2047/AB XXI.GP
Eingelangt am: 30.04.2001
DER BUNDESMINISTER
FÜR JUSTIZ
zur Zahl 2002/J - NR/2001
Die Abgeordneten zum Nationalrat Inge Jäger und Genossen haben an mich eine
schriftliche Anfrage betreffend „Genitalverstümmelung in Österreich“ gerichtet.
Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:
Zu 1:
Aus Anlass der Entschließung des Nationalrates vom 5.12.2000, ZI. E 49 - NR/XXI.
GP, habe ich die im Bundesministerium für Justiz zuständigen Fachabteilungen mit
dem Problemkreis der weiblichen Genitalverstümmelung befasst. Die Fachabteilun -
gen sind der Auffassung, dass an sich kein legistischer Handlungsbedarf im Sinne
der Schaffung eines Tatbestandes bzw. Tatbestandsmerkmales besteht.
Die bekannten Formen der weiblichen Genitalverstümmelung, wie sie etwa von der
Weitgesundheitsorganisation (WHO) klassifiziert wurden, sind als Körperverletzung
im Sinne der §§ 83 ff StGB zu qualifizieren und erfüllen in der Regel den Tatbestand
der Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen nach § 85 StGB, für die eine Straf -
drohung von sechs Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe vorgesehen ist.
Gemäß § 83 Abs. 1 StGB begeht eine Körperverletzung, wer einen anderen am
Körper verletzt oder an der Gesundheit schädigt. Hat die Tat eine länger als 24
Tage dauernde Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit zur Folge oder ist
die Verletzung oder Gesundheitsschädigung an sich schwer, ist diese gemäß § 84
Abs. 1 StGB als schwere Körperverletzung zu qualifizieren. Eine ebensolche Körper -
verletzung liegt gemäß § 84 Abs. 2 StGB unter anderem vor, wenn die Tat mit
einem solchen Mittel und auf solche Weise begangen worden ist, womit in der Regel
Lebensgefahr verbunden ist, oder dem Opfer besondere Qualen zugefügt wurden.
Eine Körperverletzung mit schweren
Dauerfolgen liegt gemäß § 85 StGB vor, wenn
die Tat für immer oder für lange Zeit den Verlust oder eine schwere Schädigung
unter anderem der Fortpflanzungsfähigkeit, eine erhebliche Verstümmelung oder
eine auffallende Verunstaltung oder ein schweres Leiden zur Folge hat. Bei der
Genitalverstümmelung kann davon ausgegangen werden, dass regelmäßig eines
oder mehrere der letztgenannten Tatbestandsmerkmale vorliegen wird.
Mangels ausjudizierter Fälle in Österreich gibt es dazu zwar keine Bestätigung durch
die Rechtsprechung. Ich erlaube mir aber in diesem Zusammenhang auch darauf
hinzuweisen, dass diese Rechtsauffassung auch schon von Bundesminister
Mag. Herbert Haupt in seiner Beantwortung der Anfrage 1526/J XXI. GP der
Abgeordneten Petrovic und Genossen betreffend Genitalverstümmelung an Frauen
in Österreich vertreten worden ist (siehe 1538/AB XXI. GP). Und schließlich wurde
sie auch jüngst - unter Bezugnahme auf die Entschließung vom zuständigen
Gruppenleiter des Bundesministeriums für soziale Sicherheit und Generationen in
der Fachzeitschrift „Recht der Medizin“ publiziert (RdM 2001,16).
Dem Ansinnen des genannten Entschließungsantrages könnte daher wohl auch
dadurch entsprochen werden, dass die Gerichte und Staatsanwaltschaften einer -
seits und die Ärztekammer andererseits im Erlasswege unter Bezugnahme auf die
einschlägigen Straftatbestände der §§ 83 ff StGB, und insbesondere auf § 85 StGB,
auf die Formen und Hintergründe zur genitalen Verstümmelung an Frauen hingewie -
sen werden. Damit könnte eine direkte und umfassende Information sowie eine
Sensibilisierung der zuständigen Behörden für die Problematik der weiblichen
Genitalverstümmelung erreicht und eine konsequente Verfolgung allfälliger derarti -
ger Fälle ausreichend sichergestellt werden. Die Ausschöpfung der bestehenden
Möglichkeiten erscheint mir jedenfalls vorrangig.
Ich würde mich damit keineswegs einer Vertiefung des Meinungsbildungsprozesses
verschließen wollen, möchte aber doch darauf hinweisen, dass in die Überlegungen
hinsichtlich eines Vorhabens zur Schaffung eines eigenen strafrechtlichen Tatbe -
standes bzw. Tatbestandsmerkmales die dargelegte Rechtslage, nach der keine
Lücke besteht, sowie die aufgezeigte Möglichkeit von Erlässen einzubeziehen wäre.
Auch jeder parlamentarischen Initiative stehe ich aufgeschlossen gegenüber.
Darüber hinaus könnten sich auch noch aus Informationsveranstaltungen - wie
jener, die am 8. Mai 2001 im Parlament unter Beteiligung aller Fraktionen stattfindet
- weiterführende Erkenntnisse ergeben, deren Berücksichtigung im Rahmen
konstruktiver Überlegungen sinnvoll und
nützlich erscheint.
Zu 2:
Was die psychologische und finanzielle Hilfe für die Opfer anlangt, darf ich - soweit
meine Zuständigkeit berührt wird - auf die Bemühungen meines Ressorts zur
Verbesserung des Opferschutzes etwa im Bereich der Prozessbegleitung
verweisen. Schadenersatz kann nach den allgemeinen Bestimmungen - insbeson -
dere nach § 1325 ABGB - geltend gemacht werden, wobei der Anspruch auch die
kosten der Heilbehandlung sowie die Abgeltung sämtlicher Schmerzempfindungen
körperlicher und seelischer Art (auch das Bewusstsein des Dauerschadens)
umfasst. Außerhalb meiner Zuständigkeit, möchte ich schließlich darauf hinweisen,
dass grundsätzlich auch Ansprüche nach dem Verbrechensopfergesetz geltend
gemacht werden können, wenn das Opfer österreichische Staatsbürgerin oder -
unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 7 leg.cit. - Bürgerin des Europäischen
Wirtschaftsraums ist.