328/AB XXI.GP

 

Beantwortung

 

der Anfrage der Abgeordneten Mag. Karl Schweitzer und Kollegen (Nr. 253/J)

betreffend Schutz der Menschenrechte in Österreich.

 

Zu den Fragen nehme ich wie folgt Stellung

 

Zu Frage 1:

Ja; wenngleich in Österreich funktionierende Schutzmaßnahmen vorhanden sind

und deren Standard ein sehr hoher ist, muss auch in Zukunft der Schutz der

Menschenrechte und allfällige weitere Verbesserungen dieses Schutzes ein

vordringliches politisches Ziel darstellen.

 

Zu den Fragen 2 und 3:

Der Schutz der Grund -  und Menschenrechte wird durch die in Österreich geltenden

verfassungs -  und verwaltungsrechtlichen Verfahren im Allgemeinen gewährleistet.

Es darf jedoch auf die Beantwortung der Fragen 4 bis 7 verwiesen werden.

 

Zu Frage 4:

Zu dieser Frage sind drei Fälle zu nennen, in denen gegen § 6 Abs.1 MRK verstoßen

wurde. Näheres dazu in den Beantwortungen der Fragen 6 und 7.

 

Zu Frage 5:

Was die Bemühungen zur Beseitigung der festgestellten Menschenrechtsver -

letzungen betrifft, so darf auf die Beantwortung der Fragen 6 und 7 dieser

parlamentarischen Anfrage verwiesen werden. Wie sich daraus ergibt, ist ein konkret

schuldhaftes Verhalten und damit eine persönliche Verantwortung einer bestimmten

(in öffentlich - rechtlicher Funktion tätigen) Person in diesem Zusammenhang nicht

gegeben. Es erübrigt sich daher auch die Beantwortung der Frage, ob die

„Verantwortlichen zur Verantwortung gezogen worden sind“.

Zu den Fragen 6 und 7:

In zwei der drei zur Frage 4 genannten Fälle hatte die Verletzung des § 6 MRK

folgende strukturelle Gründe:

Den Parteien stand folgender Instanzenzug offen: Nach der geltenden Rechtslage ist

in der Rechtsfrage der Versicherungspflicht ein Verwaltungsverfahren mit drei

Instanzen vorgesehen:

Erste Instanz ist ein Sozialversicherungsträger, zweite Instanz ist der zuständige

Landeshauptmann, dritte Instanz ist das Bundesministerium für Arbeit, Gesundheit

und Soziales. Gegen die Entscheidung der dritten Instanz steht allen Parteien des

Verfahrens die Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof und an den Ver -

fassungsgerichtshof offen. Hierbei ist noch zu beachten, dass auch der Sozialver -

sicherungsträger, der zunächst als erste Instanz entschieden hat, im Berufungs -

verfahren zur Partei wird.

Dieser Instanzenzug wurde von den Parteien weit gehend ausgeschöpft.

Die festgestellte lange Verfahrensdauer ist nicht nur dem Bereich des Bundes -

ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales zuzurechnen, sondern auch dem

Verwaltungsgerichtshof und dem Verfassungsgerichtshof:

Diese eben dargelegte Verfahrensstruktur ermöglicht eine besonders nachhaltige

rechtliche Prüfung in der grundlegenden Rechtsfrage der Sozialversicherungspflicht

und damit einen besonders hohen Rechtsschutz.

Sie birgt aber zugleich die Gefahr einer langen Verfahrensdauer.

Verschärft wird diese Gefahr dadurch, dass der Verwaltungsgerichtshof grund -

sätzlich nur kassatorisch entscheidet, also den Bescheid des Bundesministeriums für

Arbeit, Gesundheit und Soziales aufhebt.

Als Grund der Bescheidaufhebung stellt der Verwaltungsgerichtshof unter Um -

ständen nur die Verletzung von Verfahrensvorschriften fest.

Das Bundesministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales hat dann in einem

neuerlichen Verfahren die geforderten Verfahrensschritte nachzuholen und einen

neuen Bescheid zu erlassen.

Gegen diesen Bescheid steht wieder allen Parteien die Beschwerde an der Ver -

waltungsgerichtshof offen.

Genau dieser Umstand hat in den beiden oben angesprochenen Fällen zu der

besonders langen Verfahrensdauer geführt:

In einem Fall kam es so zu vier Verfahren vor den Verwaltungsbehörden. Diese

dauerten insgesamt ca. 3 Jahre und 7 Monate

Zweimal wurde der Verwaltungsgerichtshof angerufen. Die Dauer der Verfahren vor

dem Verwaltungsgerichtshof betrug insgesamt ca. 3 Jahre und 10 Monate.

Im anderen Fall kam es zu vier Verfahren vor den Verwaltungsbehörden. Diese

dauerten insgesamt ca. 6 Jahre und 2 Monate. In diesem Fall wurde einmal der

Verfassungsgerichtshof angerufen. Das Verfahren dort dauerte ca. 8 Monate.

Zweimal wurde in diesem Verfahren der Verwaltungsgerichtshof angerufen. Die

Verfahren dort dauerten insgesamt ca. 6 Jahre und 11 Monate.

Die Frage des Instanzenzuges ist bereits seit längerer Zeit in Diskussion. Im Zuge

der derzeit geplanten Verwaltungsreform zielt die Errichtung von Landes -

verwaltungsgerichtshöfen unter anderem darauf, eine Änderung genau dieser hier

dargelegten strukturellen Schwäche herbeizuführen.

Der dritte hier zu erörternde Fall hatte eine Streitigkeit zwischen einem Arzt und

einem Krankenversicherungsträger über die Zulässigkeit der Befristung des

zwischen den Streitteilen abgeschlossenen Einzelvertrages zum Inhalt.

Der Beschwerdeführer hat die Tatsache, dass sein Vertrag nicht verlängert wurde,

als Kündigung bei der Landesschiedskommission bekämpft. Die Landesschieds -

kommission sowie die Bundesschiedskommission als Berufungsinstanz haben sich

für unzuständig erklärt, weil keine Kündigung vorlag und sie nur für Kündigungen,

nicht aber für die Feststellung der Zulässigkeit einer Befristung zuständig sind.

 

Der Beschwerdeführer hat seine Angelegenheit daher als Zivilrechtssache beim

dafür vorgesehen Landesgericht anhängig gemacht. Mit Teilurteil dieses Lan -

desgerichtes und bestätigendem Urteil des im Instanzenzug übergeordneten

Oberlandesgerichtes wurde der Vertrag als aufrecht und die Befristung als nicht

wirksam erkannt. Über Revision des belangten Krankenversicherungsträgers hat

sodann der OGH mit Beschluss das gesamte Zivilverfahren wegen Unzulässigkeit

des Rechtsweges als nichtig aufgehoben, weil inzwischen durch die 48. Novelle zum

ASVG, BGBl. Nr.642/89, die §§ 344 bis 347 ASVG neu gefasst worden waren und

seither die paritätische Schiedskommission (und die Landesberufungskommission

als Berufungsinstanz) zur Entscheidung über Streitigkeiten, die in rechtlichem oder

tatsächlichem Zusammenhang mit dem Einzelvertrag stehen, berufen ist.

 

Der Beschwerdeführer hat sodann diese Schiedsinstanzen angerufen; die Lan -

desberufungskommission hat seine Anträge abgewiesen; auf Grund der dagegen

erhobenen Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof hat dieser den Bescheid

aufgehoben, weil ein Mitglied der bescheiderlassenden Behörde befangen war (ein

von der Ärztekammer entsandtes Mitglied der Landesberufungskommission war

nämlich als Vorstandsmitglied der Ärztekammer für Niederösterreich daran beteiligt,

die für eine Befristung des Einzelvertrages erforderliche Zustimmung der Ärzte -

kammer zu erteilen).

 

Der darauf folgende Ersatzbescheid der Landesberufungskommission mit der

ablehnenden Entscheidung wurde wieder beim VfGH angefochten; der VfGH hat

den Bescheid jedoch abgewiesen. Auch der Antrag des Beschwerdeführers auf

Schadenersatz in Höhe von 16 Mio. S wurde von der Landesberufungskommission

abgelehnt und diese Entscheidung vom VfGH bestätigt, wobei der VfGH neuerlich

seine Vorjudikatur bekräftigte, dass die Landesberufungskommission ein Tribunal im

Sinne der MRK sei; im Übrigen stellte der VfGH hier auch fest, dass der

Kassenvertrag des Beschwerdeführers rechtskräftig beendet ist, sodass daraus auch

keine Ansprüche mehr abgeleitet werden können.

 

Damit bekam der Beschwerdeführer mit keinem seiner Anliegen innerstaatlich Recht.

Daher ist auch rechtlich eindeutig klargestellt, dass die belangte Gebietskranken -

kasse sich gegenüber dem Beschwerdeführer rechtskonform verhalten hat.

 

Neben den bzw. aus Anlass der innerstaatlichen Verfahren hat der Beschwerde -

führer auch eine Menschenrechtsbeschwerde an die Europäische Kommission für

Menschenrechte erhoben und dort die Verletzung des Rechts auf ein faires Ver -

fahren nach Art. 6 MRK releviert. Als Gründe führte er an:

den Eingriff des Gesetzgebers in ein laufendes Verfahren, wodurch ihm nicht mehr

hereinbringbare Verfahrenskosten erwachsen sind, weiters die mangelnde

Tribunalqualität der Schiedsinstanzen und in weiterer Folge auch die Ver -

fahrensdauer.

 

Die Europäische Kommission für Menschenrechte hat die Beschwerde für zulässig

erklärt und in ihrem ,,report" vom 16.4.1998 nach Art. 31 MRK (wie bereits

ausgeführt) eine Verletzung des Art. 6 MRK festgestellt und die Zahlung einer

Entschädigung an den Beschwerdeführer empfohlen. Als Gründe für die Verletzung

des Art. 6 MRK werden die mangelnde Unabhängigkeit der Landes -

berufungskommission sowie die überlange Verfahrensdauer festgestellt.

 

Über Anrufung durch den Beschwerdeführer nach Art. 48 Abs. 1 lit. e MRK hat der

Gerichtshof für Menschenrechte mit Entscheidung vom 5.10.1998 festgestellt, dass

der Fall keine wesentlichen neuen Rechtsfragen aufwirft und die Verletzung der

MRK klar ist, sodass er keine Behandlung des Falles vornehme (SZl. 120.086/5 -

5/98).

 

Zur Entschädigung des Beschwerdeführers wurde von diesem zunächst ein Betrag

von etwa 18 Mio. S bzw. unter der Voraussetzung, dass er einen Kassenvertrag

erhalte, ein Betrag von 12 Mio. S gefordert, was jedoch seitens der Republik

Österreich als weit überhöht abzulehnen war.

 

In weiterer Folge hat die Kommission einen realistischeren Entschädigungsbetrag

von S 540.000,-- vorgeschlagen, dem der österreichische Vertreter bei der

Kommission zugestimmt hat. Mit der Zahlung dieses Betrages an den Beschwer -

deführers ist dieser Beschwerdefall abgeschlossen.

Geprüft werden allerdings im Bereich des Bundesministeriums für Arbeit, Gesundheit

und Soziales in diesem Zusammenhang derzeit die Möglichkeiten einer (der Kritik

der Menschenrechtskommission entsprechenden) Gesetzesänderung, um der

Landesberufungskommission den Status eines unabhängigen Gerichtes im Sinne

des § 6 MRK zu verleihen bzw. adäquate andere Lösungen für derzeit dieser

Kommission unterliegende Verfahren zu finden.

 

Zu Frage 8:

Das Bundesministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales steht einer Weiter -

entwicklung der Menschenrechtspolitik selbstverständlich positiv gegenüber. Sie wird

unter Bedachtnahme auf die Entwicklung im internationalen Bereich zu erfolgen

haben.

 

Was konkrete Schritte der Weiterentwicklung betrifft, darf auf letzte Entwicklungen

im Bereich des Behindertenwesens verwiesen werden:

Die Nichtdiskriminierung behinderter Menschen ist als Zielsetzung bereits im

Behindertenkonzept der Österreichischen Bundesregierung vom Dezember 1992

enthalten und stellt nach wie vor einen aktuellen Schwerpunkt österreichischer

Behindertenpolitik dar.

Das österreichische Parlament hat im Sommer 1997 den Art. 7 des Bundes - Ver -

fassungsgesetzes um ein Verbot der Diskriminierung auf Grund einer Behinderung

erweitert. Die Republik bekennt sich zur Gleichbehandlung von behinderten und

nichtbehinderten Menschen in allen Bereichen des täglichen Lebens. Danach sollen

sich Bund, Länder und Gemeinden vermehrt um die Förderung und Unterstützung

von behinderten Menschen kümmern und auf deren Gleichbehandlung in allen

Bereichen hinwirken.

 

Als erster Ausfluss dieser neuen Verfassungsbestimmung hat eine Arbeitsgruppe im

Jahr 1998 die gesamte Rechtsordnung des Bundes auf explizite oder implizite

Benachteiligungen behinderter Menschen durchforstet und die Ergebnisse in einem

Bericht festgehalten.

Im Verlauf der Tätigkeit dieser Arbeitsgruppe und insbesondere nach Vorliegen des

Berichtes erfolgten bereits etliche Gesetzesnovellierungen, die behinderten -

benachteiligende Bestimmungen beseitigt haben.

Eine Rahmenrichtlinie der EU betreffend die Nichtdiskriminierung verschiedener

benachteiligter Gruppen, insbesondere auch der behinderten Menschen, im Bereich

der Beschäftigung - gestützt auf Art. 13 EG - Vertrag - befindet sich derzeit in der

Ratsarbeitsgruppe ,,Sozialfragen" in Diskussion.