz der Gemeinschaft (im geltenden

   Vertrag besteht eine implizite Kompetenz) für die Verhandlungen und den Abschluss

   von Abkommen in den Bereichen Dienstleistungen und geistiges Eigentum im Vertrag

   verankert und

• ob und allenfalls mit welchen Einschränkungen dabei zur qualifizierten Mehrheit (qM)

   übergegangen werden soll.

 

Die Europäische Kommission und die Mehrheit der Mitgliedsstaaten waren der

Auffassung, dass in diesen vor allem im WTO - Kontext immer wichtiger werdenden

Bereichen ein effizientes und einheitliches Auftreten der Gemeinschaft nach außen nur

durch eine klare Kompetenzfestlegung sowie einen weitgehenden Übergang zur

qualifizierten Mehrheit gewährleistet werden kann. Allerdings war auch eine Reihe - die

Einführung der qualifizierten Mehrheit grundsätzlich befürwortender - Mitgliedsstaaten der

Meinung, dass bezüglich bestimmter, konkret zu definierender Materien das

Einstimmigkeitserfordernis erhalten werden sollte.

 

Im Laufe der letzten Phase der Regierungskonferenz wurden von der Präsidentschaft, der

Kommission und einzelnen Mitgliedsstaaten daher eine Fülle von sehr differenzierten und

komplexen Vorschlägen unterbreitet, welche die Verankerung der qualifizierten Mehrheit

jeweils mit unterschiedlich konzipierten und weitreichenden Einschränkungen koppelten.

Zum Zeitpunkt der vorliegenden Anfrage zeichnete sich bereits klar ab, dass man in Nizza

bestrebt sein würde, Artikel 133 Abs. 5 EGV in die qualifizierte Mehrheit überzuführen,

wobei dies jedoch nur mit erheblichen Einschränkungen und Ausnahmen gelingen könnte.

 

Auf der Basis der vom Bundesministerium für wirtschaftliche Angelegenheiten dargelegten

Sachargumente wurde die österreichische Position daher dahingehend überarbeitet, dass

Österreich die qualifizierte Mehrheit im Sinne konstruktiver Kompromissbereitschaft

akzeptieren könnte, sofern für alle sensibel erscheinenden Materien weiterhin

Einstimmigkeit garantiert bliebe. In diesem Sinne hat Österreich in der Schlussphase der

Verhandlungen die Möglichkeit eines Übergangs zur qualifizierten Mehrheit ins Auge

gefaßt, sofern im Vertragstext klargestellt wird, dass Einstimmigkeit erforderlich sei, wenn

folgende Bereiche berührt werden:

 

• Bereiche, in denen die Gemeinschaft oder die Mitgliedsstaaten noch keine gleichen

   Verpflichtungen im Rahmen der GATS - und TRIPS - Verhandlungen eingegangen sind;

• Verkehrsdienstleistungen und

• die Dienstleistungserbringung durch natürliche Personen.

Außerdem hat sich Österreich dagegen ausgesprochen, dass der Investitionsbereich in

den Artikel 133 einbezogen wird.

 

In Nizza hat Österreich der Neufassung von Artikel 133 zugestimmt, nachdem der

Vertragstext so adaptiert worden war, dass Einstimmigkeit gilt, sofern die obgenannten

Bereiche berührt werden.

 

Zu Frage 2:

Die Konferenzdokumente wurden vom Bundesministerium für auswärtige

Angelegenheiten in Koordination mit dem Bundeskanzleramt jeweils sofort nach Eintreffen

an alle anderen Bundesministerien, das Parlament, die Länder, die Sozialpartner, den

Städtebund, den Gemeindebund, den Rechnungshof und die Österreichische

Nationalbank weitergeleitet.

 

Die Erstellung der Weisungen erfolgte sodann durch das Bundesministerium für

auswärtige Angelegenheiten in Abstimmung mit dem Bundeskanzleramt auf der

Grundlage der von den zuständigen Stellen schriftlich übermittelten Weisungsentwürfe.

 

Zu Frage 3:

Die österreichische Position zu Art. 133 ist in den jeweiligen Weisungen für den

österreichischen Vertreter in der Gruppe der Beauftragten schriftlich formuliert worden.

 

Zu Frage 4:

Nein. Die österreichische Position leitet sich aus der Grundsatzposition zur

Regierungskonferenz ab, wie sie von der Bundesregierung in der Ministerratssitzung vom

1. Februar 2000 angenommen wurde.

 

Zu Frage 5:

Die Verhandlungssituation und die österreichische Position zu Artikel 133 wurden in der

Sitzung des Hauptausschusses am 6.12.2000 dargelegt.

Zu Frage 6:

Wie in der Antwort zu Frage 1 bereits ausgeführt, haben die verhandlungsführenden

Ressorts, das Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten und das

Bundeskanzleramt, die Sachargumente des Bundesministeriums für wirtschaftliche

Angelegenheiten jeweils übernommen. Was jedoch die rechtliche Beurteilung von Fragen

der Gemeinschaftskompetenz betrifft, so hat sich das Bundesministerium für auswärtige

Angelegenheiten jeweils an die in der Sache maßgebliche Judikatur des EuGH und an die

Rechtsmeinung des Juristischen Dienstes des Rates gehalten.

 

Zu Frage 7:

Das Ergebnis des Europäischen Rates von Nizza spricht für sich. Wäre Österreich nicht

mit allem Nachdruck für seine Anliegen eingetreten, wäre es nicht erklärlich, dass gerade

spezifische, nur von Österreich vertretene Anliegen in den Vertragstext von Art. 133

Eingang gefunden haben. Das gilt insbesondere für das in Absatz 5 festgeschriebene

Einstimmigkeitserfordernis bei Abkommen horizontaler Natur, d.h. bei solchen, welche die

Dienstleistungserbringung durch natürliche Personen einschließen, ebenso wie für den

Ausschluss des gesamten Verkehrsbereiches aus dem Anwendungsbereich des Artikels

133 in Absatz 6.