2063/AB XXI.GP

Eingelangt am: 02.05.2001

 

Dr. Wolfgang Schüssel

Bundeskanzler

 

 

 

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Maier und Genossen haben am 1. März

2001 unter der Nr. 2029/J an mich eine schriftliche parlamentarische Anfrage be -

treffend Vorschläge des Gerichtshofes und des Gerichts zur vorletzten Regierungs -

konferenz in Amsterdam gerichtet.

 

Diese Anfrage beantworte ich wie folgt:

 

Einleitend darf angemerkt werden, daß die vom Gerichtshof und vom Gericht erster

Instanz im sogenannten „Reflexionspapier über die Zukunft des Gerichtssystems der

Europäischen Union" angeregten Änderungen die Diskussionsgrundlage für die letzte

Regierungskonferenz, deren Ergebnisse im Vertrag von Nizza beschlossen wurden,

bildeten. Der in der Anfrage bezogene Vertrag von Amsterdam wurde bereits 1997 im

Amtsblatt C - 340 publiziert und ist nach Ratifikation durch alle Mitgliedstaaten am

1. Mai 1999 in Kraft getreten.

 

 

Zu Frage 1:

Der Grundgedanke der Reform des Europäischen Gerichtssystems bestand darin,

den Gerichtshof zu entlasten und eine Verkürzung der Verfahrensdauer zu bewirken,

um seine Effizienz auf diesem Weg auch für eine erweiterte Union sicherzustellen.

Österreich hat dieses Grundanliegen immer unterstützt.

 

Das so genannte „Reflexionspapier über die Zukunft des Gerichtssystems der Euro -

päischen Union" vom 19. Jänner 2000 (eine frühere informelle, und im folgenden

noch abgeänderte Version dieses Reflexionspapiers wurde im Mai 1999 zirkuliert)

stellte im wesentlichen lediglich eine erste Diskussionsgrundlage für die dafür not -

wendigen strukturellen Änderungen dar.

 

Das Reflexionspapier enthielt insbesondere weitgehend allgemeine Vorschläge bzw.

Empfehlungen, aber überwiegend noch keine ausformulierten Textvorschläge. Es

wurde in dieser Form auch keiner wie immer gearteten Beschlußfassung zwischen

den Mitgliedstaaten unterzogen.

Vor diesem Hintergrund wurde jedoch sehr bald nach Vorlage des Reflexionspapiers,

nämlich Mitte Februar 2000, die Ratsarbeitsgruppe „Freunde der Präsidentschaft“ mit

einer konkreten Analyse der möglichen Änderungen der das Gerichtssystem betref -

fenden Bestimmungen des Vertrags vor dem Hintergrund der Empfehlungen des Re -

flexionspapiers beauftragt.

 

 

Zu Frage 2:

Der Forderung des Gerichtshofs nach einer Befugnis, seine Verfahrensordnung

selbst zu ändern, wurde im Rahmen der Diskussionen in der Gruppe „Freunde der

Präsidentschaft“ seitens der Europäischen Kommission die Forderung gegenüber -

gestellt, gleichfalls ein Initiativrecht zur Änderung der Verfahrensordnung gegenüber

dem Rat zu erhalten. Vor diesem Hintergrund erschien Österreich der im Vertrag von

Nizza letztlich erzielte Kompromiß der weitgehenden Beibehaltung des bisherigen

Systems der Änderungen der Verfahrensordnung, nämlich ein Initiativrecht des Ge -

richtshofs und Zustimmung des Rates (nunmehr mit qualifizierter Mehrheit, bisher

einstimmig) eine sowohl im Hinblick auf die gewünschte Effizienzsteigerung für den

Gerichtshof als auch für die Mitgliedstaaten akzeptable Variante zu sein.

 

 

Zu Frage 3:

Der Vorschlag im Reflexionspapier zur „Filterung der Rechtsmittel gegen Urteile des

Gerichts“ wurde von Osterreich als berechtigt, allerdings noch weitgehend konkreti -

sierungsbedürftig angesehen. Im Rahmen der Diskussionen der Gruppe „Freunde der

Präsidentschaft“ kristallisierte sich letztlich im Zusammenhang mit weiteren Kompe -

tenzübertragungen tatsächlich ein System der „Filterung“ von Rechtsmitteln gegen

Urteile des Gerichts in bestimmten Fällen heraus und fand in den Vertrag von Nizza

Eingang:

 

Eine Beschränkung von Rechtsmitteln gegen Entscheidungen des Gerichts erster

Instanz soll nunmehr sowohl bei Direktklagen (Art. 225 Abs. 1, 2. UAbs.) als auch bei

Entscheidungen über Rechtsmittel gegen Entscheidungen der „gerichtlichen Kam -

mern“ (Art. 225 Abs. 2, 2. UAbs.) möglich sein, wobei die nähere Ausgestaltung dies -

bezüglicher Bestimmungen der Satzung des Gerichtshofs vorbehalten wurde. Auch

die Befugnis des Gerichtshofs, Entscheidungen des Gerichts erster Instanz über die -

sem zugewiesene Vorabentscheidungen zu überprüfen, bedarf noch einer näheren

Ausgestaltung in der Satzung.

 

Eine Erklärung der Konferenz zu Art. 225 Abs. 2 und 3 des EG - Vertrags weist aus -

drücklich auf die in den diesbezüglichen Bestimmungen der Satzung zu berücksich -

tigenden Aspekte hin.

 

 

Zu Frage 4:

Die Forderung im Reflexionspapier nach einer „Anpassung der Art und Weise der Be -

handlung von Streitigkeiten im Bereich des öffentlichen Dienstes“ wurde von Öster -

reich von Anfang an unterstützt und wurde durch die Einführung der Möglichkeit zur

Bildung „gerichtlicher Kammern“ (Art. 225 a) berücksichtigt, die eine weitgehende

Entlastung des Gerichts erster Instanz von Streitigkeiten im Rahmen des Dienst -

rechts der Gemeinschaften bewirken sollen.

Zu Frage 5:

Auch die Möglichkeit der Übertragung von bestimmten Gruppen von Vorabentschei -

dungsverfahren an das Gericht erster Instanz wurde von Österreich grundsätzlich

offen bewertet; der allgemeinen Einschätzung, wonach es schwierig sein dürfte, eine

Definition einer abgrenzbaren Gruppe von Vorabentscheidungsverfahren zu finden,

die grundsätzlich vom Gericht erster Instanz entschieden werden sollen, wurde durch

die Tatsache Rechnung getragen, daß eine derartige Übertragung einem späteren

einstimmigen Ratsbeschluß im Rahmen einer Satzungsänderung vorbehalten wurde

(Art. 225 Abs. 3).

 

 

Zu Frage 6:

Die Einrichtung von „gerichtlichen Kammern“, die insbesondere über Streitigkeiten im

Bereich des öffentlichen Dienstes der Gemeinschaft oder im Bereich des gewerbli -

chen und kommerziellen Eigentums entscheiden können, bevor das Gericht erster

Instanz bzw. der Gerichtshof angerufen werden können, wurde von Österreich stets

unterstützt und fand in Art. 220 Abs. 2 bzw. Art. 225 a des Vertrags Niederschlag.

 

 

Zu Frage 7:

Die Beantwortung dieser Frage findet sich in den Beantwortungen der Fragen 3, 4, 5

und 6.

 

 

Zu Frage 8:

Die angesprochenen Änderungen haben keine unmittelbaren Auswirkungen auf die

österreichische Rechtsordnung. Durch die Einführung flexibler Regelungen in den

genannten Bereichen, insbesondere durch Ermächtigungsklauseln, wonach weitere

Änderungen im Rahmen von Satzungsänderungen vorgenommen werden können,

soll gewährleistet werden, daß das System der Europäischen Gerichtsbarkeit auch

bei steigendem Arbeitsanfall und auch im Fall einer Erweiterung funktionsfähig bleibt.