1626/AB XXI.GP
Eingelangt am:31.01.2001
BUNDESMINISTER
FÜR JUSTIZ
Die Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Helene Partik - Pablé und Kollegen haben an
mich eine schriftliche Anfrage betreffend "Schadensersatzforderungen" gerichtet.
Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:
Zu 1:
Grundsätzlich ist festzuhalten, dass die Entscheidung über die in der Anfrage
angesprochenen Schadenersatzsprüche Angelegenheit der unabhängigen Recht -
sprechung ist. Abgehoben von den angeführten Anlassfällen kann jedoch ganz
allgemein Nachstehendes festgehalten werden.
Bei der Beurteilung der Erfolgsaussichten einer Prozessführung in den USA sind
drei Fragen zu unterschieden:
• Sind amerikanische Gerichte international zuständig?
• Welches Recht wendet ein allenfalls zuständiges Gericht an?
• Werden amerikanische Urteile in Österreich vollstreckt?
Da zwischen Österreich und den USA insofern keine internationalen Übereinkom -
men bestehen, sind alle Fragen allein nach nationalem Recht zu beurteilen. Die
internationale Zuständigkeit und das anwendbare Recht bestimmen sich daher nach
amerikanischem, die Vollstreckung nach österreichischem Recht.
In den USA gibt es - abgesehen von einzelnen verfassungsrechtlichen Vorgaben -
keine bundesrechtlichen Bestimmungen, die im konkreten Fall die genannten
Fragen regeln. Sowohl die internationale Zuständigkeit als auch das anwendbare
Recht sind daher nach dem Recht jenes
Einzelstaates zu beurteilen, in dem das
angerufene Gericht seinen Sitz hat. Zur Rechtslage in den USA können daher im
Folgenden nur einige Grundsätze dargestellt werden, die für die Mehrzahl der
einzelstaatlichen Rechte gelten.
(a) Internationale Zuständigkeit
Die internationale Zuständigkeit amerikanischer Gerichte besteht grundsätzlich nur
dann, wenn ein ausreichender Inlandsbezug (minimum contacts) vorliegt. Wann dies
der Fall ist, ergibt sich bei Sachverhalten mit Auslandsberührung in der Regel aus
gesetzlichen Anordnungen (long arm statutes) der Einzelstaaten. Dabei wird
gewöhnlich zwischen zwei Fallgruppen unterschieden:
• General jurisdiction besteht, wenn der Beklagte in substantieller Weise auf dem
Markt des Einzelstaates tätig wurde und er daher - so die rechtspolitische
Begründung - damit rechnen muss, in diesem Staat geklagt zu werden. Liegt
solches doing business vor, so bedarf es keines Zusammenhangs zwischen der
Geschäftstätigkeit und dem geltend gemachten Anspruch. Unternehmen, die in
substantieller Weise auf dem amerikanischen Markt tätig wurden, müssen daher
grundsätzlich mit einer Klagsführung rechnen. Die Zuständigkeit stünde
grundsätzlich auch Personen zur Verfügung, die nicht in den USA ansässig sind.
Die genauen Kriterien für zuständigkeitsbegründendes doing business sind
allerdings von Staat zu Staat verschieden. Ohne genaues Studium der jeweils
einschlägigen Präjudizien kann daher nicht gesagt werden, ob im Einzelfall etwa
auch die Existenz eines formal selbständigen Tochterunternehmens oder das
Vorliegen einer Mehrzahl von Vertragsbeziehungen mit amerikanischen Kunden
für die Begründung der Zuständigkeit ausreicht.
• Demgegenüber liegt special jurisdiction vor, wenn der Rechtsstreit selbst einen
Inlandsbezug aufweist. Das gilt in Schadenersatzfällen etwa dann, wenn der
Schaden im Gerichtsstaat eingetreten ist und dies für den Schädiger
vorhersehbar war.
Auch hier wäre allerdings eine genaue Prüfung der Präjudizien zum jeweils
anwendbaren long arm statute erforderlich. Es könnte nämlich durchaus fraglich
sein, ob der bloß mittelbare Schaden der Angehörigen tatsächlich einen
relevanten minimum contact zur Rechtsordnung des Einzelstaates darstellt.
Ist nach diesen Erwägungen die internationale Zuständigkeit grundsätzlich gegeben,
so prüfen die amerikanischen Gerichte in einem zweiten Schritt, ob nicht Gerichte
anderer Staaten für die Behandlung der Klage besser geeignet wären. Wird dies
bejaht, so weist das Gericht die in den USA erhobene Klage wegen forum non
conveniens zurück.
Ob forum non conveniens vorliegt, ist eine Ermessensentscheidung, bei der
mehrere Faktoren - u.a. Parteiinteressen, Beweisnähe, Vollstreckung des Urteils -
zu berücksichtigen sind. In der Praxis
werden ausländische Kläger, die amerikani -
sche Unternehmen wegen eines im Ausland erlittenen Schadens klagen, regelmäßig
an den Ort des Schadenseintritts verwiesen. Der Zugang zum amerikanischen
Gerichtssystem wird ihnen somit verweigert. Demgegenüber wird die Zuständigkeit
bei amerikanischen Klägern, die im Ausland einen Schaden erlitten haben, eher
akzeptiert. Diese diskriminierend anmutende Vorgangsweise ist durch die Entschei -
dung des US Supreme Court in Piper Aircraft CO v. Reyno (454 U.S. 235 [1981])
gedeckt.
(b) Anwendbares Recht
Das angerufene Gericht wendet jedenfalls sein eigenes Prozessrecht an. Aus
ökonomischer Sicht ist dabei vor allem bedeutsam, dass der siegreiche Beklagte im
amerikanischen Verfahren grundsätzlich keinen Anspruch auf Kostenersatz hat. Der
Kläger prozessiert daher auf fremdes Risiko: Mit seinem eigenen Anwalt hat er in
der Regel eine Erfolgsvereinbarung geschlossen, wonach er einen Teil des tatsäch -
lich ersiegten Betrages zu zahlen hat; der Gegenseite muss in keinem Fall Ersatz
geleistet werden. Dies steigert nicht nur die allgemeine Klagsfreudigkeit, sondern
insbesondere auch die Vergleichsbereitschaft auf Seiten des Beklagten.
Wird die Zuständigkeit bejaht, so ist die Frage nach dem anwendbaren materiellen
Recht (Schadenersatzrecht) nach dem Internationalen Privatrecht (Kollisionsrecht)
des Einzelstaates zu entscheiden. Zwar wird hier in der Regel zunächst auf das
Recht jenes Ortes verwiesen, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist.
Dennoch ist anzunehmen, dass bei Bejahung der Zuständigkeit zumindest dann
eigenes (amerikanisches) Schadenersatzrecht angewendet wird, wenn dies für den
Geschädigten günstiger ist als jenes des Unfallorts. Zur Begründung werden
verschiedene theoretische Ansätze herangezogen (zB interest analysis, better law
approach); das Ergebnis ist aber in der Regel der Schutz des amerikanischen
Klägers.
Eine Besonderheit des amerikanischen Schadenersatzrechts ist der Zuspruch von
punitive damages (Strafschadenersatz) in durchaus beträchtlicher Höhe. Der
kompensatorische Zweck des Schadenersatzrechts wird hier durch eine Straf - und
Abschreckungsfunktion ergänzt. Dies stellt ein nicht zu unterschätzendes Risiko für
ein beklagtes Unternehmen dar. Zwar hat der US Supreme Court der Auferlegung
exorbitanter Beträge mit der Entscheidung BMW of North America v. Ira Gore (116
S.Ct. 1589 [1996]) einen Riegel vorgeschoben, sodass überschießende Entschei -
dungen erstinstanzlicher Gerichte mit Aussicht
auf Erfolg bekämpft werden können.
Allerdings muss der Beklagte auch in einem solchen Fall die Kosten seines erfolgrei -
chen Rechtsmittels selbst tragen.
(c) Vollstreckung
Ausländische Urteile werden in Österreich gem § 79 EO nur vollstreckt, wenn die
Gegenseitigkeit durch Staatsvertrag oder Verordnung verbürgt ist. Da dies im
Verhältnis zu den USA nicht der Fall ist, bliebe ein in den USA erstrittenes Urteil in
Österreich wirkungslos. Allerdings müsste der Beklagte damit rechnen, dass auf ihm
gehörendes Vermögen gegriffen wird, das sich in den USA oder in anderen Staaten,
die amerikanische Entscheidungen anerkennen, befindet. Eine Vollstreckung ameri -
kanischer Urteile wäre insbesondere in Deutschland möglich. Die Durchsetzung
exorbitant hoher Strafschadenersatzbeträge würde dort aber unter Berufung auf den
Ordre public verweigert (BGH 4.6.1992 BGHZ 118,31).
(d) Ergebnis
Ob eine Klagsführung in den USA Aussichten auf Erfolg hat, hängt in hohem Maß
von den faktischen Gegebenheiten (Geschäftstätigkeit bzw Vorhersehbarkeit des
Schadens durch Werbung in den USA) und vom Prozessrecht des jeweils angerufe -
nen Gerichtes ab. Generell werden Personen, die in den USA ansässig sind, eher
die Möglichkeit haben, dort zu klagen und Schadenersatz nach amerikanischem
Recht zu erlangen, als ausländische Geschädigte. Präzisere Aussagen könnten
jedoch nur bei genauerer Kenntnis der Fakten und nach eingehendem Studium der
jeweils relevanten Präjudizien getroffen werden.
Zu 2:
Bei der Frage der Berechtigung eines US - Anwaltes zur Einsicht in Strafakten öster -
reichischer Gerichte ist zu unterscheiden, ob dieser als Vertreter des Beschuldigten
(Verteidiger) oder als Vertreter des Geschädigten/Privatbeteiligten (Privatbeteiligten -
vertreter) tätig wird.
Das Recht des Beschuldigten bzw. seines Verteidigers, in Gerichtsakten Einsicht zu
nehmen, beruht auf § 45 StPO. Um als Verteidiger in einem gerichtlichen Strafver -
fahren tätig zu werden, bedarf es gem. § 39 StPO der Eintragung in die Verteidigerli -
ste eines der Gerichtshöfe zweiter Instanz. Von diesem Eintragungserfordernis sind
lediglich ausländische EU - Anwälte (Rechtsanwälte, die Staatsangehörige der
Mitgliedsstaaten der Europäischen Union und der anderen Vertragsstaaten des
Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum sind) unter bestimmten
Voraussetzungen ausgenommen, nicht aber US -
Anwälte.
Das Recht des Geschädigten auf Akteneinsicht, sofern er sich dem Strafverfahren
als Privatbeteiligter anschließt, beruht auf § 47 StPo. Der Privatbeteiligte kann gem.
§ 50 StPO dieses Recht entweder selbst ausüben oder sich eines in die Verteidiger -
liste eingetragenen Rechtsbeistandes oder eines anderen Bevollmächtigten bedie -
nen (Privatbeteiligtenvertreter). Um als Privatbeteiligtenvertreter in einem inländi -
schen Strafverfahren auftreten zu können, bedarf es lediglich der Bevollmächtigung
durch den Privatbeteiligten. Das Gesetz enthält keine ausdrücklichen Bestimmungen
über die persönlichen Eigenschaften, die der vom Privatbeteiligten bestellte Bevoll -
mächtigte haben muss. Die Geltendmachung von Privatbeteiligtenrechten ist daher
auch durch einen bevollmächtigten US - Anwalt möglich.
Zu 3:
Bislang führte Ed Fagan bei der Staatsanwaltschaft Salzburg lediglich zwei Informa -
tionsgespräche über künftige Vorgangsweisen, ohne dass bereits konkrete Privatbe -
teiligtenrechte geltend gemacht worden wären. Bei diesen Gesprächen hat der
US - Anwalt Akteneinsicht bzw. Aktenkopien weder begehrt noch erhalten. Auch das
Landesgericht Salzburg hat ihm bislang weder Akteneinsicht gewährt noch Aktenko -
pien ausgefolgt.
Bei seinem ersten Besuch bei der Staatsanwaltschaft Salzburg wurde dem US - An -
walt Ed Fagan jedoch vom Leiter dieser Staatsanwaltschaft volle Akteneinsicht
zugesichert, soferne er als bevollmächtigter Privatbeteiligtenvertreter auftreten sollte.
Zu 4:
Der US - Anwalt hat sich bei den zwei Besuchen bei der Staatsanwaltschaft Salzburg
keines Korrespondenzanwaltes in Österreich bedient. Dies war auch nicht erforder -
lich, weil die Befugnis, als Privatbeteiligtenvertreter einzuschreiten, gemäß § 50
Abs. 1 StPO an keine besonderen Voraussetzungen gebunden ist.
Durch die geschilderten Kontakte zwischen dem US - Anwalt und der Staatsanwalt -
schaft Salzburg konnten niemandes Rechte verletzt werden.
Zu 5:
Der US - Anwalt Ed Fagan hat bisher keine schriftliche Vollmacht eines berechtigten
Privatbeteiligten vorgelegt. Allerdings war er beim zweiten Besuch bei der Staatsan -
waltschaft Salzburg in Begleitung zweier amerikanischer Angehöriger, die auch zu
diesem Zweck aus den USA angereist waren. Bei
den Angehörigen handelte es sich
zum einen um den Vater eines Opfers und zum anderen um den Vater, Schwieger -
vater bzw. zweifachen Großvater von insgesamt vier weiteren Opfern.
Die Staatsanwaltschaft Salzburg ist bestrebt, die durch das Gletscherbahnunglück
betroffenen Angehörigen aller Nationen in ihren Interessen im gesetzlichen Rahmen
nach Kräften zu unterstützen. Das bisherige Vorgehen der Staatsanwaltschaft
Salzburg hat daher dem Bundesministerium für Justiz keinen Grund zur Beanstan -
dung geboten.