1752/AB XXI.GP

Eingelangt am: 16.03.2001

 

Bundesminister für Finanzen

 

 

Auf die schriftliche parlamentarische Anfrage der Abgeordneten Mag. Johann Maier und

Genossen vom 19. Jänner 2001, Nr. 1781/J, betreffend Europäischer Rat in Nizza -

Auswirkungen auf nationale Politik, beehre ich mich Folgendes mitzuteilen:

 

Zu 1. bis 3.:

Allgemeine Einleitung:

Die Grundlage der österreichischen Position in den Verhandlungen zum Vertrag von Nizza

bildete die von der Bundesregierung am 1.2.2000 beschlossene Grundsatzposition, die unter

der Federführung von Bundeskanzleramt und Bundesministerium für auswärtige Angelegen -

heiten mit allen zuständigen Bundesministerien, den Sozialpartnern, den Ländern, der Oester -

reichischen Nationalbank, dem Österreichischen Gemeindebund, dem Österreichischen

Städtebund und anderen betroffenen Stellen abgestimmt wurde. Die darin festgelegten grund -

sätzlichen Positionen bildeten den Rahmen für die konkrete österreichische Position in Nizza,

die entsprechend dem Verhandlungsfortgang weiterentwickelt wurde und in Einklang mit der

Stellungnahme des Hauptausschusses vom 6. Dezember 2000 stand.

 

Von dieser grundsätzlichen Position mussten im Wesentlichen keine Abstriche vorgenommen

werden.

Stimmgewichtung:

Zu 1.:

Ausgangspunkt der österreichischen Haltung in der Frage der Stimmgewichtung beim Euro -

päischen Rat (ER) Nizza war das „Protokoll über die Organe im Hinblick auf die Erweiterung

der Europäischen Union“, demzufolge jene Mitgliedstaaten, die auf das Nominierungsrecht für

den zweiten Kommissar verzichten, im Rahmen der Stimmgewichtung im Rat kompensiert

werden. Um die Zustimmung Österreichs zu erhalten, musste diese Kompensation maßvoll

ausfallen, und die Balance zwischen großen und kleinen Mitgliedstaaten gewahrt bleiben.

Österreich ist dafür eingetreten, dass jeder Beschluss von einer Mehrheit der Mitgliedstaaten

und einer Mehrheit der Bevölkerung mitgetragen wird. Hinsichtlich der in Frage kommenden

Modelle - Einführung einer doppelten Mehrheit oder Neugewichtung der Stimmen - hat sich

Österreich gegenüber beiden Alternativen offen gezeigt, solange die vorher genannten

Bedingungen erfüllt würden.

 

Zu 2. und 3.:

Der österreichischen Forderung nach einer „Mehrheit der Mitgliedstaaten und Mehrheit der

Bevölkerung“ wird im neuen System durch die explizite vertragliche Festlegung Rechnung

getragen. Der Vertrag von Nizza legt fest, dass jede Entscheidung zumindest von der Mehr -

heit der Mitgliedstaaten mitgetragen wird und ermöglicht die Überprüfung, ob eine Ent -

scheidung zumindest 62 % der Bevölkerung repräsentiert. Die in Nizza beschlossene neue

Stimmverteilung wahrt die Balance zwischen den großen Staaten und den kleineren und mitt -

leren Staaten und ändert das Stimmenverhältnis von kleinen und großen Mitgliedstaaten in

einer erweiterten Union leicht zugunsten der Gruppe der kleineren Staaten: Während im der -

zeitigen Stimmgewichtungssystem die großen Mitgliedstaaten zusammen 55 % der Ge -

samtstimmen erreichen, können die kleineren und mittleren Unionsmitglieder lediglich 45 %

der Gesamtstimmen auf sich vereinen. Das neue System bewirkt in einer Union von 27 Mit -

gliedern eine Angleichung dieser Zahlen: Die Gruppe der großen Mitgliedstaaten wird dann

über 49 % der Stimmen verfügen, während der Anteil der kleineren und mittleren Staaten auf

51 % der Gesamtstimmen steigt.

 

Aufgrund der äußerst schwierigen Verhandlungssituation im Bereich der Stimmgewichtung

konnte ein Abschluss der Regierungskonferenz erst erzielt werden, nachdem alle Mitglied -

staaten in dieser Frage Beweglichkeit gezeigt hatten und ihre Forderungen auf die jeweiligen

Kernanliegen reduzierten. Insofern ist das neue Entscheidungsmodell, demzufolge Rats -

beschlüsse künftig - bis zu - drei Mehrheiten erfordern, zwar kein ideales Ergebnis, gerade

auch was seine Verständlichkeit für die Öffentlichkeit anlangt; es war jedoch jener Kom -

promiss, der letztlich eine Gesamteinigung auf die Reform der Institutionen ermöglichte. Auch

im Bereich der Entscheidungseffizienz wird der Kompromisscharakter der Einigung deutlich:

In Nizza wurde zwar ein Absenken der Stimmenschwelle unter den derzeitigen Wert nach

dem ersten Beitritt vereinbart und damit die Entscheidungseffizienz erhöht, allerdings wird -

auf Drängen der größeren Mitgliedstaaten - die Stimmenschwelle in einer Union von 27 Mit -

gliedern einen höheren Wert erreichen als den derzeitigen.

 

Kommission:

Zu 1.:

Entsprechend seiner Grundsatzposition ist Österreich in Nizza für das Recht jedes Mitglied -

staates eingetreten, jedenfalls ein Mitglied der Kommission zu stellen. Ansatzpunkt für eine

Lösung war für Österreich das dem Vertrag von Amsterdam beigefügte „Protokoll über die

Organe im Hinblick auf die Erweiterung der Europäischen Union“, wonach die fünf größten

Mitgliedstaaten (Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien) - im Gegenzug

zu einer für alle Mitgliedstaaten annehmbaren Änderung der Stimmgewichtung - auf ihr Recht,

ein zweites Kommissionsmitglied zu nominieren, verzichten könnten.

 

Darüber hinaus hat sich Österreich für die Fortführung der Kommission als Kollegialorgan,

und damit die Wahrung des gleichberechtigten Status aller ihrer Mitglieder mit Sitz und

Stimme im Kollegium ausgesprochen.

Schließlich hat Österreich eine weitere Stärkung der Rolle des Kommissionspräsidenten, ins -

besondere durch die Verankerung der individuellen Verantwortlichkeit jedes einzelnen

Kommissars im Vertrag gefordert.

 

Zu 2. und 3.:

Da die großen Mitgliedstaaten ab dem Jahr 2005 auf ihr zweites Kommissionsmitglied ver -

zichten, wird ab diesem Zeitpunkt bis zum Abschluss des laufenden Erweiterungsprozesses

jeder Mitgliedstaat jeweils einen Kommissar stellen. Damit konnte Österreich sicherstellen,

dass es auch in weiterer Zukunft mit einem Mitglied in der Kommission vertreten sein wird.

 

Erst nach der Unterzeichnung des Beitrittsvertrags des 27. Unionsmitglieds wird der Rat eine

einstimmige Entscheidung über eine Begrenzung der Kommission und die präzisen Modali -

täten eines gleichberechtigten Rotationsprinzips treffen. Die neue Regelung wird erst in Kraft

treten, wenn nach dem erfolgten Beitritt des 27. Mitgliedstaates eine neue Kommission ihr

Amt antritt. Dies kann bis zu fünf Jahre später der Fall sein.

 

Mit der Einigung auf eine neue, gleichberechtigte Kommissionszusammensetzung und auf

eine egalitäre Rotation als Basis für jede weitere Neuregelung konnte das bestehende Gleich -

gewicht zwischen großen und kleineren Mitgliedstaaten gewahrt und das Recht Österreichs

auf die gleichberechtigte Vertretung in diesem zentralen EU - Organ gesichert werden.

 

Entgegen anhaltender Bedenken einiger Mitgliedstaaten wurde ferner eine weitere Stärkung

des Kommissionspräsidenten beschlossen: In Zukunft kann der Präsident mit Billigung des

Präsidiums u.a. einen Kommissar bindend zum Rücktritt auffordern.

 

Sitzverteilung im Europäischen Parlament (EP):

Zu 1.:

In der Frage der Änderung der Sitzverteilung im EP hat sich Österreich für jenes Modell aus -

gesprochen, in dem das für Österreich günstigste Resultat, das heißt die größtmögliche

Mitgliederzahl, erzielt wurde (Extrapolation des bisherigen Systems mit anschließender

linearer proportionaler Kürzung).

 

Zu 2. und 3.:

In Nizza wurde beschlossen, dass Österreich künftig mit 17 Abgeordneten im EP vertreten

sein wird. Das zweite in Diskussion befindliche Modell hätte für Österreich lediglich

14 Abgeordnete vorgesehen.

 

Artikel 7 i.V.m. 46 EUV:

Zu 1.:

Sowohl das Zustandekommen als auch die Beendigung der Sanktionen der

14 EU - Mitgliedstaaten gegen Österreich haben eindeutig gezeigt, dass die bisherigen Ver -

tragsinstrumente ein objektives, berechenbares und gerechtes Verfahren nicht gewährleisten

können. Österreich ist daher beim ER in Nizza für eine Reform des Artikels 7 EUV iVm Art. 46

EUV zur Schaffung eines Frühwarnsystems innerhalb der Verträge eingetreten. Ein Vorgehen

außerhalb der Verträge sollte in Zukunft nicht mehr möglich sein und die Rechtsstaatlichkeit

müsse in jeder Phase des Verfahrens gewahrt werden.

 

Zu 2. und 3.:

Österreich hat schon in einer frühen Phase der Regierungskonferenz (7. Juni 2000) einen

Vorschlag zur Reform des Artikels 7 EUV iVm Art. 46 EUV eingebracht, der von folgenden

Grundsätzen getragen war:

    - Schaffung eines Frühwarnmechanismus innerhalb der Verträge, der schon bei der

      Gefahr einer Verletzung einsetzt,

    - Zustimmung des Europäischen Parlaments,

    - Rechtliches Gehör für alle Mitgliedstaaten in allen Verfahrensstufen,

    - Begründungspflicht,

    - Angemessenheit der Entscheidungen,

    - Regelmäßige Überprüfungspflicht,

    - Nachprüfende Kontrolle durch den EuGH auf Antrag des betroffenen Mitgliedstaates.

Trotz großer Widerstände im Verhandlungsverlauf ist es Österreich gelungen, die vertragliche

Festlegung sämtlicher o.a. Elemente durchzusetzen.

 

Wirtschafts - und Sozialausschuss (WSA) / Ausschuss der Regionen (AdR):

Zu 1.:

Auch hier war das vorrangige Anliegen Österreichs die Sicherstellung seiner Vertretung und

die Wahrung der Mitgestaltungsmöglichkeit in den beiden Ausschüssen.

 

Zu 2. und 3.:

Entgegen den Vorschlägen der Präsidentschaft während der Verhandlungen im Vorfeld des

ER Nizza konnte die Gleichbehandlung der beiden Ausschüsse hinsichtlich ihrer Sitzzahl

durchgesetzt werden. Mit Blick auf die Erweiterung wurde für beide Ausschüsse die Gesamt -

mitgliederzahl für die EU - 27 mit 344 Mitgliedern vereinbart und eine Obergrenze mit jeweils

350 Mitgliedern festgelegt. Österreich wird daher in beiden Ausschüssen weiterhin mit jeweils

12 Sitzen vertreten sein. Zur Erleichterung des Ernennungsprozesses werden die Mitglieder

beider Ausschüsse vom Rat in Zukunft mit qualifizierter Mehrheit ernannt.

 

Reform des Gerichtssystems:

Zu 1.:

Österreich hat sich zur Entlastung und Wahrung der Effizienz des Europäischen Gerichts -

hofes (EuGH) und Verkürzung der Verfahrensdauer in einer erweiterten Union für eine Reform

und Stärkung des bestehenden Rechtsschutzes innerhalb der Union ausgesprochen (für eine

adäquate Entlastung des EuGH und für eine interne Reorganisation und flexiblere

Beschlussfähigkeit des EuGH). Im Sinne der Gleichheit aller Mitgliedstaaten der Union ist

Österreich insbesondere für die Wahrung des Grundsatzes eingetreten, wonach dem EuGH

ein Richter je Mitgliedstaat angehört.

 

Zu 2. und 3.:

Aus österreichischer Sicht ist entscheidend, dass jeder Mitgliedstaat auch weiterhin sowohl

einen Richter beim Gerichtshof als auch mindestens einen Richter beim Gericht 1. Instanz

stellt und dieses bislang ungeschriebene Prinzip nunmehr explizit im Vertrag festgeschrieben

wurde.

Zur Effizienzsteigerung wurde der Rat ermächtigt, mit einstimmigem Beschluss gerichtliche

Kammern in besonderen Sachgebieten (z. B. Beamten - Dienstrecht) einzurichten und

bestimmte Gruppen von Vorabentscheidungsverfahren dem Gericht 1. Instanz zur Behand-

lung zuzuweisen. Die Verfahrensordnung der Gerichte wird vom Rat künftig mit qualifizierter

Mehrheit genehmigt. Plenarsitzungen des Gerichtshofes werden weitgehend durch einen

kleineren Spruchkörper, die so genannte „Große Kammer“ mit 11 Richtern, ersetzt. Die

Mandatsdauer der Präsidenten von „5er - Kammern“ wird auf 3 Jahre verlängert.

 

Europäischer Rechnungshof (ERH):

Zu 1.:

Das zentrale Anliegen Österreichs war auch in dieser Frage die Wahrung seiner Mit -

gestaltungsmöglichkeit und die Sicherstellung seiner Vertretung im ERH.

 

Zu 2. und 3.:

Wir konnten durchsetzen, dass auch in einer erweiterten Union jeder Mitgliedstaat im

Rechnungshof vertreten ist, und dieses Prinzip erstmals vertraglich festgehalten wird. Der

Ernennungsprozess wurde durch den Übergang zur qualifizierten Mehrheit in diesem Bereich

erleichtert.

 

Zusammensetzung des EZB - Rates (Art. 10 EZB - Statut):

Zu 1.:

Das Anliegen Österreichs war es, im Rahmen dieser Vertragsrevision die Voraussetzungen

für eine wohl durchdachte Reform nach eingehender Diskussion der Auswirkungen der

Erweiterung auf die Strukturen der Europäischen Zentralbank zu schaffen. Österreich hatte

sich daher bereits im Vorfeld des ER Nizza auf Ebene des ECOFIN - Rates für eine

Ermächtigungsklausel ausgesprochen, um eine künftige Revision der Strukturen der EZB -

Gremien durch Ratsbeschluss zu ermöglichen.

 

Zu 2. und 3.:

Die Zusammensetzung kann vom Rat in der Zusammensetzung der Staats - und Regierungs -

chefs entweder auf Empfehlung der EZB nach Anhörung des EP und der EK oder auf

Empfehlung der EK nach Anhörung der EZB und des EP einstimmig geändert werden. Mit

dem Beschluss dieser Ermächtigungsklausel konnte einer überhasteten Reform im Bezug auf

die EZB - Strukturen vorgebeugt werden. Österreich konnte ferner durchsetzen, dass die

Änderungen erst dann in Kraft treten, nachdem sie von allem MS entsprechend ihren ver -

fassungsrechtlichen Bestimmungen angenommen wurden.

Ausdehnung der qualifizierten Mehrheitsentscheidung:

Zu 1.:

Beim ER von Nizza stand Österreich einer Ausdehnung der Entscheidungen im Rat mit

qualifizierter Mehrheit grundsätzlich positiv gegenüber, forderte aber für einige besonders

sensible Bereiche (siehe Beantwortung der Fragen 2 und 3) - erfolgreich - die Beibehaltung

der Einstimmigkeit.

 

Zu 2. und 3.:

Betreffend die Bereiche, in denen Österreich die Einstimmigkeit im Rat beibehalten wollte,

mussten so gut wie keine Abstriche vorgenommen werden.

• Hinsichtlich der in Art. 175 Abs.2 EGV genannten Maßnahmen, die die quantitative Bewirt -

  schaftung der Wasserressourcen, die Bodennutzung und die Raumordnung betreffen, gibt

  es im Vertrag von Nizza durch die Einfügung von „Maßnahmen, die direkt oder indirekt die

  Verfügbarkeit der Wasserressourcen betreffen“ eine Formulierung, die die Einstimmigkeit

  noch unmissverständlicher garantiert als dies im bestehenden Vertrag der Fall ist.

• Der Art. 71 Abs.2 EGV, der Einstimmigkeit bei „Vorschriften über die Grundsätze der Ver -

  kehrsordnung, deren Anwendung die Lebenshaltung und die Beschäftigungslage in be -

  stimmten Gebieten sowie den Betrieb der Verkehrseinrichtungen ernstlich beeinträchtigen

  könnte“, vorsieht, bleibt erhalten, obwohl praktisch alle anderen Mitgliedstaaten eine

  Streichung akzeptiert hätten.

• In einem gewissen Zusammenhang damit steht auch eine Erklärung zu Art. 175 EGV, der -

  gemäß die EU sich auch zu einer nachhaltigen Umweltpolitik einschließlich des Rückgriffs

  auf „marktorientierte, der Förderung einer nachhaltigen Entwicklung dienende Anreize und

  Instrumente“ verpflichtet.

• Hinsichtlich der Asyl - , Flüchtlings - und Einwanderungspolitik wird in Art. 67 EGV festgelegt,

  dass in einigen Fällen dann zur qualifizierten Mehrheit übergegangen werden kann, wenn

  die grundlegenden Rechtsakte zuvor einstimmig beschlossen worden sind, in noch sen -

  sibleren Unterbereichen (Lastenausgleich, Einwanderung und Aufenthalt von Drittstaats -

  angehörigen) überhaupt erst nach einem einstimmigen späteren Beschluss des Rates.

  Diese Lösung ist mit der von Österreich vertretenen Position faktisch ident.

• Schließlich wird bei der Ausdehnung der gemeinsamen Handelspolitik auf Dienstleistungen

  und Handelsaspekte des geistigen Eigentums vertraglich festgeschrieben, dass u.a. für

  horizontale Abkommen unter bestimmten Bedingungen weiterhin ein Vetorecht bestehen

  bleibt. Außerdem werden die Bereiche Investitionen und Verkehr nicht in den Artikel einbe -

  zogen. Auch hiermit wird unseren Hauptanliegen Rechnung getragen.

Abstriche mussten hingegen in Bereichen in Kauf genommen werden, in denen Österreich

zumindest teilweise den Übergang zur qualifizierten Mehrheit befürwortet hatte. Dies betrifft

insbesondere die Koordination der sozialen Sicherheitssysteme zur Herstellung der Freizügig -

keit der Unionsbürger (Art. 42 EGV) und die Steuerpolitik, wie besonders Umweltsteuern

(Art 93 und Art. 175 EGV). Diese Bereiche bleiben zur Gänze der Einstimmigkeit unterworfen.

 

Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik:

Zu 1.:

Österreich ist dafür eingetreten, die auf dem Gebiet der GESVP erzielten Fortschritte auch

primärrechtlich festzuschreiben. Ferner hat Österreich die Übertragung von Entscheidungs -

befugnissen an das Politische und Sicherheitspolitische Komitee befürwortet, damit dieses im

Krisenfall eigenständig Beschlüsse fassen kann, und einen diesbezüglichen Vorschlag der

Benelux - Staaten und Italiens zur Anpassung des EU - Vertrages an die GESVP begrüßt.

 

Zu 2. und 3.:

Der angesprochene Vorschlag der Benelux - Staaten und Italiens hat die weit gehende

Zustimmung der anderen Mitgliedstaaten gefunden. In Art. 17 EUV wurden alle Hinweise auf

die WEU gestrichen, in Art. 25 wurde das Politische Komitee durch das Politische und Sicher -

heitspolitische Komitee (PSK) ersetzt, das vom Rat für die Dauer einer Krisenmanagement -

Operation ermächtigt werden kann, Beschlüsse hinsichtlich der politischen Kontrolle und

strategischen Führung dieser Operation zu fassen.

 

Verstärkte Zusammenarbeit (vZ):

Zu 1.:

Das Instrument der verstärkten Zusammenarbeit war bereits im Vertrag von Amsterdam unter

sehr restriktiven Bedingungen angelegt und in der Folge in der Praxis noch niemals ange -

wendet worden. Österreich positionierte sich in der Gruppe jener Mitgliedstaaten, die einer

Erleichterung der Bestimmungen über die vZ unter bestimmten Auflagen zustimmten, um

außervertragliche Kooperationen von nicht allen Mitgliedstaaten zu verhindern. Zu diesen

Auflagen zählten insbesondere

- die Notwendigkeit einer kritischen Masse von (8) Mitgliedstaaten zur Begründung einer vZ,

  und zwar im Hinblick auf alle drei Säulen;

- der Vorrang der alle Mitgliedstaaten einbeziehenden Gemeinschaftsmethode vor einer vZ,

  die immer letztes Mittel bleibt;

- die zu jeder Zeit bestehende Offenheit des Prozesses für das Aufschließen nichtteil -

  nehmender Mitgliedstaaten;

- die gebotene Berücksichtigung der Verträge, Ziele und des Rechtsbestandes der Euro -

  päischen Gemeinschaft sowie der Zuständigkeiten, Rechte und Pflichten der nichtteil -

  nehmenden Staaten sowie

- eine starke Rolle für die Kommission in allen Säulen.

 

Zu 2. und 3.:

Der ER Nizza hat beschlossen, die Bedingungen für die bereits im Vertrag von Amsterdam

geschaffene Möglichkeit der verstärkten Zusammenarbeit zu erleichtern. Es wurde daher die

Möglichkeit, dass ein Mitgliedstaat eine derartige Zusammenarbeit verhindert, gestrichen und

der Anwendungsbereich des Instruments der verstärkten Zusammenarbeit auch auf die zweite

Säule ausgedehnt. In Zukunft wird verstärkte Zusammenarbeit daher auch im Bereich der

Gemeinsamen Außen - und Sicherheitspolitik (bei der Umsetzung gemeinsamer Aktionen und

Standpunkte) möglich sein. Bereiche mit militärischen Implikationen und der Bereich der Ver -

teidigung bleiben vom Anwendungsbereich jedoch auch weiterhin ausgespart. Weiters wurde

als Mindestteilnehmerzahl an einer verstärkten Zusammenarbeit die Zahl von acht Mitglied -

staaten fixiert. Dieses Erfordernis gilt, entgegen den Bestrebungen mancher Mitglieder, in

allen drei Säulen. Es konnte auch sichergestellt werden, dass verstärkte Zusammenarbeit

auch in Zukunft nur als "letztes Mittel" herangezogen werden darf. Sie muss die Verträge,

Ziele und den Rechtsbestand der Europäischen Gemeinschaft beachten und muss all jenen

offen stehen, die an ihr teilnehmen möchten. Verstärkte Zusammenarbeit kann somit in unter -

schiedlicher Zusammensetzung und in verschiedenen Bereichen stattfinden. Davon ausge -

nommen sind jedoch die Kern bereiche der Union wie der Binnenmarkt und die Kohäsion. Das

ambitionierte Ziel der Ausweitung der starken Rolle der Kommission von der ersten auf die

anderen beiden Säulen konnte zwar nicht erreicht werden, ihr Mitspracherecht wurde jedoch

auch für die zweite und dritte Säule sichergestellt.

 

„Zukunft der Union“ - Reformprozess:

Zu 1.:

In der Frage der Zukunft der Union hat Österreich in Nizza die Position vertreten, dass in

einem Prozess, der 6 - 10 Monate nach Nizza beginnen soll, folgende Themen behandelt

werden sollten:

     - Präzisere Kompetenzabgrenzung zwischen der EU, den Mitgliedstaaten und den

       Regionen,

     - Vereinfachung der Verträge,

     - die weitere Behandlung der am ER Nizza proklamierten Grundrechtecharta,

     - die Schaffung einer zweiten, aus Vertretern der nationalen Parlamente gebildeten

       Kammer des EP,

     - Verbesserung der Außenvertretung der Union.

 

Zu 2. und 3.:

In Nizza haben die Mitgliedstaaten in der „Erklärung zur Zukunft der Union vereinbart, für das

Jahr 2004 eine neue Regierungskonferenz einzuberufen. Die im Rahmen dieser Regierungs -

konferenz „unter anderem“ zu erörternden Fragen, die nachstehend aufgezählt werden, ent -

sprechen im Wesentlichen der österreichischen Forderungsliste:

   - eine genauere, dem Subsidiaritätsprinzip entsprechende Abgrenzung der Zuständig -

     keiten zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten sowie die Über -

     wachung ihrer Einhaltung;

   - der Status der in Nizza proklamierten Charta der Grundrechte der Europäischen

     Union;

   - die Vereinfachung der Verträge mit dem Ziel, sie klarer und verständlicher zu machen,

     ohne sie inhaltlich zu ändern

   - die Rolle der nationalen Parlamente in der Architektur Europas.

Bereits im Jahr 2001 werden die vorsitzführenden Mitgliedstaaten Schweden und Belgien in

Zusammenarbeit mit der Kommission und dem Europäischen Parlament eine umfassende

Debatte mit allen interessierten kreisen zu den Themen der Regierungskonferenz 2004 ein -

leiten. Insbesondere Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft sollen

in die Vorbereitungen einbezogen werden. Nach einem ersten Bericht anlässlich des ER in

Göteborg (Juni 2001) sollen bei der Tagung in Laeken im Dezember 2001 die geeigneten

Initiativen für die Fortführung des Diskussionsprozesses festgelegt werden.

 

Zu 4.:

Die mit dem Vertrag von Nizza beschlossene Änderung des Primärrechts berührt sämtliche

unter den Fragen 1 - 3 dargestellten Themenbereiche und betrifft insofern alle Ressorts in ihren

Zuständigkeiten.

 

Darüber hinaus berühren die Schlussfolgerungen der Präsidentschaft meine Ressort -

angelegenheiten insbesondere in den Punkten Steuerpaket und Grenzlandförderung.

 

Zu 5.:

Wie sich aus Artikel 4 des Vertrags über die Europäische Union ergibt, ist der Europäische

Rat in erster Linie als politisches Steuerungsorgan konzipiert, das zwar über eine grund -

legende politische Richtlinienkompetenz verfügt, von wenigen Ausnahmen (vgl. Art. 13 Abs. 2

EUV, Art. 17 Abs. 1 EUV) abgesehen aber nicht zum Erlass verbindlicher Rechtsakte befugt

ist. Für die Mitgliedstaaten ergeben sich daher aus den Beschlüssen des ER keinerlei

unmittelbar wirksame Umsetzungsverpflichtungen, und auch die Gemeinschaftsorgane, denen

die Umsetzung der Schlussfolgerungen in erster Linie obliegt, werden durch sie im Sinne des

Kohärenzgebotes nur in politischer, nicht jedoch in rechtlicher Hinsicht gebunden. Die Frage

der Ergreifung - nationaler - legislativer Maßnahmen zur unmittelbaren Umsetzung der

Schlussfolgerungen des Vorsitzes des ER stellt sich daher so nicht.

 

Zu 6. und 7.:

Siehe die Antwort zu Frage 5.

 

Zu 8.:

Die Agenda des ER in Stockholm am 23.124. März 2001 ist weitgehend von den Beschlüssen

am ER in Lissabon am 23.124. März 2000 bestimmt.

In Lissabon wurde das strategische Globalziel beschlossen, die Union zum wettbewerbs -

fähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum in der Welt zu machen -

einem Wirtschaftsraum, der fähig ist, ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und

besseren Arbeitsplätzen und einem größeren sozialen Zusammenhalt zu erzielen.

Der ER Lissabon hat weiters beschlossen, dass der Europäische Rat eine stärkere Leitungs -

und Koordinierungsfunktion wahrnehmen soll, die eine kohärentere strategische Leitung und

eine effektive Überwachung der Fortschritte gewährleisten soll. In diesem Sinne findet jährlich

im Frühjahr eine Tagung des ER zu wirtschafts - und sozialpolitischen Fragen statt, bei der die

entsprechenden Mandate festgelegt und Sorge dafür getragen wird, dass entsprechende

Folgemaßnahmen zur Umsetzung der Lissabonner Strategie ergriffen werden.

 

Aus österreichischer Sicht werden beim ER die folgenden Anliegen im Zusammenhang mit

der Umsetzung der Globalstrategie vertreten:

Österreich begrüßt und unterstützt den Zugang der schwedischen Präsidentschaft in der Vor -

bereitung des ER in Stockholm, der darauf ausgerichtet ist, ein effizientes und ambitionier -

tes Follow - up der Lissabonner Strategie sicherzustellen.

Wichtige Prämissen für die Arbeit des ER in Stockholm sind aus österreichischer Perspektive:

    - Die Ausgewogenheit in der Weiterentwicklung der Gesamtstrategie in Bezug auf die

       vier Eckpfeiler Beschäftigung, Innovation, wirtschaftliche Reformen und soziale

       Kohäsion.

    - Kontinuität durch Evaluierung der bisherigen Umsetzung der Gesamtstrategie und

       neue Impulse in der Umsetzung durch verstärkte Prioritätensetzung und ambitionierte,

       realistische Zeitpläne.

    - Die von der schwedischen Präsidentschaft gewählte demographische Ent -

       wicklung als thematischer Fokus beleuchtet gezielt die großen Herausforderungen

       für die wirtschafts - und sozialpolitische Gestaltung der europäischen Zukunft und stellt

       somit einen guten Ausgangspunkt der Diskussionen dar.

 

Zu 9.:

Durch den Abschluss der Regierungskonferenz in Nizza werden die Institutionen zum ersten

Mal seit der Gründung der Union in größerem Ausmaß angepasst. In Nizza ist es dabei

gelungen, eine für alle Mitglieder akzeptable Lösung für jene Fragen zu erreichen, über die

sich die Mitgliedstaaten einige Jahre zuvor in Amsterdam noch nicht einigen konnten.

Österreich hätte dabei in manchen Bereichen weiter gehendere Vertragsreformen bevorzugt.

Es ist meines Erachtens jedoch nicht angebracht, die Bedeutung des letztendlich gefundenen

Kompromisses durch diese Überlegungen in Zweifel zu ziehen. Vielmehr steht für mich bei

einer Beurteilung der Ergebnisse im Vordergrund, dass die Union mit dem Abschluss des

Vertrages von Nizza das entscheidende Ziel - die notwendigen institutionellen Voraus -

setzungen für die Erweiterung zu schaffen - erreicht hat. Sie ist durch den Vertragsabschluss

nach erfolgter Ratifikation in den Mitgliedstaaten ab 2003 erweiterungsfähig. Es ist in Nizza

dabei gelungen, die relative Stellung der kleineren und mittleren Mitgliedstaaten im Gefüge

der Union auch in einer künftig erweiterten Union zu wahren. Zudem wird mit der Weiter -

entwicklung des Artikels 7 der Schutz der Grundrechte, der Demokratie und der Rechtsstaat -

lichkeit in der Union auf eine höhere Ebene gestellt.