1825/AB XXI. GP
Eingelangt am: 29.3.2001
DER BUNDESMINISTER
FÜR JUSTIZ
Die Abgeordneten zum Nationalrat Gerhard Reheis, DDr. Erwin Niederwieser,
Mag. Gisela Wurm, Genossinnen und Genossen haben an mich eine schriftliche
Anfrage betreffend “Schließung von Bezirksgerichten in Tirol” gerichtet.
Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:
Zu 1 bis 15:
Zu den Plänen einer neuen Gerichtsorganisation möchte ich grundsätzlich Nachste -
hendes festhalten:
Die Bestrebungen des Justizressorts, eine den heutigen Anforderungen gerecht
werdende, leistungsstarke Gerichtsorganisation herbeizuführen1 reichen bis in die
60iger Jahre zurück.
Im Zuge meines Vorhabens, die Gerichtsorganisation aus dem Jahr 1848 zu einer
modernen, leistungsfähigen und den heutigen Anforderungen entsprechenden
Struktur zu entwickeln, ist die Zusammenlegung von kleingerichten notwendig.
Diese Maßnahme soll in ausgewogener, den Bedürfnissen der Bevölkerung
angepasster Form durchgeführt werden.
Vor allem beabsichtige ich, die in der Anfrage angesprochene Versorgung der
Bevölkerung mit Rechtsberatung zu verbessern. Um ein optimales Netz zur
Beratung entwickeln zu können, bin ich an Bürgermeisterinnen und Bürgermeister
unseres Landes mit einem Fragebogen zur Feststellung des Bedarfes und der
gewünschten Modalität qualifizierter Beratung herangetreten. Die Gerichte - die letzt -
lich einen Rechtsstreit zu entscheiden haben - können bei den Amtstagen nur eine
bloße Rechtsauskunft erteilen, nicht jedoch Ratschläge für ein rechtliches Vorgehen
im Sinne einer Rechtsberatung geben. Das neue Konzept der Gerichtsorganisation
wird wesentliche Verbesserungen im Bereich der Rechtsberatung - sowohl durch
Konsumentenberatung als auch durch die freien Rechtsberufe - gegenüber der
Rechtsauskunft beim Amtstag - über die keine statistischen Daten bestehen - zur
Folge haben.
Die österreichische Gerichtsorganisation weist - im Vergleich zu anderen Behörden -
strukturen - eine starke räumliche Aufsplitterung auf. Bundesweit bestehen mehr als
doppelt so viele Bezirksgerichte wie Bezirksverwaltungsbehörden, obwohl der
Bürger im Laufe seines Lebens ungleich häufiger eine Bezirksverwaltungsbehörde
aufsucht als - wenn überhaupt jemals - ein Bezirksgericht (im Rahmen einer öster -
reichweiten vom Fessel - GfK Institut durchgeführten Umfrage gaben rund 60% der
Befragten an, noch nie mit der Justiz zu tun gehabt oder sich an eine Stelle der
Justiz gewandt zu haben). Mehr als 93 % der insgesamt rund 3,7 Millionen gerichtli -
chen Geschäftssachen fallen bei den Bezirksgerichten an, dennoch lasten von den
192 Bezirksgerichten nur
28 (=14,6 %) nicht einmal einen Richter zur Gänze,
23 (=12,0 %) 1 Richter
47 (=24,5 %) 1,1 bis 1,9 Richter
31 (=16,1 %) 2,0 bis 2,9 Richter
31 (=16,1 %) 3,0 bis 4,9 Richter
15 (= 7,5 %) 5,0 bis 9,9 Richter
17 (= 8,9 %) mehr als 10 Richter
aus; dies obwohl die bezirksgerichtlichen Zuständigkeiten in den letzten Jahren bis
an die Grenze des Vertretbaren ausgedehnt worden sind.
Ein Vergleich mit der Verwaltungsorganisation der Bundesländer zeigt, dass dort -
wie bereits eingangs erwähnt - wesentlich größere Organisationseinheiten bestehen.
Den 191 Bezirksgerichten stehen 99 Bezirksverwaltungsbehörden gegenüber.
Auch ein Vergleich mit der Gerichtsorganisation unserer Nachbarstaaten innerhalb
und außerhalb der Europäischen Union zeigt, dass auf der Ebene der Bezirksge -
richte bzw. Amtsgerichte im Durchschnitt wesentlich größere Einheiten bestehen
(auf die angeschlossenen Beilagen wird hingewiesen).
Die Auffassung, dass Kleingerichte zu leistungsstärkeren Gerichten vereint werden
sollten, wurde auch vom Justizsprecher der SPÖ wiederholt geäußert.
Aus all diesen Überlegungen hat das Bundesministerium für Justiz ein völlig neues
Organisationskonzept entwickelt, das von folgenden Prinzipien getragen ist:
• Klare und verständliche Organisationsstrukturen, die auf die Rechtsmittelzüge in
den Verfahrensgesetzen abgestimmt sind. Für alle erstinstanzlichen
Rechtssachen soll dieselbe Organisationsebene zuständig sein (Wegfall der
unterschiedlichen Eingangszuständigkeiten der Bezirks - und Landesgerichte);
Verminderung der vier Organisationsebenen (Bezirksgericht, Landesgericht,
Oberlandesgericht, Oberster Gerichtshof) auf drei Organisationsebenen
(Regionalgerichte; Oberlandesgerichte; Oberster Gerichtshof).
• Dezentralisierung der Eingangszuständigkeiten (mit Ausnahme der haftanfälligen
Strafsachen) von den 21 Landesgerichten auf die 64 neuen Regionalgerichte;
gleichzeitig Konzentration der Zuständigkeiten der 191 Bezirksgerichte auf die 64
neuen Regionalgerichte.
• Mit der Dezentralisierung der Eingangszuständigkeiten der Landesgerichte
werden insbesondere die Zivilsachen mit einem Streitwert von über 130.000 S
sowie sämtliche arbeitsgerichtliche sowie sozialgerichtliche Rechtssachen und
auch die Firmenbücher näher bei der rechtschutzsuchenden Bevölkerung
angesiedelt sein.
• Konzentration der Rechtsmittelsachen bei den Oberlandesgerichten, wodurch
eine einheitlichere Rechtsprechung in allen gerichtlichen Geschäftsbereichen
gesichert wird.
• Der Oberste Gerichtshof, der im Vergleich zu anderen europäischen
Höchstgerichten überproportional viele Richter beschäftigt, soll entlastet werden
und nur mehr für grundsätzliche und richtungsweisende Entscheidungen
zuständig sein.
• Verbesserung der Laufbahnerwartungen des Großteils der Richter durch
einheitliche Laufbahnen für alle Eingangsrichter und erweiterte
Aufstiegsmöglichkeiten zu den Oberlandesgerichten.
Das Projekt der Erzielung einer modernen, effizienten Gerichtsorganisation wurde
im Zuge eines von der Unternehmensberatungsfirma Arthur Anderson am
15. Dezember 2000 im Bundesministerium für Justiz durchgeführten Workshops als
Projekt höchster Priorität bewertet.
Das vom Bundesministerium für Justiz ausgearbeitete Konzept einer idealtypischen
Gerichtsorganisation geht von den genannten Prinzipien aus und wurde unter den
Aspekten einer ausgewogenen, qualitativ hochstehenden Rechtsversorgung und
einer optimalen, leistungsstarken mittleren Gerichtsgröße unter Berücksichtigung
der bestehenden Infrastruktur erstellt. Dieses Konzept habe ich den Landeshaupt -
männern bei der Landeshauptmännerkonferenz am 17. Februar 2001 in Warmbad -
Villach vorgestellt. Die Landeshauptmännerkonferenz hat dazu folgenden Beschluss
gefasst:
“Das Konzept des Herrn Bundesministers für Justiz Dr. Dieter Böhmdorfer
für eine neue Gerichtsorganisation leitet den Beginn eines Reformdialoges
ein.
Aufgrund der Verfassungslage (Übergangsgesetz 1920) können Änderun -
gen der Bezirksgerichtssprengel nur mit Zustimmung der jeweiligen Landes -
regierung verfügt werden.
Die Landeshauptmännerkonferenz und die Landesfinanzreferentenkonfe -
renz richten daher an den Herrn Bundesminister für Justiz die Einladung, mit
den einzelnen Landesregierungen entsprechende Verhandlungen aufzuneh -
men und den Österreichischen Gemeindebund und den Österreichischen
Städtebund einzubeziehen.”
Mit Schreiben vom 19. Februar 2001 habe ich alle Landeshauptmänner (mit
Ausnahme der Bundeshauptstadt Wien) um Mitteilung ersucht, wann ich das
Organisationskonzept in einer Sitzung der jeweiligen Landesregiewng darlegen
kann.
Mit den Landesregierungen von Salzburg, Burgenland und Niederösterreich sind
bereits entsprechende Termine vereinbart. Die Terminvereinbarungen mit den
anderen Landesregierungen erwarte ich für die nächsten Tage.
Dem Rechtsausschuss des Gemeindebundes wurde das neue Konzept bereits am
28. Februar 2001 in St. Pölten vorgestellt; die Präsentation für den Österreichischen
Städtebund fand am 15. März 2001 statt.
Erst die Ergebnisse der Verhandlungen mit den Landesregierungen werden die
Umsetzung der neuen Gerichtsorganisation im Detail - insbesondere die genauen
Standorte der Regionalgerichte - determinieren. Ich bitte daher um Verständnis,
dass ich zu den diesbezüglichen Fragen noch nicht im Detail Stellung nehmen kann,
um diese Verhandlungen nicht zu präjudizieren.
Die Umsetzung des Konzeptes wird nach den Vereinbarungen mit den Landesregie -
rungen noch einige Jahre in Anspruch nehmen.
Für die Bediensteten werden durch größere Gerichtseinheiten verbesserte Laufbah -
nerwartungen und größere Aufstiegschancen entstehen, viele - die aus den Städten
zu den Gerichtsorten am Land pendeln - werden auch durch kürzere Anfahrtswege
eine bessere Arbeitssituation vorfinden. Wie schon bei den Gerichtszusammenle -
gungen in der Vergangenheit wird die Justizverwaltung - in Zusammenarbeit mit der
Personal - und Standesvertretung - bei der konkreten Umsetzung des Konzeptes
soweit wie möglich auf die Wünsche und Bedürfnisse der Bediensteteten Bedacht
nehmen.
Was die angesprochene Renovierung von Gerichtsgebäuden anlangt, ist darauf
hinzuweisen, dass diese Aufwendungen keineswegs fwstriert sind, sondern den
Wert und die Verwertungsmöglichkeiten der Liegenschaften durch die Bundesimmo -
biliengesellschaft erhöhen.
Anlage “Vorschlag zu einer neuen Gerichtsstruktur” konnte nicht gescannt werden!!!