2085/AB XXI.GP
Eingelangt am: 09.05.2001
DER BUNDESMINISTER
FÜR JUSTIZ
zur Zahl 2129/J - NR/2001
Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Andrea Kuntzl, Dr. Hannes Jarolim,
Genossinnen und Genossen haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „die
Preisgabe der Namen geschützter Zeugen in einem Strafverfahren 'Russen - Mafia'
durch die Untersuchungsrichterin Dr. Partik - Pable" gerichtet.
Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:
Zu 1:
Der in der Anfrage angesprochene Sachverhalt ist dem Bundesministerium für Justiz
bekannt.
Zu 2 und 3:
Am 18.5.1995 hat das Bundesministerium für Justiz die Staatsanwaltschaft Wien im
Wege der Oberstaatsanwaltschaft Wien ersucht, gemäß § 113 Abs. 2 StPO eine
Beschwerde gegen den Beschluss der Untersuchungsrichterin auf Gewährung
uneingeschränkter Akteneinsicht bei der Ratskammer des Landesgerichtes für Straf -
sachen Wien einzubringen. Diese hat der Beschwerde mit Beschluss vom 12.7.1995
jedoch nicht Folge gegeben und dies damit begründet, dass die uneingeschränkte
Gewährung der Akteneinsicht über das freie richterliche Ermessen nicht hinausge -
gangen ist.
Schließlich hat auch die Generalprokuratur die Möglichkeit der Erhebung einer
Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die obgenannten
Beschlüsse geprüft. Sie ist zur Ansicht gelangt, eine Beschränkung der Aktenein -
sicht wäre gegenüber einem durch die Untersuchungen in seinen Grundrechten
eingeschränkten und auch zu Anträgen
und Rechtsmitteln befugten Verfahrensbe -
teiligten nur mit dem Hinweis zu rechtfertigen gewesen, dass dieser selbst Anlass
zur Besorgnis gegeben hätte, durch die ihm gewährte Akteneinsicht würde der
Zweck der weiteren Untersuchung (konkret) gefährdet. Die im Anlassfall von der
Untersuchungsrichterin gewährte unbeschränkte Akteneinsicht könne daher nicht
als Überschreitung des ihr nach § 45 Abs. 2 StPO eingeräumten Ermessens
angesehen werden.
Disziplinarrechtliche Maßnahmen waren daher nicht zu ergreifen.
Zu 4 und 5:
Nach den Erwägungen der Generalprokuratur und der Ratskammer des Landesge -
richtes für Strafsachen Wien verstieß die Vorgangsweise der Untersuchungsrichterin
nicht gegen die Strafprozessordnung. Die gewährte Akteneinsicht konnte sohin für
die Richterin keine strafrechtlichen Folgen haben.
Zu 6:
In Anbetracht der Trennung von Justiz und Verwaltung enthalte ich mich einer
Bewertung von gerichtlichen, im Rahmen der unabhängigen Rechtsprechung
ergangenen Entscheidungen.
Zu 7:
Nach den zu den Fragen 2. und 3. angestellten Erwägungen und der rechtlichen
Beurteilung durch die im betreffenden Strafverfahren damit bereits befassten Stellen
(Ratskammer des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, Generalprokuratur beim
Obersten Gerichtshof) ist davon auszugehen, dass im Verhalten der Untersuchungs -
richterin im Zusammenhang mit der von ihr gewährten uneingeschränkten Aktenein -
sicht kein rechtswidriges und schuldhaftes Organverhalten im Sinn des § 1 Abs. 1
AHG begründet ist. Selbstverständlich kann ich einer abschließenden Beurteilung
dieser Frage durch die unabhängigen Gerichte nicht vorgreifen. Der Vollständigkeit
halber darf ich in diesem Zusammenhang aber noch auf die Bestimmung des § 6
Abs. 1 AHG verweisen, wonach Ersatzansprüche nach § 1 Abs. 1 AHG in drei
Jahren nach Ablauf des Tages verjähren, an dem der Schaden dem Geschädigten
bekanntgeworden ist. Insofern könnten allfällige Ersatzansprüche daher bereits
verjährt sein.
Zu 8:
Nach dem Bericht der unter anderem für Amtshaftungsverfahren zuständigen
Fachabteilung, die auch Rücksprache mit
der Finanzprokuratur gehalten hat, sind im
Bundesministerium für Justiz keine Fälle bekannt, in denen im vorliegenden Zusam -
menhang Ersatzansprüche geltend gemacht wurden.
Zu 9:
Die Notwendigkeit eines wirksamen Zeugenschutzes ist gerade dort, wo es gilt,
organisierte Kriminalität zu bekämpfen, absolut zu bejahen. Der § 166a StPO sieht
in diesem Zusammenhang die Möglichkeit der anonymen Einvernahme vor. Solche
Zeugenschutzmaßnahmen stehen aber immer in einem Spannungsverhältnis zum
Artikel 6 EMRK, der einem Beschuldigten das Recht auf ein faires Verfahren und
eine umfassende Verteidigung gewährleistet. Der anonyme Zeuge ist naturgemäß
ein Beweismittel, das im Rahmen der Verteidigung viel schwerer in Frage gestellt
werden kann. Häufig bietet allerdings schon der Aussageinhalt einen unzweifelhaf -
ten Hinweis auf die Person des Zeugen, womit sich die Sinnhaftigkeit der Anonymi -
sierung relativiert.
Die Sicherheit eines Zeugen, der namentlich in der Anzeige genannt ist, kann schon
deswegen nicht garantiert werden, weil eine Beschränkung der Akteneinsicht vom
Untersuchungsrichter nur bis zur Mitteilung der Anklageschrift angeordnet werden
kann. Spätestens zu diesem Zeitpunkt erlangen daher der Beschuldigte, dessen
Verteidiger und damit unter Umständen eine nicht mehr eingrenzbare Personenan -
zahl Kenntnis von allen Erhebungsergebnissen.
In letzter Zeit war in spektakulären Verdachtsfällen organisierter Kriminalität zu
beobachten, dass Zeugen von den Sicherheitsbehörden in den Anzeigen wiederholt
anonym bezeichnet wurden.
Die anonyme Aussage eines Zeugen wird im Entwurf der StPO - Novelle, mit der das
Vorverfahren neu geregelt wird, eine noch deutlichere gesetzliche Determinierung
erfahren.
Es kann keine Frage sein, dass es gilt, die Gefährdung eines Zeugen zu vermeiden,
eine Gefahr für den Rechtsstaat sehe ich allerdings in diesem Zusammenhang nicht.