2267/AB XXI.GP

Eingelangt am: 31.05.2001

BM für Justiz

 

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Terezija Stoisits, Freundinnen und Freunde

haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend "Verurteilung (§ 178 StGB) trotz

Befolgung der Safer - Sex - Regeln im Zusammenhang mit Hiv und Aids“ gerichtet.

 

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

 

Zu 1 bis 3:

Nach § 178 StGB ist jeder strafbar, der vorsätzlich eine Handlung begeht, die geeig -

net ist, die Gefahr der Verbreitung einer übertragbaren Krankheit unter Menschen

herbeizuführen, wenn die Krankheit ihrer Art nach zu den wenn auch nur beschränkt

anzeige -  oder meldepflichtigen Krankheiten gehört (§ 179 ist die Fahrlässigkeitsvari -

ante zu diesem Delikt). Diese vorausgesetzte spezielle Eignung der Tat kennzeich -

net die §§ 178 ff StGB als sogenannte potentielle Gefährdungsdelikte. Dies bedeu -

tet, dass es nicht erforderlich ist, dass eine Person tatsächlich angesteckt wird, es

nicht einmal erforderlich ist, dass eine konkrete Ansteckungsgefahr herbeigeführt

wird. Bei den potentiellen Gefährdungsdelikten präsumiert das Gesetz die abstrakte

Gefahr nicht ein für allemal, sondern es muss im Einzelfall die typische Eignung des

Verhaltens zur Herbeiführung einer Gefahr geprüft und festgestellt werden.

 

In diesem Sinn wird man, solang man davon ausgeht, dass die Verwendung eines

Kondoms keinen absoluten Schutz vor Infizierung bietet, auch dem solcher Art

geschützten Verkehr nicht schlechthin die Eignung zur Herbeiführung einer Anstek -

kungsgefahr absprechen können. Da das Infizierungsrisiko durch die Verwendung

eines Kondoms, wenn schon nicht unter allen Umständen ausgeschlossen, so doch

minimiert wird, ist meines Erachtens - ohne der unabhängigen Rechtsprechung

vorzugreifen - die Risikominimierung sozialadäquat und damit - trotz des Restrisikos

- strafbarkeitsausschließend. Damit wäre bei Anwendung der bestimmungsgemäßen

Sorgfalt bei der Verwendung eines Kondoms auch für HIV - infizierte Personen, die

an sich in den Anwendungsbereich der §§ 178 ff StGB fallen würden, keine Strafbar -

keit nach diesen Bestimmungen gegeben.

 

Bei der Beurteilung der Strafbarkeit eines Oralverkehrs eines HIV - positiven

Menschen mit einem HIV - negativen wird unter Beachtung der dargestellten Grund -

sätze zu prüfen sein, wie groß sich das Infizierungsrisiko durch eine derartige

Sexualpraxis darstellt. Denn nur dann, wenn das Infizierungsrisiko derart minimal ist,

dass man von einer sozialadäquaten Risikominimierung sprechen kann, wird eine

Strafbarkeit des HIV - positiven Menschen nicht vorliegen. Ich gehe daher davon aus,

dass eine derartige Sexualpraxis nicht generell und stets den objektiven Tatbestand

der §§ 178, 179 StGB erfüllen wird.

 

Zu 4 und 5:

Zur Erfüllung des subjektiven Tatbestandes des § 178 StGB muss der Vorsatz des

Täters, für den dolus eventualis genügt, nicht nur die bewusste Ausführung der

Tathandlung, sondern auch deren Eignung, „die Gefahr der Verbreitung einer

übertragbaren Krankheit unter Menschen herbeizuführen“, umfassen. Es reicht

daher, wenn ein HIV - positiver Mensch bei Eingehung eines (an sich tatbildlichen)

Sexualkontaktes mit einem HIV - negativen es für möglich hält und sich auch damit

abfindet, dass eine derartige Eignung der Tathandlung besteht. Besteht ein derarti -

ger Vorsatz nicht, liegt ein strafbarkeitsauschließender Tatbildirrtum vor. Die Straf -

barkeit nach § 179 StGB richtet sich nach § 6 StGB, hängt also davon ab, ob der

Täter das Vorliegen des Tatumstandes nach dem für die Fahrlässigkeitsdelikte

geltenden Regeln hätte erkennen sollen und können.

 

Davon zu unterscheiden ist der sogenannte Verbotsirrtum (§ 9 StGB). Kennt der

Täter zwar alle Sachverhaltselemente, die dem Tatbild des § 178 StGB

entsprechen, geht er aber auf Grund einer falschen Rechtsauskunft oder Verhalten -

sempfehlung davon aus, dass sein Verhalten nicht rechtswidrig ist, unterläuft ihm ein

Verbotsirrtum. Ist ein solcher Irrtum nicht vorwerfbar, handelt der Täter auch nicht

schuldhaft; nur bei Vorwerfbarkeit des Irrtums kann Strafbarkeit nach § 178 oder §

179 StGB gegeben sein.

 

Zu 6 bis 8:

Zweck der §§ 178 und 179 StGB ist der Schutz des Menschen vor übertragbaren

Krankheiten. Ich gehe davon aus, dass die bestehenden Bestimmungen dieses

Bedürfnis in sachgerechter Weise befriedigen. Auch die Vollziehung dieser Bestim -

mungen durch die Strafverfolgungsbehörden gibt - soweit überblickbar - keinen

Anlass für eine erlassmäßige oder sonstige generelle (Neu - )Regelung.

 

Zu 9:

Da im Verhalten der Gesundheitsbehörden weder eine konkrete Aufforderung zu

einer strafbaren Handlung noch ein konkreter Tatbeitrag liegt, gehe ich - ohne der

unabhängigen Rechtsprechung vorzugreifen - davon aus, dass die Tatbestände der

§§ 281, 282 bzw. 12, 178, 179 StGB nicht erfüllt sind.

 

Zu 10:

Die Staatsanwaltschaft Klagenfurt hat im Anlassfall eine Verfolgung der HIV - negati -

ven Geschlechtspartner mangels gesetzlicher Grundlage nicht in Erwägung

gezogen. Auch nach Ansicht des Bundesministeriums für Justiz sind die §§ 178 f

StGB auf den nicht infizierten Geschlechtspartner nicht anzuwenden, solange der

Nichtinfizierte allein eine Übertragung der Krankheit auf sich selbst riskiert, ohne

dass er (weitere) Handlungen setzt, die ein rechtlich missbilligtes Risiko einer

Verbreitung auch auf andere Personen enthalten.

 

Zudem liegt bei mangelndem Wissen über die HIV - Infektion des Geschlechtspart -

ners nicht einmal ein die Fahrlässigkeitsschuld bedingender Sorgfaltsverstoß vor,

weil für HIV - negative Menschen eine Verpflichtung zur Befragung seiner

Geschlechtspartner über deren HIV - Status nicht dem gesellschaftlichen Grundkon -

sens entspricht.

 

Zu 11:

Im Hinblick darauf, dass sowohl in den auf Seite 13 der vom seinerzeitigen Bundes -

ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales im Jahr 1999 herausgegebenen

Broschüre „Gib Aids keine Chance“ propagierten Safer - Sex - Regeln als auch in der

auf der Homepage des Bundesministeriums für soziale Sicherheit und Generationen

ersichtlichen „Aids - Information für alle“ die Vermeidung von ungeschütztem Oralver -

kehr empfohlen wird, bestehen im Anlassfall seitens des Bundesministerium für

Justiz bezüglich der Subsumierung von ungeschütztem Oralverkehr unter § 178

StGB keine Bedenken gegen die Entscheidung des Landesgerichtes Klagenfurt vom

19. Juli 1999.

 

Zu der unter Bezugnahme auf dieses Verfahren geltend gemachten Aktenwidrigkeit

in Anbetracht der Feststellung ungeschützten Analverkehrs ist festzuhalten, dass

laut Protokollsvermerk und gekürzter Urteilsausfertigung des Landesgerichtes

Klagenfurt vom 19. Juli 1999 beide Beschuldigten zum gesamten auch eine solche

Sexualpraxis umfassenden Tatvorwurf ein Geständnis abgelegt haben. Eine

materiellrechtliche Überprüfung des Schuldspruches im Wege einer Nichtigkeitsbe -

schwerde zur Wahrung des Gesetzes gemäß § 33 StPO oder einer außerordentli -

chen Wiederaufnahme gemäß § 362 StPO ist daher im vorliegenden Fall nicht

möglich.

 

Zu 12 und 13:

Die Frage der Erstattung eines Gnadenvorschlags ist meiner Ansicht nach in erster

Linie von der Persönlichkeit des betreffenden Rechtsbrechers abhängig zu machen,

wobei die Bewertung der Tat, die er zu verantworten hat, nicht unberücksichtigt

bleiben kann. Es ist aber nicht das deliktische Verhalten als solches primär

entscheidend, sondern das Persönlichkeitsbild, das in ihm zum Ausdruck gekom -

men ist.

 

§ 178 StGB schützt nicht nur die gefährdeten Sexualpartner eines

HIV - Infizierten, sondern wegen des sich potenzierenden Ansteckungseffektes die

Gesundheit der Allgemeinheit. Dieser Gefahrenradius ist umso größer, je mehr

Personen der Verurteilte in einer die Übertragung der Krankheit ermöglichenden

Weise kontaktiert hat. Wer solcherart die Gesundheit der Bevölkerung vorsätzlich

gefährdet, begeht zweifellos einen gewichtigen Rechtsverstoß und offenbart damit

ein Persönlichkeitsbild, das eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber dem Leben,

der Gesundheit und der sozialen Lage anderer zutage bringt. In einem solchen Fall

fällt es schwer, die Gnadenwürdigkeit des Verurteilten positiv zu beurteilen.

 

Das Landesgericht Klagenfurt hat eine teilbedingte Freiheitsstrafe ausgesprochen,

ist also bei seiner Persönlichkeitsbeurteilung zur Auffassung gelangt, dass der

Verurteilte nur dann durch die bloße Androhung des Vollzuges einer Freiheitsstrafe

zu einer Gesinnungsänderung veranlasst werden kann, wenn er das Übel des

Freiheitsentzuges durch die Vollstreckung eines Viertels der Gesamtstrafe tatsäch -

lich verspürt hat. Ich teile diese Ansicht und sehe mich insoferne zu einer Revision

der Entscheidung der Gnadenfrage nicht veranlasst.

Zu 14 bis 22:

Die Beantwortung dieser Fragen ist nicht möglich, weil entsprechendes statistisches

Datenmaterial bei den staatsanwaltschaftlichen Behörden nicht nach den in der

Anfrage enthaltenen Kriterien abgerufen werden kann.