2015/AB XXI.GP

Eingelangt am: 27-04-2001

 

DER BUNDESMINISTER

FÜR JUSTIZ

 

 

zur Zahl 2074/J - NR/2001

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Ludmilla Parfuss, Genossinnen und Genossen

haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend "Schließung von Bezirksgerich -

ten im Bezirk Deutschlandsberg" gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

 

Zu 1 bis 3:

Die Bestrebungen des Justizressorts, eine den heutigen Anforderungen gerecht

werdende, leistungsstarke Gerichtsorganisation herbeizuführen, reichen bis in die

60er Jahre zurück. Insbesondere Bundesminister Dr. Christian Broda hat große

Anstrengungen unternommen, kleine Bezirksgerichte zusammen zu legen, die in

den 70er Jahren auch zu Zusammenlegungen in den Bundesländern Steiermark,

Kärnten und Tirol führten, die jedoch nach seinen Vorstellungen bei weitem nicht

ausreichend waren, um eine Bereinigung der Gerichtsorganisation herbeizuführen.

 

In der XX. GP - also unter sozialdemokratischer Regierungsbeteiligung - war in der

Regierungsvorlage des Strukturanpassungsgesetzes (72 BIgNR XX. GP) eine

Änderung des § 8 Abs. 5 lit. d des Übergangsgesetzes von 1920 vorgesehen, mit

der die Zustimmungsrechte der Landesregierungen zu Änderungen der Gerichts -

sprengel durch ein bloßes Anhörungsrecht hätten ersetzt werden sollen, um

Änderungen in der Gerichtsorganisation umsetzen zu können. Diese Regierungsvor -

lage wurde am 28. März 1996 im Verfassungsausschuss beraten. Zu diesem Punkt

wurde von den damaligen Koalitionsparteien ein Abänderungsantrag beschlossen,

wonach die gesamte Novelle als eigenes Bundesverfassungsgesetz ergehen sollte.

Dieser Abänderungsantrag wurde jedoch in der Folge nicht mehr auf die Tagesord -

nung des Nationalrates gesetzt.

 

Ich habe im Zuge der Bemühungen zur Herstellung einer leistungsfähigen und

zeitgemäßen Gerichtsorganisation meinen Mitarbeitern den Auftrag erteilt, ein ideal -

typisches Konzept einer Gerichtsorganisation auszuarbeiten, das unter dem Aspekt

einer ausgewogenen qualitativ hochstehenden Rechtsversorgung und einer optima -

len, leistungsstarken mittleren Gerichtsgröße unter Berücksichtigung der bestehen -

den Infrastruktur zu erstellen ist.

 

Dieses Konzept habe ich den Landeshauptmännern bei der Landeshauptmänner -

konferenz am 17. Februar 2001 in Warmbad Villach vorgestellt. Dieses Konzept,

das primär auf eine qualitative Verbesserung der Rechtsversorgung abzielt, bildet

die Grundlage für die Verhandlungen mit den Landesregierungen. Ich bin daher mit

Schreiben vom 19. Februar 2001 an alle Landeshauptmänner (mit Ausnahme der

Bundeshauptstadt Wien) mit der Bitte um Mitteilung herangetreten, wann ich das

Organisationskonzept in einer Sitzung der jeweiligen Landesregierung darlegen

kann.

 

Dem Rechtsausschuss des Gemeindebundes wurde das neue Konzept bereits am

28. Februar 2001 in St. Pölten vorgestellt, die Präsentation für den Hauptausschuss

des österreichischen Städtebundes fand am 15. März 2001 statt. Am 17. April 2001

habe ich bereits Gespräche mit den Landesregierungen von Salzburg und Burgen -

land geführt, für Gespräche mit den anderen Landesregierungen sind Termine

bereits festgelegt worden.

 

Nach den Vorstellungen des Bundesministeriums für Justiz sollen die Sprengel der

derzeit im politischen Bezirk Deutschlandberg bestehenden Bezirksgerichte von

einem neuen Regionalgericht betreut werden. Die genauen Standorte der neuen

Regionalgerichte werden erst durch die Ergebnisse der Verhandlungen mit den

Landesregierungen determiniert werden. In Zuge der Verhandlungen wird sich das

Bundesministerium für Justiz mit den vorgebrachten Argumenten genauestens

auseinandersetzen.

 

Nach internationalen Vergleichen und Standards sollen Eingangsgerichte im Durch -

schnitt ein Einzugsgebiet aufweisen, in dem zwischen 80.000 und 120.000 Einwoh -

ner leben, um eine optimale Rechtsversorgung zu  gewährleisten. Im Sprengel des

politischen Bezirkes Deutschlandsberg leben rund 60.000 Bürgerinnen und Bürger.

 

Zu 4 bis 6:

Der Termin für die Vorstellung des Konzeptes für die neue Gerichtsorganisation

wurde mit der Landesregierung des Landes Steiermark für den 7. Mai 2001 verein -

bart.

Zu 7:

Im Vordergrund unserer Bemühungen zur Herstellung einer modernen und

leistungsfähigen Gerichtsstruktur stehen Aspekte der qualitativen Verbesserung der

Rechtsversorgung der Bevölkerung. Richtig ist, dass mit der in Aussicht genomme -

nen neuen Gerichtsorganisation auch Einsparungseffekte verbunden wären, die -

bei vorsichtiger Bewertung - österreichweit mit rund 150 Millionen Schilling jährlich

bei vollständiger Umsetzung des Konzeptes anzunehmen sind.

 

Zu 8:

Das neue Konzept sieht eine Dezentralisierung der Eingangszuständigkeiten (mit

Ausnahme von haftanfälligen Strafsachen) von den 21 Landesgerichten auf die 64

neuen Eingangsgerichte vor. Mit der Dezentralisierung der Eingangszuständigkeiten

der Landesgerichte sollen insbesondere die Zivilsachen mit einem Streitwert von

über 130.000 S und sämtliche arbeitsgerichtlichen sowie sozialrechtlichen Rechtssa -

chen sowie die Firmenbücher näher bei der rechtschutzsuchenden Bevölkerung -

nämlich bei den neuen Regionalgerichten - angesiedelt werden.

 

Zu 9 und 10:

Für die Bediensteten werden durch größere Gerichtseinheiten verbesserte Laufbah -

nerwartungen und größere Aufstiegschancen entstehen. Wie schon bei den

Gerichtszusammenlegungen in der Vergangenheit wird die Justizverwaltung - in

Zusammenarbeit mit der Personal - und Standesvertretung - bei der konkreten

Umsetzung des Konzeptes soweit wie möglich auf die Wünsche und Bedürfnisse

der Bediensteten Bedacht nehmen.

 

Zu 11 und 12:

Generell ist darauf hinzuweisen, dass Aufwendungen, die in die Renovierung von

Gebäuden - in denen derzeit Gerichte untergebracht sind - keineswegs frustriert

sind, sondern den Wert und die Verwertungsmöglichkeiten der Liegenschaften

durch die Bundesimmobiliengesellschaft erhöhen.

 

Zu 13 bis 16:

Gerichte - die letztlich einen Rechtsstreit zu entscheiden haben - können bei den

Amtstagen nur eine bloße Rechtsauskunft erteilen, nicht jedoch Ratschläge für ein

rechtliches Vorgehen im Sinne einer Rechtsberatung geben. Die Erteilung von

Ratschlägen an die rechtsuchende Bevölkerung, die in der Folge auch als Partei

eines Rechtsstreites auftreten können, durch einen Richter, der im Rechtsstreit zur

Entscheidung berufen wäre, birgt die Gefahr in sich, dass Zweifel bei der Bevölke -

rung an der Unbefangenheit des Entscheidungsorganes stehen können.

Über die Erteilung von Rechtsauskünften beim Amtstag werden keine Statistiken

oder sonstige Aufzeichnungen geführt.

 

Zu 17:

Im Zuge der umfangreichen empirischen Analysen bei der Ausarbeitung des

Konzeptes einer neuen Gerichtsorganisation konnten keinerlei Anhaltspunkte ermit-

telt werden, die auf eine mögliche Erhöhung von Gerichtsverfahren durch die

Reorganisation der Gerichtsstruktur hinweisen.

 

Zu 18:

Es bestehen derzeit keine empirischen Daten über durchschnittliche Anfahrtswege

der rechtsuchenden Bevölkerung im Rahmen der derzeitigen Gerichtsorganisation.

Es können daher auch keine Berechnungen darüber angestellt werden, wie sich

durchschnittliche Anfahrtswege durch Reorganisationsmaßnahmen ändern könnten.

 

Bei Umsetzung des neuen Konzeptes der Gerichtsorganisation würden sich die

Anreisewege teilweise verkürzen, weil mit der Dezentralisierung der Eingangszu -

ständigkeiten der Landesgerichte insbesondere für Zivilsachen mit einem Streitwert

über 130.000 S sowie sämtliche arbeits - und sozialgerichtlichen Rechtssachen und

auch die Firmenbücher die neuen Regionalgerichte zuständig sein sollen. Soweit

sich Anreisewege durch die Vereinigung von Bezirksgerichten zu Regionalgerichten

verlängern, ist darauf hinzuweisen, dass Österreich nicht nur einen hohen Motorisie -

rungsgrad, sondern auch ein flächendeckendes, modernes Netz an öffentlichen

Verkehrsmitteln aufweist.

 

Zu bedenken ist auch, dass die Österreicherinnen und Österreicher nur äußerst

selten ein Gericht aufzusuchen haben. So gaben im Rahmen einer österreichweiten,

vom Fessler - Gfk - Institut durchgeführten Umfragen rund 60 % der Befragten an, nie

mit der Justiz zu tun gehabt oder sich an eine Stelle der Justiz gewandt zu haben.