1697/AB XXI.GP

Eingelangt am: 27.2.2001

BM für Land -  Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft

 

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Glawischnig, Freundinnen und Freunde haben

am 18.1.2001 an mich eine schriftliche Anfrage mit der Nr. 1731/J betreffend „Er -

gebnis der ‚Melker Vereinbarung‘ zwischen den Regierungen der tschechischen Re -

publik und der Republik Österreich“ gerichtet. Ich beehre mich, diese wie folgt zu be -

antworten:

 

Eingangs verweise ich auf meine Beantwortung der parlamentarischen Anfrage Nr.

1074/J betreffend „Umsetzung der Resolution des Landtages von Oberösterreich

über Maßnahmen zur Verhinderung grenznaher Atomkraftwerke“ sowie die Beant -

wortung der Anfrage Nr. 1742/J durch den Herrn Bundeskanzler.

 

Die einzelnen Fragen beantworte ich wie folgt:

 

ad 1

 

Die Vereinbarungen von Melk stellen ein Gesamtpaket dar, dessen einzelne Ele -

mente sich wechselseitig bedingen. Ich gehe daher davon aus, dass sich auch die

tschechische Seite der Tragweite dieser Vereinbarungen bewusst ist, wobei diese

Vereinbarungen erste Ergebnisse widerspiegelt, durch die wesentliche Forderungen

der Bundesregierung substanziell erfüllt wurden.

Die Aufforderung an die Tschechische Republik die Espoo - Konvention rasch zu ra -

tifizieren, ergibt sich implizit aus der aktuellen Beitrittspartnerschaft der Europäischen

Union mit der Tschechischen Republik. Diese enthält als kurzfristige Priorität die

Verpflichtung zur Umsetzung und Anwendung der UVP - Richtlinie der Union. Das

neue UVP - Gesetz wurde kürzlich vom tschechischen Parlament verabschiedet. Mit

dem Inkrafttreten des Gesetzes würde der Beitrittspartnerschaft - wenn auch

verspätet - Genüge getan. Das tschechische Parlament hat kürzlich auch die

Ratifikation der Espoo - Konvention genehmigt. Nach den mir vorliegenden

Informationen sind die weiteren formellen Schritte derzeit bereits im Laufen.

 

Hinsichtlich des „Roten Telefons“ bin ich der Meinung, dass es in Form der in Melk

vereinbarten „Informations - Hotline“ realisiert ist.

 

ad 2

 

In Artikel V des Melker Protokolls ist festgehalten, dass die „laufende Umweltverträg -

lichkeitsprüfung von 78 baulichen Veränderungen freiwillig auf eine umfassende

Umweltverträglichkeitsprüfung der gesamten Anlage“ auszuweiten ist. Damit ist auch

der 2. Block erfasst.

 

ad 3 und 4

 

Die Verbindlichkeit der Gesamt - UVP ergibt sich zunächst aus dem letzten Satz des

Melker Protokolls. Mit der Gemeinsamen Erklärung („Gemeinsame Erklärung von

Herrn Vizepremier, Außenminister Jan Kavan und Herrn Bundesminister für Land -

und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft Wilhelm Molterer zur UVP für das

AKW Temelin in Umsetzung der Vereinbarung von Melk“ ) vom 13. Februar 2001

wurde diese Verbindlichkeit präzisiert und konkretisiert.

ad 5

 

Nach Artikel V des Melker Protokolls ist die gesamte Anlage in ihrer heutigen Form

Gegenstand der Umweltverträglichkeitsprüfung. Grundsätzlich ist daher der Inhalt

der Richtlinie über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen

und privaten Projekten (Richtlinie des Rates Nr. 85/337/EWG, geändert durch die

Richtlinie des Rates Nr. 97/11/EG) maßgeblich, wie dies in Melk vereinbart wurde.

Ich verweise diesbezüglich auf die Bestimmungen des Anhangs IV, Absatz 2 der

Richtlinie Nr.97/11/EG, die eine „Übersicht über die wichtigsten anderweitigen vom

Projektträger geprüften Lösungsmöglichkeiten und die Angabe der wesentlichen

Auswahlgründe im Hinblick auf die Umweltauswirkungen“ vorsehen. Dies wurde

auch mit der Gemeinsamen Erklärung vom 13. Februar 2001 bestätigt.

 

ad 6

 

Eine Überarbeitung bereits bestehender Gutachten wird in jenen Fällen sinnvoll sein,

in denen sich durch den Zeitablauf bzw. wegen Änderungen an der Anlage die

Sachlage geändert hat. Entscheidend ist jedoch nicht das Alter bestimmter Untersu -

chungen oder Analysen, entscheidend ist vielmehr, dass sich die Umweltverträglich -

keitserklärung, die die gesamte Anlage in ihrer heutigen Form umfasst, in Überein -

stimmung mit der UVP - Richtlinie sowie den heutigen Anforderungen in der Europäi -

schen Union befindet.

 

ad 7

 

Die Ratifizierung der Espoo - Konvention bis Mitte Jänner 2001 wurde beim Gipfel von

Melk nicht vereinbart. In diesem Kontext verweise ich auf die Beantwortung der

Frage 1.

ad 8

 

Ich verweise erneut auf Artikel V des Melker Protokolls, demzufolge die erweiterte

Umweltverträglichkeitsdokumentation (Umweltverträglichkeitserklärung) der Öffent -

lichkeit zugänglich gemacht werden wird. Diese Umweltverträglichkeitserklärung hat

Informationen zur Projektdokumentation und anderen Referenzdokumenten in dem

Maße zu enthalten, in dem sie zum Verständnis und zur Beurteilung der Schlussfol -

gerungen der Umweltverträglichkeitserklärung erforderlich sind. Auch diesbezüglich

verweise ich auf die UVP - Richtlinie, insbesondere Artikel 4, Absatz 4 sowie Artikel 6

ff in der geltenden Fassung. Ich verweise in diesem Zusammenhang auch auf die

Gemeinsame Erklärung vom 13. Februar 2001, wonach eine der Aufgaben der UVP -

Kommission die Übermittlung einer vollständigen und nachvollziehbaren UVP - Do -

kumentation für die Öffentlichkeit und auch das interessierte Ausland darstellt.

 

ad 9

 

Hinsichtlich der UVP liegt die Initiative und Federführung bei der Tschechischen Re -

publik. In der Gemeinsamen Erklärung vom 13. Februar 2001 konnten die entschei -

denden Grundsätze und Strukturen zur Durchführung der Gesamt - UVP für das KKW

Temelin festgelegt und die Aufgaben der UVP - Kommission präzisiert werden.

 

ad 10

 

Die Vereinbarungen von Melk wurden unter der Annahme getroffen, dass mit ihrer

Umsetzung sofort begonnen wird.

 

Ich räume ein, dass der vereinbarte Zeitrahmen ambitioniert ist, verweise aber da -

rauf, dass diesem Zeitplan auch die Versicherung der tschechischen Seite zu

Grunde liegt, dass alle für eine umfassende UVP der gesamten Anlage erforderli -

chen Untersuchungen und Unterlagen bereits vorliegen und somit das Verfahren bin -

nen kürzester Frist eröffnet werden könne.

 

Aus österreichischer Sicht ist festzuhalten, dass alle durch das Melker Protokoll ein -

geleiteten Prozesse, vor allem aber die UVP, nicht nur einen Endtermin, sondern

auch einen Anfangstermin haben. Sollte sich die Vorlage der Umweltverträglich -

keitserklärung weiter verzögern, wird eine Neubewertung vorzunehmen sein.

 

ad 11

 

Ich bin zuversichtlich, dass die Vereinbarungen von Melk von allen Beteiligten ein -

gehalten werden und somit von den zuständigen Behörden eine Entscheidung in der

von der Antragstellerin skizzierten Form nicht erforderlich sein wird.

 

ad 12

 

Ich räume ein, dass der Wunsch nach einer Unterbrechung der Testphase nicht um -

gesetzt werden konnte. Die tschechische Seite hat sich allerdings verpflichtet, mit

der kommerziellen Inbetriebnahme bis zum Abschluss der vereinbarten Untersu -

chungen und Analysen zuzuwarten. Weitere Tests auch im Volllastbereich sind al -

lerdings nicht ausgeschlossen. Im Übrigen ist der Begriff "kommerzieller Betrieb" im

Sinne des tschechischen Rechts sowie des einschlägigen internationalen Sprachge -

brauches zu interpretieren.

 

ad 13

 

Wie bereits ausgeführt, sind die Vereinbarungen von Melk als Gesamtpaket zu ver -

stehen und ich gehe grundsätzlich von der Einhaltung der Vereinbarungen durch die

Tschechische Republik aus. Ich ersuche um Verständnis dafür, dass ich zum ge -

genwärtigen Zeitpunkt zu allfälligen Konsequenzen eines Scheiterns der Vereinba -

rungen von Melk keine Stellungnahme abgebe. Ich versichere vielmehr, dass ich

weiterhin auf einer vollständigen und vollinhaltlichen Umsetzung der in Melk getrof -

fenen Vereinbarungen bestehen werde und die Bundesregierung gegebenenfalls die

notwendigen Konsequenzen zu ziehen bereit ist.

 

ad 14

 

Ich halte fest, dass Artikel VIII des Melker Protokolls betreffend die Erweiterung der

Europäischen Union voll und ganz in Übereinstimmung mit der Entschließung des

Nationalrates vom 5. September 2000 (E 28 - NR/XXI.GP) steht.

 

ad 15

 

Hiezu darf ich auf die Zuständigkeit des Bundesministers für Justiz verweisen. Wie

das BMJ dazu mitteilt, regelt das am 1.1.1999 in Kraft getretene Atomhaftungsge -

setz, BGBl. I. Nr. 170/1998, die zivilrechtliche Haftung für Schäden, die durch ionisie -

rende Strahlung von Kernanlagen, Kernmaterial oder Radionukliden an Menschen

oder Sachen verursacht werden. Es statuiert eine verschuldensunabhängige und der

Höhe nach unbegrenzte Gefährdungshaftung des Betriebsunternehmers einer Kern -

anlage. Nach diesem Gesetz können Schadenersatzansprüche, auch wenn der

Schaden nicht von Österreich ausgeht, vor einem österreichischen Gericht geltend

gemacht werden. Es ist einzuräumen, dass die Vollstreckung eines österreichischen

Urteils in der Tschechischen Republik im Rahmen des Lugano Übereinkommens

über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidun -

gen in Zivil -  und Handelssachen durch die Tschechische Republik voraussichtlich

erst nach dem Beitritt zur Europäischen Union möglich sein wird. Bis dahin könnten

etwaige österreichische Schadensersatzforderungen allerdings im diplomatischen

Wege auf der Grundlage des allgemeinen Völkerrechtes geltend gemacht werden.

ad 16, 17 und 18

 

Grundsätzlich verweise ich auf die Zuständigkeit des Bundesministers für Wirtschaft

und Arbeit. Das BMWA teilt dazu mit, dass bei Vorliegen der entsprechenden Vor -

aussetzungen auch gegen Beitrittskandidaten Antidumpingverfahren eingeleitet und

Antidumpingmaßnahmen ergriffen werden können. Im Fall des KKW Temelin hat die

Europäische Kommission, wie mir berichtet wurde, eine diesbezügliche Beschwerde

vorerst abgewiesen.

 

Übergangsfristen zur Liberalisierung des Elektrizitätsbinnenmarktes werden nicht nur

von Österreich abgelehnt, sondern auch von den anderen Mitgliedstaaten der Euro -

päischen Union und der Europäischen Kommission kritisch gesehen. Den jüngsten

mir vorliegenden Informationen zufolge hat die Tschechische Republik ihren Antrag

auf Übergangsfristen zum Elektrizitätsbinnenmarkt mittlerweile zurückgezogen. Das

werte ich als positives Zeichen.

 

Unbeschadet dessen wird die Bundesregierung ihre Position im Zusammenhang mit

dem KKW Temelin und dem EU - Elektrizitätsmarkt auch weiterhin nachdrücklich ver -

treten und Importe von Strom aus dem KKW Temelin nach Österreich im Rahmen

der rechtlichen Möglichkeiten unterbinden.

 

ad 19

 

Seitens meines Hauses wurde mit den Vorbereitungsarbeiten zur Umsetzung der

Vereinbarungen von Melk unmittelbar im Anschluss an das Gipfeltreffen begonnen.

Diese Vorbereitungen umfassten sowohl die Konkretisierung und Präzisierung der

österreichischen Vorstellungen - inhaltlich wie prozedural - und die diesbezüglichen

administrativen und organisatorischen Vorkehrungen als auch die Aufnahme infor -

meller Konsultationen mit tschechischen und deutschen Stellen sowie mit der Euro -

päischen Kommission.

Hinsichtlich der in Artikel IV des Melker Protokolls angestrebten Klärung von Sicher -

heitsfragen sind die Vorbereitungsarbeiten vorangekommen. Das erste Treffen der

Expertenkommission mit trilateraler Beteiligung fand am 2. Februar 2001 in Wien

statt. Diese konstituierende Sitzung diente sowohl der Festlegung der weiteren Vor -

gangsweise als auch der Darlegung der konkreten österreichischen Fragen und Be -

denken.

 

Hinsichtlich der Gesamt - UVP sind die vorbereitenden Konsultationen noch nicht

gänzlich abgeschlossen, ich verweise aber erneut auf die Gemeinsame Erklärung

vom 13. Februar 2001, in der die entscheidenden Grundsätze und Strukturen der

Gesamt - UVP für das KKW Temelin festgelegt und die Aufgaben der UVP - Kommis -

sion präzisiert wurden.

 

Was den Zeitrahmen anbelangt bin ich der Meinung, dass eine vollständige und

vollinhaltliche Umsetzung der in Melk getroffenen Vereinbarungen Vorrang vor zeitli -

chen Absichtserklärungen hat.

 

ad 20 und 21

 

Sollte es tatsächlich zu einem Störfall mit potenziellen Auswirkungen auf die öster -

reichische Bevölkerung oder Umwelt kommen, würde die österreichische Bevölke -

rung sofort und umfassend informiert werden. Das staatliche Krisenmanagement im

Bundeskanzleramt hat in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Inneres

und den zuständigen Behörden der Länder für solche Fälle geeignete Alarmpläne

ausgearbeitet. Die bisherigen Ereignisse im KKW Temelin stellten jedoch keine

„Störfälle“ im international verbindlichen Sinn des Wortes dar.

Darüber hinaus hat die Umweltbundesamt GesmbH in meinem Auftrag eine eigene

"Temelin Home - Page" eingerichtet. Diese „Temelin Home - Page“ enthält auch Ver -

weise ("Links") zu anderen relevanten Internetseiten

 

ad 22

 

Hiezu darf ich auf die Beantwortung der Frage 12 verweisen.

 

ad 23

 

Die Erarbeitung von alternativen Optionen zur Inbetriebnahme des KKW Temelin

setzt die Kooperationsbereitschaft der tschechischen Partner voraus. Einer einseiti -

gen österreichischen Initiative wäre derzeit wenig Erfolg beschieden. Wir haben da -

her mit Artikel III des Melker Protokolls die politischen Voraussetzungen dafür ge -

schaffen, die bestehende energiewirtschaftliche Kooperation mit der Tschechischen

Republik im Rahmen einer ,,Energiepartnerschaft“ zu vertiefen.

 

Es sei aber auch daran erinnert, dass die österreichischen Beiträge zu der 1998 von

der Regierung der Tschechischen Republik eingesetzten internationalen Temelin -

Kommission klar gezeigt haben, dass das KKW Temelin ökonomisch fragwürdig ist.

Folglich wäre auch der volkswirtschaftliche Schaden durch die Nicht - Inbetriebnahme

als gering anzusetzen.