1786/AB XXI.GP

Eingelangt am: 20.03.2001

 

Dr. Wolfgang

Schüssel Bundeskanzler

 

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Maier und Genossen haben am 19. Jänner

2001 unter der Nr. 1778/J an mich eine schriftliche parlamentarische Anfrage betref -

fend Europäischer Rat in Nizza - Auswirkungen auf nationale Politik gerichtet.

 

Diese Anfrage beantworte ich wie folgt:

 

Zu den Fragen 1 bis 3:

Einleitend wird festgehalten, daß die Grundlage der österreichischen Position in den

Verhandlungen zum Vertrag von Nizza die von der Bundesregierung am

1. Februar 2000 beschlossene Grundsatzposition bildete, die unter der Federführung

von Bundeskanzleramt und Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten mit

allen zuständigen Bundesministerien, den Sozialpartnern, den Ländern, der

Österreichischen Nationalbank, dem Österreichischen Gemeindebund, dem

Österreichischen Städtebund und anderen betroffenen Stellen abgestimmt wurde.

Die darin festgelegten grundsätzlichen Positionen bildeten den Rahmen für die

konkrete österreichische Position in Nizza, die entsprechend dem

Verhandlungsfortgang weiterentwickelt wurde und in Einklang mit der Stellungnahme

des Hauptausschusses vom 6. Dezember 2000 stand.

 

Von dieser grundsätzlichen Position mußten im Wesentlichen keine Abstriche vorge -

nommen werden.

 

Stimmgewichtung

ZuFrage1:

Ausgangspunkt der österreichischen Haltung in der Frage der Stimmgewichtung

beim ER Nizza war das "Protokoll über die Organe im Hinblick auf die Erweiterung

der Europäischen Union", demzufolge jene Mitgliedstaaten, die auf das

Nominierungsrecht für den zweiten Kommissar verzichten, im Rahmen der

Stimmgewichtung im Rat eine Kompensation erhalten. Um die Zustimmung

Österreichs zu erhalten, mußte diese Kompensation maßvoll ausfallen und die

Balance zwischen großen und kleinen Mitgliedstaaten gewahrt bleiben. Österreich ist

dafür eingetreten, daß jeder Beschluß von einer Mehrheit der Mitgliedstaaten und

einer Mehrheit der Bevölkerung mitgetragen wird. Hinsichtlich der in Frage

kommenden Modelle - Einführung einer doppelten Mehrheit oder Neugewichtung

der Stimmen - hat sich Österreich gegenüber beiden Alternativen offen gezeigt,

solange die vorher genannten Bedingungen erfüllt würden.

 

Zu den Fragen 2 und 3:

Der österreichischen Forderung nach einer „Mehrheit der Mitgliedstaaten und Mehr -

heit der Bevölkerung,, wird im neuen System durch die explizite vertragliche Festle -

gung Rechnung getragen. Der Vertrag von Nizza legt fest, daß jede Entscheidung

zumindest von der Mehrheit der Mitgliedstaaten mitgetragen wird und ermöglicht die

Überprüfung, ob eine Entscheidung zumindest 62% der Bevölkerung repräsentiert.

Die in Nizza beschlossene neue Stimmverteilung wahrt die Balance zwischen den

großen Staaten und den kleineren und mittleren Staaten und ändert das Stimmen -

verhältnis von kleinen und großen Mitgliedstaaten in einer erweiterten Union leicht

zugunsten der Gruppe der kleineren Staaten: Während im derzeitigen Stimmgewich -

tungssystem die großen Mitgliedstaaten zusammen 55% der Gesamtstimmen errei -

chen, können die kleineren und mittleren Unionsmitglieder lediglich 45% der

Gesamtstimmen auf sich vereinen. Das neue System bewirkt in einer Union von 27

Mitgliedern eine Angleichung dieser Zahlen: Die Gruppe der großen Mitgliedstaaten

wird dann über 49% der Stimmen verfügen, während der Anteil der kleineren und

mittleren Staaten auf 51% der Gesamtstimmen steigt.

 

Aufgrund der äußerst schwierigen Verhandlungssituation im Bereich der Stimmge -

wichtung konnte ein Abschluß der Regierungskonferenz erst erzielt werden,

nachdem alle Mitgliedstaaten in dieser Frage Beweglichkeit gezeigt hatten und ihre

Forderungen auf die jeweiligen Kernanliegen reduzierten. Insofern ist das neue

Entscheidungsmodell, demzufolge Ratsbeschlüsse künftig - bis zu - drei Mehrheiten

erfordern, zwar kein ideales Ergebnis, gerade auch was seine Verständlichkeit für

die Öffentlichkeit anlangt; es war jedoch jener Kompromiß, der letztlich eine

Gesamteinigung auf die Reform der Institutionen ermöglichte.

 

Kommission:

Zu Frage 1:

Entsprechend seiner Grundsatzposition ist Österreich in Nizza für das Recht jedes

Mitgliedstaates eingetreten, jedenfalls ein Mitglied der Kommission zu stellen. An -

satzpunkt für eine Lösung war für Österreich das dem Vertrag von Amsterdam bei -

gefügte „Protokoll über die Organe im Hinblick auf die Erweiterung der

Europäischen Union,,, wonach die fünf größten Mitgliedstaaten (Deutschland,

Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien) - im Gegenzug zu einer für alle

Mitgliedstaaten annehmbaren Änderung der Stimmgewichtung - auf ihr Recht, ein

zweites Kommissionsmitglied zu nominieren, verzichten könnten.

Darüber hinaus hat sich Österreich für die Fortführung der Kommission als Kollegial -

organ und damit für die Wahrung des gleichberechtigten Status aller ihrer Mitglieder

mit Sitz und Stimme im Kollegium ausgesprochen.

 

Schließlich hat Österreich eine weitere Stärkung der Rolle des Kommissionspräsi -

denten, insbesondere durch die Verankerung der individuellen Verantwortlichkeit

jedes einzelnen Kommissars, im Vertrag gefordert.

 

Zu den Fragen 2 und 3:

Da die großen Mitgliedstaaten ab dem Jahr 2005 auf ihr zweites Kommissionsmit -

glied verzichten, wird ab diesem Zeitpunkt bis zum Abschluß des laufenden Erweite -

rungsprozesses jeder Mitgliedstaat jeweils einen Kommissar stellen. Damit konnte

Österreich sicherstellen, daß es auch in weiterer Zukunft mit einem Mitglied in der

Kommission vertreten sein wird.

 

Erst nach der Unterzeichnung des Beitrittsvertrags des 27. Unionsmitglieds wird der

Rat eine einstimmige Entscheidung über eine Begrenzung der Kommission und die

präzisen Modalitäten eines gleichberechtigten Rotationsprinzips treffen. Die neue

Regelung wird erst in Kraft treten, wenn nach dem erfolgten Beitritt des 27. Mitglied -

staates eine neue Kommission ihr Amt antritt. Dies kann bis zu fünf Jahre später der

Fall sein.

 

Mit der Einigung auf eine neue, gleichberechtigte Kommissionszusammensetzung

und auf eine egalitäre Rotation als Basis für jede weitere Neuregelung konnte das

bestehende Gleichgewicht zwischen großen und kleineren Mitgliedstaaten gewahrt

und das Recht Österreichs auf die gleichberechtigte Vertretung in diesem zentralen

EU - Organ gesichert werden.

 

Entgegen anhaltender Bedenken einiger Mitgliedstaaten wurde ferner eine weitere

Stärkung des Kommissionspräsidenten beschlossen: In Zukunft kann der Präsident

mit Billigung des Präsidiums u.a. einen Kommissar bindend zum Rücktritt auffordern.

 

Sitzverteilung im Europäischen Parlament (EP):

Zu Frage 1:

In der Frage der Änderung der Sitzverteilung im EP hat sich Österreich für jenes Mo -

dell ausgesprochen, in dem das für Österreich günstigste Resultat, dh. die

größtmögliche Mitgliederzahl, erzielt wurde (Extrapolation des bisherigen Systems

mit anschließender linearer proportionaler Kürzung).

 

Zu den Fragen 2 und 3:

In Nizza wurde beschlossen, daß Österreich künftig mit 17 Abgeordneten im EP ver -

treten sein wird. Das zweite in Diskussion befindliche Modell hätte für Österreich le -

diglich 14 Abgeordnete vorgesehen.

 

Artikel 7 i.V.m. 46 EUV:

Zu Frage 1:

Sowohl das Zustandekommen als auch die Beendigung der Sanktionen der 14 EU -

Mitgliedstaaten gegen Österreich haben eindeutig gezeigt, daß die bisherigen Ver -

tragsinstrumente ein objektives, berechenbares und gerechtes Verfahren nicht ge -

währleisten können. Österreich ist daher beim Europäischen Rat in Nizza für eine

Reform des Artikels 7 EUV iVm Art. 46 EUV zur Schaffung eines Frühwarnsystems

innerhalb der Verträge eingetreten. Ein Vorgehen außerhalb der Verträge sollte in

Zukunft nicht mehr möglich sein und die Rechtsstaatlichkeit müsse in jeder Phase

des Verfahrens gewahrt werden.

 

Zu den Fragen 2 und 3:

Österreich hat schon in einer frühen Phase der Regierungskonferenz (7. Juni 2000)

einen Vorschlag zur Reform des Artikels 7 EUV iVm Art. 46 EUV eingebracht, der

von folgenden Grundsätzen getragen war:

-  Schaffung eines Frühwarnmechanismus innerhalb der Verträge, der schon bei

   der Gefahr einer Verletzung einsetzt,

-  Zustimmung des Europäischen Parlaments,

-  Rechtliches Gehör für alle Mitgliedstaaten in allen Verfahrensstufen,

-  Begründungspflicht,

-  Angemessenheit der Entscheidungen,

-  Regelmäßige Überprüfungspflicht,

-  Nachprüfende Kontrolle durch den EuGH auf Antrag des betroffenen

   Mitgliedstaates.

 

Trotz großer Widerstände im Verhandlungsverlauf ist es Österreich gelungen, die

vertragliche Festlegung sämtlicher o.a. Elemente durchzusetzen.

 

Wirtschafts - und Sozialausschuss (WSA) / Ausschuß der Regionen (AdR):

Zu Frage 1:

Auch hier war das vorrangige Anliegen Österreichs die Sicherstellung seiner Vertre -

tung und die Wahrung der Mitgestaltungsmöglichkeit in den beiden Ausschüssen.

 

Zu den Fragen 2 und 3:

Entgegen den Vorschlägen der Präsidentschaft während der Verhandlungen im Vor -

feld des ER Nizza konnte die Gleichbehandlung der beiden Ausschüsse hinsichtlich

ihrer Sitzzahl durchgesetzt werden. Mit Blick auf die Erweiterung wurde für beide

Ausschüsse die Gesamtmitgliederzahl für die EU - 27 mit 344 Mitgliedern vereinbart

und eine Obergrenze mit jeweils 350 Mitgliedern festgelegt. Österreich wird daher in

beiden Ausschüssen weiterhin mit jeweils 12 Sitzen vertreten sein. Zur Erleichterung

des Ernennungsprozesses werden die Mitglieder beider Ausschüsse vom Rat in Zu -

kunft mit qualifizierter Mehrheit ernannt.

 

Reform des Gerichtssystems:

Zu Frage 1:

Österreich hat sich zur Entlastung und Wahrung der Effizienz des Europäischen Ge -

richtshofes (EuGH) für eine Verkürzung der Verfahrensdauer in einer erweiterten

Union und für eine Reform und Stärkung des bestehenden Rechtsschutzes

innerhalb der Union ausgesprochen (für eine adäquate Entlastung des EuGH und für

eine interne Reorganisation und flexiblere Beschlußfähigkeit des EuGH). Im Sinne

der Gleichheit aller Mitgliedstaaten der Union ist Österreich insbesondere für die

Wahrung des Grundsatzes eingetreten, wonach dem EuGH ein Richter je

Mitgliedstaat angehört.

Zu den Fragen 2 und 3:

Aus österreichischer Sicht ist entscheidend, daß jeder Mitgliedstaat auch weiterhin

sowohl einen Richter beim Gerichtshof als auch mindestens einen Richter beim Ge -

richt 1. Instanz stellt und dieses bislang ungeschriebene Prinzip nunmehr explizit im

Vertrag festgeschrieben wurde.

 

Zur Effizienzsteigerung wurde der Rat ermächtigt, mit einstimmigem Beschluß ge -

richtliche Kammern in besonderen Sachgebieten (z. B. Beamtendienstrecht) einzu -

richten und bestimmte Gruppen von Vorabentscheidungsverfahren dem Gericht

1. Instanz zur Behandlung zuzuweisen. Die Verfahrensordnung der Gerichte wird

vom Rat künftig mit qualifizierter Mehrheit genehmigt. Plenarsitzungen des Gerichts -

hofes werden weitgehend durch einen kleineren Spruchkörper, die sogenannte

„Große Kammer,, mit 11 Richtern, ersetzt. Die Mandatsdauer der Präsidenten von

„5er - Kammern,, wird auf 3 Jahre verlängert.

 

Europäischer Rechnungshof (ERH):

Zu Frage 1:

Das zentrale Anliegen Österreichs war auch in dieser Frage die Wahrung seiner

Mitgestaltungsmöglichkeit und die Sicherstellung seiner Vertretung im ERH.

 

Zu den Fragen 2 und 3:

Wir konnten durchsetzen, daß auch in einer erweiterten Union jeder Mitgliedstaat im

Rechnungshof vertreten ist, und dieses Prinzip erstmals vertraglich festgehalten

wird. Der Ernennungsprozeß wurde durch den Übergang zur qualifizierten Mehrheit

in diesem Bereich erleichtert.

 

Zusammensetzung des EZB - Rates (Art.10 EZB - Statut):

Zu Frage 1:

Das Anliegen Österreichs war es, im Rahmen dieser Vertragsrevision die Vorausset -

zungen für eine wohldurchdachte Reform nach eingehender Diskussion der Auswir -

kungen der Erweiterung auf die Strukturen der Europäischen Zentralbank zu schaf -

fen. Österreich hat sich daher für eine Ermächtigungsklausel ausgesprochen, um

eine künftige Revision der Strukturen der EZB - Gremien durch Ratsbeschluß zu

ermöglichen.

 

Zu den Fragen 2 und 3:

Die Zusammensetzung kann vom Rat in der Zusammensetzung der Staats - und Re -

gierungschefs entweder auf Empfehlung der EZB nach Anhörung des EP und der

EK oder auf Empfehlung der EK nach Anhörung der EZB und des EP einstimmig

geändert werden. Mit dem Beschluß dieser Ermächtigungsklausel konnte einer

überhasteten Reform im Bezug auf die EZB - Strukturen vorgebeugt werden.

Österreich konnte ferner durchsetzen, daß die Änderungen erst dann in Kraft treten,

nachdem sie von allem MS entsprechend ihren verfassungsrechtlichen

Bestimmungen angenommen wurden.

Ausdehnung der qualifizierten Mehrheitsentscheidung:

Zu Frage 1:

Beim Europäischen Rat von Nizza stand Österreich einer Ausdehnung der Entschei -

dungen im Rat mit qualifizierter Mehrheit grundsätzlich positiv gegenüber, forderte

aber für einige besonders sensible Bereiche - erfolgreich - die Beibehaltung der Ein -

stimmigkeit.

 

Zu den Fragen 2 und 3:

Hinsichtlich jener Bereiche, in denen Österreich die Einstimmigkeit im Rat beibehal -

ten wollte, mußten keine Abstriche vorgenommen werden.

-  Hinsichtlich der in Art. 175 Abs.2 EGV genannten Maßnahmen, die die

   quantitative Bewirtschaftung der Wasserressourcen, die Bodennutzung und die

   Raumordnung betreffen, gibt es im Vertrag von Nizza durch die Einfügung von

   „Maßnahmen, die direkt oder indirekt die Verfügbarkeit der Wasserressourcen

   betreffen,, eine Formulierung, die die Einstimmigkeit noch unmißverständlicher

   garantiert als dies im bestehenden Vertrag der Fall ist.

-  Der Art. 71 Abs.2 EGV, der Einstimmigkeit bei „Vorschriften über die Grundsätze

   der Verkehrsordnung, deren Anwendung die Lebenshaltung und die Beschäfti -

   gungslage in bestimmten Gebieten sowie den Betrieb der Verkehrseinrichtungen

   ernstlich beeinträchtigen könnte,,, vorsieht, bleibt erhalten, obwohl praktisch alle

   anderen Mitgliedstaaten eine Streichung akzeptiert hätten.

-  In einem gewissen Zusammenhang damit steht auch eine Erklärung zu Art. 175

   EGV, dergemäß die EU sich auch zu einer nachhaltigen Umweltpolitik einschließ -

   lich des Rückgriffs auf „marktorientierte, der Förderung einer nachhaltigen Ent -

   wicklung dienende Anreize und Instrumente,, verpflichtet.

-  Hinsichtlich der Asyl -, Flüchtlings - und Einwanderungspolitik wird in Art. 67 EGV

   festgelegt, daß in einigen Fällen dann zur qualifizierten Mehrheit übergegangen

   werden kann, wenn die grundlegenden Rechtsakte zuvor einstimmig beschlossen

   worden sind, in noch sensibleren Unterbereichen (Lastenausgleich, Einwanderung

   und Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen) überhaupt erst nach einem einstim -

   migen späteren Beschluß des Rates. Diese Lösung ist mit der von Österreich

   vertretenen Position faktisch identisch

 

Abstriche mußten hingegen in Bereichen in Kauf genommen werden, in denen

Österreich zumindest teilweise den Übergang zur qualifizierten Mehrheit befürwortet

hatte. Dies betrifft insbesondere die Koordination der sozialen Sicherheitssysteme

zur Herstellung der Freizügigkeit der Unionsbürger (Art. 42 EGV) und Teilbereiche

der Steuerpolitik, wie besonders Umweltsteuern (Art. 93 und Art. 175 EGV). Diese

Bereiche bleiben zur Gänze der Einstimmigkeit unterworfen.

Europäische Sicherheits - und Verteidigungspolitik:

Zu Frage 1:

Österreich ist dafür eingetreten, die auf dem Gebiet der GESVP erzielten Fortschritte

auch primärrechtlich festzuschreiben. Ferner hat Österreich die Übertragung von

Entscheidungsbefugnissen an das Politische und Sicherheitspolitische Komitee

befürwortet, damit dieses im Krisenfall rasch die notwendigen Beschlüsse fassen

kann, und einen diesbezüglichen Vorschlag der Benelux - Staaten und Italiens zur

Anpassung des EU - Vertrages an die GESVP begrüßt.

 

Zu den Fragen 2 und 3:

Der angesprochene Vorschlag der Benelux - Staaten und Italiens hat die weitgehende

Zustimmung der anderen Mitgliedstaaten gefunden. In Art. 17 EUV wurden alle Hin -

weise auf die WEU gestrichen, in Art. 25 wurde das Politische Komitee durch das

Politische und Sicherheitspolitische Komitee (PSK) ersetzt, das im Rahmen eines

Mandaten des Rates für die Dauer einer Krisenmanagement - Operation ermächtigt

werden kann, Beschlüsse hinsichtlich der politischen Kontrolle und strategischen

Führung dieser Operation zu fassen.

 

Verstärkte Zusammenarbeit (vZ):

Zu Frage 1:

Das Instrument der verstärkten Zusammenarbeit war bereits im Vertrag von Amster -

dam unter sehr restriktiven Bedingungen angelegt und in der Folge in der Praxis

noch niemals angewendet worden. Österreich positionierte sich in der Gruppe jener

Mitgliedstaaten, die einer Erleichterung der Bestimmungen über die vZ unter

bestimmten Auflagen zustimmten, um außervertragliche Kooperationen von

manchen Mitgliedstaaten zu verhindern. Zu diesen Auflagen zählten insbesondere

-  die Notwendigkeit einer kritischen Masse von (8) Mitgliedstaaten zur Begründung

   einer vZ, und zwar im Hinblick auf alle drei Säulen;

-  der Vorrang der alle Mitgliedstaaten einbeziehenden Gemeinschaftsmethode vor

   einer vZ, die immer letztes Mittel bleibt;

-  die zu jeder Zeit bestehende Offenheit des Prozesses für das Aufschließen

   nichtteilnehmender Mitgliedstaaten;

-  die gebotene Berücksichtigung der Verträge, Ziele und des Rechtsbestandes der

   Europäischen Gemeinschaft sowie der Zuständigkeiten, Rechte und Pflichten der

   nichtteilnehmenden Staaten sowie

-  eine starke Rolle für die Kommission in allen Säulen.

 

Zu den Fragen 2 und 3:

Der ER Nizza hat beschlossen, die Bedingungen für die bereits im Vertrag von Ams -

terdam geschaffene Möglichkeit der verstärkten Zusammenarbeit zu erleichtern. Es

wurde daher die Möglichkeit, daß ein Mitgliedstaat eine derartige Zusammenarbeit

verhindert, gestrichen und der Anwendungsbereich des Instruments der verstärkten

Zusammenarbeit auch auf die zweite Säule ausgedehnt. In Zukunft wird verstärkte

Zusammenarbeit daher auch im Bereich der Gemeinsamen Außen - und Sicherheits -

politik (bei der Umsetzung gemeinsamer Aktionen und Standpunkte) möglich sein.

Ausnahme sind Bereiche mit militärischen Implikationen und der Bereich der

Verteidigung. Sie bleiben vom Anwendungsbereich der verstärkten Zusammenarbeit

weiterhin ausgespart. Weiters wurde als Mindestteilnehmerzahl an einer verstärkten

Zusammenarbeit die Zahl von acht Mitgliedstaaten fixiert. Dieses Erfordernis gilt in

allen drei Säulen. Es konnte auch sichergestellt werden, daß verstärkte Zu -

sammenarbeit auch in Zukunft nur als „letztes Mittel,, herangezogen werden darf. Sie

muß die Verträge, Ziele und den Rechtsbestand der Europäischen Gemeinschaft

beachten und muß all jenen offen stehen, die an ihr teilnehmen möchten. Verstärkte

Zusammenarbeit kann somit in unterschiedlicher Zusammensetzung und in verschie -

denen Bereichen stattfinden. Davon ausgenommen sind jedoch die Kernbereiche

der Union wie der Binnenmarkt und die Kohäsion. Das ambitionierte Ziel der

Ausweitung der starken Rolle der Kommission von der ersten auf die anderen beiden

Säulen konnte zwar nicht erreicht werden, ihr Mitspracherecht wurde jedoch auch für

die zweite und dritte Säule sichergestellt.

 

„Zukunft der Union,, - Reformprozeß:

Zu Frage 1:

In der Frage der Zukunft der Union hat Österreich in Nizza die Position vertreten,

daß in einem Prozeß, der 6 - 10 Monate nach Nizza beginnt, folgende Themen

behandelt werden sollten:

-  Präzisere Kompetenzabgrenzung zwischen der FU, den Mitgliedstaaten und den

   Regionen,

-  Vereinfachung der Verträge,

-  die weitere Behandlung der am ER Nizza proklamierten Grundrechtecharta,

-  die Schaffung einer zweiten, aus Vertretern der nationalen Parlamente gebildeten

   Kammer des EP,

-  Verbesserung der Außenvertretung der Union.

 

Zu den Fragen 2 und 3:

In Nizza haben die Mitgliedstaaten in der „Erklärung zur Zukunft der Union,, verein -

bart, für das Jahr 2004 eine neue Regierungskonferenz einzuberufen. Die im Rah -

men dieser Regierungskonferenz „unter anderem,, zu erörternden Fragen, die nach -

stehend aufgezählt werden, entsprechen im wesentlichen der österreichischen

Forderungsliste:

-  eine genauere, dem Subsidiaritätsprinzip entsprechende Abgrenzung der Zustän -

   digkeiten zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten sowie die

   Überwachung ihrer Einhaltung;

-  der Status der in Nizza proklamierten Charta der Grundrechte der Europäischen

   Union;

-  die Vereinfachung der Verträge mit dem Ziel, sie klarer und verständlicher zu

   machen, ohne sie inhaltlich zu ändern;

-  die Rolle der nationalen Parlamente in der Architektur Europas.

 

Bereits im Jahr 2001 werden die vorsitzführenden Mitgliedstaaten Schweden und

Belgien in Zusammenarbeit mit der Kommission und dem Europäischen Parlament

eine umfassende Debatte mit allen interessierten Kreisen zu den Themen der

Regierungskonferenz 2004 einleiten. Insbesondere Vertreter aus Politik, Wirtschaft,

Wissenschaft und Zivilgesellschaft sollen in die Vorbereitungen einbezogen werden.

Nach einem ersten Bericht anläßlich des Europäischen Rates in Göteborg (Juni

2001) sollen bei der Tagung in Laeken im Dezember 2001 die geeigneten Initiativen

für die Fortführung des Diskussionsprozesses festgelegt werden.

Zu Frage 4:

Die mit dem Vertrag von Nizza beschlossene Änderung des Primärrechts berührt

sämtliche unter den Fragen 1 - 3 dargestellten Themenbereiche und betrifft insofern

alle Ressorts in ihren Zuständigkeiten.

 

Darüber hinaus berühren die Schlußfolgerungen der Präsidentschaft meine Ressort -

angelegenheiten insbesondere in den Punkten Grundrechtecharta und Regionalpoli -

tik.

 

Zu den Fragen 5, 6 und 7:

Wie sich aus Artikel 4 des Vertrags über die Europäische Union ergibt, ist der Euro -

päische Rat in erster Linie als politisches Steuerungsorgan konzipiert, das zwar über

eine grundlegende politische Richtlinienkompetenz verfügt, von wenigen Ausnahmen

(vgl. Art. 13 Abs. 2 EUV, Art. 17 Abs. 1 EUV) abgesehen aber nicht zum Erlaß ver -

bindlicher Rechtsakte befugt ist. Für die Mitgliedstaaten ergeben sich daher aus den

Beschlüssen des Europäischen Rates keinerlei unmittelbar wirksame Umsetzungs -

verpflichtungen, und auch die Gemeinschaftsorgane, denen die Umsetzung der

Schlußfolgerungen in erster Linie obliegt, werden durch sie im Sinne des Kohärenz -

gebotes nur in politischer, nicht jedoch in rechtlicher Hinsicht gebunden. Die Frage

der Ergreifung - nationaler - legislativer Maßnahmen zur unmittelbaren Umsetzung

der Schlußfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates stellt sich daher so

nicht.

 

Zu Frage 8:

Die Agenda des Europäischen Rates in Stockholm am 23./24. März 2001 ist weitge -

hend von den Beschlüssen am Europäischen Rat in Lissabon am 23./24. März 2000

bestimmt.

 

In Lissabon wurde das strategische Globalziel beschlossen, die Union zum wettbe -

werbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum in der Welt zu

machen - einem Wirtschaftsraum, der fähig ist, ein dauerhaftes

Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem größeren

sozialen Zusammenhalt zu erzielen.

 

Der Europäische Rat Lissabon hat weiters beschlossen, daß der Europäische Rat

eine stärkere Leitungs - und Koordinierungsfunktion wahrnehmen soll, die eine ko -

härentere strategische Leitung und eine effektive Überwachung der Fortschritte ge -

währleisten soll. In diesem Sinne findet jährlich im Frühjahr eine Tagung des ER zu

wirtschafts - und sozialpolitischen Fragen statt, bei der die entsprechenden Mandate

festgelegt und Sorge dafür getragen wird, daß entsprechende Folgemaßnahmen zur

Umsetzung der Lissabonner Strategie ergriffen werden.

 

Entsprechend den bisherigen Gepflogenheiten wird der EU - Hauptausschuß we -

nige Tage vor einem Europäischen Rat von mir über den aktuellsten Stand infor -

miert werden. Aus heutiger Sicht werde ich beim ER die folgenden Anliegen im

Zusammenhang mit der Umsetzung der Globalstrategie vertreten:

Österreich begrüßt und unterstützt den Zugang der schwedischen Präsidentschaft in

der Vorbereitung des Europäischen Rates in Stockholm, der darauf ausgerichtet ist,

ein effizientes und ambitioniertes Follow - up der Lissabonner Strategie sicherzu -

stellen.

 

Wichtige Prämissen für die Arbeit des Europäischen Rates in Stockholm sind aus

österreichischer Perspektive:

Die Ausgewogenheit in der Weiterentwicklung der Gesamtstrategie in Bezug auf

   die vier Eckpfeiler Beschäftigung, Innovation, wirtschaftliche Reformen und sozi -

   ale Kohäsion.

Kontinuität durch Evaluierung der bisherigen Umsetzung der Gesamtstrategie

   und neue Impulse in der Umsetzung durch verstärkte Prioritätensetzung und am -

   bitionierte, realistische Zeitpläne.

Die von der schwedischen Präsidentschaft gewählte demographische Ent -

   wicklung als thematischer Fokus beleuchtet gezielt die großen Herausforde -

   rungen für die wirtschafts - und sozialpolitische Gestaltung der europäischen Zu -

   kunft und stellt somit einen guten Ausgangspunkt der Diskussionen dar.

 

Zu Frage 9:

Wie ich bei meiner Erklärung vor dem Hohen Haus am 31. Jänner d. J. ausgeführt

habe, sind wir mit diesem Ergebnis von Nizza zufrieden, „und wir können auch stolz

sein auf den Weg, den Österreich im letzten Jahr gegangen ist.“

Technisch und institutionell wurden die Voraussetzungen für die Erweiterung

geschaffen. Wir haben auch einen konkreten Verhandlungsfahrplan beschlossen.

Der österreichische Vertreter bleibt in allen Institutionen - der Kommission, des

EuGH, des Europäischen Rechnungshofes - sehr lange erhalten. Österreich wird in

Zukunft einen Bevölkerungsanteil von 1,5%, einen Budgetanteil von 2,6%, und ein

Stimmgewicht von über 4%, nach der Erweiterung von 3%, haben. Ich meine, dass

wir mit diesem Ergebnis insgesamt gut abgeschnitten haben.