265/AB XXI.GP

 

zur Zahl 255/J - NR/2000

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Karl Schweitzer, Dr. Martin Graf und Kolle -

gen haben an den Bundesminister für Justiz eine schriftliche Anfrage betreffend

„Schutz der Menschenrechte in Österreich“ gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

 

Zu 1:

 

Der Schutz der Menschenrechte - welcher in der Deklaration zum Regierungspro -

gramm besonders herausgestellt wird - ist ein vordringliches politisches Ziel der

österreichischen Bundesregierung.

 

Zu 2. 3, 6 und 7:

 

Die österreichische Justiz hat in all ihren Funktionen einen hohen Standard der

Wahrung der Menschenrechte.

 

Grundsätzlich bin ich aber der Auffassung, dass man auf dem Gebiet der Men -

schenrechte kaum jemals mit dem Erreichten zufrieden sein kann. Die Achtung der

Menschenrechte stellt eine Aufgabe dar, die ständiger Beobachtung und Weiterent -

wicklung bedarf. Fortschritte der Technik, beispielsweise im Bereich der Kommuni -

kation, bedürfen etwa immer auch einer kritischen Betrachtung, ob und inwieweit

das herkömmliche System des Schutzes der Grundrechte, insbesondere auf den

Gebieten der Achtung der Meinungsfreiheit und der Freiheit der lnformationsbe -

schaffung (Art. 10 EMRK) sowie der Wahrung der Privatsphäre (Art. 8 EMRK) und

des Datenschutzes (§ 1 DSG 2000), weiterhin ausreichend erscheint. Dabei zeigt

sich etwa, dass der Verbund von weltweiten Kommunikationsnetzen einerseits die

Informationsmöglichkeiten des Einzelnen beträchtlich erhöht hat, andererseits die

Nutzung dieser Systeme zu legalen und illegalen Zwecken auch gewisse Gefahren

für das Privatleben und den Datenschutz mit sich bringt. In vielen Fällen sind es

nicht mehr Eingriffe des Staates, gegen die dem Einzelnen Abwehransprüche einge -

räumt werden, sondern tritt der Rechtsgewährungsanspruch gegenüber dem Staat

stärker in den Vordergrund, der darin besteht, den Bürgern auch Möglichkeiten zur

Abwehr unerwünschter Überwachung privater Konsumgewohnheiten und anderer

Eingriffe in das Privatleben zur Hand zu geben.

 

Grundrechtskataloge der Nationalstaaten allein reichen hiezu nicht aus, es muss

auch auf internationaler Ebene verstärkt Übereinstimmung über grundrechtliche

Standards angestrebt werden. Mein Ressort beobachtet daher insbesondere die Be -

mühungen zur Ausarbeitung einer europäischen Grundrechtscharta mit vordringli -

chem Interesse. Das Justizressort ist auch sonst in internationalen Foren bemüht,

die Verbreitung und Nutzung moderner Kommunikationsformen nicht zu erschwe -

ren, ihnen aber doch den erforderlichen rechtlichen Rahmen zum Schutz der Men -

schenrechte und Interessen Dritter zu geben.

 

Innerhalb meines Ressortbereichs bedürfen auf strafprozessualem Gebiet insbeson -

dere die Rechtsstellung des Beschuldigten wie auch des Geschädigten (Opfers) im

strafprozessualen Vorverfahren einer Neudefinition, um Mitwirkungs - und Antrags -

rechte vor allem bereits in der Phase polizeilicher Ermittlungen wirksam werden zu

lassen. Das Bundesministerium für Justiz hat im April 1998 einen Diskussionsent -

wurf zur Reform des strafprozessualen Vorverfahrens vorgelegt (JMZ

578.017/2 - II.3/1998), der gegenwärtig überarbeitet und ergänzt wird und vorjahres -

frist in einen begutachtungsreifen Ministerialentwurf münden soll.

 

Besonderes Augenmerk ist schließlich auch einer unverzüglichen und jeden Vorwurf

der falsch verstandenen Kameraderie entkräftenden und unabhängigen Kontrolle

von Misshandlungsvorwürfen gegen Organe von Sicherheitsbehörden zu schenken;

zu diesem Zweck hat das Justizressort mit Erlass vom 30. September 1999, JABl.

Nr. 31 (JMZ 880.014/37 - II.3/1999), angeordnet, dass Misshandlungsvorwürfe unver -

züglich dem zuständigen Staatsanwalt angezeigt werden und von diesem im Wege

gerichtlicher Vorerhebungen einer Klärung zuzuführen sind.

 

Im Bereich der Entschädigung für erlittene Untersuchungshaft im Falle der Einstel -

lung des Strafverfahrens oder des Freispruches bedarf es legistischer Anpassun -

gen, weil nach der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte

die Voraussetzung der Entkräftung des ursprünglich bestandenen Tatverdachts (§ 2

Abs. 1 lit. b des Strafrechtlichen Entschädigungsgesetzes) in einem Spannungsver -

hältnis zum Schutz der Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 EMRK) und die mangeln -

de Öffentlichkeit des Verfahrens in Widerspruch zu den Garantien des Art. 6 Abs. 1

EMRK steht.

 

Auf dem Gebiet des Strafvollzugsrechts werden die Entwicklungen im Verwaltungs -

strafverfahren (Einrichtung der Unabhängigen Verwaltungssenate) nachzuvollziehen

und die Bemühungen um die Schaffung unabhängiger Beschwerdeinstanzen (vgl.

RV einer Strafvollzugsgesetznovelle 1999,1851 BlgNR XX.GP) weiterzuverfolgen

sein.

 

Im Bereich des Zivilrechts (im weitesten Sinn) sind Menschenrechtsverletzungen in

vielfacher Hinsicht denkbar. Das hängt damit zusammen, dass die Entscheidung

über privatrechtliche Ansprüche vielfach zugleich auch eine Entscheidung über den

Bestand und das Ausmaß grundrechtlich geschützter Güter ist. Wenn sich etwa ein

Nachbar gegen Beeinträchtigungen seines Eigentums wehrt, hat das über den gel -

tend gemachten Anspruch gefällte Urteil des Gerichts auch grundrechtliche Rele -

vanz. Dazu kommt, dass für den Bereich des Zivilrechts die besonderen Anforde -

rungen des Art. 6 MRK Bedeutung haben. Eine ungebührliche Verzögerung eines

zivilgerichtlichen Verfahrens oder eine Verletzung des Rechts einer Partei auf Gehör

kann eine Verletzung der Menschenrechte der betroffenen Partei bilden.

 

Der Schutz der Menschenrechte ist in den rechtsstaatlichen Verfahren, die zur

Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche zur Verfügung stehen, gewährleistet. Das

gilt auch und insbesondere für Verfahrensverzögerungen wo das Bundesministeri -

um für Justiz große Anstrengungen unternommen hat und unternimmt, um Miss -

stände hintanzuhalten bzw. abzustellen.

 

Die Vermeidung von allfälligen Defiziten im Bereich der Kenntnisse von Richtern

und Staatsanwälten auf dem Gebiet der Grund - und Menschenrechte stellt eine we -

sentliche Aufgabe der richterlichen Aus- und Fortbildung dar. Die Thematik der Men -

schenrechte und ihrer Beachtung in der täglichen Rechtsanwendung bildet daher

seit Jahren einen ständigen Bestandteil in der Aus- und Fortbildung für Richter und

Staatsanwälte.

Auch in Zukunft wird dem Thema Menschenrechte im Rahmen der richterlichen

Ausbildung und bei der Gestaltung des Fortbildungsangebots für Richter und

Staatsanwälte gebührende Beachtung geschenkt werden.

 

Zu 4 und 5:

 

Angesichts der Vielfalt menschenrechtsrelevanter Sachverhalte im Kontext mit Ge -

richtsverfahren im Zivil- und Strafrecht, der Strafverfolgung sowie des Straf - und

Maßnahmenvollzuges und im Hinblick auf die vielen hunderttausenden Amtshand -

lungen in diesen Bereichen wäre es wohl vermessen1 eine „Gesamtstatistik der

Menschenrechtsverletzungen" aufstellen zu wollen. Dabei ist zu berücksichtigen,

dass keine allgemeine Übereinstimmung über eine Definition des Begriffes Men -

schenrechtsverletzung besteht (man denke z.B. an den Grundsatz des „fairen Ver -

fahrens“ nach Art. 6 EMRK), dass Verstöße gegen Grundrechte ganz unterschiedli -

che Intensitätsgrade aufweisen und dass bei weitem nicht alle Verstöße dieser Art

von den Betroffenen zum Gegenstand einer Beschwerde bzw. eines Rechtsmittel -

verfahrens gemacht werden.

 

Grundsätzlich kann ich nur darauf hinweisen, dass insbesondere erfolgreiche Be -

schwerden an den Verfassungsgerichtshof, an den Obersten Gerichtshof auf Grund

des Grundrechtsbeschwerdegesetzes, BGBl. Nr. 864/1992, und Beschwerden an

die Straßburger Menschenrechtsinstanzen, aber gewiss auch nicht wenige erfolgrei -

che ordentliche Rechtsmittel als Indikatoren für unterlaufene Verstöße gegen

Grundrechte, zugleich aber für die Wirksamkeit der Rechtsschutzsysteme, insbe -

sondere die Bedeutung der unabhängigen Gerichtsbarkeit, anzusehen sind.

 

In den letzten 3 Jahren ist es im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für

Justiz zur Feststellung nachstehender Verletzungen der Europäischen Konvention

für Menschenrechte gekommen:

 

- Art 6 Abs 1 EMRK (Verfahrensdauer);

 

- Art 6 Abs 1 EMRK (Fehlen einer mündlichen Verhandlung samt öffentlicher Ent -

   scheidungsverkündung im Verfahren nach dem strafrechtlichen Entschädigungs -

   gesetz);

- Art. 6 Abs 1 EMRK (Nichtzustellung der Stellungnahme der Generalprokuratur an

   die Verteidigung zur Kenntnisnahme und allfälligen Stellungnahme);

- Art 6 Abs. 1 und Abs. 3 lit c EMRK (Nichtvorführung des verhafteten Angeklagten

   zur Verhandlung vor dem OGR über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung);

- Art. 6 Abs 1 und Abs 3 lit c EMRK (Fairness des bezirksgerichtlichen Abwesen -

   heitsverfahrens); und

- Art. 10 EMRK (Verurteilung wegen eines Zeitungsartikels, in welchem die österrei -

   chische Asylpolitik kritisiert wurde).

 

Aufgrund festgestellter Konventionsverletzungen wurden folgende Maßnahmen ge -

setzt:

 

- Zahlung der auferlegten Entschädigung;

 

- Zugänglichmachung der Entscheidung des EGMR an die in Betracht kommenden

  Richter und Staatsanwälte (vgl. auch den Erlass des BMJ vom 29.1.1994, JMZ

  64.008/25-11.3/1994, zur Vorführung des verhafteten Angeklagten zum Gerichtstag

  zur öffentlichen Verhandlung über die Berufung [[§§ 294 Abs. 5, 296 Abs. 3 und

   471 Abs. 3 StPO], JABl. Nr. 15/1994);

 

- Entscheidung des OGH vom 30.6.1999, 13 Os 86/99, veröffentlicht im EvBI.

  1999/217, zur konventionsgemäßen Auslegung der Verfahrensbestimmung des

  § 6 StEG;

 

- Änderung des § 35 Abs 2 letzter Satz StPO durch das Strafrechtsänderungsge -

  setz 1996, BGBl. Nr. 762 (vgl. JAB 409 Blg.NR XX. GP, 11); und

 

- Aufhebung der §§ 427 Abs. 3 fünfter Satz und 478 Abs. 3 letzter Satz durch die

  Strafprozessnovelle 1999, BGBl. I Nr.55 (vgl. RV 1581 Blg.NR XX. GP, 32 und JAB

  1615 Blg.NR XX. GP, 3).

 

Mit dem bereits erwähnten Strafrechtsänderungsgesetz 1996 wurde ferner das Insti -

tut der Erneuerung des Strafverfahrens (vgl. insbesondere §§ 363a bis 363c StPO)

in die Strafprozessordnung eingeführt, das es dem durch eine (durch den EGMR

festgestellte) Konventionsverletzung Betroffenen ermöglicht, eine „restitutio in inte -

grum“ zu erreichen. Voraussetzung der Ergreifung dieses Rechtsbehelfes ist das

Vorliegen eines endgültigen Urteils des EGMR, das die Feststellung einer Konventi -

onsverletzung durch eine richterliche Verfügung oder Entscheidung im Strafverfah -

ren beinhaltet. Bei der Entscheidung über einen Antrag auf Erneuerung des Verfah -

rens ist der OGH an die Rechtsansicht des EGMR gebunden und hat die bekämpfte

Entscheidung auch dann aufzuheben, wenn (bloß) eine fehlerhafte Ermessensaus -

übung bei Anwendung einer Verfahrensvorschrift festgestellt wurde oder sonst eine

Norm konventionswidrig ausgelegt wurde, auch wenn sich die bekämpfte Entschei -

dung auf (seinerzeit) geltendes innerstaatliches Recht stützen konnte (vgl. näher RV

33 Blg.NR XX. GP, 64 ff.). Im Zusammenhang mit dem ebenfalls durch das Straf  -

rechtsänderungsgesetz 1996 eingeführten Milderungsgrund der unverhältnismäßig

langen Verfahrensdauer (§ 34 Abs. 1 Z. 19 StGB; vgl. RV 33 Blg.NR XX. GP, 37 f.)

kann durch einen Antrag auf Erneuerung des Verfahrens auch eine diesbezügliche

Rüge des EGMR zu einer für den Verurteilten günstigeren Straf(neu)bemessung

führen.

 

Für den Bereich des Strafvollzuges sei erwähnt, dass das Europäische Komitee zur

Verhütung der Folter und anderer unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung

(OPT) anlässlich seines dritten Besuches in Österreich in der Justizanstalt Wien - Jo -

sefstadt im September/Oktober 1999 festgestellt hat, dass es in dieser Justizanstalt

drei aus Metall gefertigte „Gitterbetten“ gab, die der Unterbringung von Personen

dienten, die auf Grund eines psychischen Ausnahmezustandes fremd - oder selbst -

gefährlich sind. Nach Ansicht des CPT komme die Anhaltung eines Gefangenen in

einem solchen Gitterbett einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung

gleich. Das Bundesministerium für Justiz war bis zu dieser Feststellung des Europäi -

schen Komitees zur Verhinderung der Folter davon ausgegangen, dass es sich bei

den nach § 103 Abs. 2 Z 5 des Strafvollzugsgesetzes als besondere Sicherheits -

maßnahme gesetzlich vorgesehenen und in Verwendung stehenden „Gitterbetten“

ausschließlich um sogenannte „Netzbetten“ handelt, wie sie auch in psychiatrischen

Krankenanstalten verwendet werden. Außer in der Justizanstalt Wien - Josefstadt wa -

ren noch in drei weiteren der 29 österreichischen Justizanstalten insgesamt vier aus

Metall gefertigte Gitterbetten vorhanden, die jedoch in diesen Vollzugseinrichtungen

nur in einigen wenigen Einzelfällen (Krisenfällen) für kurze Zeit zur Verwendung ge -

langten. Nach der Beanstandung durch das CPT wurde der weitere Einsatz von Me -

tallgitterbetten von der Strafvollzugsverwaltung unverzüglich österreichweit unter -

sagt und deren Beseitigung angeordnet.

Zu 8:

 

Sensibilität für Grundrechte und die Weiterentwicklung einer zeitgemäßen und aus -

gewogenen Menschenrechtspolitik stellen Grundaufgaben des Justizressorts im ge -

samten Wirkungsbereich dar und sind mir wichtige persönliche Anliegen.

Die Umsetzung dieser Anliegen erfordert eine grundrechtsorientierte Gestaltung an -

stehender Gesetzesvorhaben ebenso wie stetige Bemühungen um eine noch bes -

sere, präzisere und verlässlichere Berücksichtigung der Menschenrechte in allen

Bereichen der Gesetzesvollziehung sowie Maßnahmen im Bereich der Aus - und

Fortbildung. Ich werde bemüht sein, dieser ständigen Aufgabe im Sinne der von der

Bevölkerung erwarteten führenden Rolle des Justizressorts beim Schutz der Men -

schenrechte und bei der Gewährleistung der Grundrechte im Zusammenwirken mit

allen anderen hiezu Berufenen nach Kräften gerecht zu werden.