2097/AB XXI.GP

Eingelangt am:11.05.2001

 

DER BUNDESMINISTER

         FÜR JUSTIZ

 

 

 

zur Zahl 2121/J - NR/2001

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Johannes Jarolim, Genossinnen und Genos -

sen haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Gewissensgefangene in

österreichischen Haftanstalten (§ 209 StGB)“ gerichtet.

 

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

 

Zu 1:

Nach den mir vorliegenden Unterlagen war aus der Sicht der Staatsanwaltschaft

Wien der Haftgrund der Tatbegehungsgefahr tatsächlich gegeben. Der Journalrich -

ter teilte diese Rechtsauffassung. In der Haftverhandlung vom 27.2.2001 wurde die

Untersuchungshaft unter Anwendung eines in der Strafprozessordnung vorgesehe -

nen gelinderen Mittels aufgehoben.

 

Eine detaillierte Bekanntgabe des Verfahrensinhaltes und der von den Strafverfol -

gungsbehörden angestellten Erwägungen ist mir jedoch im Interesse des Schutzes

der Persönlichkeit des Beschuldigten und im Hinblick auf das derzeit im Stadium der

Voruntersuchung anhängige Strafverfahren nicht möglich.

 

Zu 2:

Die Staatsanwälte sind in allen Strafsachen einer humanitären Rechtsanwendung

ebenso verpflichtet wie dem Legalitätsprinzip. Weisungen oder generelle Erlässe,

bestimmte Deliktsgruppen einer Sonderbeurteilung zu unterziehen, würden dem

fundamentalen Grundsatz der Gleichheit aller vor dem Strafgesetz zuwiderlaufen.

Zu 3:

Aus grundsätzlichen Erwägungen enthalte ich mich der Bewertung einer Formulie -

rung, die ein Richter in Ausübung der unabhängigen Rechtsprechung verwendet

hat.

 

Zu 4:

Die Achtung der Menschenrechte und die Vermeidung von Diskriminierungen stellen

eine wesentliche Grundlage für die Wahrnehmung der richterlichen Aufgaben und

damit eine Voraussetzung für die Ausübung des Richteramtes dar. Dementspre -

chend sind auch in diesem Jahr im Rahmen der Fortbildung der Richterinnen und

Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte eine Reihe von Maßnahmen

allgemeinen Grund - und Menschenrechtsfragen bzw. den Themen Rassismus,

Fremdenfeindlichkeit und Gleichbehandlung gewidmet. Neben diesen behandeln

weitere sechs Fortbildungsveranstaltungen für Richter und Staatsanwälte Fragen

der angemessenen Begegnung mit dem Bürger und der Bürgerin.

 

In Ergänzung zu diesen vielfältigen Fortbildungsmaßnahmen ist das Bundesministe -

rium für Justiz im Rahmen der Fortbildung der Richter und Staatsanwälte im Übrigen

derzeit gemeinsam mit dem Fortbildungsbeirat und der Vereinigung der österreichi -

schen Richter mit der Entwicklung eines Konzepts für einen die Bekämpfung von

Diskriminierungen umfassend behandelnden Fortbildungsschwerpunkt befasst.

 

Zu 5 und 6:

Aus den nun vorliegenden Berichten der Oberstaatsanwaltschaften ergibt sich

Nachstehendes:

 

Das Landesgericht für Strafsachen Wien und das Landesgericht Linz haben in

jeweils einem Fall die Untersuchungshaft wegen des Verdachtes des Verbrechens

der gleichgeschlechtlichen Unzucht mit Personen unter 18 Jahren verhängt. In

beiden Fällen handelte es sich nicht um unbescholtene Ersttäter.

 

Das Landesgericht Korneuburg hat in einem Fall wegen des Verbrechens der gleich -

geschlechtlichen Unzucht mit Personen unter 18 Jahren eine Freiheitsstrafe von

18 Monaten, davon sechs Monate unbedingt, verhängt. Weiters hat das Landesge -

richt Klagenfurt wegen dieses Deliktes in einem Fall eine Freiheitsstrafe von

15 Monaten, davon fünf Monate unbedingt, verhängt.

Zu 7:

Nach einer Abfrage aus der elektronischen Integrierten - Vollzugs - Verwaltung ergibt

sich Nachstehendes:

 

Im März 2001 befanden sich 22 Personen in österreichischen Justizanstalten, bei

denen (auch) eine Eintragung wegen einer Verurteilung nach § 209 StGB

aufscheint.

 

Von diesen 22 Personen befanden sich 17 in Strafhaft und 5 im Maßnahmenvollzug

nach § 21 Abs. 2 StGB.

 

Ausschließlich wegen einer Verurteilung nach § 209 StGB befindet sich eine Person

in Strafhaft, alle übrigen Personen wurden wegen mehrerer Delikte verurteilt bzw.

weisen mehrere Verurteilungen auf. Als "führendes" (strafbestimmendes) Delikt

scheint § 209 StGB bei 5 Verurteilungen auf.

 

Es wird darauf hingewiesen, dass für die Beantwortung von Anfragen im vorliegen -

den Zusammenhang in der Vergangenheit die ADV - Abfrage aus der Integrierten

Vollzugsverwaltung noch nicht zur Verfügung stand, sodass die Beantwortung

jeweils auf Basis von Berichten der Justizanstalten mit dem sich aus der händischen

Erfassung ergebenden Fehlerkalkül erfolgte.

 

Zu 8:

Den Fragestellern ist bekannt, dass der Nationalrat mehrmals mit der Frage einer

Streichung oder Änderung des § 209 StGB befasst war. So fand sich in der Abstim -

mung des Nationalrats über das Strafrechtsänderungsgesetz 1996 und verbundene

Initiativanträge am 27.11 .1996 keine Mehrheit für einen Entfall des Tatbestandes,

ebensowenig wurden anlässlich der Abstimmung über das Strafrechtsänderungsge -

setz 1998 Abänderungsanträge zur Streichung des § 209 StGB angenommen.

 

§ 209 StGB gehört bis zu einer anderen Entscheidung des Gesetzgebers dem

geltenden Rechtsbestand an und ist somit von den Justizbehörden anzuwenden.

Davon ausgehend kann nicht gesagt werden, dass die Verhängung der Untersu -

chungshaft oder die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe - auch angesichts der Höhe

der Strafdrohung - generell und in jedem Fall unverhältnismäßig wäre; diese Frage

wird vielmehr anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen sein.

Zu 9:

Ich teile die von meinen Amtsvorgängern vertretene Auffassung, dass die Bestim -

mungen der Bundesverfassung eine nach generell - abstrakten Kriterien erfolgende

Differenzierung bei der Wahrnehmung der Gnadenkompetenz des Bundespräsiden -

ten nicht zulassen. Artikel 65 Abs. 2 lit. c des Bundes - Verfassungsgesetzes unter -

scheidet nämlich in keiner Weise zwischen Personen, die bestimmter Delikte

angeklagt oder schuldig gesprochen werden. Demnach müssen auch die Bedingun -

gen, unter denen ein Gnadenvorschlag erstattet und vom Staatsoberhaupt geneh -

migt wird, grundsätzlich stets die gleichen sein. Dies umso mehr, als die Befugnis

des Staatsoberhauptes zur Begnadigung trotz ihrer historischen Wurzeln in der

absoluten Monarchie im Sinne der Prinzipien der Bundesverfassung und damit im

Sinne der Grundsätze eines parlamentarisch - demokratischen Rechtsstaates zu

interpretieren ist. Demgemäß ist auch für den Bereich des Gnadenrechtes dem -

nach moderner Auffassung zu den Grund - und Freiheitsrechten zählenden -

Gleichheitsgrundsatz des Artikels 7 Abs. 1 des Bundes-Verfassungsgesetzes zu

entsprechen und darf Gnade nur geübt werden, wenn ein individueller Gnadengrund

vorliegt, der die durch den Gnadenakt gewährte Begünstigung sachlich rechtfertigt.

Dieser individuelle Gnadengrund kann auch durch einen von allgemeiner gesell -

schaftlicher Zustimmung getragenen generellen Gnadenanlass ersetzt werden, wie

etwa anlässlich des Weihnachtsfests. Auch in diesem Falle erscheint aber eine

differenzierende Vorgangsweise nur insoweit verfassungskonform, als bei der

Gestaltung des Gnadenverfahrens auf die Probleme Rücksicht genommen werden

muss, die bei der prognostischen Beurteilung der betroffenen Personen zu lösen

sind.

 

Die Verpflichtung, bei Ausübung des Gnadenrechtes nur auf die besondere

Situation des Einzelfalles abzustellen, wird von der Bundesverfassung noch dadurch

verdeutlicht, dass sie die Befugnis zur Begnadigung dem Staatsoberhaupt als

oberstem Organ der vollziehenden Gewalt zuweist, während Amnestien wegen

gerichtlich strafbarer Handlungen durch Bundesgesetz zu erteilen sind (Artikel 93

B - VG). Würde man für Beschuldigte oder Verurteilte ausschließlich unter Berufung

darauf, dass sie gegen eine bestimmte strafgesetzliche Vorschrift verstoßen haben,

besondere, von den sonst angewendeten abweichende Kriterien für die Begnadi -

gung aufstellen, würde man insoweit in die Rechte der Volksvertretung eingreifen.