1832/AB XXI.GP

Eingelangt am: 30.3.2001

 

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Wolfgang Großruck und Kollegen haben an mich

eine schriftliche Anfrage betreffend „Schließung von Bezirksgerichten“ gerichtet.

 

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

 

Zu 1 bis 4:

Zu den Plänen einer neuen Gerichtsorganisation möchte ich grundsätzlich nachste -

hendes festhalten:

 

Die Bestrebungen des Justizressorts, eine den heutigen Anforderungen gerecht

werdende, leistungstarke Gerichtsorganisation herbeizuführen, reichen bis in die

60iger Jahre zurück.

 

Im Zuge meines Vorhabens, die Gerichtsorganisation aus dem Jahr 1848 zu einer

modernen, leistungsfähigen und den heutigen Anforderungen entsprechenden

Struktur zu entwickeln, ist die Zusammenlegung von Kleingerichten notwendig.

Diese Maßnahme soll in ausgewogener, den Bedürfnissen der Bevölkerung

angepasster Form durchgeführt werden. Vor allem beabsichtige ich, die Versorgung

der Bevölkerung mit Rechtsberatung zu verbessern. Um ein optimales Netz zur

Beratung entwickeln zu können, bin ich an Bürgermeisterinnen und Bürgermeister

unseres Landes mit einem Fragebogen zur Feststellung des Bedarfes und der

gewünschten Modalität qualifizierter Beratung herangetreten.

 

Die österreichische Gerichtsorganisation weist - im Vergleich zu anderen Behörden -

strukturen - eine starke räumliche Aufsplitterung auf. Bundesweit bestehen mehr als

doppelt so viele Bezirksgerichte wie Bezirksverwaltungsbehörden, obwohl der

Bürger im Laufe seines Lebens ungleich häufiger eine Bezirksverwaltungsbehörde

aufsucht als - wenn überhaupt jemals - ein Bezirksgericht (im Rahmen einer öster -

reichweiten vom Fessel - GfK( Institut durchgeführten Umfrage gaben rund 60% der

Befragten an, noch nie mit der Justiz zu tun gehabt oder sich an eine Stelle der

Justiz gewandt zu haben). Mehr als 93 % der insgesamt rund 3,7 Millionen gerichtli -

chen Geschäftssachen fallen bei den Bezirksgerichten an, dennoch lasten von den

192 Bezirksgerichten nur

 

                28 (=14,6 %) nicht einmal einen Richter zur Gänze,

                23 (=12,0 %) 1 Richter

                47 (=24,5%) 1,1 bis 1,9 Richter

                31 (=16,1 %) 2,0 bis 2,9 Richter

                31 (=16,1 %) 3,0 bis 4,9 Richter

                15 (= 7,8 %) 5,0 bis 9,9 Richter

                17 (= 8,9 %) mehr als 10 Richter

 

aus; dies trotz des Umstandes, dass die Zuständigkeiten der Bezirksgerichte in den

letzten Jahren bis an die Grenze des Vertretbaren ausgedehnt wurden.

 

Ein Vergleich mit der Verwaltungsorganisation der Bundesländer zeigt, dass dort -

wie bereits eingangs erwähnt - wesentlich größere Organisationseinheiten bestehen.

Den 191 Bezirksgerichten stehen 99 Bezirksverwaltungsbehörden gegenüber.

 

Auch ein Vergleich mit der Gerichtsorganisation unserer Nachbarstaaten innerhalb

und außerhalb der Europäischen Union zeigt, dass auf der Ebene der Bezirksge -

richte bzw. Amtsgerichte im Durchschnitt wesentlich größere Einheiten bestehen

(auf die der Beantwortung der Anfrage zur Zahl 1852/J - NR/2001 angeschlossenen

Beilagen wird hingewiesen).

 

Um eine optimale, qualitätsvolle Rechtsversorgung gewährleisten zu können, bedarf

es daher eines neuen Organisationskonzeptes, das Antworten auf die Ansprüche an

die Gerichtsbarkeit im neuen Jahrtausend gibt.

 

Aus all diesen Überlegungen hat das Bundesministerium für Justiz ein völlig neues

Organisationskonzept entwickelt, das von folgenden Prinzipien getragen ist:

 

• Klare und verständliche Organisationsstrukturen, die auf die Rechtsmittelzüge in

   den Verfahrensgesetzen abgestimmt sind. Für alle erstinstanzlichen

   Rechtssachen soll dieselbe Organisationsebene zuständig sein (Wegfall der

   unterschiedlichen Eingangszuständigkeiten der Bezirks -  und Landesgerichte);

   Verminderung der vier Organisationsebenen (Bezirksgericht, Landesgericht,

   Oberlandesgericht, Oberster Gerichtshof) auf drei Organisationsebenen

   (Regionalgerichte; Oberlandesgerichte; Oberster Gerichtshof).

• Dezentralisierung der Eingangszuständigkeiten (mit Ausnahme der haftanfälligen

   Strafsachen) von den 21 Landesgerichten auf die 64 neuen Regionalgerichte;

   gleichzeitig Konzentration der Zuständigkeiten der 191 Bezirksgerichte auf die 64

   neuen Regionalgerichte.

 

• Mit der Dezentralisierung der Eingangszuständigkeiten der Landesgerichte

   werden insbesondere die Zivilsachen mit einem Streitwert von über 130.000 S

   sowie sämtliche arbeitsgerichtliche sowie sozialgerichtliche Rechtssachen und

   auch die Firmenbücher näher bei der rechtschutzsuchenden Bevölkerung

   angesiedelt sein.

 

• Konzentration der Rechtsmittelsachen bei den Oberlandesgerichten, wodurch

   eine einheitlichere Rechtsprechung in allen gerichtlichen Geschäftsbereichen

   gesichert wird.

 

• Der Oberste Gerichtshof, der im Vergleich zu anderen europäischen

   Höchstgerichten überproportional viele Richter beschäftigt, soll entlastet werden

   und nur mehr für grundsätzliche und richtungsweisende Entscheidungen

   zuständig sein.

 

• Verbesserung der Laufbahnerwartungen des Großteils der Richter durch

   einheitliche Laufbahnen für alle Eingangsrichter und erweiterte

   Aufstiegsmöglichkeiten zu den Oberlandesgerichten.

 

Das Projekt der Erzielung einer modernen, effizienten Gerichtsorganisation wurde

im Zuge eines von der Unternehmensberatungsfirma Arthur Anderson am

15. Dezember 2000 im Bundesministerium für Justiz durchgeführten Workshops als

Projekt höchster Priorität bewertet.

 

Das vom Bundesministerium für Justiz ausgearbeitete Konzept einer idealtypischen

Gerichtsorganisation geht von den genannten Prinzipien aus und wurde unter den

Aspekten einer ausgewogenen, qualitativ hochstehenden Rechtsversorgung und

einer optimalen, leistungsstarken mittleren Gerichtsgröße unter Berücksichtigung

der bestehenden Infrastruktur erstellt. Dieses Konzept habe ich den

Landeshauptmännern bei der Landeshauptmännerkonferenz am 17. Februar 2001

in Warmbad - Villach vorgestellt. Die Landeshauptmännerkonferenz hat dazu

folgenden Beschluss gefasst:

 

                "Das Konzept des Herrn Bundesministers für Justiz Dr. Dieter Böhmdorfer

                für eine neue Gerichtsorganisation leitet den Beginn eines Reformdialoges

                ein.

                Aufgrund der Verfassungslage (Übergangsgesetz 1920) können Änderun -

                gen der Bezirksgerichtssprengel nur mit Zustimmung der jeweiligen Landes -

                regierung verfügt werden.

 

                Die Landeshauptmännerkonferenz und die Landesfinanzreferentenkonfe -

                renz richten daher an den Herrn Bundesminister für Justiz die Einladung, mit

                den einzelnen Landesregierungen entsprechende Verhandlungen aufzuneh -

                men und den Österreichischen Gemeindebund und den Österreichischen

                Städtebund einzubeziehen.“

 

Mit Schreiben vom 19. Februar 2001 habe ich alle Landeshauptmänner (mit

Ausnahme der Bundeshauptstadt Wien) um Mitteilung ersucht, wann ich das

Organisationskonzept in einer Sitzung der jeweiligen Landesregierung darlegen

kann.

 

Mit den Landesregierungen von Salzburg, Burgenland und Niederösterreich sind

bereits entsprechende Termine vereinbart. Die Terminvereinbarungen mit den

anderen Landesregierungen erwarte ich für die nächsten Tage.

 

Dem Rechtsausschuss des Gemeindebundes wurde das neue Konzept bereits am

28. Februar 2001 in St. Pölten vorgestellt; die Präsentation für den Österreichischen

Städtebund fand am 15. März 2001 statt.

 

Erst die Ergebnisse der Verhandlungen mit den Landesregierungen werden die

Umsetzung der neuen Gerichtsorganisation im Detail - insbesondere die einzelnen

Standorte für die neuen Regionalgerichte - determinieren. Die vollständige Umset -

zung des neuen Konzeptes wird schließlich einige Jahre in Anspruch nehmen.

 

Ich bitte um Verständnis, dass ich zu den diesbezüglichen Fragen noch im Detail

Stellung nehmen kann, um diese Verhandlungen nicht zu präjudizieren.